Ärgernisse bei Flugverspätung

LG Hannover: Ärgernisse bei Flugverspätung

Im vorliegenden Fall buchte der Kläger bei der Beklagten einen Flug, welcher mehr als 3 Stunden Verspätung hatte. Die Beklagte, als ausführendes Luftfahrtunternehmen begründete diese Verspätung mit einem Triebwerkschaden, welcher plötzlich während des Fluges auftrat. Der Kläger verlangt nun von ihr eine Ausgleichszahlung wegen Flugverspätung.

Das Landgericht Hannover hat dem Kläger einen solchen Anspruch zugesprochen, da die Fluggastverordnung Ersatz für die Ärgernisse von Flugverspätungen gewährleisten soll und ein technischer Defekt kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der VO ist.

LG Hannover 2 S 40/12 (Aktenzeichen)
LG Hannover: LG Hannover, Urt. vom 27.11.2012
Rechtsweg: LG Hannover, Urt. v. 27.11.2012, Az: 2 S 40/12
AG Hannover, Az: 538 C 4609/12
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Landgericht Hannover

1.Urteil vom 27. November 2012

Aktenzeichen 2 S 40/12

Leitsätze:

2. Die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen.

Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.

Eine Einschränkung der Entschädigungsregeln, für Ärgernisse einer Verspätung lediglich auf diejenige eines Abflugs, ergibt sich nicht aus der VO.

Zusammenfassung:

3. Vorliegend buchte der Kläger bei der Beklagten einen Flug, wodurch die Parteien einen Luftbeförderungsvertrag schlossen. Der zweite Flug kam verspätet am Zielort an, nachdem ein plötzlich aufgetretener Triebwerkschaden eine Zwischenladung erforderlich machte. Die Abflüge erfolgten jeweils planmäßig. Der Kläger verlangt nun von der Beklagten eine Ausgleichszahlung wegen  Flugverspätung nach der Fluggastverordnung.

Das Landgericht Hannover sprach dem Kläger einen Anspruch auf Ausgleichzahlung nach der Fluggastverordnung zu. Grund dafür ist, dass durch die Fluggastverordnung ein hohes Schutzniveau für Fluggäste gewährt werden und allen Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden soll. Werden Fluggäste nicht befördert, ihr Flug wird annulliert oder verspätet sich, so bereitet ihnen dies ein Ärgerniss, welches große Unannehmlichkeiten mit sich bringt.

Unerheblich ist ferner, dass der Flug rechtzeitig startete, denn es ergibt sich nicht aus der VO, dass die Entschädigungsregeln nur Anwendung finden, wenn es sich um Abflugverspätungen handelt.  Mithin begründet der hier vorliegende technische Defekt keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der VO, die das Luftfahrtunternehmen von einer Inanspruchnahme befreien könnte.

Gründe:

4. Die Beklagte betreibt eine Fluggesellschaft. Der Kläger buchte bei der Beklagten am 11.10.2011 einen Flug von … nach … und von … nach … . Der zweite Flug kam verspätet in … an, nachdem ein plötzlich aufgetretener Triebwerkschaden eine Zwischenladung erforderlich machte. Die Abflüge erfolgten jeweils planmäßig.

5. Die geplante Ankunftszeit war 19.45 Uhr auf dem … Airport, die Landung erfolgte stattdessen gegen 21.00 Uhr in …, wo der Kläger übernachtete und sein Ziel … am nächsten Morgen erreichte.

6. Der Kläger verfolgt einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 600,00 € und beruft sich hierzu auf Art. 7 I c) der Verordnung EG Nr. 261/2004 (Fluggastrechte VO).

7. Dieser lautet: „Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:

 250,00 € bei allen Flügen über eine Entfernung von 1500 km oder weniger,

400,00 € für alle innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1500 km oder bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1500 km und 3500 km,

600,00 € bei allen nicht unter die oben genannten fallenden Flügen.

