Benefit Plus-Programm bei Vielfliegern

AG Köln: Benefit Plus-Programm bei Vielfliegern

Eine Reisende buchte bei einer Airline einen Linienflug im Rahmen einer Geschäftsreise. Hierzu nutzte sie ein Sonderkonditionsprogramm, welches ihrer Firma Flugbuchungen zu vergünstigten Preisen ermöglichte. Weil sich der gebuchte Flug verspätete, fordert die Reisende nun eine Ausgleichszahlung.

Das Amtsgericht Köln hat die Klage abgewiesen. Ausgleichszahlungen im Sinne der Fluggastrechte Verordnung stünden nur Fluggästen zu, die einen öffentlichen Tarif gebucht hätten. Nicht öffentliche Sonderkonditionen fallen nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung.

AG Köln 136 C 155/15 (Aktenzeichen)
AG Köln: AG Köln, Urt. vom 04.11.2016
Rechtsweg: AG Köln, Urt. v. 04.11.2016, Az: 136 C 155/15
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Amtsgericht Köln

1. Urteil vom 04. November 2016

Aktenzeichen 136 C 155/15

Leitssätze:

2. Schadensersatzansprüche für annullierte Flüge gemäß der Fluggastrechteverordnung gelten nicht, wenn die betreffenden Flugreisen über Sonderkonditionsprogramme gebucht worden sind, die nicht öffentlich, sondern einem eingegrenzten Kundenkreis (z.B. Unternehmen einer bestimmten Größe) vorbehalten sind.

Die fragliche Buchung eines Fluges zu Sonderkonditionen über Dritte kann nicht mit Nichtwissen bestritten werden, da der Flugreisende beim Buchenden die Buchungskonditionen erfragen kann und muss.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin begehrte von der Beklagten, einer Fluggesellschaft, aus dem abgetretenen Recht einer Mitarbeiterin Schadensersatz für die Annullierung zweier Flüge. Diese waren für eine Dienstreise gebucht worden. Auf die Verweigerung der Ausgleichszahlung hin forderte die Klägerin diese vor dem Amtsgericht Köln ein.

Die Beklagtenseite verteidigte sich unter anderem mit dem Umstand, dass die betreffenden Flüge zu Sonderkonditionen gebucht worden war, welche nur Großkunden wie der Firma der Klägerin zugänglich sind. Dies bestritt die Klägerin mit Nichtwissen, da die Flüge über einen dritten Dienstleister gebucht worden waren.

Das Gericht folgte der Argumentation der Beklagten und wies die Klage ab, denn die Regelungen der Fluggastrechteverordnung gelten nicht für Passagiere, die gratis oder zu Rabatten reisen, welche nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind. Darüber hinaus hätte es der Klägerin oblegen, sich bei dem buchenden Dienstleister über die Konditionen zu erkundigen. Da sie dies versäumt hat, kann die strittige Buchung zu Sonderkonditionen nicht mit Nichtwissen abgestritten werden.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die gegen sie gerichtete Zwangsvollstreckung aus dem Urteil gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung der Klägerin wird zugelassen.

Tatbestand:

5. Die Klägerin nimmt die Beklagte, die eine Fluggesellschaft betreibt, aus abgetretenem Recht auf Zahlung von Ausgleichsansprüchen gemäß Art. 7 VO (EG) 261/2004 in Anspruch.

6. Die Beklagte hat für ihre Kunden – abhängig von dem mit diesen erwirtschafteten Umsatzvolumen – ein ausdifferenziertes Vergünstigungssystem entwickelt: Für Privatkunden bietet sie unter der Bezeichnung „Miles & More „ein Kundenbindungsprogramm an, bei dem Teilnehmer die Möglichkeit haben, durch eine Inanspruchnahme von Leistungen der Beklagten (oder einem der mehr als 300 Partner dieses Programms) sogenannte Meilen zu sammeln; diese können dann gegen (Sach-)Prämien oder sonstige Vergünstigungen der Beklagten (oder eines Partners des „Miles & More“-Programms) eingetauscht werden.

