Information über Flugannullierung

AG Rüsselsheim: Information über Flugannullierung

Vorliegend buchten die Kläger, über ein  Reisebüro, bei der Beklagten einen Flug von Köln/Bonn nach Antalya. Dieser wurde annulliert und die Fluggäste erst einen Tag später nach Antalya befördert. Die Beklagte informierte vorab das Reisebüro über die Flugannullierung. Die Kläger verlangen nun eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 Fluggastverordnung wegen Flugannullierung.

Das Amtsgericht Rüsselsheim sprach den Klägern einen solchen Anspruch zu, da die Information über die Flugannullierung nicht gegenüber den Fluggästen unmittelbar erfolgt ist und damit der Ausschlusstatbestand des Art. 5 VO nicht erfüllt ist.

AG Rüsselsheim 3 C 2655/11 (36) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 27.06.2012
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 27.06.2012, Az: 3 C 2655/11 (36)
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Amtsgericht Rüsselsheim

1.Urteil vom 27. Juni 2012

Aktenzeichen 3 C 2655/11 (36)

Leitsatz:

2. Nach Art. 5 VO hat ein Luftfahrtunternehmen den Fluggästen – ausnahmsweise – keine Ausgleichsleistungen nach Art. 7 VO zu erbringen, wenn diese mindestens 2 Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit über die Annullierung unterrichtet werden.

 Zusammenfassung:

3. Vorliegend buchte die Kläger bei der Beklagten einen Flug von Köln/Bonn nach Antalya, wodurch die Parteien einen Luftbeförderungsvertrag schlossen. Die Beklagte annullierte den Flug, ohne dass die Kläger selbst im Vorfeld des geplanten Abflugzeitpunkts von der Annullierung Kenntnis erhielten, und beförderte die Kläger erst einen Tag später nach Antalya. Sie verlangen folglich von dem Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung wegen Flugannullierung nach der Fluggastverordnung.

Die Beklagte behauptet, dass sie das Reisebüro, dessen sich die Kläger bei der Buchung bedient hatten, rechtzeitig über die Annullierung des Fluges informiert habe. Nach Art. 5 VO hat ein Luftfahrtunternehmen den Fluggästen – ausnahmsweise – keine Ausgleichsleistungen nach Art. 7 VO zu erbringen, wenn diese mindestens 2 Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit über die Annullierung unterrichtet werden.

Das Amtsgericht Rüsselsheim sprach den Klägern allerdings einen Anspruch auf Ausgleichzahlung nach der Fluggastverordnung zu. Die Beklagte informierte lediglich das Reisebüro über die Flugannullierung, nicht jedoch die Fluggäste. Dies würde nur ausreichen, wenn keine Möglichkeit besteht, auch die Fluggäste unmittelbar zu unterrichten. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Klage ist mithin begründet.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils EUR 400,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.08.2011 zu zahlen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, die Kläger von Honoraransprüchen ihres Prozessbevollmächtigten die vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von EUR 155,30 freizustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

5. Die Parteien streiten um die Zahlung von Ausgleichsansprüchen nach der Verordnung (EG) 261/2004 (nachfolgend „VO“ genannt) wegen Flugannullierung sowie um die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

6. Die Kläger buchten bei der Beklagten für den 14.06.2011, 16:15 Uhr, einen Flug von Köln/Bonn nach Antalya (Flug DE 2786). Die Flugentfernung betrug über 1500 km.

7. Die Beklagte annullierte den Flug, ohne dass die Kläger selbst im Vorfeld des geplanten Abflugzeitpunkts von der Annullierung Kenntnis erhielten, und beförderte die Kläger erst am 15.06.2011 nach Antalya.

8. Mit Schreiben vom 30.06.2011 machten die Kläger bei der Beklagten Ausgleichsansprüche geltend. Die Beklagte lehnte Ansprüche der Kläger mit Schreiben vom 25.08.2011 ab. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger machten deren Ansprüche mit Schreiben vom 15.09.2011 und 04.10.2011 außergerichtlich gegenüber der Beklagten geltend und forderten diese zur Zahlung des Ausgleichsbetrags auf.

