Ansprüche bei zusammengesetzten Flügen

LG Frankfurt: Ansprüche bei zusammengesetzten Flügen

Eine Reisende verpasste ihren Anschlussflug, weil ihr Zubringerflug sich verspätete. Da beide Flüge von der selben Gesellschaft ausgeführt wurden, verlangt die Klägerin nun von der Airline eine Ausgleichszahlung wegen bewusster Nicht-Beförderung.

Das Landgericht Frankfurt hat der Klägerin Recht zugesprochen. Ein planmäßiger Abflug bei Kenntnis der Verspätung des Zubringerfluges stehe einer bewussten Nichtbeförderung im Sinne von Art. 4 Verordnung (EG) Nr. 261/2004.

LG Frankfurt 2-24 S 95/12(Aktenzeichen)
LG Frankfurt: LG Frankfurt, Urt. vom 13.09.2012
Rechtsweg: LG Frankfurt, Urt. v. 13.09.2012, Az: 2-24 S 95/12
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Landgericht Frankfurt

1. Urteil vom 13. September 2012

Aktenzeichen: 2-24 S 95/12

Leitsatz:

2. Voraussetzung eines Ausgleichsanspruchs wegen großer Flugverspätung ist neben der Ankunftsverspätung von mehr als drei Stunden auch eine Abflugverspätung i.S.d. Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (Festhaltung LG Frankfurt, 23. September 2010, 2/24 S 44/00, RRa 2011, 44).

 Zusammenfassung:

3. Eine Reisende buchte bei einem Luftfahrtunternehmen einen zweigeteilten Flug nach Shanghai. Hierbei wurden sowohl der Zubringer, als auch der Anschlussflug von der beklagten Airline ausgeführt. Wegen notwendigen Enteisungsmaßnahmen verspätete sich der Zubringerflug und die Klägerin verpasste ihren Anschluss.
Sie verlangt nun von der Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung wegen bewusster Nicht-Beförderung.

Die Airline weigert sich der Zahlung. Es liege im Verantwortungsbereich der Klägerin die Flüge derart zu buchen, dass ausreichend Umsteigezeit vorhanden sei.

Das Landgericht Frankfurt hat dem Klägerbegehren entsprochen. In der bewussten Nicht-Beförderung eines Fluggastes, bei eigens verschuldeter Verspätung des Zubringerfluges, sei ein haftungsbegründender Umstand im Sinne von Art. 5 der Fluggastrechte Verordnung zu sehen. Dies entspreche der Systematik der Entschädigungsleistungen nach der EG-VO.
Ein Mitverschulden der Klägerin sei derweil vollständig abzulehnen. Der Zeitrahmen zwischen Ankunft und Abflug habe vorliegend 35 Minuten betragen. Diese seien objektiv ausreichend, um einen Umstieg zu vollziehen.

Auch die Enteisungsmaßnahmen am Flugzeug erfüllen keinen Befreiungstatbestand. Besonders in den Wintermonaten habe die Fluggesellschaft mit der Notwendigkeit der Enteisung zu rechnen. Der ausschlaggebende Zeitverlust sei der Beklagten demnach vollumfänglich zuzurechnen.

Tenor:

4. Auf die Berufung der Kläger wird das am 11.04.2012 verkündete Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main, Az. 32 C 3261/11 (41), wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an die Kläger zu 1) und 2) jeweils 600,- Euro jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.11.2011 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Gründe:

5. Die Kläger begehren Ausgleichszahlungen in Höhe von EUR 600,00 pro Person gemäß § 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/01, ABI. Nr. L 46. S. 1 (im Folgenden: FluggastrechteVO) i.V.m. der Rechtsprechung des EuGH zu Ausgleichszahlungen wegen erheblich verspäteter Flüge (NJW 2010, 43ff.).

6. Die Kläger buchten bei der Beklagten Flüge von Frankfurt am Main über Paris nach Antananarivo/Madagaskar und wieder zurück.

