Rücktrittsrecht des Reisenden mangels Übergabe des Sicherungsscheins

AG Leipzig: Rücktrittsrecht des Reisenden mangels Übergabe des Sicherungsscheins

Die Klägerin hatte bei der Beklagten eine Reise gebucht. Sie behauptet, dass ihr der Sicherungsschein nicht rechtzeitig übergeben wurde, und sie deshalb vom Vertrag zurückgetreten sei. Sie fordert die Anzahlung, die sie geleistet hat, zurück. Die Beklagte meint, die Klägerin habe wegen Informationen über die Wettersituation am Reiseziel den Vertrag storniert, sodass Stornokosten fällig seien.

Das Gericht entschied im Sinne der Klägerin.

AG Leipzig 103 C 1080/06 (Aktenzeichen)
AG Leipzig: AG Leipzig, Urt. vom 10.10.2006
Rechtsweg: AG Leipzig, Urt. v. 10.10.2006, Az: 103 C 1080/06
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Amtsgericht Leipzig

1. Urteil vom 10. Oktober 2006

Aktenzeichen 103 C 1080/06

Leitsatz:

2. Legt der Reiseveranstalter dem Reisenden nicht rechtzeitig den Sicherungsschein vor, steht diesem ein Rücktrittsrecht zu, dessen Ausübung eine Rückzahlungspflicht des Reiseveranstalters auslöst.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin hatte bei der Beklagten eine Reise nach Panama gebucht. Sie behauptet, dass ihr der Sicherungsschein und die Reiseunterlagen nicht rechtzeitig übergeben wurden, und sie deshalb vom Vertrag zurückgetreten sei. Sie fordert die Zahlung des Reisepreises, die sie geleistet hat, zurück. Die Beklagte meint, die Klägerin habe den Vertrag storniert, weil sie von der Regenzeit in Panama zum Reisezeitpunkt erfahren habe, sodass Stornokosten fällig seien.

Das Gericht hat der Klage stattgegeben. Es gelangte aufgrund der verschiedenen Glaubwürdigkeit der gehörten Zeugen zur Überzeugung, dass die Reiseunterlagen und der Sicherungsschein nicht rechtzeitig vorgelegen haben. Damit habe die Klägerin ein Rücktrittsrecht gehabt, dessen Ausübung eine Rückzahlungspflicht der Beklagten auslöse. Dieses habe sie ordnungsgemäß ausgeübt.

Tenor

4. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.235,10 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 3.806,00 EUR ab 04.11.2005 bis 16.03.2006 und aus 3.235,10 EUR seit 17.03.2006 zu zahlen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

5. Die Parteien streiten um Forderung aus einem Reisevertrag.

6. Am 13.06.2005 schlossen die Parteien einen Reisevertrag im Reisebüro des Beklagten für eine Reise vom 27.10.2005 bis zum 18.11.2005 nach Panama zu einem Preis von insgesamt 3.806,00 EUR. Die Klägerin zahlte am 05.07.2005 einen Betrag in Höhe von 1.000,00 EUR und am 15.09.2005 den Restbetrag in Höhe von 2.806,00 EUR. Ein Sicherungsschein für die geleisteten Zahlungen wurde der Klägerin weder bei Zahlung noch später ausgehändigt.

7. Am 14.10.2005 lagen dem Beklagten noch keine Reiseunterlagen vor. Die Klägerin suchte sowohl am 20.10.2005 als auch am 24.10.2005 das Reisebüro des Beklagen auf, ohne daß dabei irgendwelche Reiseunterlagen übergeben wurden. Am 25.10.2005 fand sich die Klägerin mehrfach in den Geschäftsräumen des Beklagten ein. Zu diesem Zeitpunkt erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Vertrag gegenüber dem Mitarbeiter des Beklagten, Herrn S K, und forderte die Rückzahlung der insgesamt geleisteten 3.806,00 EUR. Ihr wurde daraufhin ein Dokument übergeben, in dem eine Storno-Rechnungs-Forderung in Höhe von 1.576,00 EUR ausgewiesen war, später wurde diese auf 3.235,10 EUR korrigiert.