9. Die Kläger behaupten, dass ihnen aus der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung ein Schaden durch ordnungsgemäß abgerechnete Verbindlichkeiten gegenüber ihrem Prozessvertreter in Form von Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von EUR 261,21 (1,5 Gebühr nach RVG) entstanden sei.

10. Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verurteilen,

an jeden der Kläger EUR 400,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.08.2011 zu zahlen,

die Kläger von Honoraransprüchen ihres Prozessbevollmächtigten für die vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von EUR 261,21 freizustellen.

11. Die Beklagte behauptet, dass sie den einbuchenden Vermittler – nämlich das Reisebüro „…“, über welches die Kläger den Flug gebucht haben – bereits am 31.01.2011 um 14:25 Uhr unter Verwendung des „…“ über die Annullierung des Fluges informiert habe. Zeitgleich habe die Beklagte das Reisebüro über die neue Buchung des alternativen Fluges DE 3420 informiert. Das Reisebüro habe jedoch erst am 13.06.2011 um 11:41 Uhr reagiert und die Buchung bearbeitet. Um 12:25 Uhr habe der Mitarbeiter des Reisebüros die Stornierung des annullierten Fluges aus der Buchung veranlasst.

12. Die Beklagte ist der Auffassung, dass sie nicht mehr habe tun können, als das Reisebüro zu informieren. Dessen Fehlverhalten sei ihr nicht anzulasten.

Entscheidungsgründe:

13. Die Klage ist zulässig und im Hinblick auf die Hauptforderung vollständig, im Hinblick auf die Nebenforderungen teilweise begründet.

14. Die Klägerseite hat einen Anspruch auf Leistung von Ausgleichszahlungen in der geltend gemachten Höhe gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. b), Art. 5 Abs. 1 lit. c) VO. Der von den Klägern bei der Beklagten gebuchte Flug DE 2786 von Köln nach Antalya am 14.06.2011 wurde unstreitig annulliert im Sinne des Art. 5, Art. 2 lit. l) VO.

15. Dem klägerischen Anspruch steht die Behauptung der Beklagten nicht entgegen, dass sie das Reisebüro, dessen sich die Kläger bei der Buchung bedient hatten, bereits am 31.01.2011 über die Annullierung des Fluges informiert habe. Auf eine Beweiserhebung hierzu kommt es nicht an, da diese Behauptung unerheblich ist.

16. Mit Blick auf den Umstand, dass die Beförderung der Kläger erst am Folgetag des ursprünglich geplanten Abflugtages durchgeführt worden ist, kommt ein Ausschluss des Ausgleichsanspruchs allein gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) VO in Betracht. Hiernach hat ein Luftfahrtunternehmen den Fluggästen – ausnahmsweise – keine Ausgleichsleistungen nach Art. 7 VO zu erbringen, wenn diese mindestens 2 Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit über die Annullierung unterrichtet werden.

17. Die Beklagte hat nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, dass sie die Kläger mindestens 2 Wochen vor der geplanten Abflugszeit über die Annullierung unterrichtet hat. Die Beklagte trägt lediglich vor, dass sie das einbuchende Reisebüro, dessen sich die Kläger bei der Buchung bedient haben, am 31.01.2011 – rechtzeitig – informiert habe. Trotz des richterlichen Hinweises vom 25.04.2012 bringt sie weder vor, dass sie auch die Kläger selbst von der Annullierung unterrichtet hat, noch führt sie aus, weshalb eine unmittelbare Information der Kläger nicht möglich gewesen ist. Da es sich nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 lit. c) VO um einen Ausnahmetatbestand zur bestehenden Pflicht zur Leistung einer Ausgleichszahlung handelt, ist die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet für den Umstand, dass die Information der Fluggäste rechtzeitig erfolgt ist. Hieraus folgt, dass die Beklagte auch im Einzelnen die Umstände darzutun hat, die dazu geführt haben, dass eine unmittelbare Unterrichtung der Fluggäste unmöglich gewesen ist und daher auf eine Information allein des Reisevermittlers/Reisebüros ausgewichen werden musste.