7. Die Beklagte ist ein Luftbeförderungsunternehmen mit Sitz in Frankreich.

8. Planmäßige Abflugzeit des Fluges von Frankfurt am Main nach Paris, Flugnummer …, am 04.09.2011 war – Ortszeit Frankfurt am Main – 7:25 Uhr. Planmäßige Ankunftszeit in Paris war um – Ortszeit – 8:45 Uhr. Der Weiterflug von Paris aus sollte am 04.09.2011 planmäßig um 10:30 Uhr Ortszeit mit dem Flug mit der Flugnummer … erfolgen. Planmäßige Ankunftszeit des gebuchten Fluges … in Antananarivo/Madagaskar war am 04.09.2011 um 21:45 Uhr Ortszeit. Wegen der weiteren Einzelheiten der gebuchten Flüge wird auf die Kopie der Flugtickets für den Hinflug (Bl. 5 d.A.) Bezug genommen.

9. Die Entfernung zwischen Paris und Antananarivo/Madagaskar beträgt mehr als 3.500 km.

10. Tatsächlich wurde die Hinreise nicht wie geplant durchgeführt. Der Flug Frankfurt am Main nach Paris erfolgte noch pünktlich. In Paris kam es jedoch zu einer erheblichen Verspätung im Weiterflug, so dass die Kläger aufgrund einer Abflugverspätung in Paris von über 7 Stunden auch in Antananarivo/Madagaskar um mehr als 7 Stunden verspätet ankamen.

11. Die Kläger sind der Meinung gewesen, dass ihnen gegen die Beklagte Ausgleichszahlungen nach der FluggastrechteVO in Verbindung mit der Rechtsprechung des EuGH zu Ausgleichszahlungen wegen erheblich verspäteter Flüge (NJW 2010, 43ff.) zustünden, da der Flug von Paris nach Antananarivo/Madagaskar im Sinne der EuGH-​Rechtsprechung erheblich verspätet gewesen sei.

12. Die Kläger haben erstinstanzlich beantragt die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zu 1) und 2) jeweils 600,- Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.11.2011 zu zahlen die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger vorgerichtliche Verfahrenskosten in Höhe von 185,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.

13. Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen die Klage abzuweisen.

14. Die Beklagte ist der Ansicht gewesen, dass es sich um einen verspäteten Flug gehandelt habe, wofür es nach der Fluggastrechteverordnung keine Ausgleichszahlungen gebe. Insoweit sei der gegenteiligen Rechtsprechung des EuGH nicht zu folgen.

15. Weiterhin ist die Beklagte der Meinung gewesen, dass keine (erforderliche) Abflugverspätung im Sinne von Art. 6 FluggastrechteVO vorgelegen habe, da auf den Abflug in Frankfurt am Main abzustellen sei, der unstreitig pünktlich gewesen ist.

16. Mit Urteil vom 11.04.2012 hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen.

17. Das Amtsgericht hat ausgeführt, dass der Abflug pünktlich gewesen sei. Dass es während des Fluges zu Verzögerungen gekommen sein mag, könne dahingestellt bleiben, denn das werde von der Richtlinie der EG gerade nicht umfasst.

18. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung (Bl. 33 d.A.) Bezug genommen.

19. Dagegen richtet sich die Berufung der Kläger.

20. Die Kläger sind der Auffassung, dass das amtsgerichtliche Urteil rechtsfehlerhaft sei. Das Amtsgericht habe insbesondere verkannt, dass auf die Verspätung des Fluges von Paris nach Antananarivo/Madagaskar abzustellen sei. Die Kläger wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 10.05.2012 (Bl. 49ff. d.A.) Bezug genommen.

21. Die Kläger beantragen das am 11.04.2012 verkündete Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main, Az. 32 C 3261/11 (41), abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zu 1) und 2) jeweils 600,- Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.11.2011 zu zahlen die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger vorgerichtliche Verfahrenskosten in Höhe von 185,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.

22. Die Beklagte beantragt die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt das amtsgerichtliche Urteil. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

23. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Kläger hat in der Sache bis auf die geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten Erfolg.