7. Kleineren und mittelständischen Unternehmen bietet die Beklagte unter der Bezeichnung „Benefit Plus-Programm“ ähnliche Vergünstigungen an: Die sogenannten „kleineren Business-Kunden“ können bei einer Inanspruchnahme von Leistungen Bonuspunkte sammeln, die sie dann gegen Prämien eintauschen können.

8. Mit großen Industrieunternehmen, mit denen die Beklagte erhebliche Umsätze erwirtschaftet, schließt sie unter der Bezeichnung „Corporate Net Rates“ eigene (zweiseitige) Verträge mit Sonderkonditionen ab, zu denen die sogenannten „großen Business-Kunden“ für Geschäftsreisen (der Mitarbeiter) Leistungen der Beklagten buchen können. Hierfür gewährt die Beklagte verschiedene Vergünstigungen in Form von direkten und indirekten Rabatten.

9. Eine solche Firmenvereinbarung hat die Beklagte auch mit der Klägerin abgeschlossen (Tarif Corporate N.).

10. Die Zeugin I.I., eine Mitarbeiterin der Klägerin, reiste im März 2013 aus dienstlichem Anlass von Manchester (England) nach Frankfurt/Main. Hierfür hatte die Klägerin über ihren Travel-Manager, die Firma Reisebüro CCC Travel Germany GmbH in J., für den 12.03.2013 einen Platz auf dem Flug der Beklagten XX 000 ab Manchester (geplanter Abflug: 09:45 Uhr) nach Frankfurt/Main gebucht. Die Rückreise erfolgte (unstreitig) am 25.05.2013 mit dem Flug der Beklagten XX 001 von Frankfurt nach Manchester. Der Gesamtpreis betrug 262,48 €, die Entfernung zwischen beiden Städten beträgt nach der Methode der Großkreisentfernung (unstreitig) 831 km.

11. Unstreitig wurde der Hinflug nach Frankfurt XX 000 am 12.03.2013 annulliert. Anschließend wurde die Zeugin I. zunächst auf den Flug XX 001 gebucht, der am 12.03.2013 um 12:25 Uhr hätte starten sollen; weil die Beklagte auch diesen Flug annullierte, wurde die Zeugin schließlich mit dem Flug XX 000 am 13.03.2013 nach Frankfurt gebracht (Blatt 61 der Akte: Auszug des streitgegenständlichen Tickets der Zeugin I.I.).

12. In der Folge hat die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 27.04.2015 (Blatt 11 – 11 R. der Akte) wegen der Annullierung des Hinfluges die Leistung einer Entschädigung nach Art. 7 Abs. 1 lit. a) VO (EG) 261/2004 verlangt und hierzu eine Zahlungsfrist bis zum 08.05.2015 gesetzt. Weil die Beklagte weder innerhalb der gesetzten Frist noch im weiteren Verlauf der Zahlungsaufforderung nachgekommen ist, verfolgt die Klägerin ihren Anspruch nunmehr auf dem Rechtsweg weiter und verlangt darüber hinaus die Erstattung vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten.

13. Im Hinblick auf ihre Aktivlegitimation behauptet die Klägerin unter Bezugnahme auf die Reiserichtlinien ihres Unternehmens (Blatt 14 – 14 R. der Akte), die Zeugin I.I. habe sämtliche Ansprüche gegen die Beklagte im Hinblick auf die Annullierung an die Klägerin abgetreten. In diesem Zusammenhang legt sie zusätzlich eine Abtretungserklärung der Zeugin I.I. vom 29.03.2016 vor, wegen deren Inhalt auf die zu den Akten gereichte Kopie (Blatt 42 der Akte) Bezug genommen wird. Die Klägerin ist der Ansicht, die Abtretung sei wirksam und der Wortlaut der Abtretungserklärung hinreichend bestimmt.

