Begriff der Entfernung in Bezug auf die Berechnung des Ausgleichsanspruchs

LG Köln: Begriff der Entfernung in Bezug auf die Berechnung des Ausgleichsanspruchs

Ein Flugreisender forderte eine höhere Ausgleichszahlung wegen der 3-stündigen Verspätung seines Fluges als ihm zunächst gezahlt worden war.

Das Landgericht Köln setzte das Verfahren aus. Es sei unklar, ob die tatsächlich zurückgelegte Flugstrecke oder die Entfernung von Start- und Zielflughafen maßgeblich ist.

LG Köln 11 S 230/16 (Aktenzeichen)
LG Köln: LG Köln, Urt. vom 30.05.2017
Rechtsweg: LG Köln, Urt. v. 30.05.2017, Az: 11 S 230/16
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Landgericht Köln

1. Urteil vom 30. Mai 2017

Aktenzeichen 11 S 230/16

Leitsatz:

2. Ist bei Ausgleichsansprüchen wegen großer Verspätung mehrteiliger Flugreisen die Entfernung zwischen Start- und Zielflughafen oder die tatsächlich zurückgelegte Flugstrecke für die Berechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs maßgeblich?

Zusammenfassung:

3. Ein Flugreisender erreichte sein Reiseziel aufgrund einer Flugverspätung mit 3-stündiger Verspätung. Die Flugreise bestand aus zwei Flügen; von Dublin nach Frankfurt und von dort nach Kopenhagen. Vorgerichtlich erhielt der Reisende 250,- € von der Fluggesellschaft, gemessen an der Entfernung von Dublin und Kopenhagen. Er begehrte jedoch 400,- €, gemessen an der tatsächlich zurückgelegten Flugentfernung. In erster Instanz wurde die Klage abgewiesen, woraufhin er in Berufung vor dem Landgericht Köln ging.

Das Landgericht Köln setzte das Verfahren aus. Es sei unklar, welche Entfernung die maßgebliche war. Nach einer Auffassung sollten die Teilstrecken addiert werden, das Gericht tendierte aber in Übereinstimmung mit der europäischen Kommission dazu, die Entfernung von Start und Ziel anzulegen, da aus dem Wortlaut der Fluggastrechteverordnung, die ursprünglich für Annullierungen konzipiert worden war nicht hervorging, dass die zu entschädigende Unannehmlichkeit des Fluggastes mit größerer Entfernung steige. Die Frage wurde dem europäischen Gerichtshof zur Beantwortung vorgelegt.

Tenor:

4. Das Verfahren wird ausgesetzt.

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt:

Ist Art. 7 Abs. 1 Satz 2 der EG-​VO Nr. 261/2004/EG dahingehend auszulegen, dass der Begriff „Entfernung“ lediglich die nach der Großkreismethode zu ermittelnde direkte Entfernung zwischen Abflug- und letztem Zielort umfasst und zwar unabhängig von der tatsächlich zurückgelegten Flugstrecke?

Gründe

I.

5. Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Ausgleichsanspruch nach den Vorschriften der EG-​VO Nr. 261/2004/EG geltend.

6. Er buchte unter der einheitlichen Buchungsnummer YRPJP7 unter dem 29.07.2015 einen Flug von Dublin nach Frankfurt am Main (Flugnummer LH 981) und von dort nach Kopenhagen (Flugnummer LH 832). Der Kläger sollte planmäßig am 07.10.2015 um 17:50 Uhr in Dublin abfliegen und nach seiner Ankunft in Frankfurt am Main am selben Tag um 20:50 Uhr von dort aus um 21:45 Uhr nach Kopenhagen weiterfliegen. Planmäßig sollte das Flugzeug in Kopenhagen um 23:05 Uhr landen. Der Abflug des Fluges LH 981 in Dublin verzögerte sich. Die Maschine landete erst um 21:26 Uhr in Frankfurt am Main. Infolgedessen verpasste der Kläger den Anschlussflug nach Kopenhagen und erreichte Kopenhagen erst am 08.10.2015 um 09:00 Uhr und damit mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden.

7. Ursprünglich war das Klagebegehren darauf gerichtet, dass die Beklagte an den Kläger eine Entschädigung in Höhe von 400,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zahlt. Nach Klageerhebung hat die Beklagte einen Betrag in Höhe von 250,00 € nebst Zinsen an den Kläger gezahlt. Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 04.05.2016 die Klage in dieser Höhe für erledigt erklärt und beantragt, der Beklagten insoweit die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung mit Schriftsatz vom 19.05.1016 angeschlossen.

