Unkontrollierbares Sicherheitsrisiko

AG Köln: Unkontrollierbares Sicherheitsrisiko

Vorliegend buchte der Kläger bei einem Luftfahrtunternehmen einen Flug. Dieser wurde aufgrund eines technischen Defekts annulliert. Der Kläger wurde dann auch nicht mit einem Ersatzflug zur geplanten Zeit befördert. Er verlangt nun eine Ausgleichzahlung nach der Fluggastverordnung.

Das Amtsgericht Köln lehnte einen Ausgleichsanspruch ab, da der hier vorgetragene technische Defekt ein unkontrollierbares Sicherheitsrisiko darstellt und damit ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der VO vorliegt.

AG Köln 118 C 547/06 (Aktenzeichen)
AG Köln: AG Köln, Urt. vom 31.07.2007
Rechtsweg: AG Köln, Urt. v. 31.07.2007, Az: 118 C 547/06
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Amtsgericht Köln

1. Urteil vom 31. Juli 2007

Aktenzeichen 118 C 547/06

Leitsatz:

2. Ein defektes Fahrwerk stellt ein unkontrollierbares Sicherheitsrisiko dar und begründet damit einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der VO.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall buchte der Kläger bei einem Luftfahrtunternehmen einen Flug. Dieser wurde dann aufgrund eines technischen Defektes, nämlichen einem defekten Fahrwerk, annulliert. Die Beklagte hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ersatzmaschine zur Verfügung, die den Kläger befördern konnte. Er macht nun gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen einen Ausgleichsanspruch nach der Fluggastverordnung geltend.

Das Amtsgericht Köln lehnte einen solchen Anspruch ab. Das defekte Fahrwerk stellt eine unkontrollierbare massive Gefährdung der Flugsicherheit dar. Dies konnte die Beklagte auch nicht voraussehen oder vermeiden, da sie nach den Vorschriften des Luftfahrtbundesamtes die Maschine entsprechend gewartet hat. Folglich hat sie auch alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung einer Flugannullierung getroffen. Es liegt ein außergewöhnlicher Umstand vor, wodurch eine Haftung der Beklagten ausgeschlossen ist.

Es kann von ihr oder einer anderen Fluggesellschaft auch nicht erwartet werden, dass immer eine Ersatzmaschine für außergewöhnliche Umstände bereit steht, damit in jedem Fall eine Flugannullierung vermieden wird. Die Klage wurde mithin abgewiesen.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

5. – Von der Darstellung des Tatbestandes wird im Hinblick auf § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen. –

Entscheidungsgründe:

6. Die zulässige Klage ist unbegründet.

7. Die Kläger haben keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von je Euro 250,– aus Art. 5 Abs. 1 c) i. V. m. Art. 7 Abs. 1 c) der VO (EG) 261/04. Die Haftung der Beklagten ist gemäß Art. 5 Abs. 3 der VO (EG) 261/04 ausgeschlossen, da die Annullierung des Fluges LH 4275 am 6.06.2006 trotz Ergreifens aller zumutbaren Maßnahmen nicht vermeidbar war. Sie war vielmehr auf außergewöhnliche Umstände in Form eines unerwarteten technischen Defekts an dem Fahrwerk des geplanten Einsatzflugzeugs zurückzuführen.

8. Ausweislich des 14. Erwägungsgrundes zur EG-Verordnung 261/2004 liegt ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/04 unter anderem bei unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und Sicherheitsrisiken vor. Unter diese beispielhafte Aufzählung lässt sich ohne weiteres auch ein technischer Defekt des Einsatzflugzeugs subsumieren, der in der Regel einen Flugsicherheitsmangel darstellt (vgl. auch AG Köln, Urteil vom 17.01.2007, Az. 118 C 473/06; AG Köln, Urteil vom 20.11.2006, Az. 119 C 133/06; AG Frankfurt a. M., Urteil vom 13.02.2007, Az. 31 C 3337/06-74; Tonner, RRa 2007, 138).

9. Vorliegend führte ein Defekt an dem Fahrwerk des geplanten Einsatzflugzeugs zu einer nicht kontrollierbaren Unsicherheit, ob dieses im Falle der nächsten Landung ausfahren würde und damit fraglos zu einer massiven Gefährdung der Flugsicherheit. Soweit die Kläger das Bestehen eines solchen Defekts mit Nichtwissen bestreiten, erfolgt dieses Bestreiten im Hinblick auf die substantiierte Darlegung der Beklagten bereits mit der Klageerwiderung vom 29.11.2006 (dort S. 7/8) offensichtlich ins Blaue hinein und ist damit unbeachtlich.