14. Ferner ist die Klägerin der Auffassung, die Regelungen der VO (EG) 261/2004 seien anwendbar, insbesondere die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes nach Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 seien nicht erfüllt, selbst dann nicht, wenn der Travelmanager den Flug über den Tarif Corporate Merck gebucht haben sollte, was sie allerdings mit Nichtwissen bestreitet. Denn bei den Corporate-Net-Rate-Tarifen der Beklagten handele es sich um ein bloßes Kundenbindungsprogramm; diese Tarife stünden jedem Unternehmen ab einem gewissen Umsatz offen. So habe die Beklagte ausnahmslos mit allen (großen) Industrieunternehmen, die Leistungen der Beklagten in erheblichem Umfang in Anspruch nehmen, spezielle Preisabsprachen getroffen. Ziel dieses „PartnerPlus Progress- Programms“ der Beklagten sei – wie bei allen anderen Kundenbindungsprogrammen – die Steigerung des Umsatzes durch die „Kraft des Preises“ (Kundenbindung im industriellen Umfeld).

15. Schließlich meint die Klägerin, die Beklagte sei zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verpflichtet, auch dann, wenn die Voraussetzungen des Verzuges nicht erfüllt seien: Denn diese habe gegen ihre Pflicht aus Art. 14 Abs. 2 VO (EG) 261/2004 zur Aushändigung eines schriftlichen Hinweises über das Bestehen von Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen verstoßen.

16. Mit der am 20.01.2016 bei Gericht eingegangenen Klage hat die Klägerin ursprünglich zusätzlich zu der Entschädigung nach VO (EG) 261/2004 auch die Erstattung des für die Flüge gezahlten Entgelts in Höhe von 263,- € verlangt und demgemäß beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 513,- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.05.2015 sowie 72,- € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Im Verlauf des Rechtsstreits hat die Klägerin dann (ohne Zustimmung der Beklagten) in Höhe der gezahlten Gegenleistung sowie im Hinblick auf den darauf entfallenden Teil der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten die Klage zurückgenommen.

17. Die Klägerin beantragt nunmehr,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 250,- EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.05.2015 sowie 40,95 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.

18. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

19. Die Beklagte ist der Auffassung, der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch schon deshalb nicht zu, da es an der Aktivlegitimation fehle: Ein unmittelbarer Anspruch (aufgrund der Reiserichtlinien des Unternehmens) bestehe nicht, da die Klägerin als Arbeitgeberin der Zeugin I.I. keine immateriellen Ansprüche geltend machen könne; auch aus abgetretenem Recht könne die Klägerin hier nicht vorgehen, da die vorgelegte Abtretungsvereinbarung nicht hinreichend bestimmt sei.

20. Weiter ist die Beklagte der Auffassung, Ansprüche aus der VO (EG) 261/2004 seien gemäß deren Art. 3 Abs. 3 ausgeschlossen: Hierzu behauptet sie, die Buchung sei über den Tarif Corporate Merck erfolgt; dieser beinhalte einen für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen preisreduzierten Sondertarif, der nur für die Klägerin (und andere Großkunden in ähnlicher Form) angeboten werde.

21. Zudem behauptet die Beklagte, den Flug XX 000 habe sie aufgrund außergewöhnlicher Umstände annullieren müssen: Im Bereich des Flughafens Frankfurt/Main habe es am 12.03.2013 erheblichen Schneefall gegeben, was zu massiven Einschränkungen des Flugverkehrs geführt habe. Zwischen 9:45 Uhr UTC und 14:00 Uhr UTC sei der Flughafen vollständig für den Flugverkehr gesperrt gewesen, bis 19:00 Uhr UTC hätten keine Flugzeuge landen können. In der übrigen Zeit hätten nicht alle Start- und Landebahnen zur Verfügung gestanden und die Deutsche Flugsicherung habe die An- und Abflugraten erheblich herabgesetzt. Flüge, die noch hätten starten können, seien aufgrund des Wetters und deshalb notwendiger Enteisungsmaßnahmen von erheblichen Verspätungen betroffen gewesen.

22. Schließlich ist die Beklagte der Auffassung, ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten bestehe nicht; insbesondere sei bei der Klägerin kein „Informationsdefizit“ erkennbar, so dass keine Notwendigkeit zur außergerichtlichen Beauftragung eines Rechtsanwalts bestanden habe. Auch aus Verzug bestehe kein Anspruch, zumal die Klägerin trotz Aufforderung keine schriftliche Abtretungserklärung gemäß § 410 BGB vorgelegt habe.

23. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Sinne von § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

24. Nach Auffassung des Gerichts ist die Klage – soweit die Klägerin sie nicht ohnehin zurückgenommen hat, was vorliegend auch ohne Zustimmung der Beklagten zulässig war, da im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 06.04.2016 keine Anträge gestellt wurden, § 269 Abs. 1 ZPO – nicht begründet: Die Klägerin hat gegen die Beklagte hinsichtlich der streitgegenständlichen Hauptforderung keinen Anspruch auf Zahlung von 250,- € gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c), 7 Abs. 1 lit. a) VO (EG) 261/2004, § 398 BGB, der insoweit allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage.

25. Dabei braucht im Ergebnis nicht entschieden zu werden, ob die Klägerin wegen Unwirksamkeit oder unzureichender Bestimmtheit der Abtretung nicht aktivlegitimiert ist, oder ob der Anspruch hier gemäß Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 ausgeschlossen ist, weil die Beklagte nachgewiesen hat, dass die Annullierung auf außergewöhnlichen Umständen beruhte, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind (vgl. EuGH, Urteil vom 19.11.2009, – C-402/07 Sturgeon –, zitiert bei juris).

26. Dies alles kann offen bleiben, da sich das Gericht der Auffassung der Beklagten anschließt, dass für die streitgegenständliche Buchung der in Art. 3 Abs. 3 der VO normierte Ausschluss eingreift.

27. Danach gelten die Regelungen der VO (EG) 261/2004 nicht für Fluggäste, die kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist, wohl aber für Fluggäste mit Flugscheinen, die im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder anderer Werbeprogramme von einem Luftfahrt- oder Reiseunternehmen ausgegeben wurden.

28. Der Ausschlussgrund setzt also zum Einen voraus, dass der Tarif für die Öffentlichkeit nicht verfügbar ist, zum Anderen muss er auch reduziert sein.

29. Zu der letztgenannten Voraussetzung hat die Beklagte vorgetragen, die Klägerin habe die Flüge zwischen Manchester und Frankfurt für ihre Mitarbeiterin, die Zeugin I.I., über den Tarif Corporate Merck zum Preis von 262,48 € gebucht. Dabei habe es sich um einen Verkauf der Flugtickets zu einem reduzierten Tarif gehandelt, d.h. eine Buchung zum „Normaltarif“ wäre teurer gewesen.

30. Diesem Vortrag ist die Klägerin nicht hinreichend entgegengetreten, worauf bereits die Beklagte – nach Ansicht des Gerichts: zu Recht – hingewiesen hat: Denn die Klägerin selbst hat eingeräumt, die für sie als Travelmanager tätige Firma Reisebüro CCC Travel Germany GmbH in J., über die der jeweilige Mitarbeiter seine Flüge buche, vergleiche stets, ob nicht derselbe Flug außerhalb des Tarif Corporate Merck zu gleichen oder besseren Bedingungen auf dem freien Markt erhältlich ist; sodann hat sie eine Buchung über den Tarif Corporate Merck „mit Nichtwissen“ bestritten, was indessen nach § 138 Abs. 4 ZPO unzulässig ist. Denn bei dieser Vorschrift geht es nicht (nur) um die Zurechnung von Kenntnissen bestimmter Dritter, wie etwa beim sogenannten Wissensvertreter, sondern (auch) um eine Informationspflicht der Partei, die Kenntnis aus eigener Wahrnehmung nicht hat, sich diese aber beschaffen kann (von Selle in: Beck’scher Online-Kommentar zur ZPO, Stand: 01.09.2016, § 138 Rn. 25 mit weiteren Nachweisen).  Aufgrund dieser Informationspflicht können Vorgänge im eigenen Geschäfts- oder Verantwortungsbereich einer Partei den eigenen Handlungen oder Wahrnehmungen im Sinne von § 138 Abs. 4 ZPO gleich zu achten sein. Eine Partei soll sich nicht zum prozessualen Nachteil der anderen hinter ihrer arbeitsteiligen Binnenorganisation verschanzen können. Daher trifft die Partei eine Erkundigungspflicht, sofern die maßgebenden Tatsachen Personen bekannt sind, die in ihrem Unternehmen oder sonst unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig sind. Dies hat zur Folge, dass eine Erklärung mit Nichtwissen unzulässig ist, wenn und soweit diese Informationspflicht besteht. Erst bei unklarem oder widersprüchlichem Ermittlungsergebnis darf die Partei wieder mit Nichtwissen bestreiten, sofern sie das Resultat ihrer Erkundigungen im Prozess offenlegt.