18. Die Beklagte hat insbesondere nicht vorgetragen, dass ihr die Kontaktdaten der Fluggäste 2 Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unbekannt gewesen sind. Sie kann sich diesbezüglich nicht darauf zurückziehen, dass klägerseits kein Vortrag dazu erfolgt ist, wann und wie die Beklagte die Kontaktdaten der Kläger erhalten hat. Diesen Umstand hat die Beklagte, der die technischen Einzelheiten der Datenübermittlung im Rahmen einer Buchungsabwicklung zwischen Reisebüro und Luftfahrtunternehmen – anders als den Klägern – auch bestens bekannt sind, beizubringen.

19. Der Zinsanspruch ist begründet gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 BGB.

20. Die Klägerseite kann auch Freistellung von den – noch nicht gezahlten – vorgerichtlichen Anwaltskosten in angemessenem Rahmen als Verzugsschaden verlangen, §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB. Bei Beauftragung des Prozessbevollmächtigten der Klägerseite war die Beklagte mit der Leistung der Ausgleichszahlungen bereits im Verzug. Die Ausgleichszahlungen waren unmittelbar fällig; der Verzug ist spätestens mit der Ablehnung der Ansprüche durch die Beklagte am 25.08.2011 eingetreten. Ein Verschulden der Beklagten am Verzug wird vermutet, § 286 Abs. 4 BGB.

21. Die geltend gemachten Rechtsanwaltskosten überschreiten jedoch die Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und stellen nur teilweise einen kausalen und adäquaten Verzugsschaden dar. Die Klägerseite kann insoweit nur Ersatz angemessener Rechtsanwaltskosten verlangen; diese sind vorliegend mit insgesamt EUR 155,30 (1,3 Geschäftsgebühr: EUR 110,50; Auslagenpauschale: EUR 20,00; Umsatzsteuer: EUR 24,80) zu bemessen.

22. Unter Berücksichtigung des Umfangs und der Schwierigkeit der Tätigkeit ist hier nach Nr. 2300 VV RVG von einer angemessenen Gebühr in Höhe von 1,3 Gebühren auszugehen. Über diese Regelgebühr hinausgehende Gebühren sind nach Auffassung des erkennenden Gerichts nicht angemessen, da eine besondere Schwierigkeit oder ein besonderer Umfang der vorgerichtlichen Tätigkeit nicht zu erkennen ist. Die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch wegen erfolgter Annullierung sind sehr überschaubar und leicht festzustellen. Besondere Rechtskenntnisse oder die Notwendigkeit der Verfolgung aktueller Rechtsentwicklungen – über das ohnehin gebotene Maß hinaus – sind nach hiesiger Auffassung nicht veranlasst.

23. Der Ansatz der Mittelgebühr von 1,5 Gebühren lässt sich nach hiesiger Auffassung auch nicht damit begründen, dass das Mandat aufgrund seiner „europarechtlichen Natur“ oder seiner Zugehörigkeit zu einem Rechtsgebiet, für welches eine Fachanwaltschaft eingerichtet ist, eine gesteigerte Schwierigkeit aufweise. Der bloße Umstand eines Bezugs zu sekundärem Gemeinschaftsrecht vermag eine besondere Schwierigkeit nicht auszulösen, da gemeinschaftsrechtliche Implikationen nunmehr in nahezu allen Lebensbereichen eine Rolle spielen. Da zudem mittlerweile für nahezu jedes Rechtsgebiet eine Fachanwaltschaft eingerichtet ist, führt auch dieser Umstand nicht zu einer besonderen Schwierigkeit der Sache.

24. Die Frage der Angemessenheit / Billigkeit der festgesetzten Rechtsanwaltsgebühren konnte das Gericht selbst entscheiden; der Einholung eines Gutachtens der Rechtsanwaltskammer bedurfte es im vorliegenden Rechtsstreit mit einem erstattungspflichtigen Dritten nicht (so auch OLG Düsseldorf, Az. 1 U 198/07, Urteil vom 10.03.2008; Mayer/Kroiß, RVG, 2009, § 14, Rn. 59 m.w.N.)

