Freistellungsanspruch bezüglich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten

LG Frankfurt: Freistellungsanspruch bezüglich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten

Die Kläger hatten bei der Beklagten einen Flug gebucht, der sich verspätete. Sie verlangten Ausgleichszahlung und Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten.

Das Amtsgericht hatte der Klage, nachdem die Beklagte den Ausgleichsanspruch anerkannt hatte, vollumfänglich stattgegeben. Das Landgericht stellte auf Berufung der Beklagten klar, dass kein Anspruch auf die Rechtsanwaltskosten mehr bestehe.

LG Frankfurt 2-24 S 235/17 (Aktenzeichen)
LG Frankfurt: LG Frankfurt, Urt. vom 18.01.2018
Rechtsweg: LG Frankfurt, Urt. v. 18.01.2018, Az: 2-24 S 235/17
AG Frankfurt, Urt. v. 30.08.2017, Az: 31 C 477/17 (17)
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Landgericht Frankfurt

1. Urteil vom 18. Januar 2018

Aktenzeichen 2-24 S 235/17

Leitsatz:

2. Ausgleichszahlungen nach der Flugrechteverordnung sind auf Rechtsanwaltskosten anzurechnen.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger hatten bei der Beklagten einen Flug von Frankfurt nach Heraklion gebucht, der sich um mehrere Stunden verspätete. Sie verlangten Ausgleichszahlung und Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten.

Das Amtsgericht hatte der Klage, nachdem die Beklagte den Ausgleichsanspruch anerkannt hatte, vollumfänglich stattgegeben. Das Landgericht stellte auf Berufung der Beklagten klar, dass kein Anspruch auf die Rechtsanwaltskosten mehr bestehe. Die Ausgleichszahlungen seien hierauf anzurechnen.

Tenor:

4. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 30.08.2017 verkündete Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main, Az.: 31 C 477/17 (17), abgeändert und wie folgt neugefasst: Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils Zinsen aus 400,00 EUR in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für die Zeit vom 01.12.2016 bis 30.03.2017 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten der ersten Instanz haben die Kläger nach Kopfteilen zu 14% und die Beklagte zu 86% tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Kläger nach Kopfteilen zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch die Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

5. Die Parteien streiten um Ansprüche nach der Verordnung (EG) 261/2004 (im Folgenden: FluggastrechteVO).

6. Die Kläger verfügten über eine bestätigte Buchung für eine Luftbeförderung mit der Beklagten von Frankfurt am Main nach Heraklion für den 12.10.2016. Der Flug wurde verspätet durchgeführt, so dass die Kläger Heraklion erst mit mehr als vier Stunden Verspätung erreichten.

7. Mit anwaltlichem Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 09.11.2016 wurde die Beklagte unter Fristsetzung zum 30.11.2016 zur Zahlung von Ausgleichszahlungen aufgefordert, wofür 255,85 EUR Rechtsanwaltskosten entstanden.

8. Die Kläger reichten am 17.02.2017 Klage ein, u.a. mit dem Antrag zu 1), die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger jeweils 400,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2016 zu zahlen.

9. Mit am 06.04.2017 eingegangenem Schriftsatz vom 04.04.2017 nahmen die Kläger die am 24.05.2017 zugestellte Klage in Höhe von 1.600,00 EUR zurück, nachdem die Beklagte diesen Betrag am 30.03.2017 gezahlt hatte.

10. Die Beklagte erklärte mit Schriftsatz vom 12.06.2017, den Zinsanspruch zur Hauptforderung anzuerkennen. Die Kläger haben in der ersten Instanz beantragt, die Beklagte ferner zu verurteilen, die Kläger von Honoraransprüchen ihres Prozessbevollmächtigten für die vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von 255,85 EUR freizustellen.

11. Die Beklagte hat in der ersten Instanz beantragt, die Klage insoweit abzuweisen.

12. Die Beklagte behauptet, sie habe die Kläger über ihre Rechte gemäß Art. 14 Abs. 2 VO (EG) 261/2004 belehrt.

13. Wegen der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main (im Folgenden „Amtsgericht“) vom 30.08.2017 (Bl. 48 f. d.A.) Bezug genommen.