8. Bei der Ermittlung der Entfernung wird der letzte Zielort zugrunde gelegt, an dem der Fluggast infolge der Nichtbeförderung oder der Annullierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt.“

9. Der Langtext der Verordnung Nr. 261/2004 lautet: „… über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen …“. Ausweislich des Einleitungstextes ist diese Verordnung gefasst worden „in Erwägung nachstehender Gründe:

10. Die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.

11. Nichtbeförderung und Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen sind für die Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große Unannehmlichkeiten.“.

12. Das Amtsgericht hat mit seinem am 24.8.2012 verkündeten Urteil (Bl. 57 ff. d. A.) die Klage abgewiesen mit der Begründung, nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes seien „große Verspätungen“ zwar der Nichtbeförderung bzw. Annullierung eines Fluges gleichzusetzen und könnten damit auch zu Entschädigungs-​ansprüchen führen, jedoch – so die Rechtsauffassung des Amtsgerichts – Art. 6 der VO beziehe sich nicht auf die Ankunftsverspätung, sondern knüpfte an die Abflugsverspätung an und definiere den Begriff „Verspätung“ als Verzögerung gegenüber der planmäßigen Abflugzeit.

13. Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte und rechtzeitig begründete Berufung, mit der die falsche Anwendung materiellen Rechts geltend gemacht wird unter Verweis auf die Entscheidung des EuGH vom 23.10.2012 zu C-​581/10 und C-​629/10.

14. Die Beklagte hat in der ersten Instanz die Auffassung vertreten (Bl. 30 ff. d. A.), ein Flug sei gemäß Art. 6 der VO nur dann „verspätet“, wenn der Abflug mindestens 2 Stunden später als geplant erfolge und hierzu beispielsweise sich auf ein Urteil des LG Frankfurt bezogen. Des Weiteren hat die Beklagte unter Verweis auf mehrere von ihr zitierte Entscheidungen angeregt, – wie dort – das Verfahren auszusetzen und dem EuGH die Frage vorzulegen,

15. „ob entgegen dem eindeutigen Wortlaut der Verordnung (EG) 261/2004 im Falle von Flugverspätungen eine Ausgleichsleistung zu gewähren ist.“

16. Die Beklagte hat in der ersten Instanz behauptet, der Grund für die verspätete Ankunft habe auf einem Triebwerkschaden beruht. Sie hat hierzu die Auffassung vertreten, es handelt sich um „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der VO. Der Flughafen Dar sei angeflogen worden, da dieser wesentlich größer und besser ausgestattet sei, um das aufgetretene technische Problem zu lösen. Die Beklagte hat als Anlage B 1 den technischen Bericht zu dem aufgetretenen Problem überreicht (Anlage B 1, Bl. 47 ff. d. A., weitgehend in niederländischer Sprache).

17. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Amtsgericht Hannover örtlich zuständig.

18. Soll ein Ausgleichsanspruch nach der o.g. VO gegen das Luftverkehrsunternehmen geltend gemacht werden, mit dem der Fluggast den Beförderungsvertrag geschlossen hat, ist unabhängig vom Vertragsstatut Erfüllungsort im Sinne des § 29 ZPO sowohl der Ort des vertragsgemäßen Abflugs als auch der Ort der vertragsgemäßen Ankunft des Flugzeugs (vgl. BGHZ 188, 85 ff). Vertraglich vorgesehener Abflugort war.

19. Die Klage ist begründet.

20. Die Kammer teilt bereits nicht die Auffassung der Beklagten zur Auslegung der VO. Eine Einschränkung des Ärgernisses einer Verspätung lediglich auf diejenige eines Abflugs ergibt sich weder aus dem ausdrücklich niedergelegten Motiv für die Verordnung noch aus ihrem Gegenstand:

21. “ … Gründe:

22. Die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.

23. Nichtbeförderung und Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen sind für die Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große Unannehmlichkeiten.

