Ausschluss eines Ausgleichsanspruchs wegen außergewöhnlicher Umstände

LG Köln: Ausschluss eines Ausgleichsanspruchs wegen außergewöhnlicher Umstände

Die Klägerin hatte bei der Beklagten einen Flug gebucht, der sich verspätete. Dies lag an Maßnahmen der Flugaufsicht EUROCONTROL im Zusammenhang mit der zeitweiligen Schließung des Zielflughafens. Dafür verlangte sie Ausgleichszahlung. Dem gab das erstinstanzliche Gericht statt.

Auf die Berufung der Beklagten wies das Landgericht die Klage ab.

LG Köln 11 S 107/16 (Aktenzeichen)
LG Köln: LG Köln, Urt. vom 16.05.2017
Rechtsweg: LG Köln, Urt. v. 16.05.2017, Az: 11 S 107/16
AG Köln, Urt. v. 17.03.2016, Az: 140 C 243/15
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Landgericht Köln

1. Urteil vom 16. Mai 2017

Aktenzeichen 11 S 107/16

Leitsatz:

2. Verspätet sich ein Flug wegen kurzfristigen Maßnahmen der Flugaufsicht und einer zeitweiligen Schließung des Zielflughafens, kann darin ein außergewöhnlicher Umstand liegen.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin hatte bei der Beklagten einen Flug nach Istanbul gebucht, der sich verspätete. Dies lag an mehreren kurzfristigen Maßnahmen der Flugaufsicht EUROCONTROL im Zusammenhang mit der zeitweiligen Schließung des Zielflughafens. Dafür verlangte sie Ausgleichszahlung. Dem gab das erstinstanzliche Gericht statt.

Auf die Berufung der Beklagten wies das Landgericht die Klage ab. Bei den Flugaufsichtsmaßnahmen und der Flughafenschließung habe es sich um außergewöhnliche Umstände gehandelt, die von außen auf den Flugbetrieb der Beklagten eingewirkt hätten. Die Beklagte habe alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen bzw. hätte auch durch weitere zumutbare Maßnahmen die Verspätung nicht verhindern können. Daher sei ein Ausgleichsanspruch ausgeschlossen.

Tenor

4. Auf die Berufung wird das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 17.03.2016 – 140 C 243/15 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin zu 2. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klägerin zu 2. mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1., die von diesem zu tragen sind.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

5. – von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gem. §§ 313a Abs. 1 Satz 1, 540 Abs. 2 ZPO abgesehen –

6. Zunächst ist festzustellen, dass die Berufung sich nur gegen die Klägerin zu 2. richtet. Zwar war im Rubrum der Berufungsschrift auch der Kläger zu 1. genannt worden. Dieser hatte aber seine Klage bereits mit Schriftsatz vom 25.11.2015 zurückgenommen, sodass insoweit ein Rechtsstreit mit der Beklagten schon nicht rechtshängig war und eine Berufung gegen diesen ins Leere gehen würde.

7. Die Berufung hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.

8. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Er ergibt sich insbesondere nicht aus Art. 5 Abs. 1 c), 7. Abs. 1 b) VO (EG) 261/2004 (FluggastrechteVO). Ein solcher Anspruch ist ausgeschlossen, weil die streitgegenständliche Verspätung auf außergewöhnlichen Umständen im Sinne des Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO beruhte und die Klägerin alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Verspätung zu vermeiden.

1.

9. Nach dem gesamten Inhalt der mündlichen Verhandlung und dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer im gem. § 286 ZPO erforderlichen Maße davon überzeugt, dass die streitgegenständliche Verspätung darauf zurückzuführen war, dass die Flugsicherung EUROCONTROL für den streitgegenständlichen Flug einen Airway Slot für die geplante Abflugzeit von 20:05 Uhr LT / 18:05 Uhr UTC aufgrund von Kapazitätsmängeln bzw. einer Überlastung am Flughafen Istanbul Sabiha nicht bereitgestellt, sondern nach mehrfacher Verschiebung des Slots zuletzt einen Airway Slot für 21:35 Uhr LT / 19:35 Uhr UTC zugewiesen hatte. Mit diesem Airway Slot hätte die Maschine aber mit der berechneten Flugzeit den Zielflughafen nicht mehr erreichen können, da dieser Flughafen aufgrund von zu dieser Zeit stattfindenden Sanierungsarbeiten während der Zeit von 01:30 Uhr LT / 22:30 Uhr UTC bis 05:30 Uhr LT / 02:30 Uhr UTC für An- und Abflüge gesperrt war. Der zuletzt zugewiesene Airway Slot musste daher von der Beklagten ausgeschlagen werden, woraufhin schließlich – nach einer weiteren Verschiebung – ein Airway Slot für 04:20 Uhr LT / 02:20 Uhr UTC zugewiesen und genutzt wurde, nachdem eine Standby-Crew beigezogen worden war, die anstelle der ursprünglich vorgesehenen Crew den Flug ohne Überschreitung der zulässigen Höchst-Dienstzeit durchführen konnte.