24. Die internationale und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main ist für den vorliegenden Rechtsstreit gegeben. Diese ergibt sich jedenfalls aus der rügelosen Einlassung der Beklagten im Sinne von § 39 ZPO. § 39 ZPO gilt im inländischen Rechtsstreit entweder direkt oder entsprechend auch für die internationale Zuständigkeit (vgl. nur Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., 2012, § 39, Rn. 4 m.w.N.). Die Beklagte hat zu keinem Zeitpunkt die internationale und örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Frankfurt am Main bzw. des Landgerichts Frankfurt am Main gerügt bzw. in Frage gestellt. Insbesondere hat die Beklagte auch im Rahmen des Berufungsverfahrens vor dem Landgericht Frankfurt am Main eine fehlende internationale und örtliche Zuständigkeit nicht gerügt. Jedenfalls spätestens durch die rügelose Einlassung vor dem Berufungsgericht durch die Beklagte ist die internationale und örtliche Zuständigkeit gegeben.

25. Die Kläger haben einen Anspruch gegen die Beklagte als ausführendes Luftfahrtunternehmen auf Leistung einer Ausgleichszahlung wegen eines verspäteten Fluges gem. Art. 5, 6 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 251/2004 (Fluggastrechteverordnung) i.V.m. der Rechtsprechung des EuGH (Urteil v. 19.11.2009 – Sturgeon -, NJW 2010, 43ff.) in Höhe der geltend gemachten 600,- Euro pro Person.

26. Der Anwendungsbereich der FluggastrechteVO gem. Art. 3 I FluggastrechteVO ist vorliegend unzweifelhaft eröffnet.

27. Bei der Beklagten handelt es sich um ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft. Weiterhin haben die Kläger ihre zwei Flüge – ab Frankfurt am Main bzw. Paris – jeweils im Gebiet eines Mitgliedsstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, antreten, nämlich Deutschland und Frankreich.

28. Die Voraussetzungen auf eine Leistung einer Ausgleichszahlung wegen eines verspäteten Fluges gem. Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 251/2004 (Fluggastrechteverordnung) liegen vor.

29. Die Kammer sieht keine Veranlassung von der derzeit maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH abzuweichen, der auch der BGH gefolgt ist ohne diese in Zweifel zu ziehen. Dieser Rechtsprechung hat sich vielmehr die Kammer in ständiger Rechtsprechung angeschlossen. Die Kammer sieht auch nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung keinerlei Veranlassung von der weiterhin gültigen maßgeblichen höchstrichterlichen Rechtsprechung des EuGH und des BGH abzuweichen. Dies gilt schon im Hinblick auf die Gleichbehandlung aller Rechtssuchenden in vergleichbaren Fällen.

30. Stellt man ausschließlich auf eine Ankunftsverspätung von mehr als drei Stunden ab, dann liegt diese Voraussetzung unzweifelhaft vor, da vorliegend eine Ankunftsverspätung von über 7 Stunden vorgelegen hat.

31. Nach der nunmehr ständigen Rechtsprechung der Kammer bedarf es neben einer Ankunftsverspätung von mehr als drei Stunden auch einer Abflugverspätung im Sinne von Art. 6 FluggastrechteVO.

