Auslösen einer Notrutsche

AG Rüsselsheim: Auslösen einer Notrutsche

Im vorliegenden Fall buchte der Kläger bei der Beklagten einen Flug, 23 Stunden Verspätung hatte. Die Beklagte, als ausführendes Luftfahrtunternehmen, begründete diese Verspätung mit einem technischen Defekt. Es löste sich durch unerklärliche Weise die Notrutsche, was bisher noch nie, allenfalls höchst selten vorgekommen ist. Der Kläger verlangt nun von ihr eine Ausgleichszahlung wegen Flugverspätung.

Das Amtsgericht Rüsselsheim hat dem Kläger einen solchen Anspruch zugesprochen, da ein technischer Defekt kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der Fluggastverordnung ist und eine Inanspruchnahme der Beklagten somit nicht ausschließt.

AG Rüsselsheim 3 C 1316/09 (32) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 20.07.2010
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 20.07.2010, Az: 3 C 1316/09 (32)
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Amtsgericht Rüsselsheim

1.Urteil vom 20.07.2010

Aktenzeichen 3 C 1316/09 (32)

Leitsatz:

2. Das unerklärliche Auslösen einer Notrutsche, stellt keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Fluggastverordnung dar, welche die Fluggesellschaft vor einer Inanspruchnahme befreien könnte.

Zusammenfassung:

3. Vorliegend buchte der Kläger bei der Beklagten einen Flug von D Hurghada nach H, wodurch die Parteien einen Luftbeförderungsvertrag schlossen. Dieser Flug hatte eine Verspätung von insgesamt 23 Stunden aufgrund eines technischen Defekts. Die Beklagte führt an, dass sich durch unerklärliche Weise die Notrutsche löste, was bisher noch nie, allenfalls höchst selten vorgekommen sei.  Der Kläger verlangt nun von der Beklagten eine Ausgleichszahlung wegen Flugverspätung nach der Fluggastverordnung.

Das Amtsgericht Rüsselsheim sprach dem Kläger einen Anspruch auf Ausgleichzahlung nach der Fluggastverordnung zu. Wenn der Flug mehr als 3 Stunden Verspätung hatte, steht den Fluggästen ebenso ein Ausgleichsanspruch zu, wie bei einer Flugannullierung. Hier erlitten die Fluggäste einen Zeitverlust von 23 Stunden durch den verspäteten Flug, wodurch die Voraussetzung somit erfüllt ist.

Mithin begründet der hier vorliegende technische Defekt keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der VO, die das Luftfahrtunternehmen von einer Inanspruchnahme befreien könnte. Dies gilt auch dann, wenn das Luftfahrtunternehmen alle vorgeschriebenen oder sonst bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt gebotenen Wartungsarbeiten frist- und ordnungsgemäß ausgeführt hat.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 1.200,-​- Euro nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.02.2009 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der zu vollstreckenden Summe abzuwenden, wenn nicht zuvor die Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand:

5. Die Klägerin begehrt für sich und aus abgetretenem Recht für ihren Lebensgefährten Ausgleichszahlungen in Höhe von jeweils 600,-​- Euro gemäß der Verordnung (EG) Nr. 261/2004.

6. Sie hatte über einen Reiseveranstalter unter anderem für beide Personen einen Flug von Hurghada nach H am 05.01.2009 gebucht, der von der Beklagten durchgeführt werden sollte. Der Flug wurde mit einer Verspätung von 23 Stunden ausgeführt. Mit Schreiben vom 4. Februar 2009 wurde die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 20.02.2009 zur Zahlung aufgefordert.

7. Die Klägerin behauptet, dass ihr die Ansprüche ihres Lebensgefährten S P abgetreten worden seien.

8. Die Klägerin beantragt,

wie aus dem Tenor ersichtlich.

9. Die Beklagte beantragt

die Klage abzuweisen.

10. Sie behauptet, dass sich bei dem streitgegenständlichen Flug eine der Notrutschen selbständig aufgeblasen hätte und dies ein technisches Problem darstelle, das in der Art wahrscheinlich noch nie, allenfalls höchst selten vorgekommen sei und ist der Ansicht, dass es sich hierbei um eine außergewöhnlichen Umstand handelt, der zu einer Enthaftung führe.

11. Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschlusses vom 29.04.2010 (Bl. 31 d. A.) durch uneidliche Vernehmung des Zeugen S.

12. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 01.06.2010 (Bl. 34 – 35 d. A.) verwiesen.

13. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstand wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

14. Die Klage ist begründet. Der Klägerin steht aus eigenen und abgetretenem Recht gemäß Artikel 7 Abs. 1 c der Verordnung (EG) 261/2004 eine Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 600,-​- Euro gegen die Beklagte zu. Diese hat den Flug von D Hurghada nach H mit einer Verspätung von ca. 23 Stunden durchgeführt. Dies begründet einen Anspruch auf Ausgleichszahlung, obwohl keine Annullierung vorliegt (vergleiche BGH Xa ZR 95/06 mit Hinweisen auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs). Die behauptete Abtretung hat die Klägerin durch Vorlage der schriftlichen Abtretungserklärung (Bl. 15 d. A.) nachgewiesen.

15. Der vorgenannte Ausgleichsanspruch ist auch nicht entsprechend Artikel 5 Abs. 3 der Verordnung ausgeschlossen. Bei dem vorliegenden Defekt des unerklärlichen Auslösens der Notrutsche handelt es sich nach Auskunft des Zeugen S zwar um einen nicht häufig auftretenden Fall, jedoch kommt dieser mehrfach im Jahr bei jeder Fluggesellschaft vor.

16. Es ist aus der Aussage des S nicht zu entnehmen, dass es sich um ein Konstruktionsfehler oder Ähnliches von der Beklagten nicht zu beherrschendes Problem handelt, so dass ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der obengenannten Vorschrift nicht vorliegt. Vielmehr begründen technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeugs gelegentlich auftreten können, für sich gesehen keine außergewöhnlichen Umstände, die das Luftfahrtunternehmen von der Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsleistung wegen Annullierung eines Fluges befreien können (so BGH a. a. O.).

17. Der Zinsanspruch ist gemäß den §§ 286, 288 Abs. 1 BGB begründet.

18. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

19. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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