Ermittlung der maßgeblichen Entfernung für Berechnung der Ausgleichsansprüche

AG Düsseldorf: Ermittlung der maßgeblichen Entfernung für Berechnung der Ausgleichsansprüche

Flugreisende forderten Schadensersatz für die verspätete Ankunft am Reiseziel aufgrund der Verspätung eines Zubringerfluges. Das Amtsgericht Düsseldorf konnte die Frage der Berechnung der Reisedistanz und damit der Ausgleichshöhe nicht abschließend klären und verwies sie zur Klärung an den Europäischen Gerichtshof.

AG Düsseldorf 30 C 170/16 (Aktenzeichen)
AG Düsseldorf: AG Düsseldorf, Urt. vom 07.06.2017
Rechtsweg: AG Düsseldorf, Urt. v. 07.06.2017, Az: 30 C 170/16
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Amtsgericht Düsseldorf

1. Urteil vom 7. Juni 2017

Aktenzeichen 30 C 170/16

Leitsatz:

2. Verspätet sich die Ankunft am Reiseziel aufgrund eines durch die Verspätung des Zubringers verpassten Anschlussfluges, besteht Anspruch auf Entschädigung, deren Höhe sich nach der maßgeblichen Reiseentfernung richtet.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger hatten bei der Beklagten als Luftfahrtunternehmen eine mehrteilige Flugreise von Düsseldorf über Frankfurt nach Madrid gebucht. Aufgrund der Verspätung des Zubringers verpassten sie den Anschlussflug und erreichten nach Ersatzbeförderung ihr Reiseziel mit mehr als 4-stündiger Verspätung. Vor dem Amtsgericht Düsseldorf forderten sie gemäß der Fluggastrechteverordnung Schadensersatz.

Streitig blieb die Frage, welche Unannehmlichkeit oder Aufwendung des Passagiers zu entschädigen sei und dementsprechend, welche Reiseentfernung für die Berechnung der Ausgleichshöhe maßgeblich sei. Daher wurde die Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Klärung vorgelegt.

Tenor:

4. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt:

Kommt es im Falle einer Durchführung einer Luftbeförderung aufgrund einer einheitlich Reisebuchung mit einem oder mehreren direkten Anschlussflügen zum Endziel für die Ermittlung der maßgeblichen Entfernung für die Bemessung eines Entschädigungsanspruchs nach Art. 7 Abs. 1 EG VO 261/04 gem. Art. 7 Abs. 4 EG VO 261/04 auf die

nach der Großkreismethode ermittelte Entfernung zwischen dem Startort des ersten Flugabschnitts und dem Endziel

nach der Großkreismethode ermittelte Entfernung zwischen dem Startort des gestörten Flugabschnitts und dem Endziel

nach der Großkreismethode ermittelte Entfernung zwischen dem Endziel und dem von diesem am weitesten entfernten Abflugort eines von mehreren Flugabschnitten

oder nach der Großkreismethode ermittelte Entfernung unter Addition der Entfernungen zwischen den Start- und Zielorten der einzelnen Flugabschnitte

an?

Gründe:

I.

5. Die Kläger sollten aufgrund einer einheitlichen Buchung von der Beklagten als ausführendes Luftfahrtunternehmen am 07.10.2016 von Düsseldorf über Frankfurt mit direktem Anschluss nach Madrid befördert werden.

6. Aufgrund einer Verspätung des Zubringerfluges von Düsseldorf mit Ankunft in Frankfurt statt um 12.30h um 12.38h konnte der planmäßig für 13:45h vorgesehene Anschlussflug nach Madrid nicht erreicht werden.

7. Tatsächlich erreichten die Kläger Madrid statt planmäßig um 15:50h um 20:17h.

8. Die Entfernung zwischen Düsseldorf und Madrid beträgt unstreitig nach der Großkreismethode 1.440km; die Summe der einzelnen Entfernungen zwischen Düsseldorf, Frankfurt und Madrid liegt über 1.500km.

9. Die Beklagte leistete vorgerichtlich eine Entschädigung von je 250,00 €.

10. Mit der Klage begehren die Kläger jeweils weitere 150,00 €.

11. Sie gehen davon aus, dass es für die Ermittlung der Entfernung auf die tatsächlich (planmäßig) zurückgelegte Flugentfernung ankomme, sodass die Entfernungen zwischen den einzelnen Start- und Zielorten der Teilstrecken zu addieren seien.

12. Die Beklagte meint hingegen, maßgeblich sei nur die Entfernung zwischen dem ersten Abflugort und dem Endziel.

II.

13. Da der Entschädigungsanspruch für die Ankunftsverspätung am Endziel in entsprechender Anwendung von Art. 5, 6, 7 EGVO 261/2004 dem Grunde nach unstreitig ist, kommt es für die Entscheidung maßgeblich auf die Beantwortung der Vorlagefragen an, nämlich darauf, wie bei einem aus mehreren direkten Anschlussflügen zusammengesetzten Flug die für die Höhe der Entschädigung maßgebliche Entfernung zu berechnen ist.