32. Der EuGH hat nämlich anerkannt, dass der von der Verordnung vorgesehene Ausgleich durch verschiedene Formen von Maßnahmen verwirklicht wird, die Gegenstand von Regelungen sind, die an die Nichtbeförderung oder die Annullierung oder große Verspätung eines Flugs anknüpfen (aaO Rn. 51). Er hat die Gleichstellung von Fluggästen verspäteter und annullierter Flüge nicht allein mit dem Gleichheitssatz begründet, sondern aus dem Gleichheitssatz lediglich ein zusätzliches Argument (aaO Rn. 46) für das zuvor aus der Auslegung des verfügenden Teils des Gemeinschaftsrechtsakts unter Berücksichtigung seiner Gründe und seiner Ziele abgeleitete Ergebnis gewonnen. Der Ausgleichsanspruch folgt danach primär aus der Verknüpfung, die der Verordnungsgeber in Erwägungsgrund 15 zwischen dem Begriff der großen Verspätung und dem Ausgleichsanspruch vorgenommen hat (aaO Rn. 43), und der Zielsetzung der Verordnung, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste unabhängig davon sicherzustellen, ob sie von einer Nichtbeförderung, Annullierung oder Verspätung eines Flugs betroffen sind (aaO Rn. 44). Dies schließt es aus, der Verordnung Ansprüche zu entnehmen, die nicht an einen der Tatbestände der Art. 4 FluggastrechteVO anknüpfen, sondern an die Ankunftsverzögerung, die nach der Verordnung lediglich für die Prüfung der Frage von Bedeutung ist, ob der Ausgleichsanspruch entfällt (Art. 5 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO) oder gekürzt wird (Art. 7 Abs. 2 FluggastrechteVO).

33. Eine solche Abflugverspätung ist hier anzunehmen. Nach einer Gesamtwürdigung der Umstände ist hier nämlich auf den Abflugort Paris abzustellen, an dem die Verspätung eingetreten ist. Dem steht nicht entgegen, dass Gegenstand der Buchung eine Flugreise war mit einer Beförderung von Frankfurt am Main über Paris nach Antananarivo/Madagaskar.

34. Nach nunmehr gefestigter Auffassung der Kammer kann in Fallkonstellationen wie der vorliegenden nicht auf den originären Abflugort in einem Mitgliedstaat – hier Frankfurt am Main – abgestellt werden, da insoweit nicht von einem einheitlichen Flug Frankfurt am Main nach Antananarivo/Madagaskar ausgegangen werden kann. Vielmehr ist vorliegend von zwei separaten Flügen auszugehen, nämlich von Frankfurt am Main nach Paris und von Paris nach Antananarivo/Madagaskar.

35. Insoweit ist diese Fallkonstellation abzugrenzen von Fällen der reinen Zwischenlandung, für die die Kammer angenommen, dass in solchen Fällen ein einheitlicher Flug anzunehmen ist. Bei reinen Zwischenlandungen (z.B. zwecks Auftanken oder Passagierzu- bzw. -ausstieg) ist nämlich davon auszugehen, dass immer nur ein Flug vorliegt, da sich nach der Zwischenlandung weder die Flugnummer ändert noch das Flugzeug gewechselt wird.

36. Dagegen handelt es sich vorliegend um einen sog. „Direktflug“ oder „Anschlussflug“, wobei zwei völlig separate Flüge von dem buchenden Fluggast hintereinandergeschaltet werden, um letztlich das gewünschte Endziel zu erreichen. Dabei ist es regelmäßig so – wie auch hier -, dass die Flüge unterschiedliche Flugnummern haben und der „Anschlussflug“ mit einem anderen Flugzeug durchgeführt wird, also der Fluggast das Flugzeug wechseln muss.

37. Diesbezüglich ist zunächst am Begriff des „Fluges“ anzusetzen. Der „Flug“ wird in der Fluggastrechteverordnung nicht definiert.

38. Der EuGH hat den Begriff des „Fluges“ wie folgt definiert:

39. „Nach alledem ist der Begriff „Flug” im Sinne der Verordnung Nr. 261/2004 dahingehend auszulegen, dass es sich dabei im Wesentlichen um einen Luftbeförderungsvorgang handelt, der somit in gewisser Weise eine „Einheit” dieser Beförderung darstellt, die von einem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird, das die entsprechende Flugroute festlegt.“

40. Jedoch hat sich der EuGH in dieser Entscheidung nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob im Rahmen eines segmentierten Hin- oder Rückflugs dieser Hin- oder Rückflug als ein einheitlicher „Flug“ oder als mehrere Flüge anzusehen ist.