8. Die Klägerin forderte den Beklagten am 28.10.2005, am 21.11.2005 und am 07.12.2005 erfolglos zur Rückzahlung des Betrages in Höhe von 3.806,00 EUR auf.

9. Die Klägerin behauptet, die Reiseunterlagen und der Sicherungsschein seien sowohl am 20.10.2005 als auch am 24.10.2005 nicht vorhanden gewesen. Aus diesen Gründen sei sie am 25.10.2005 vom Vertrag zurückgetreten.

10. Am 16.03.2006 erfolgte eine Zahlung des Beklagten in Höhe von 570,90 EUR. Die Parteien haben den Rechtsstreit in dieser Höhe im Termin der mündlichen Verhandlung vom 10.05.2005 übereinstimmend für erledigt erklärt.

11. Die Klägerin beantragt,

12. der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.235,10 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz aus 3.806,00 EUR ab 04.11.2005 bis 16.03.2006 und aus 3.235,10 EUR seit 17.03.2006.

13. Der Beklagte beantragt,

14. die Klage abzuweisen.

15. Der Beklagte behauptet, die Reiseunterlagen seien rechtzeitig vor Reisebeginn, ca. 7-8 Tage vor Reiseantritt, vorhanden gewesen. Seine Mitarbeiterin, Frau D K, habe die Klägerin ca. am 20.10.2005 angerufen und ihr mitgeteilt, daß die Reiseunterlagen im Reisebüro vorliegen würden und abgeholt werden könnten. Darüber hinaus habe den Reiseunterlagen ein Sicherungsschein beigelegen. Als die Klägerin am 24.10.2005 im Reisebüro erschienen sei und der Mitarbeiter, Herr S K, ihr die Reiseunterlagen übergeben wollte, habe sie die Annahme abgelehnt. Durch die Nichtannahme der Reiseunterlagen habe die Klägerin keine Kenntnis vom beiliegenden Sicherungsschein nehmen können. Der Beklagte trägt vor, die Klägerin sei zurückgetreten, da sie erfahren habe, daß in der von ihr gebuchten Reisezeit in Panama Regenzeit herrsche.

16. Weiterhin macht der Beklagte geltend, die Klägerin habe 85 % des Reisepreises als Stornogebühr zu zahlen, da dies in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen unter Ziffer 3 als pauschaler Schadensersatz bei einem Reiserücktritt sechs Tage vor Fahrtbeginn vereinbart sei.

17. Das Gericht hat Beweis erhoben zum Geschehensablauf gemäß Beweisbeschluß vom 18.07.2006 durch uneidliche Vernehmung der Zeugen S G und D K. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 19.09.2006 Bezug genommen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

18. Die zulässige Klage ist begründet.

19. Bezüglich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils in Höhe von 570,90 EUR ist die Rechtshängigkeit erloschen, so daß die Begründetheitsprüfung entfällt.

20. Bezüglich des verbliebenen Restes in Höhe von 3.235,10 EUR hat die Klägerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme Anspruch auf Zahlung aus § 346 I BGB infolge Rücktritts nach § 651 k IV S. 1 BGB.

21. Die Klägerseite hat ausreichend dargelegt und unter Beweis gestellt, daß die notwendigen Reiseunterlagen nicht rechtzeitig an sie übergeben worden sind. Der Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung des Reisepreises folgt aus § 346 I BGB, denn die Klägerin ist vom Vertrag wirksam zurückgetreten. Die Rechtsfolge ergibt sich aus §§ 346 ff. BGB. Der Rücktrittsgrund folgt aus § 651 k IV S. 1 BGB, da der Klägerin ein Sicherungsschein über die von ihr geleisteten Zahlungen nicht ausgestellt wurde.

22. Unstreitig hat die Klägerin an den Beklagten den gesamten Reisepreis in Höhe von 3.806,00 EUR gezahlt. Dieses Geld hat der Beklagte lediglich in einer Teilzahlung an die Klägerin erbracht.