14. Die hier maßgebliche Frage ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten; eine höchstrichterliche Entscheidung liegt soweit ersichtlich noch nicht vor (ausführlich zum Meinungsstand: Maruhn in BeckOK Fluggastechte-VO Art. 7 Rn 12 ff.).

a)

15. Die Befürworter (u.a. BGHS Wien U. v. 15.02.2016 – 16 C 129/15k; AG Düsseldorf U. v. 28.09.2015 – 45 C 21/15; AG Frankfurt U. v. 11.10.2013 – 29 C 1952/13; Maruhn a.a.O.) der Ansicht, es seien die Entfernungen der Teilstrecken zu addieren, führen das aus Erwägungsgrund 12 der VO ersichtliche Ziel des Gesetzgebers, den Fluggast für Ärgernisse und Unannehmlichkeiten durch den entstandenen Zeitverlust zu entschädigen und die Entscheidung, die Höhe der Entschädigung nach Entfernung zu staffeln, ins Feld. Hieraus sei abzuleiten, dass der Gesetzgeber der Tatsache Rechnung tragen wollte, dass mit wachsender Flugentfernung auch die Unannehmlichkeiten zunehmen (Maruhn a.a.O.). Es sei eine Ungleichbehandlung gegenüber Fluggästen zu befürchten, die Non-Stop-Flüge mit gleicher zurückgelegter Flugstrecke gebucht hätten.

b)

16. Die Gegenauffassung (u.a. AG Köln U. v. 03.12.2013 – 113 C 428/13; LG Landshut U. v. 16.12.2015 – 13 S 2291/15; wohl auch Hopperdietzel in BeckOK Fluggastrechte-VO Art. 2 Rn 33; Leitlinien der Kommission https://ec.europa.eu/transport/sites/transport/files/themes/passengers/news/doc/2016-06-10-better-enforcement-pax-rights/c(2016)3502_de.pdf dort S. 21), die auf die Entfernung zwischen Startort und Endziel abstellt, begründet dies mit dem Wortlaut, einer pauschalen Anknüpfung an die mit steigender Entfernung typischerweise steigenden Flugscheinkosten und einem Vergleich gegenüber Fluggästen eines Non-Stop-Fluges.

c)

17. Das Gericht tendiert zur letztgenannten Auffassung.

18. Allerdings erscheint der Wortlaut der deutschen Fassung („über eine Entfernung“) von eher geringem Gewicht. So ist dieser schon im Deutschen ambivalent. Andere Fassungen (Englisch: „flights of 1.500km“; Französisch: „vols de 1500 kilomètres“; Spanisch: „vuelos de hasta 1500 kilómetros“) sprechen hingegen eher von „Flügen von 1.500km“.

19. Relevanter erscheinen aber folgende Argumente:

20. Entgegen der Auffassung der erstgenannten Ansicht hat der Verordnungsgeber nicht den Zeitverlust, sondern die mit zunehmender Entfernung zwischen Startort und Endziel steigenden Flugkosten in den Vordergrund gestellt; den Zeitverlust hat er nur in einem zweiten Schritt für die Kürzungsmöglichkeit nach Art. 7 Abs. 2 der VO berücksichtigt.

21. Im Einzelnen:

22. Der Verordnungsgeber hätte, wenn er vornehmlich den Zeitverlust im Auge gehabt hätte, die Entschädigung auch an diesen anknüpfen können, indem z.B. für jede angefangene Stunde Verspätung ab einer bestimmten Karenzzeit eine (ggf. nach Entfernung gestaffelte und/oder gedeckelte) Entschädigung vorgesehen würde. Dies ist gerade nicht geschehen. Vielmehr weist das LG Landshut (a.a.O.) zutreffend darauf hin, dass Grund für die Staffelung nach Entfernung die mit steigender Entfernung üblicherweise steigenden Ticketpreises sind. Mithin soll die Höhe der Entschädigung mit der Höhe der Investition steigen.

23. Die von der erstgenannten Ansicht befürchtete (ungerechtfertigte) Ungleichbehandlung sieht das Gericht so nicht, sondern eher die Gefahr einer Ungleichbehandlung aus einem anderen Blickwinkel.

24. Wäre entscheidend auf den Zeitverlust abzustellen, dann käme es durch die gesetzliche Regelung regelmäßig zu einer nicht nachvollziehbaren Ungleichbehandlung zwischen den Fluggästen, die auf Kurzstrecken oder Strecken bis 3.500km bzw. innereuropäischen Flügen einen deutlich größeren Zeitverlust erleiden, als diejenigen auf unter die nächsthöhere Entschädigungsgruppe fallenden Flüge.

25. Der Fluggast, der sich (in der Regel aus wirtschaftlichen, nicht selten aber auch aus terminlichen Gründen) für einen mehrteiligen Flug mit direktem Anschluss statt einen Non-Stop-Flug entscheidet, nimmt von sich aus schon einen höheren Zeitverlust in Kauf. Es wäre nicht einsehbar, weshalb der Fluggast, der aufgrund einer Störung seines (möglicherweise teureren) Non-Stop-Fluges einen möglicherweise größeren Zeitverlust erleidet, eine geringere Entschädigung erlangt, als derjenige, der bei evt. sogar geringerer Verspätung einen direkten Anschlussflug von einem weiter vom gleichen Endziel entfernten Umsteigeort bucht.