41. „Denn der Flug im Sinne der Verordnung ist nicht mit der Flugreise gleichzusetzen, die die Fluggäste unternehmen. Flug ist vielmehr, wie auch Art. 2 lit. h der Verordnung zeigt, auch bei einem einheitlichen Beförderungsvertrag die einzelne „Einheit” an der Luftbeförderung, die von einem Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird, das die entsprechende Flugroute festlegt. Dass der Fluggast eine einheitliche Buchung vornimmt, wirkt sich hierauf nicht aus.“

42. Nicht ausschlaggebend für die Bestimmung des Begriffs „Flug“ ist, dass Erst- und Folgeflug hier Teil eines Vertrags waren und gemeinsam gebucht wurden. Dieser Umstand führt nicht dazu, dass der Erst- und Folgeflug in einem besonders engen und unauflöslichen Verhältnis zueinander stehen (so auch AG Rüsselsheim, RRa 2011, 246, 247; AG Düsseldorf, Urt. v. 8.4.2008 – 23 C 14910/07). Nach den allgemeinen Erfahrungen ist es regelmäßig möglich, die einzelnen Einheiten einer Flugreise separat oder auch zeitlich versetzt – mit einem längeren Aufenthalt am Ort der Zwischenlandung – zu buchen.

43. Wenn also vorliegend von zwei separaten Flügen auszugehen ist, dann ist auch für jeden Flug getrennt zu prüfen, ob dieser in den Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung fällt, soweit bzgl. dieses konkreten Fluges eine Störung (Annullierung / Verspätung) aufgetreten ist.

44. Da vorliegend die Verspätung einzig den separaten Anschlussflug in Paris betroffen hat, ist auch auf den Abflugort dieses Fluges abzustellen. Für diesen Flug ist unzweifelhaft der Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung eröffnet (s.o.).

45. Da auf den Abflug in Paris abzustellen ist, ist es irrelevant, dass der Abflug in Frankfurt am Main noch pünktlich gewesen ist.

46. Vielmehr ist entscheidend, dass der Abflug ab Paris erheblich verspätet war. Da eine Abflugverspätung von über sieben Stunden vorgelegen hat, ist das Erfordernis der Abflugverspätung im Sinne von Art. 6 FluggastrechteVO unzweifelhaft erfüllt. Weiterhin hat eine Ankunftsverspätung von über sieben Stunden vorgelegen.

47. Nach all dem steht den Klägern eine Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 600,- Euro zu.

48. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 II Nr. 1 ZPO.

49. Die Revision war zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 II ZPO vorliegen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung.

50. Die Frage, ob in Konstellationen wie der vorliegenden von einem einheitlichen oder zwei separaten Flügen auszugehen ist, ist obergerichtlich noch nicht geklärt. In diesem Zusammenhang ist auch nicht obergerichtlich geklärt, ob es bei einer erheblichen Verspätung auch auf eine Abflugverspätung ankommt und auf welchen Flug bei zusammengesetzten Flügen dabei abzustellen ist.

51. Weiterhin kommt eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof in Betracht. Seiner Entscheidung vom 19.11.2009 lässt sich nicht sicher entnehmen, ob er in Fällen einer reinen Ankunftsverspätung die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung bereits abgesteckt und eine Analogie zu den Fällen der Abflugverspätung damit ausgeschlossen hat, da er die FluggastVO für wirksam hält. Der Leitsatz 2 der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.09 in Verbindung mit dessen Ausführungen unter Ziffern 52, 53 könnte den Eindruck erwecken, dass schon bei einem um mehr als 3 Stunden verspätetem Erreichen des Endziels ein Ausgleichsanspruch gegeben ist, weil nicht ausreichend deutlich wird, dass nur die Rechtsfolgen des verspäteten Abflugs geregelt werden.

52. Die Kammer wäre gehalten, zur dieser Frage ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu richten, wenn sie rechtskräftig entscheiden würde. Da eine entscheidungserhebliche Frage durch eine Vorlage nach Art. 267 AEUV zu klären ist, liegt ebenfalls ein Grund für die Zulassung der Revision vor.

53. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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