23. Entgegen den Behauptungen des Beklagten sind der Sicherungsschein und die weiteren notwendigen Reiseunterlagen nicht rechtzeitig der Klägerin übergeben worden. Zur festen Überzeugung des Gerichts steht fest, daß der Sicherungsschein und die weiteren Reiseunterlagen erst am Abend des 25.10.2005 vorgelegen haben. Vor diesem Zeitpunkt wurden keine Unterlagen an die Klägerin überreicht. Der Zeuge G hat zur Überzeugung des Gerichts widerspruchsfrei und nachvollziehbar ausgesagt. Auch wenn der Zeuge G der Lebensgefährte der Klägerin ist, war eine Belastungstendenz in der Aussage des Zeugen G zu keinem Zeitpunkt zu erkennen. Vielmehr hat der Zeuge G von sich aus ruhig und nachvollziehbar seine Aussage getätigt. Auch auf Nachfragen konnte der Zeuge eingehen. Auch hat der Zeuge G ggf. Erinnerungslücken zugegeben, die nach Auffassung des Gerichts nach einem so langen Zeitraum durchaus nachvollziehbar sind. Insgesamt hat der Zeuge G auch hinreichend differenziert zwischen eigenen Wahrnehmungen und dem, was er vom Hörensagen weiß. Insofern hat der Zeuge G auch angegeben, daß er selber nie bei Telefongesprächen seiner Lebensgefährtin zugegen war, er aber wußte, daß seine Lebensgefährtin am Abend derartige Gespräche mit dem Reisebüro geführt hat, bei denen sie die Unterlagen angemahnt habe. Besonders nachvollziehbar war auch der Zeitablauf bis zur Übergabe der Reiseunterlagen bzw. bis zur Stornierung. Auch hier hat der Zeuge G bestätigt, daß die Klägerin am 20., 24. und dann am 25.10. verschiedene Versuche zur Mahnung unternommen hat. Nachvollziehbar und bildlich belegt sind die Vorgänge am 25.10.2005. Hier hat der Zeuge im einzelnen dargelegt, welche Maßnahmen die Klägerin hier getroffen hat, um noch rechtzeitig an ihre Unterlagen zu gelangen. Dann schildert der Zeuge G von sich aus, daß sie vom Mitarbeiter des Reisebüros davon unterrichtet wurden, daß die Unterlagen vorlägen. Jedoch erst, nachdem man kurz zuvor storniert habe und der Zeuge K noch am Vormittag auf die Unterlagen angesprochen worden ist und man auch den Geschäftsführer nicht angetroffen habe.