31. Nach diesen Maßstäben ist damit ein Bestreiten der Buchung über die Sonderkonditionen des Corporate-Merck-Tarifs und des Erwerbs preisreduzierter Flugscheine mit Nichtwissen unzulässig, da die Klägerin verpflichtet war, sich bei ihrem Travelmanager über die Buchung zu erkundigen, dem die maßgeblichen Tatsachen der Buchung bekannt sind; zudem ist die Buchungsstelle – nach dem eigenen Vortrag der Klägerin – intern verpflichtet, im Auftrag und für das Unternehmen der Klägerin den preiswertesten Flug zu buchen.

32. Kommt die Klägerin ihrer Erkundigungspflicht nicht nach und/oder legt sie im Prozess keine Hinderungsgründe oder das Ergebnis der Nachforschungen mit, wirkt sich dies in prozessualer Hinsicht zu ihren Lasten aus, d.h. das Bestreiten ist unbeachtlich und für die Entscheidung ist der Sachvortrag der Beklagten zugrunde zu legen.

33. Der Tarif Corporate Merck ist weiter nach Auffassung des Gerichts auch nicht „für die Öffentlichkeit“ verfügbar.

34. Außer Frage steht, dass die kostenlose Beförderung eines Mitarbeiters nach dem Tarif Corporate Merck (wie die eines jeden Fluggastes) aus dem Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 261/2004 ausgenommen ist. Problematisch – und dementsprechend hier zwischen den Parteien heftig umstritten – ist jedoch die Frage, ob auch ein bloß ermäßigter Tarif für Geschäftsreisen von Mitarbeitern der Klägerin (oder anderer Großkunden der Beklagten) unter Art. 3 Abs. 2 VO (EG) 261/2004 subsumiert werden kann: Denn immerhin steht er für dienstliche Reisen allen Mitarbeitern von Unternehmen offen, die eine Corporate-Net-Rate-Vereinbarung mit der Beklagten abgeschlossen haben. Zudem haben alle Großunternehmen ab einem gewissen Umsatz für Flugreisen die Möglichkeit, mit der Beklagten eine solche Sondervereinbarung abzuschließen. Damit aber steht dieser Tarif und damit die Möglichkeit eines Erwerbs preisreduzierter Flugscheine einer begrenzten Öffentlichkeit offen.

35. In diesem Zusammenhang ist allerdings auf die bereits ergangene (und von der Beklagten zitierte) Entscheidung hinzuweisen, dass selbst ein „Journalisten-Tarif“ als ein „für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbarer Tarif“ anzusehen ist (LG Frankfurt, Urteil vom 06.06.2014 – 24 S 207/134 –). Wenn aber selbst eine für „alle Journalisten“ offenstehende Möglichkeit zur preisreduzierten Buchung nicht als „öffentlich verfügbar“ angesehen wird, spricht dies maßgeblich dafür, auch den Tarif Corporate Merck entsprechend zu bewerten. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Reisende nach den Corporate-Net-Tarifen ausschließlich aufgrund besonderer persönlicher Merkmale – nämlich: in ihrer Eigenschaft als Mitarbeiter bestimmter Unternehmen (vgl. Wahl. RRa 2013, 262 [264]) – und nur für bestimmte Reisen – nämlich: bei Flügen aus dienstlichem Anlass für das jeweilige Unternehmen – in den Genuss des preisreduzierten Tarifes kommen. Schon im Falle einer privat veranlassten Reise können dieselben Mitarbeiter nicht mehr nach dem Corporate-Net-Tarif buchen. Von einem öffentlich verfügbaren Tarif kann auch nach Auffassung des Gerichts unter diesen Umständen nicht die Rede sein, da lediglich ein eingeschränkter Nutzerkreis für bestimmte Reisen profitiert.