25. Die Gewährung eines Toleranzspielraums von 20 % auf die Regelgebühr von 1,3 Gebühren (hierzu Mayer/Kroiß, RVG, 2009, § 14, Rn. 54 m.w.N.) kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Die Gewährung eines solchen Toleranzspielraums (hierzu BGH NJW 2011, 1603) unterläuft die eindeutige Wertung des Gesetzgebers, der die Regelgebühr für nicht umfangreiche und nicht schwierige Fälle auf 1,3 Gebühren festgelegt hat. Diese Wertung wäre ohne jede Bedeutung, wenn ein Rechtsanwalt unter fortwährender Berufung auf eine nach hiesiger Auffassung nicht gegebenen Schwierigkeit des Falles stets eine 1,5-​Gebühr verlangen könnte und dies – unter der Berücksichtung des genannten Toleranzspielraums von 20 % – einer richterlichen Überprüfung entzogen wäre. Nach der Anmerkung zu Nr. 2300 VV RVG kann bei durchschnittlichen Sachen nur eine Gebühr in Höhe von 1,3 verlangt werden, einen über diese Kappungsgrenze hinausgehenden Toleranzspielraum lässt die Vorschrift nicht zu (wie hier OLG Koblenz, Urteil vom 05.09.2011, Az. 12 U 713/10; zum Ganzen ausführlich auch AG Frankfurt, Urteil vom 17.11.2011, Az. 29 C 1613/11-​46). Vielmehr wird der „Spielraum“ des Rechtsanwalts durch die Regelung auf 1,3 Gebühren begrenzt (OLG Jena, Beschluss vom 02.02.2005, Az. 9 Verg 6/04). Nichts anderes folgt auch aus der entsprechenden Gesetzesbegründung (BT-​Drucks. 15/1971, 206, 207 zu Nr. 2400 VV RVG).

26. Es kann dahinstehen, ob seitens des Prozessbevollmächtigten der Klägerseite eine ordnungsgemäße Rechnungsstellung erfolgt ist. Die Rechnungsstellung nach § 10 Abs. 1 RVG ist nur für die Einforderbarkeit der Vergütung im Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandanten maßgeblich und ohne Bedeutung für die Fälligkeit des Anspruchs – insbesondere im Hinblick auf einen materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch (OLG München, Az. 10 U 2476/06, Beschluss vom 19.07.2006). Wie sich aus § 10 Abs. 3 RVG ergibt, steht eine fehlende Rechnungsstellung einem materiellrechtlichen Anspruch des Rechtsanwalts nicht entgegen; dieser entsteht bereits mit dem ersten Tätigwerden des Anwalts und wird gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 RVG mit der Erledigung des Auftrags oder der Beendigung der Angelegenheit – unabhängig von einer Rechnungsstellung – fällig.

27. Unerheblich ist auch, dass die Beklagte die Ansprüche der Kläger vorgerichtlich bereits abgelehnt hatte. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts war die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten durch die Klägerseite aus ex-​ante-​Sicht zweckmäßig und nicht schlechterdings aussichtslos, da nach allgemeinen Erfahrungssätzen die vorgerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts auch dann erfolgversprechend ist, wenn die Gegenseite geltend gemachte Ansprüche bereits abgelehnt hatte. Die Beklagte hat zudem nicht vorgetragen, dass ihre Ablehnung ausdrücklich habe erkennen lassen, dass sie endgültig sei und die Beauftragung eines Rechtsanwalts gegen die klägerische Schadensgeringhaltungspflicht verstoßen würde.

28. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 709 ZPO.

29. Die Berufung war gemäß § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen, da die Kläger mit nicht mehr als EUR 600,00 beschwert sind, die Rechtssache aber auch im Hinblick auf die Ersatzfähigkeit vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1,5 Gebühren grundsätzliche Bedeutung hat.

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