Außerplanmäßige Zwischenlandung
AG Frankfurt: Außerplanmäßige Zwischenlandung
Im vorliegenden Fall buchte der Kläger eine Flugpauschalreise nach Fuerteventure. Bei dem Hinflug, durchgeführt durch das beklagte Luftfahrtunternehmen, kam es zu erheblichen Verspätungen und einer Zwischenlandung, aufgrund eines technischen Defektes. Der Kläger verlangt nun von dem Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung wegen Flugannullierung nach der Fluggastverordnung.
Das Amtsgericht Frankfurt hat dem Kläger einen solchen Anspruch zugesprochen, da ein technischer Defekt kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der VO sei und eine Inanspruchnahme der Beklagten somit nicht ausschließe.
AG Frankfurt | 29 C 1400/12 (Aktenzeichen) |
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AG Frankfurt: | AG Frankfurt, Urt. vom 26.10.2012 |
Rechtsweg: | AG Frankfurt, Urt. v. 26.10.2012, Az: 29 C 1400/12 |
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Leitsatz
2. Außergewöhnliche Umstände im Sinne der Fluggastverordnung sind solche, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind.
Zusammenfassung:
3. Der Kläger buchte für sich und seine Familie einen Pauschalurlaub nach Fuerteventura, inklusive Flüge. Der Hinflug verspätete sich aufgrund technischer Probleme und eine dadurch resultierende Zwischenlandung erheblich. Der Kläger verlangt nun von dem beklagten ausführenden Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastverordnung.
Das Amtsgericht Frankfurt entschied, dass dem Kläger der geltend gemachte Anspruch zustehe. Von der vorgesehenen Flugroute wurde maßgeblich abgewichen, sodass der geplante Flug als nicht durchgeführt anzusehen sei und damit als annulliert im Sinne der Verordnung gelte.
Mithin stelle ein technischer Defekt auch keine außergewöhnlichen Umstand im Sinne der VO dar, welcher das Luftfahrtunternehmen von einer Inanspruchnahme befreien würde.
Tenor
4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils einen Betrag in Höhe von 400,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.05.2012 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
5. Die Kläger machen gegen das beklagte Flugunternehmen Ausgleichsansprüche nach der Verordnung (EG) 261/2004 (Im Folgenden: die VO) geltend.
6. Der Kläger zu 1) hatte für seine Familie – die Klägerinnen zu 2) bis 4) – über das Reisezentrum … beim … einen Pauschalurlaub nach Fuerteventura für den Zeitraum 07.04.2012 – 14.04.2012 gebucht. Die Entfernung zwischen Frankfurt und Fuerteventura beträgt 3.054 km.
7. Der hierzu vorgesehene Flug … sollte am 07.04.2012 um 12:15 Uhr in Frankfurt am Main starten. Ausführendes Flugunternehmen war die Beklagte. Die Ankunft in Fuerteventura war für 15:50 Uhr (Ortszeit) vorgesehen. Wegen angeblicher technischer Probleme startete der Flug erst gegen 13:00 Uhr. Nach ca. 2 h Flugzeit teilte der Pilot mit, dass der Kompressor für die Stromversorgung defekt sei und man deshalb nach Frankfurt zurück fliege. Sodann teilte der Pilot mit, dass man doch nicht nach Frankfurt am Main, sondern nach München fliegen werde. Nach inzwischen 4 h landete das Flugzeug in München. Dort gab es einen Aufenthalt von 2 1/2 h. Die Kläger kamen schließlich gegen 23:30 Uhr (Ortszeit) in Fuerteventura an.
8. Die Kläger forderten die Beklagte ohne Erfolg mit Schreiben vom 18.04.2012 unter Fristsetzung bis zum 02.05.2012 zur Zahlung von jeweils 400,00 Euro auf.
9. Sie sind der Auffassung, mit dem ersten, abgebrochenen Start sei der gebuchte Flug noch nicht durchgeführt worden. Es komme nur auf den zweiten Flugversuch an, der schließlich den Zielflughafen erreicht habe. Entscheidend sei nicht der Unterschied zwischen Annullierung und Verspätung, da die Auswirkungen für die Passagiere nach der EuGH-Rechtsprechung vergleichbar seien. Auch liege kein die Beklagte exkulpierender Umstand nach Art. 5 Abs. 1 der VO vor. Maßgeblich sei allein, ob das zugrunde liegende Geschehen ein typisches und in Ausübung der betrieblichen Tätigkeit zu erwartendes Vorkommnis darstelle oder ob es der Beherrschbarkeit der Fluggesellschaft entzogen sei. Der Hinweis der Beklagten, sie habe schließlich aufgrund des angeblich aufgetretenen Defekts nur im Sicherheitsinteresse der Fluggäste gehandelt, gehe daher fehl.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1) 400,00 Euro nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz p.a. hieraus seit dem 03.05.2012 zu zahlen;
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) 400,00 Euro nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz p.a. hieraus seit dem 03.05.2012 zu zahlen;
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 3), vertr. Durch ihre im Rubrum genannten Eltern, 400,00 Euro nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz p.a. hieraus seit dem 03.05.2012 zu zahlen;
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 4), vertr. Durch ihre im Rubrum genannten Eltern, 400,00 Euro nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz p.a. hieraus seit dem 03.05.2012 zu zahlen.
die Klage abzuweisen.