36. Etwas anderes folgt nach Ansicht des Gerichts auch nicht aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 VO (EG) 261/2004. Danach gelten die Regelungen der Fluggastrechteverordnung für Fluggäste mit Flugscheinen, die im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder anderer Werbeprogramme von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen ausgegeben wurden.

37. Zwar ist das Gericht im Ansatz mit der Klägerin der Ansicht, dass vorliegend auch der Tarif Corporate Merck per definitionem durchaus als „Kundenbindungsprogramm“ anzusehen ist, da die Beklagte mit ihrem Angebot an Großunternehmen, einen Corporate-Net-Tarif-Vertrag abzuschließen, das Ziel verfolgt, diese mit Rabatten als „Kunden zu binden“ und „aus Laufkundschaft Stammkundschaft“ zu generieren (Kundenbindung im industriellen Umfeld). Da dies jedoch grundsätzlich – mit Ausnahme von (einmaligen) Sonderaktionen aus besonderem Anlass – das einzige Ziel von Rabatt-Angeboten sein kann, würde bei konsequenter Anwendung der Geltungsbereich von Art. 3 Abs. 3 S. 1 VO (EG) im Hinblick auf die für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbaren Tarife nahezu vollständig aufgehoben (mit Ausnahme von Rabatten gegenüber eigenen Mitarbeitern der Luftfahrtunternehmen). Aus diesem Grund ist hier eine einschränkende Auslegung dahingehend geboten, dass die Verordnung für Fluggäste gilt, die mit Flugscheinen reisen, die als Prämie im Rahmen eines Kundenbindungsprogrammes oder anderer Werbeprogramme ausgegeben wurden. In diese Richtung deuten auch die von der Europäischen Kommission herausgegebenen Leitlinien zur Auslegung der VO (EG) 261/2004 vom 10.06.2016:

38. „(…)

2.2.2. Nichtanwendung auf Fluggäste, die kostenlos oder zu einem reduzierten Tarife reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist

Gemäß Art. 3 Absatz 3 gilt die Verordnung nicht für Fluggäste, die kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist. Unter diese Bestimmung fallen Sondertarife, die die Luftunternehmen ihrem Personal anbieten. Gemäß Art. 3 Absatz 3 gilt die Verordnung hingegen für Fluggäste, die mit Flugscheinen reisen, die als Prämie im Rahmen eines Kundenbindungsprogramm oder anderer Werbeprogramme ausgegeben wurden.

(…)“

39. Im Ergebnis bleibt damit festzuhalten, dass im Hinblick auf den streitgegenständlichen Flug die Regelungen der VO (EG) 261/2004 keine Anwendung finden, so dass die Klage bezüglich der Hauptforderung und damit auch der geltend gemachten Nebenforderungen (Zinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten) abzuweisen ist.

40. Jedoch ist nicht zu verkennen, dass – soweit ersichtlich und wie auch die Beklagte ausgeführt hat – die streitentscheidenden Fragen (nämlich: unter welchen Voraussetzungen eine Reise zu einem reduzierten Tarif vorliegt, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist, und was unter Kundenbindungsprogramm zu verstehen ist) nicht abschließend gerichtlich geklärt sind und auch in der Literatur nicht einheitlich beantwortet werden (vgl. Schmid, NJW 2015, 513 ff.). Da darüber hinaus zwischen den Parteien rund 100 Verfahren mit genau derselben rechtlichen Problematik offen sind, ist eine endgültige Klärung wünschenswert, weshalb eine Berufung nach § 511 Abs. 4 ZPO zugelassen wird.

41. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 1, 711, 709 S. 2 ZPO.

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