14. Das Amtsgericht hat die Beklagte gemäß ihrem Anerkenntnis zur Zahlung von Zinsen verurteilt und hat darüber hinaus der Klage hinsichtlich der Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten stattgegeben mit der Begründung, ein Anspruch folge aus Art. 6 Abs. 1, Art. 7 FluggastrechteVO analog, § 280 Abs. 1, § 249 Abs. 1, § 253 Abs. 1 BGB.

15. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung (Bl. 49 ff. d. A.) Bezug genommen.

16. Gegen das ihr am 07.09.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13.09.2017 Berufung eingelegt.

17. Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Kläger nicht die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen könnten. Sie wiederholt und vertieft insoweit ihr erstinstanzliches Vorbringen.

18. In der mündlichen Verhandlung vom 28.11.2017 hat die Beklagte die Anrechnung gemäß Art. 12 FluggastrechteVO erklärt.

19. Die Beklagte beantragt,

20. das Teilanerkenntnis- und Schlussurteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 30.08.2017 – 31 C 477/17 (17) – abzuändern, soweit das Amtsgericht die Beklagte verurteilt hat, die Kläger von Honoraransprüchen ihres Prozessbevollmächtigten für die vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von 255,85 EUR zu befreien, und die Klage insoweit abzuweisen.

21. Die Kläger beantragen,

22. die Berufung zurückzuweisen.

23. Sie verteidigen das Urteil des Amtsgerichts und wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

24. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

25. Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

26. Den Klägern steht kein Freistellungsanspruch wegen vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gegen die Beklagte zu.

27. Zwar kann den Klägern ein solcher Freistellungsanspruch für die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 6 Abs. 1, Art. 7 FluggastrechteVO zustehen. Dieser denkbare Anspruch ist jedoch durch die Anrechnung der auf Grundlage der FluggastrechteVO wegen Verspätung erbrachten Zahlung von 1.600,00 EUR gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 FluggastrechteVO durch die Beklagte erloschen. Die Beklagte hat die Anrechnung erklärt.

1.

28. Ein Anspruch der Kläger folgt zunächst nicht aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 BGB.

29. Die vorgerichtliche anwaltliche Tätigkeit beruhte nicht auf einem Verzug der Beklagten mit der Ausgleichsleistung nach der FluggastrechteVO.

30. Die Beauftragung des Rechtsanwalts mit der Geltendmachung der Ausgleichsleistung erfolgte vor einer den Verzug begründenden Mahnung i.S.d. § 286 Abs. 1 BGB. Eigene Schreiben an die Beklagte haben die Kläger nicht formuliert.

31. Ein Verzug der Beklagten trat auch nicht ohne Mahnung ein. Insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB nicht vor.

32. Zwar wird erwogen, hinsichtlich des Verzugseintritts eine Mahnung gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB für entbehrlich zu halten (vgl. Ullenboom, in: RRa 2014, 274). Diese Argumentation vermag nach Auffassung der Kammer aber nicht zu überzeugen. Besondere Gründe für den sofortigen Eintritt des Verzuges liegen nicht vor. Auch wenn es sich um Ansprüche aus einer europäischen Verordnung handelt, liegt kein Sonderfall vor, die den Eintritt des sofortigen Verzuges rechtfertigt (vgl. die Beispiele bei Palandt/Grüneberg 76. Aufl. 2017 § 286 R. 25).

33. Es gilt im Grundsatz auf allen zivilrechtlichen Rechtsgebieten, dass derjenige, der sich von Anfang an eines Rechtsanwalts zur Durchsetzung seiner Ansprüche bedient, Gefahr läuft, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten mangels Verzugs des Schuldners nicht ersetzt zu bekommen. Auch der vermeintliche Schuldner, der sich in der vorgerichtlichen Auseinandersetzung eines Rechtsanwalts bedient und im Rechtsstreit obsiegt, hat regelmäßig keinen Erstattungsanspruch wegen der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gegen den Anspruchsteller (vgl. Kammerurteile v. 05.12.2014, Az. 2-24 S 49/14; Urt. v. 09.04.2015, Az. 2-24 S 53/14; Urt. v. 26.02.2015, Az. 2-24 S 121/14, Urt. v. 28.04.2016, Az. 2-24 S 189/15).