24. Demgegenüber hat der Beklagte nicht bewiesen, daß die Unterlagen vor diesem Zeitpunkt an die Klägerin übergeben werden sollten. Dieser Umstand steht durch Einvernahme der Zeugin K fest. Zwar hat die Zeugin K zu Beginn ihrer Aussage angegeben, daß sie – wie üblich – 10 Tage vor Reiseantritt den Reisewilligen über die Unterlagen informiert. Dies sei auch im vorliegenden Fall so gewesen. Aber bereits auf Nachfrage konnte die Zeugin K keine genauen Angaben darüber machen, ob sie dies auch im konkreten Fall so getan habe. Die Zeugin K war zum damaligen Zeitpunkt noch Praktikantin. Sie habe auf Anweisung ihrer Vorgesetzten, insbesondere des Herrn K, gehandelt. Dies sei auch im vorliegenden Fall – wie üblich – so geschehen. Später, im Verlauf ihrer Vernehmung, hat die Zeugin K ihre Aussage aber nicht nur relativiert, sondern auch auf verschiedene Widersprüche in ihrem Aussageverhalten hin angesprochen, gänzlich geändert. Die Zeugin K hat nicht mehr an ihrer ursprünglichen Aussage festgehalten, daß sie sich sicher gewesen sei, daß sie die Klägerin rechtzeitig, nämlich 10 Tage vorher, gemahnt habe. Es könnte auch ein anderer Zeitpunkt gewesen sein. Zuvor wurde die Zeugin K darüber informiert, daß es nicht nachvollziehbar sei, wenn die Unterlagen 10 Tage vorher im Reisebüro lägen, daß dann die Klägerin, wovon das Gericht überzeugt ist, am 20. und 24. mehrfach vorgesprochen habe. Denn es dürfte ein leichtes gewesen sein, der Klägerin die Unterlagen dann auch rechtzeitig zu übergeben. Auf diese Widersprüche angesprochen, konnte die Zeugin K keine nachvollziehbare Erklärung abgeben. Vielmehr hat die Zeugin K auf erneute Ermahnung zur Wahrheitspflicht sogar angegeben, daß die Unterlagen auch erst am 25. vorgelegen haben können. Genau dies stützt, wie ausgeführt, die Sachverhaltsdarstellung der Klägerin im einzelnen. Hinzu kommt ein weiterer Umstand, denn das Gericht ist nach Aussage der Zeugin K der Auffassung, daß die Unterlagen bzw. eine Bestätigung der Fa. D am 09.09.2005 an das Büro des Beklagten übersandt wurden. Durch dieses Bestätigungsschreiben gegenüber dem Reisebüro ist aber in keinem Fall hinreichend belegt noch bewiesen, daß die Unterlagen auch der Klägerin zugegangen sind oder selbst der Beklagtenseite vollständig vorgelegen haben. Es ist nur eine Reisebestätigung. Es handelt sich lediglich um eine Rückantwort der Fluggesellschaft bzw. der D. Dies bedeutet auch nicht, daß entsprechende Unterlagen an den Beklagten übergeben worden sind.

25. Nach alledem steht zur Überzeugung des Gerichts auch nach der Aussage der Zeugin K fest, daß die Unterlagen erst am Abend des 25. im Büro vorgelegen haben und erst hier an die Klägerin hätten übergeben werden können. Ob sie tatsächlich übergeben worden sind, darauf kommt es nicht mehr an, und es kommt auch nicht mehr darauf an, ob der Beklagte die Unterlagen angeboten hat, nachdem die Klägerin zuvor die Reise bereits storniert hat.

26. Damit steht aber in rechtlicher Hinsicht fest, daß auch dieser Termin zu spät war, denn der Beklagte hätte ohne Übergabe eines Sicherungsscheines keine Zahlungen, also auch keine Anzahlungen auf den Reisepreis, vor der Beendigung der Reise fordern oder annehmen dürfen (EuGH NJW 1996, 3141).

27. Trotz der Ladung des Zeugen K im Beweisbeschluß kann auf die Vernehmung seiner Person verzichtet werden, da nach der Aussage der Zeugin K zur vollen Überzeugung des Gerichts feststeht, daß ein Sicherungsschein nicht rechtzeitig vorgelegen hat. Die Zeugin K hat ihr Aussageverhalten während der Vernehmung derart drastisch geändert, daß eine erneute Sachverhaltsschilderung durch den Zeugen K hier unbeachtlich bleiben kann. Das Gericht konnte sich durch die Aussagen der Zeugen G und K bereits ein umfassendes Bild von den Geschehnissen machen und hat alle, zur Urteilsfindung notwendigen, Fakten durch die Vernehmungen erhalten.

28. Der Anspruch auf Prozeßzinsen von 5 % über dem Basiszinssatz folgt aus §§ 286 I 2, 288 I BGB.

29. Die Kostenentscheidung bezüglich der Klageforderung beruht auf § 91 I S. 1 ZPO.

30. Die Kostenentscheidung bezüglich der Teilerledigterklärung über 570,90 EUR beruht auf § 91 a ZPO. Denn es liegt eine übereinstimmende Erledigterklärung gem. § 264 Nr. 2 ZPO vor, nach Rechtshängigkeit. Auch diese Kosten hat der Beklagte zu tragen.

31. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus § 709 S. 1 ZPO.

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