26. Nach Auffassung des Gerichts hat der Gesetzgeber unter dem Aspekt einer bei Buchung längerer Strecken vorausgesehenen längeren Flugdauer explizit vorgesehen, dass der Fluggast bei Buchung eines Fluges über eine größere Entfernung hinsichtlich des Umfangs der Ankunftsverzögerung sogar weniger schutzwürdig sein kann. So erlaubt Art. 7 Abs. 2 EG VO 261/04 eine nach dem Umfang der Verspätung für die einzelnen Entfernungsstaffeln wiederum gestaffelte Kürzung des Entschädigung. Der Fluggast eines Fluges über eine Entfernung von bis 3.500km erhält bei einer Ankunftsverspätung von z.B. 3:05h bereits 400,00 € Entschädigung. Der Fluggast, der einen (nicht innergemeinschaftlichen) Flug über eine größere Entfernung gebucht hat, erhält bei einer Verspätung von unter 4:00h jedoch nur eine Entschädigung von 300,00 €.

27. Der Verordnungsgeber hat damit den Aspekt des Zeitverlustes sehr wohl berücksichtigt, aber nur in dem von Art. 7 Abs. 2 EG VO 261/04 eingeschränkten Rahmen.

28. Dass es zu nicht sachgerechten Ergebnissen führt, die einzelnen Flugabschnitte zu addieren, belegt nach Auffassung des Gerichts der vorliegende Sachverhalt in deutlicher Weise.

29. Im vorliegenden Fall stünden die Kläger nach der erstgenannten Ansicht nämlich besser als Fluggäste, die bei einem Non-Stop-Flug von Düsseldorf oder Frankfurt nach Madrid den gleichen (oder einen größeren) Zeitverlust erlitten hätten, denn beide Strecken (DUS-MAD bzw. FRA-MAD) liegen bei 1.440km bzw. 1.420km.

30. Wären die Kläger z.B. von Düsseldorf statt über Frankfurt über Paris geflogen hätten sie trotz fast identischer Flugdauer (oder besser gesagt Reisedauer) bei gleicher Verspätung auch nach ihrer Ansicht nur je 250,00 € zu erhalten (DUS – CDG + CDG – MAD = 1.456km).

31. Es darf in diesem Zusammenhang auch nicht aus den Augen verloren werden, dass der Umstand, dass für die Ermittlung der Verspätung (die ohnehin nach dem Wortlaut der Verordnung keine Entschädigung auslöst, sondern nur in der Auslegung durch den EuGH unter dem Aspekt der Gleichbehandlung) das Endziel maßgeblich ist, und daher eine für sich nicht-entschädigungswürdige Verspätung von weniger als drei Stunden auf dem Zubringerflug eine Entschädigung auslöst, wenn diese kleine Verspätung (im vorliegenden Fall nur acht Minuten!) zum Verpassen des Anschlussfluges führt und daher das Endziel mit einer großen Verspätung von drei Stunden oder mehr erreicht wird.

32. Mit direkten Anschlussflügen werden dem Verbraucher häufig günstigere Flugpreise, häufigere Verbindungen und/oder Flugverbindungen angeboten, die als Direktflüge nicht (wirtschaftlich) angeboten werden (können). Dabei kommt eine kurze Umsteigezeit dem Verbraucher zugute. Eine Ausweitung der Entschädigungsmöglichkeiten durch verbraucherfreundliche Auslegung muss auch die Konsequenzen im Blick haben, nämlich dass Fluggesellschaften dann gut beraten wären, Umsteigezeiten erheblich zu verlängern, oder eben keine zusammenhängenden Buchungen mehr zuzulassen.

33. Die Argumente beider Seiten erscheinen letztlich gut vertretbar.

34. Eine eindeutige Auslegung lässt sich jedenfalls weder anhand der Verordnung selbst, der bisherigen Rechtsprechung noch der Gesetzesmaterialien finden.

35. Die oben genannten Auslegungsmöglichkeiten können vielmehr mit guten Argumenten auch noch um die beiden weiteren Varianten der Vorlagefrage erweitert werden.

36. Im vorliegenden Fall bliebe es in der Auslegung der ersten drei Varianten der Vorlagefrage aufgrund der Entfernung von Düsseldorf nach Madrid oder von Frankfurt nach Madrid von bis 1.500km bei dem bereits geleisteten Entschädigungsbetrag von je 250,00 €.

37. Lediglich bei Addition der Teilstrecken ergäbe sich mit 1.611km die Entfernung von mehr als 1.500km, die eine Entschädigung von 400,00 € auslöst.

38. Die Sache war daher dem EuGH vorzulegen und bis zur Beantwortung der Vorlagefragen auszusetzen.

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