2.

34. Ein Anspruch der Kläger folgt auch nicht aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 14 FluggastrechteVO.

35. Zwar wird auch insoweit in der Rechtsprechung (vgl. die Nachweise bei Ullenboom a.a.O.) als Anspruchsgrundlage Art. 14 Abs. 1 u. 2 FluggastrechteVO i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB erörtert und teilweise bejaht. Nach Auffassung der Kammer lässt sich ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zur Durchsetzung von Ausgleichsansprüchen nicht auf diese Anspruchsgrundlage stützen.

36. Zwar mag wegen der in der FluggastrechteVO normierten Ansprüche von einem gesetzlichen Schuldverhältnis i.S.d. § 280 Abs. 1 BGB auszugehen sein und kann die die Verletzung der Hinweispflicht gemäß Art. 14 FluggastrechteVO eine Verletzung einer vertraglichen Pflicht darstellen.

37. Allerdings beruhen die zur Durchsetzung von Zahlungsansprüchen aus der FluggastrechteVO veranlassten Rechtsanwaltskosten nicht auf einer Verletzung der Hinweispflicht aus Art. 14 FluggastrechteVO. Nach dieser Vorschrift wird nur ein Hinweis auf mögliche Ausgleichsansprüche geschuldet. Geltend gemacht werden indes Rechtsanwaltskosten, die konkret für die Durchsetzung der Ansprüche anfielen. Der eingetretene Schaden sind die Rechtsanwaltskosten in Form der Geschäftsgebühr und nicht deren fehlende Ersatzfähigkeit. Die Ersatzfähigkeit ist ja gerade zu prüfen. Es fehlt insofern an einer Kausalität zwischen einem etwaigen Hinweispflichtverstoß und den geltend gemachten Rechtsanwaltskosten (als Schaden).

38. Art. 14 FluggastrechteVO dient nicht dazu, durchzusetzen, dass bei Geltendmachung der Ansprüche durch Anwälte in allen Fällen die Ersatzfähigkeit der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gewährleistet ist. Eine Kausalität für Rechtsanwaltskosten kann nur dann bejaht werden, wenn der Fluggast einen Anwalt konsultiert, um lediglich zu erfragen, ob grundsätzlich Ansprüche auf Ausgleichsleistungen in Betracht kommen. Dabei würde es sich aber lediglich um eine Gebühr nach § 34 RVG handeln. Diese wäre aber auch nur dann ersatzfähig, wenn der Fluggast daraufhin persönlich seine Ansprüche gegenüber der Fluggesellschaft geltend macht und diese zahlt. Weigert sich die Fluggesellschaft aber und beauftragt der Fluggast daraufhin einen Anwalt, fehlt – wie beschrieben – die Kausalität für die Ersatzfähigkeit der Geschäftsgebühr im Rahmen des Art. 14 FluggastrechteVO. Die Gebühr nach § 34 RVG kann dann auch nicht isoliert geltend gemacht werden, denn die dann anfallende Geschäftsgebühr umfasst die Gebühr nach § 34 RVG bzw. diese wird auf die Geschäftsgebühr angerechnet (vgl. Kammerurteile v. 05.12.2014, Az. 2-24 S 49/14; Urt. v. 09.04.2015, Az. 2-24 S 53/14; Urt. v. 26.02.2015, Az. 2-24 S 121/14, Urt. v. 28.04.2016, Az. 2-24 S 189/15).

39. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des BGH vom 25. Februar 2016 – X ZR 35/15. Zwar hat der BGH in diesem Urteil ausgeführt, dass die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe bei der ersten Geltendmachung des Anspruchs auf Ausgleichszahlung in Betracht kommen könnte unter bestimmten Voraussetzungen (BGH, Urteil vom 25. Februar 2016 – X ZR 35/15 -, Rn. 21 und 22, juris). Der BGH hat sich aber mit der hier entscheidenden Frage der Kausalität gerade nicht auseinandergesetzt, denn in dem dort entschiedenen Fall kam es hierauf nicht an.

