Anspruchsgegner bei Flugverspätung

AG Hamburg: Anspruchsgegner bei Flugverspätung

Ein Reisender bucht bei einer Airline einen Flug. Zur Durchführung des Fluges bedient sich die Airline einer anderen Fluggesellschaft. Weil der Flug wegen eines Defekt annulliert werden musste, fordert der Fluggast nun eine Ausgleichszahlung von der beauftragten Airline.

Das Amtsgericht Hamburg hat der Klage stattgegeben. Der Anspruch auf Ausgleichszahlung liege materiell-rechtlich vor und sei auch gegen das von der Airline beauftragte Unternehmen zu richten, weil nur dieses einen unmittelbaren Einfluss auf die tatsächliche Durchführung des Fluges habe.

AG Hamburg 12 C 23/16 (Aktenzeichen)
AG Hamburg: AG Hamburg, Urt. vom 21.10.2016
Rechtsweg: AG Hamburg, Urt. v. 21.10.2016, Az: 12 C 23/16
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Amtsgericht Hamburg

1. Urteil vom 21. Oktober 2016

Aktenzeichen: 12 C 23/16

Orientierungssatz

2. Ausführendes Luftfahrtunternehmen im Sinne von Art. 2 der Verordnung 261/2004 ist die Airline, die die Beförderungsleistung tatsächlich ausführt.

Zusammenfassung:

3. Ein Reisender buchte bei einem Luftfahrtunternehmen einen Linienflug. Zur Ausführung des Fluges bediente sich das Unternehmen einer anderen Airline. Die betroffene Maschine stellte hierfür das vom Kläger gebuchte Unternehmen. Als der Flug, wegen eines Defekts am Flugzeug nicht ausgeführt werden konnte, verlangt der Fluggast von der beauftragten Gesellschaft eine Ausgleichszahlung.

Die Airline kommt dieser Aufforderung nicht nach, da nicht sie, sondern vielmehr das sie beauftragende Unternehmen Vertragspartner sei. In ihrer Tätigkeit als Erfüllungsgehilfe treffe sie keine Verantwortlichkeit für Ansprüche aus dem Beförderungsvertrag.

Das Amtsgericht Hamburg hat dem Klägerbegehren entsprochen. In materieller Hinsicht liege ein Anspruch auf Ausgleichszahlung zweifellos vor. Zu richten sei der Anspruch gegen das ausführende Unternehmen. Ausführendes Unternehmen im Sinne von Art. 2 der Fluggastrechte Verordnung ist dabei jenes Unternehmen, welches die Beförderungsleistung tatsächlich erbringe. Nur die Airline, die den Fluggast tatsächlich befördere habe Einfluss auf die Rahmenbedingungen für die Durchführung des Fluges.

Entsprechend sei das beklagte Unternehmen der richtige Anspruchsgegner.

Tenor

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 250,00 € (zweihundertfünfzig EURO) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.03.2016 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

5. Der Kläger macht gegen die Beklagte Ausgleichsansprüche nach der EU-​Verordnung 261/2004 (künftig: FluggastVO) geltend.

6. Der Kläger verfügte über eine bestätigte Buchung eines Fluges von Hamburg nach Basel, Abflug 22.03.2013, 19.50 Uhr, Ankunft 22.03.2013, 21.20 Uhr. Das Flugticket weist als Flug-​Nr.: „…“ aus. Unter der Rubrik „Durchgeführt von“ ist … eingetragen. Der Flug wurde annulliert, ohne dass dem Kläger die Annullierung binnen zwei Wochen vor dem planmäßigen Abflug mitgeteilt wurde. Die Flugentfernung beträgt weniger als 1.500 km.

7. Ausweislich der vom Kläger vorgetragenen und von der Beklagten nicht bestrittenen Auskunft des Schweizerischen Bundesamtes für Zivilluftfahrt hat die … für Flüge der streitgegenständlichen Strecke zwar die technische/betriebliche Verantwortung. Die kommerzielle Verantwortung, die Flugnummerzuordnung, die Verkehrsrechte usw. obliegen jedoch der Beklagten. Aus diesem Grunde benötigt die … auch keine Streckenkonzession.

8. Der Kläger behauptet, die Beklagte habe den Flug als ausführendes Luftfahrtunternehmen durchgeführt.

9. Der Kläger beantragt die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 250,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

10. die Beklagte beantragt die Klage abzuweisen.