10. Dieser technische Defekt war auch unerwartet. Unerwartet ist ein solcher Defekt dem Wortsinn nach dann, wenn die Fluggesellschaft nicht mit diesem Defekt zu rechnen brauchte. Dies ist dann der Fall, wenn sie nachweislich alle ihr zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung eines solchen Defekts unternommen hat. Die insoweit beweisbelastete Beklagte hat mit Schriftsatz vom 19.01.2007 substantiiert dargelegt, dass sie die geplante Einsatzmaschine mit dem Eintragungszeichen D-AEWP den Vorschriften des Luftfahrtbundesamtes entsprechend gewartet hat, ohne dass Auffälligkeiten zutage traten. Sie hat hierzu das entsprechende Wartungsprotokoll (Anlage B 4, Bl. 69 d. A.) vorgelegt, ohne dass die Kläger diesen Umstand und dessen Inhalt substantiiert und damit erheblich bestritten hätten. Die Beklagte hat ebenso unbestritten vorgetragen, kein Bußgeld des kontrollierenden Luftfahrtbundesamtes erhalten zu haben, was das lückenlose Einhalten vorgeschriebener Wartungsintervalle belege. Wenn die Beklagte jedoch danach unstreitig alle vorgeschriebenen Wartungen und technischen Inspektionen an dem planmäßigen Einsatzflugzeug vorgenommen hat, ohne dass ein Defekt an dem Fahrwerk offenbar geworden wäre, so ist dessen Auftreten am 6.06.2006 nur als unerwartet zu werten: Es ist nichts erkennbar, was die Beklagte noch hätte tun können oder müssen, um das Eintreten des konkreten Defekts am 6.06.2006 zu vermeiden.

11. Soweit die Kläger darauf abstellen, dass die Beklagte nicht nur hinsichtlich des geplanten Einsatzflugzeuges, sondern generell alle denkbaren Maßnahmen hätte ergreifen müssen, um die Durchführung des Fluges LH 4275 am 6.06.2006 sicherzustellen, verfängt dies nicht.

12. Zum einen ist bereits der Anknüpfungspunkt falsch gewählt: Die Verordnung VO (EG) 261/04 stellt in Art. 5 Abs. 3 auf einen außergewöhnlichen Umstand ab, bei dem es sich nach den obigen Ausführungen auch um einen unvermeidbaren technischen Defekt handeln kann. Wenn aber allein der unvermeidbare technische Defekt Anknüpfungspunkt für eine Exkulpation der Beklagten ist, verbietet sich ein Rückgriff auf einen möglichen Austausch des Fluggerätes. Der konkrete technische Defekt an einem Einsatzflugzeug wird nicht dadurch vermeidbar, dass man das planmäßige, defekte Fluggerät gegen ein technisch einwandfreies anderes Flugzeug austauscht. Zum anderen stellt es vorliegend kein Organisationsverschulden der Beklagten dar, dass sie letztlich nicht in der Lage war, ein Ersatzflugzeug für die defekte Maschine zu stellen.

13. Ihre entsprechenden erfolglosen Bemühungen hat die Beklagte hinreichend substantiiert dargelegt, ohne dass die Kläger dies zulässig bestritten hätten. Soweit die Kläger meinen, der Beklagten obliege grundsätzlich die Verpflichtung, für einen annullierten Flug stets zeitnah ein Ersatzflugzeug bereitzuhalten, ist dem nicht zu folgen. Es ist der Beklagten ebenso wie allen anderen Fluggesellschaften nicht zuzumuten, an jedem von ihr angeflogenen Zielflughafen mindestens ein Ersatzflugzeug außerhalb des planmäßigen Flugverkehrs bereitzuhalten, um für Fälle wie den vorliegenden zeitnah eine Ersatzmaschine bereitstellen zu können. Fluggesellschaften wie Flughafen würden unmittelbar an ihre logistischen Grenzen stoßen, wollte man dieser grundsätzlichen Forderung der Kläger nachgeben.

14. Nach alledem ist die Beklagte nicht verpflichtet, eine Ausgleichszahlung an die Kläger zu leisten.

15. Der Rechtsstreit war entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht gemäß § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit im Hinblick auf das von ihnen zitierte Vorabentscheidungsersuchen des O/Dänemark vom 21.09.2006 beim Europäischen Gerichtshof auszusetzen. Denn eine Verfahrensaussetzung gemäß § 148 ZPO steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Eine Ermessensreduzierung auf Null mit der Folge einer Aussetzungspflicht kommt nur dann in Betracht, wenn das Gericht eine Vorabentscheidung des EuGH nach Art. 234 Abs. 2 EGV für notwendig hält; ist dies nicht der Fall, weil das nationale Gericht keine Zweifel an der Richtigkeit der Auslegung des EG-Rechts hat, entfällt sowohl eine Vorlagepflicht als auch die Pflicht zur Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über ein bereits anhängiges Vorabentscheidungsersuchens. Da die deutsche Rechtsprechung bislang die hier streitgegenständliche Frage, ob technische Probleme als außergewöhnliche Umstände im Sine des Art. 5 Abs. 3 der VO (EG) 261/04 anzusehen sind, offenbar einheitlich bejaht hat, hat auch das erkennende Gericht keine Zweifel an der insoweit erfolgten Auslegung des Gemeinschaftsrechts. Eine Aussetzung kam deshalb nicht in Betracht.

16. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

17. Streitwert: EUR 250,– bis zum 20.12.2006; danach Euro 500,–

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