24. Durch die Verordnung (EWG) Nr. 295/91 des Rates vom 4. Februar 1991 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr(4) wurde zwar ein grundlegender Schutz für die Fluggäste geschaffen, die Zahl der gegen ihren Willen nicht beförderten Fluggäste ist aber immer noch zu hoch; dasselbe gilt für nicht angekündigte Annullierungen und große Verspätungen.

25. „Artikel 1

26. Durch diese Verordnung werden unter den in ihr genannten Bedingungen Mindestrechte für Fluggäste in folgenden Fällen festgelegt:

27. Nichtbeförderung gegen ihren Willen,

28. Annullierung des Flugs,

29. Verspätung des Flugs.

30. Eine Einschränkung des Ärgernisses einer Verspätung lediglich auf diejenige eines Abflugs ergibt sich auch nicht aus den Begriffsbestimmungen der VO. Wie Artikel 2 zeigt, sind solche nur in einem begrenzten Umfang erforderlich geworden. Der Ausdruck „Verspätung“ ist unzweideutig, und erschließt sich – wie oben zitiert – bereits aus dem Sinn und Zweck der VO.

31. Einschränkungen ergeben sich auch nicht aus Art. 6. Zwar behandelt dieser das Thema „Verspätung“, allerdings ersichtlich beschränkt auf Gebote, wie sich ein ausführendes Luftfahrtunternehmen im Falle einer Verzögerung verhalten soll. Dass hiermit eine Einschränkung gegenüber dem gesondert in Art. 7 behandelten Ausgleichsanspruch enthalten sein soll, ist daraus nicht abzulesen.

32. Im Übrigen liegen nach Auffassung der Kammer genau die Voraussetzungen vor, unter denen nach der Rechtsprechung des EuGH vom 19.11.2009 (NJW 2010, 43) und vom 23.10.2012 (zu C-​581/10 und C-​629/10) Fluggästen verspäteter Flüge ein Ausgleichsanspruch wie im Fall eines annullierten Fluges zusteht.

33. Die Beklagte hat selbst aus dem Urteil des EuGH vom 19.11.2009 zitiert: „dass die Fluggäste verspäteter Flüge den in Artikel 7 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Anspruch auf Ausgleich geltend machen können, wenn sie wegen solcher Flüge einen Zeitverlust von 3 Stunden oder mehr erleiden, d.h. wenn sie ihr Endziel nicht früher als 3 Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen“. Es geht schlicht um die Ärgernisse eines Zeitverlustes und einer verspäteten Ankunft.

34. Der EuGH hat mit Urteil vom 23.10.2012 nochmals deutlich gemacht, dass die Art. 5 bis 7 der VO dahin auszulegen sind, dass den Fluggästen verspäteter Flüge ein Ausgleichsanspruch nach dieser Verordnung zustehe, wenn sie aufgrund dieser Flüge einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h. wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der vom Luftfahrunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen.

35. Dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, macht die Beklagte im vorliegenden Fall nicht geltend. Zwar hat sich die Beklagte – von dem Kläger bestritten – auf einen „plötzlich auftretenden Triebwerkschaden“ berufen, sie hat jedoch bereits nicht dargelegt, welche Maßnahmen hätten ergriffen werden können, weshalb diese nicht zumutbar gewesen seien, und insbesondere aus welchem Grund der Triebwerkschaden nicht vermeidbar gewesen wäre. Dieses kann jedoch dahinstehen. Ebenfalls kann dahinstehen, ob überhaupt eine ausdehnende Anwendung des Art. 5 Abs. 3) der VO in Betracht kommt; diese regelt, dass ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet ist, Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. In tatsächlicher Hinsicht fehlt es bei einem Triebwerkschaden bereits an einer „außergewöhnlichen“ Störung.

36. Die Kammer sieht keine Veranlassung, auf Antrag der Beklagten das Verfahren auszusetzen.

37. Der Termin kann aufgehoben werden, wenn die Parteien eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO zustimmen.

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