11. Die Beklagte behauptet, nicht sie, sondern die … mit Sitz in … habe den Flug durchgeführt.

Entscheidungsgründe

12. Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg. Der Anwendungsbereich der FluggastVO ist gemäß Art. 3 Abs. 1 eröffnet. Der Flug startete von einem Flughafen innerhalb der EU. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann ein Flugreisender einen Ausgleichsanspruch gemäß Art. 7 FluggastVO wahlweise am Gerichtsstand des Abflugortes, vorliegend Hamburg einklagen.

13. Art. 5 Abs. 1 c) FluggastVO gewährt dem Fluggast einen Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Art. 7, wenn ein Flug wie vorliegend annulliert wurde.

14. Die Beklagte ist auch passivlegitimiert. Richtiger Anspruchsgegner des Anspruchs auf Ausgleichsleistung nach der FluggastVO ist das den betreffenden Flug ausführende Luftfahrtunternehmen. Was unter dem Begriff des ausführenden Luftfahrtunternehmens im Sinne der Verordnung zu verstehen ist, ist der Begriffsbestimmung in Art. 2 b) der FluggastVO zu entnehmen. Danach ist ausführendes Luftfahrtunternehmen ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrages mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt. Danach kommt es nicht entscheidend darauf an, mit wem der Fluggast in einem Vertragsverhältnis steht, sondern wer die Beförderungsleistung tatsächlich erbringt, d. h. wer das Betriebsunternehmen des Fluges ist. Denn dem Regelungskonzept der Verordnung liegt die Annahme zugrunde, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen aufgrund seiner Präsenz auf den Flughäfen in der Regel am Besten in der Lage ist, die Verpflichtungen aus der Verordnung zu erfüllen, wobei Präsenz im Sinne rechtlicher Verantwortlichkeit und Bindung zu verstehen ist, da es im mit besonderen Gefahren verbundenen Luftverkehr schon aus Gründen der Sicherheit klarer Verhältnisse für Regelungen, Weisungen, Absprachen usw. seitens der Flughafenbetreiber und der Aufsichtsbehörden bedarf.

15. Deshalb kommt es auch nicht auf die Eigentumsverhältnisse an dem Flugzeug bzw. darauf an, ob sich das ausführende Unternehmen im Wege der Miete oder auf sonstige Weise Dritter bedient. Entscheidend ist damit, welches Unternehmen den Flug betreibt, welches die Verantwortung für die Abwicklung des Fluges hat, indem es die Flugsteuerung übernimmt, für den Flug einen der ihm zugeteilten Slots nutzt und insbesondere die Flughafeneinrichtungen sowie das Boden- und Abfertigungspersonal am Flughafen beauftragt und damit am Flughafen unmittelbar die offiziellen Rahmenbedingungen für die Durchführung des Fluges vorhält. Nach der unstreitig gebliebenen Auskunft des Schweizerischen Bundesamtes für Zivilluftfahrt kann nach diesen Grundsätzen nur die Beklagte ausführendes Unternehmen des streitgegenständlichen Fluges sein. Die Beklagte trifft danach die Verantwortung, sie ist Herrin der Flugnummern, ihr obliegen die Verkehrsrechte und ähnliches. Allein die Beklagte ist Ansprechpartnerin offizieller Stellen mit Blick auf eingesetztes Bodenpersonal. Sie allein ist Adressatin etwaiger Weisungen und Auflagen der Flughafenbetreibergesellschaft oder der Flugaufsicht. Die Stellung der … beschränkt sich demnach auf die eines Erfüllungsgehilfen – ggf. im untechnischen Sinne – für die Durchführung des streitgegenständlichen Fluges.

16. Die Höhe der Ausgleichszahlung beläuft sich Gem. Art. 7 I FluggastVO auf Grundlage der Flugentfernung von weniger als 1.500 km bei einer Verspätung von mehr als 4 Stunden 250,00 €.

17. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Entscheidung über die Zinsen folgt den § 291 BGB.

18. Die Berufung wird zugelassen. Aufgrund der zahlreichen gegen die Beklagte und … geführten Klagverfahren, in denen fehlende Passivlegitimation eingewandt wird, ist es geboten, die Berufung zur Herstellung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.

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