12. Sie behauptet, die Ankunftsverspätung beruhe auf technischem Defekt.
13. Sie ist der Meinung, die Klage sei unschlüssig, da der Flug rechtzeitig gestartet sei. Es sei auch nicht von einer Annullierung auszugehen, da der Flug … das geplante Endziel – wenn auch mit Verspätung – erreicht habe. Zudem habe die Beklagte das Flugzeug weder zum Ausgangsflughafen zurückkehren lassen noch die Passagiere auf andere Flüge umgebucht.
14. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die jeweiligen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 11.10.2012 (Bl. 31 f. dA) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
15. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das angerufene Gericht für die nach der VO geltend gemachten vertragsähnlichen Ansprüche gemäß § 29 ZPO aufgrund des in Frankfurt gelegenen Erfüllungsorts zuständig, da hier der Flughafen gelegen ist, an dem der planmäßige Abflug erfolgen sollte.
16. Die Klage ist auch begründet.
17. Die Kläger haben gegen die Beklagte nach den Art. 5 Abs. 1 c), 7 Abs. 1 b) der VO jeweils einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen in Höhe von 400,00 Euro. Denn nach Auffassung des Gerichts wurde der streitgegenständliche Flug annulliert, ohne dass die Kläger hiervon rechtzeitig im Sinne von Art. 5 Abs. 1 c) iii) informiert worden wären.
18. Unter „Annullierung“ versteht man nach Art. 2 lit. I der VO die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war. Maßgeblich ist daher, was unter dem „geplanten Flug“ zu verstehen ist. In seinem Urteil vom 13.10.2011 – C-83/10 – hat der EuGH ausgeführt, dass ein Flug nicht schon dann als durchgeführt angesehen werden kann, wenn das Flugzeug zunächst im Einklang mit der geplanten Flugroute gestartet ist, sondern es müsse auch seinen nach dieser Flugroute vorgesehenen Bestimmungsort erreichen. Sei der Abflug erfolgt, das Flugzeug danach aber zum Ausgangsflughafen zurückgekehrt, ohne den nach der Flugroute vorgesehenen Bestimmungsort erreicht zu haben, so habe dies zur Folge, dass der Flug in seiner ursprünglich vorgesehenen Form nicht als durchgeführt betrachtet werden könne (Rn. 28). Eine ausdrückliche Entscheidung des Flugunternehmens, den Flug zu annullieren, sei zur Annahme einer Annullierung im Sinne der VO nicht erforderlich.
19. Ein „Flug“ ist danach maßgeblich geprägt durch die vorgesehene Flugroute. Das Verlassen der ursprünglichen Flugroute durch das Flugzeug und das Einschieben eines unvorhergesehenen Zwischenhalts in München stellt daher eine so maßgebliche Änderung der ursprünglichen Flugroute dar, dass der geplante Flug als nicht durchgeführt anzusehen ist. Zwar führt der EuGH in der zitierten Entscheidung weiter aus, dass grundsätzlich dann von einer Annullierung ausgegangen werden könne, wenn der ursprünglich geplante und verspätete Flug auf einen anderen Flug verlegt wird, d.h. wenn die Planung des ursprünglichen Flugs aufgegeben wird und die Fluggäste dieses Fluges zu den Fluggästen eines anderen, ebenfalls geplanten Fluges stoßen. Diese Argumentation dürfte aber nicht dahingehend zu verstehen sein, dass der EuGH nur bei Vorliegen dieser weiteren Voraussetzungen eine Annullierung annehmen würde. Vielmehr dürfte es sich auf Besonderheiten des ihm vorliegenden Einzelfalls beziehen. Aus der Sicht der Passagiere stellt sich die Situation ohnehin nicht maßgeblich anders da, wenn sie nach Rückkehr zum Ausgangs- oder einem anderen Zwischenflughafen im Flugzeug sitzen bleiben dürfen oder wenn sie die Maschine wechseln müssen.
20. Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg nach Art. 5 Abs. 3 der VO darauf berufen, dass die Annullierung auf außergewöhnlichen Umständen beruhte, die sich auch bei Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen nicht hätten vermeiden lassen. Unter außergewöhnlichen Umständen sind solche Vorkommnisse zu verstehen, „die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind“ (EuGH, Urteil vom 22.12.2008, Az. Rs.C-549/07, zitiert nach juris). Dabei genügt die Beklagte ihrer Darlegungslast nicht, wenn sie einen ursächlichen Defekt behauptet oder beschreibt. Vielmehr muss sie darlegen, auf welcher Ursache dieser beruhte, um so die Zuordnung zu einer Risikosphäre zu ermöglichen. Dies hat sie vorliegend nicht getan. Nach den ausführlichen Hinweisen zu diesen Voraussetzungen durch die Kläger in der Klagschrift war der Beklagten kein weiterer Schriftsatznachlass auf den erneuten Hinweis des Gerichts hin zu gewähren. Aufgrund der Entfernung von Abflugs- und Zielflughafen sind die geltend gemachten Ausgleichsansprüche auch der Höhe nach begründet.
21. Die Kläger haben außerdem nach den §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 BGB Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen. Denn die Beklagte befand sich mit den oben dargelegten Hauptforderungen nach Ablauf der mit Schreiben vom 18.04.2012 zum 02.05.2012 gesetzten Zahlungsfrist im Verzug.
22. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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