3.

40. Aus §§ 634 Nr. 4 BGB, 280 Abs. 1 BGB, 249 BGB oder §§ 823 ff. BGB folgt der Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht, ebenso wenig aus Art. 9 Abs. 1 lit. a), Art. 6 Abs. 1 lit. c) i) FluggastrechteVO.

41. §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB kommt nicht in Betracht, da die verspätete Flugbeförderung nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 28.05.2009 = NJW 2009, 2743 [BGH 28.05.2009 – Xa ZR 113/08] [2744]) keinen Werkmangel darstellt.

42. Ein Schadenersatzanspruch bezüglich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten kann auch nicht isoliert aus § 249 BGB hergeleitet werden, da § 249 BGB keine Anspruchsgrundlage darstellt.

43. Eine erhebliche Flugverspätung im Sinne der FluggastrechteVO erfüllt schließlich auch keinen deliktischen Schadenersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB. Auch stellt die FluggastrechteVO kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB dar. Soweit ersichtlich werden die §§ 823 ff. BGB auch nicht ernsthaft als Anspruchsgrundlage für vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten herangezogen. Schließlich sind die gegenständlichen Ansprüche aus der FluggastrechteVO nicht „deliktsähnlich“. Würde dennoch – wie es Ullenboom vorschlägt (vgl. Ullenboom a.a.O., 274 [277]) – ein Vergleich zum Deliktsrecht gezogen, kämen damit die Wertungen des Verzugs bei deliktischen Ansprüchen systemwidrig durch die „Hintertür“ und dementsprechend auch bei den eben gerade nicht deliktischen Ausgleichsansprüchen zur Geltung.

44. Für Ansprüche aus Art. 9 Abs. 1 lit. a), Art. 6 Abs. 1 lit. c) i) FluggastrechteVO bedarf es wiederum einer Mahnung, die vorliegend fehlt.

4.

45. Ein Anspruch der Kläger könnte lediglich aus §§ 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 6 Abs. 1, Art. 7 FluggastrechteVO folgen.

46. Die Anwendbarkeit von § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 6 Abs. 1, Art. 7 FluggastrechteVO lässt sich begründen, da von einem gesetzlichen Schuldverhältnis zwischen Fluggast und Flugunternehmen auf der Grundlage der FluggastrechteVO auszugehen ist (vgl. noch offenlassend LG Frankfurt, Urteil vom 05. Dezember 2014 – 2-24 S 49/14 -, Rn. 29, juris). Nach Auffassung des BGH handelt es sich bei den Ansprüchen auf Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechteverordnung jedenfalls um gesetzliche Ansprüche auf vertraglicher Grundlage (BGH, Beschluss vom 18. August 2015 – X ZR 2/15, RRa 2015, 297 Rn. 9 mwN; BGH, Urt. v. 18. 1. 2011 − X ZR 71/10, NJW 2011, 2056 [BGH 18.01.2011 – X ZR 71/10]).

47. Auf dieser Grundlage verletzt das Flugunternehmen seine gesetzliche Pflicht auf rechtzeitige Beförderung durch eine große Verspätung, wie diese im vorliegenden Fall vorliegt (vgl. zu einer großen Verspätung: BGH, NJW-RR 2013, 1065 = RRa 2013, 237 [BGH 07.05.2013 – X ZR 127/11]).

48. Die Kosten, die einem Fluggast durch Einschaltung eines Rechtsanwalts zur Durchsetzung seiner Ansprüche entstehen, können dann einen adäquat kausalen Schaden aus der Schlechterfüllung der Pflichten aus der FluggastrechteVO darstellen.