8. Erstinstanzlich hat der Kläger sodann beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 150,00€ nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verurteilen.

9. Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen.

10. Das Amtsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, für die Bemessung der Entschädigung sei die Entfernung nach der Großkreismethode von Dublin nach Kopenhagen maßgebend. Da diese Entfernung weniger als 1.500 km betrage, stehe dem Kläger nur ein Anspruch in Höhe von 250,00 € zu. Diesen Anspruch habe die Beklagte bereits erfüllt. Es komme für die Bemessung der Entschädigung hingegen nicht auf die tatsächlich mit dem Flugzeug zurückgelegte Strecke an, also von Dublin nach Frankfurt am Main und von Frankfurt am Main nach Kopenhagen.

11. Gegen diese Entscheidung hat der Kläger rechtzeitig und ordnungsgemäß am 13.07.2016 Berufung eingelegt.

II.

12. Der Erfolg der Berufung und des Klageantrags hängt davon ab, wie der Begriff „Entfernung“ in Art. 7 Abs. 1 Satz der EG-​VO Nr. 261/2004/EG auszulegen ist, nämlich, ob der Begriff die nach der Großkreismethode zu ermittelnde direkte Entfernung zwischen Abflug- und letztem Zielort umfasst oder ob die tatsächlich zurückgelegte Strecke maßgebend ist. Nur unter Zugrundelegung der tatsächlich zurückgelegten Strecke, also bei Addition der Teilstrecken zwischen Dublin und Frankfurt am Main sowie Frankfurt am Main und Kopenhagen, beträgt die Entfernung mehr als 1.500 km und weniger als 3.500 km, so dass dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 400,00 € zustehen würde.

13. Der Begriff der „Entfernung“ in Art. 7 Abs. 1 Satz der EG-​VO Nr. 261/2004/EG wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich ausgelegt.

14. Nach einer Auffassung soll die tatsächlich zurückgelegte Strecke maßgebend sein, Teilstrecken sollen also zur Ermittlung der Entfernung addiert werden (AG Frankfurt am Main, BeckRS 2014, 12199; AG Düsseldorf, NJW-​RR 2016, 249; Führich, Reiserecht, 7. Auflage 2015, § 42 Rn. 4; Keiler, in: Staudinger, Fluggastrechteverordnung, Art. 7 Rn. 19; für Österreich BG HS, Urteil vom 15.02.2016, 16 C 129/15k-​12 – zitiert nach juris). Hierfür wird die streckenabhängige Staffelung der Ausgleichsansprüche in Art. 7 EG-​VO Nr. 261/2004/EG angeführt, der sich entnehmen lasse, dass der europäische Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Unannehmlichkeiten für den Fluggast mit der Entfernung wachsen. Aus diesem Bezug zur tatsächlich geflogenen Strecke lasse sich auch ableiten, dass bei der Bemessung der Entfernung bei Umsteigeflügen auf die Summe der Entfernungen der Teilstrecken, also der zwischen dem Startflughafen und Zwischenlandeort einerseits und der zwischen diesem und dem Endziel andererseits abzustellen ist (AG Frankfurt am Main, BeckRS 2014, 12199; Maruhn, in: BeckOK FluggastrechteVO, 2. Edition Stand 10.04.2017, Art. 7 Rn 12). Des Weiteren entspreche diese Auslegung dem Inhalt des Beförderungsvertrages, mit dem gerade die Flugstrecke gebucht worden ist. Außerdem fielen bei Umsteigeverbindungen, zusätzliche Flughafengebühren an, die im Ticketpreis bereits enthalten seien und gegebenenfalls im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms für jeden Flugabschnitt Gutschriften erfolgten, so dass auch hier nicht auf die direkte Verbindung von Start- und Zielort abgestellt werde. Darüber hinaus bringe jede Zwischenlandung ein theoretisches Risiko einer Verzögerung der Personen- oder Gepäckbeförderung mit sich (vgl. Keiler, in: Staudinger, Fluggastrechteverordnung, Art. 7 Rn. 19). Zum Teil wird für diese Auffassung auch auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 14.10.2010 (Xa ZR 15/10, zitiert nach juris) angeführt.

15. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14.10.2010 – Xa ZR 15/10 – befasst sich jedoch nicht mit der vorliegenden Fragestellung. Gegenstand dieser Entscheidung ist vielmehr die Frage, ob bei einer Annullierung einer Teilstrecke nur die Entfernung dieser Teilstrecke, und nicht die Entfernung bis zum letzten Zielort der Reise, maßgebend sein soll. Indem der Bundesgerichtshof den eigentlichen Zielort der Reise für maßgebend hält, hat er nicht entschieden, dass einzelne Teilstrecken – auf dem Weg zum letzten Ziel – zu addieren sind oder die direkte Strecke nach der Großkreismethode zu berechnen ist (so versteht auch BG HS, Urteil vom 15.02.2016, 16 C 129/15k-​12 – zitiert nach juris, diese Entscheidung).

16. Die Europäische Kommission vertritt in ihren Leitlinien für die Auslegung der VO (EG) Nr. 261/2004 die Ansicht, dass „die Entfernung, die bei großer Verspätung bei der Ankunft für den zu leistenden Ausgleich maßgeblich ist, nach der Methode der Großkreisentfernung zwischen dem Abflugsort und dem Endziel, also für die „Reise“, ermittelt werden und nicht durch Addition der Großkreisentfernungen der einzelnen relevanten Anschlussflüge, die die „Reise“ bilden.“ (Ziffer 4, lit. d, C x, S. 21). Diese Auffassung wird von zahlreichen Gerichten geteilt (LG Landshut, BeckRS 2016, 41186; LG Hamburg, Urteile vom 16.12.2015 – 13 S 2291/15 und 15.1.2016 – 320 S 8/15, jeweils zitiert nach Maruhn, in: BeckOK FluggastrechteVO, 2. Edition Stand 10.04.2017, Art. 7 Rn. 12; AG Köln BeckRS 2016, 04824; AG Hamburg, Urteil vom 03.06.2015 – 120a C 28/15; AG Nürtingen 28.05.2015 – 12 O 394/15; AG Wedding 14.10.2015 – 22a C 193/15, jeweils zitiert nach Maruhn, in: BeckOK FluggastrechteVO, 2. Edition Stand 10.04.2017, Art. 7 Rn. 12). Auch die Kammer schließt sich ihr an. Mit der Europäischen Kommission ist sie der Meinung, dass der Wortlaut der Vorschrift die Bemessung nach der direkten Verbindung nahelegt. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der europäische Gesetzgeber davon ausgegangen sein soll, dass die Unannehmlichkeiten für den Fluggast mit der Entfernung wachsen. Die EG-​VO Nr. 261/2004/EG wurde nämlich ursprünglich und nach ihrem Wortlaut für die Annullierung von Flügen konzipiert. Im Falle einer Annullierung ist ein Fluggast aber während der Reise keinen Unannehmlichkeiten ausgesetzt, da eine solche nicht stattfindet. Es liegt vielmehr nahe, dass der Verordnungsgeber davon ausgegangen ist, dass mit wachsender Entfernung auch der Preis für den Flug steigt und er die Entschädigung in ein angemessenes Verhältnis zu diesem setzen wollte (ähnlich LG Landshut, Urteil vom 16.12.2015 – 13 S 2291/15, zitiert nach juris unter Verweis auf die Ausführungen der Kommission in der Begründung zum Vorschlag der späteren Fluggastrechteverordnung, wonach die Kopplung der Ausgleichszahlung an die Flugscheinpreise erfolgen sollte). Würde man die Teilstrecken zur Bemessung der Entfernung in Art. 7 der EG-​VO Nr. 261/2004/EG addieren, hätte dies zur Folge, dass für Umsteigeverbindungen eine höhere Entschädigung gezahlt werden könnte als bei einer entsprechenden Direktverbindung, obwohl der Preis für Direktverbindungen in der Regel höher ist als für Umsteigeverbindungen. Die Addition der Teilstrecken würde daher zu einem Missverhältnis von Entschädigung und Reisepreis führen.

17. Die Entscheidung des vorlegenden Gerichts hängt davon ab, ob bei der Berechnung der Entfernung im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 der EG-​VO Nr. 261/2004/EG allein die unmittelbare Entfernung zwischen dem Abflug- und dem letzten Zielort entscheidend ist oder die tatsächlich zurückgelegte Flugstrecke (Addition der einzelnen Teilstrecken). Nur im zuletzt genannten Fall stünden dem Kläger weitere 150,00 € zu, die er mit der Klage noch geltend macht.

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