49. Grundsätzlich ist es einem Fluggast wie jedem Gläubiger gestattet, sich zur Durchsetzung seiner Ansprüche anwaltlicher Hilfe zu bedienen. Die anwaltliche Hilfe war auch notwendig, weil sich die Beklagte nicht bereit erklärt hat, die Ansprüche des Klägers zu erfüllen. In der Rechtsprechung des BGH ist anerkannt, dass bei gesetzlichen wie bei vertraglichen Schuldverhältnissen zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen eines Geschädigten unter bestimmten Voraussetzungen auch durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten gehören können. Das gilt grundsätzlich auch für Ansprüche auf Ausgleichszahlungen nach der FluggastrechteVO, bei denen es sich um gesetzliche Ansprüche auf vertraglicher Grundlage handelt (BGH, RRa 2015, 297 = NJW 2016, 896 [BGH 18.08.2015 – X ZR 2/15] Ls. = BeckRS 2015, 14817 Rn. 9 mwN). Es ist auch davon auszugehen, dass die Rechtsanwaltskosten aus der Sicht des Geschädigten, hier der des Fluggastes, zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH, NJW 2006, 1065 = MDR 2006, 929 [BGH 10.01.2006 – VI ZR 43/05] Rn. 5; NJW 2011, 3657 [BGH 12.07.2011 – VI ZR 214/10] = GRUR-RR 2012, 90 Rn. 20; BGH, Urteil vom 25.2.2016 – X ZR 35/15 , NJW 2016, 2883, beck-online).

50. Allerdings ist die den Klägern gegenüber gewährte Ausgleichszahlung in Höhe von 1.600,00 EUR durch das ausführende Luftfahrtunternehmen auf ihren Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 255,85 EUR gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 FluggastrechteVO anzurechnen.

51. Gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 FluggastrechteVO können die nach der FluggastrechteVO gewährten Ausgleichsleistungen auf Schadensersatzansprüche angerechnet werden.

52. Eine Anrechnung von Ausgleichsansprüchen und Ansprüchen auf andere Grundlage kommt dann in Betracht, wenn der Grund der Ansprüche auf dem gleichen Sachverhalt beruht und die Zielrichtung des Anspruches der gleiche ist. Denn durch die Anrechnungsvorschrift des Art. 12 Abs. 1 S. 2 FluggastrechteVO wird verhindert, dass wegen des gleichen Grundes doppelte Ansprüche geltend gemacht werden. Für eine solche doppelte Kompensation sieht die FluggastrechteVO keinen Anlass.

53. Die Rechtsverfolgungskosten, die die Kläger wegen der Verspätung des streitgegenständlichen Fluges geltend machen, sind unter diesem Blickwinkel lediglich Ausdruck weiterer Unannehmlichkeiten und Komplikationen, die durch die Flugverspätung ausgelöst worden sind (vgl. auch BGH Beschl. v. 30.7.2013 – X ZR 113/12, BeckRS 2013, 14699, beck-online). Die Ausgleichszahlung soll pauschal die materiellen als auch die immateriellen Beeinträchtigungen durch die Verspätung/Annullierung kompensieren. Grund für die Beauftragung des Rechtsanwalts im Rahmen dieser Anspruchsgrundlage ist gerade die eingetretene Verzögerung. Sind die Rechtsanwaltskosten als adäquat-kausale Folge aus der Flugverzögerung anzusehen, dann fallen diese auch unter die Anrechnungsvorschrift des Art. 12 FluggastrechteVO.

54. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist die Anrechnung, die die Beklagte ausdrücklich erklärt hat, vorzunehmen. Hierbei handelt es sich nach dem Wortlaut um ein Recht der Beklagten. Die Entscheidung darüber steht auch nicht im Ermessen des Gerichts. Nach der Kammerrechtsprechung (LG Frankfurt, Urteil vom 05. Dezember 2014 – 2-24 S 66/14; LG Frankfurt, Urteil vom 29. November 2012 – 2-24 S 67/12) entspricht dies auch Sinn und Zweck dieser Vorschrift, die eine doppelte Kompensation des Fluggastes durch vollen Schadensersatz und zusätzliche Ausgleichszahlung verhindern soll.

55. Sonstigen Umstände, die gegen eine Anrechenbarkeit sprechen würden, sind nicht ersichtlich.

5.

56. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 3 ZPO.

57. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 1, 10, 11, 711 ZPO.

58. Die Revision war zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO vorliegen, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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