10. Die Kammer stützt ihre Überzeugung insbesondere auf die Aussage des Zeugen X. Dieser hat die vorstehenden Umstände glaubhaft bekundet. Der Zeuge ist als Leiter der Verkehrszentrale der Beklagten mit den Umständen, die Verspätungen von Flügen der Beklagten zugrundeliegen, vertraut und hat Zugriff auf die entsprechenden Daten, die der Beklagten insoweit zur Verfügung stehen. Er hat insoweit unter Hinzuziehung entsprechender Unterlagen gem. § 378 Abs. 1 ZPO nachvollziehbar, anschaulich und frei von Widersprüchen die Umstände bekundet, die zu der Verspätung geführt haben. Insbesondere hat er auch nachvollziehbar dargelegt, dass der Beklagten zwar seit einer NOTAM-Meldung vom 15.06.2015 bekannt gewesen war, dass der Zielflughafen am hier maßgeblichen Tag in der Zeit von 22:30 Uhr UTC bis 02:30 Uhr UTC nicht anfliegbar war. Er hat aber auch nachvollziehbar dargelegt dass die Beklagte von der Verschiebung des Airway Slots, die überhaupt erst dazu geführt hat, dass die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Flug den Flughafen vor dieser Schließung nicht mehr erreichen konnte, erst kurz vor dem geplanten Abflug, nämlich erstmals um 18:07 Uhr LT / 16:07 Uhr UTC erfahren hatte. Tatsächlich habe man ursprünglich bei der Flugplanerstellung für den planmäßigen Flug einen Airport Slot vom Zielflughafen erhalten gehabt. Darauf, dass derartige Airport Slots eingehalten werden, könne man sich üblicherweise verlassen. Auch hat der Zeuge überzeugend dargelegt, dass es auszuschließen sei, dass die Maschine mit dem auf 21:35 Uhr LT / 19:35 UTC verschobenen Airway Slot den Zielflughafen vor dessen Schließung noch hätte erreichen können. Die insoweit errechnete Flugzeit ergebe sich insbesondere aus dem Routing und den Windverhältnissen. Über einen schnelleren Flug und einen Mehrverbrauch an Kerosin hätte man dies nicht ausgleichen können. An der Glaubwürdigkeit des Zeugen bestehen keine Bedenken. Der Zeuge hat betont sachlich vorgetragen und war erkennbar darauf bedacht, nur die ihm bekannten Umstände wahrheitsgemäß zu bekunden.

11. Anders als vom Vordergericht beurteilt, stellen die vorstehend geschilderten Vorkommnisse einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO dar. Als Ursachen, die außergewöhnliche Umstände begründen können, kommen solche Vorkommnisse in Betracht, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und die aufgrund ihrer Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind (EuGH, NJW 2009, 347). Dies sind Umstände, die nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechen, sondern außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann. Es sollen Ereignisse erfasst werden, die nicht zum Betrieb des Luftverkehrsunternehmens gehören, sondern als – jedenfalls in der Regel – von außen kommende besondere Umstände dessen ordnungs- und plangemäße Durchführung beeinträchtigen oder unmöglich machen können. Dies bedeutet aber auch, dass außergewöhnliche Ereignisse nicht per sé zum Wegfall der Ausgleichspflicht führen. Dies ist vielmehr nur dann der Fall, wenn sich ihre Folgen für die planmäßige Durchführung des Flugplans des Luftverkehrsunternehmens auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn von diesem alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Dies macht zugleich deutlich, dass ein bestimmtes außergewöhnliches Ereignis wie beispielsweise ein Erdbeben oder ein Orkan nicht schon für sich genommen zur Entlastung des Luftverkehrsunternehmens führt, sondern nur dann, wenn die hierdurch hervorgerufenen Bedingungen für die Durchführung eines geplanten Flugs auch bei Aufbietung aller möglichen und zumutbaren Mittel nicht in der Weise verändert oder sonst beeinflusst werden können, dass ein hiervon betroffener Flug planmäßig durchgeführt werden kann (BGH, NJW 2014, 859; EuGH, NJW 2009, 347).

12. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe stellen die von der Beklagten bewiesenen Umstände einen außergewöhnlichen Umstand dar. Bei den von EUROCONTROL angeordneten Maßnahmen der Luftraumbeschränkung und daraus folgend der Verschiebung des Airway Slots für den streitgegenständlichen Flug handelte es sich um ein von außen wirkendes Ereignis, auf das die Beklagte keinen Einfluss hat. Ein Luftverkehrsunternehmen muss zwar bei seiner Planung von den im Flugplan vorgesehenen Start- und Landezeiten ausgehen und selbst alles ihm Mögliche und Zumutbare tun, damit von seiner Seite die Voraussetzungen für die Einhaltung des Flugplans geschaffen und aufrechterhalten werden. Ein Luftverkehrsunternehmen, dem für einen bestimmten Flug eine Startzeit am Abflugort zugewiesen ist, hat aber keinen Einfluss darauf, ob ihm, auch wenn es selbst alle hierfür erforderlichen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen erfüllt hat, tatsächlich auch der Abflug zur vorgesehenen Zeit gestattet wird. Nicht anders als Wetterbedingungen, die der planmäßigen Durchführung eines Flugs entgegenstehen, können Entscheidungen der Luftverkehrsbehörden oder eines Flughafenbetreibers „von außen“ in den vorgesehenen Flugverlauf eingreifen. Erwägungsgrund 15 der Fluggastrechteverordnung zählt demgemäß auch „Entscheidungen des Flugverkehrsmanagements“ („air traffic management decision“) zu einem einzelnen Flugzeug, die unvermeidbare Verspätungen oder Annulierungen von mit diesem zu absolvierenden Flügen zur Folge haben, zu den außergewöhnlichen Umständen (vgl. BGH, NJW 2014, 859).

13. Auch im vorliegenden Fall hatte die Beklagte keinen Einfluss auf die kurzfristigen Maßnahmen der Flugsicherheitsbehörde. Der Umstand, dass die Verschiebung des Airway Slots erst in Verbindung mit der der Beklagten länger bekannten nächtlichen Schließung des Zielflughafens zu der Verspätung in diesem Ausmaße geführt hat, ändert an dieser Einschätzung nichts. Denn entscheidend für die Verspätung war letztlich nicht die zeitweilige nächtliche Sperrung des Zielflughafens, sondern die kurzfristige Verschiebung des Airway Slots. Mit der planmäßigen Abflugzeit wäre der Zielflughafen vor dessen Sperrung ohne Weiteres erreicht worden. Die Beklagte durfte sich auch grundsätzlich auf die Einhaltung des ursprünglich im Flugplan vorgesehenen Startzeitpunkts verlassen. Einen Airport Slot am Zielflughafen hatte sie erhalten. Es wäre für ein Flugunternehmen schon wirtschaftlich nicht zumutbar, bei einer bekannten zeitlich eingeschränkten Anfliegbarkeit eines Flughafens ihren Flugplan so umzugestalten, dass sie im Hinblick auf die nie auszuschließende Möglichkeit, dass sich ein Airway Slot aufgrund von behördlichen Maßnahmen verschieben kann, vorsorglich auch solche Flüge streicht, die den betreffenden Flughafen planmäßig im unmittelbaren Zeitfenster vor dessen Schließung erreichen sollen.

2.

14. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der mündlichen Verhandlung ist die Kammer desweiteren davon überzeugt, dass die Beklagte auch alle erforderlichen und ihr zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um eine Verspätung des betreffenden Fluges abzuwenden. Welche Maßnahmen einem ausführenden Luftfahrtunternehmen zuzumuten sind, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zu einer erheblichen Verspätung eines Flugs führen oder Anlass zu seiner Annullierung geben, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Das Luftfahrtunternehmen hat insoweit darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass sich die Annullierung oder erhebliche Verspätung jedenfalls nicht durch der Situation angepasste Maßnahmen hätte vermeiden lassen, also solche, die zu dem Zeitpunkt, zu dem die außergewöhnlichen Umstände auftreten, für das betroffene Luftfahrtunternehmen insbesondere in persönlicher, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht tragbar sind (BGH, NJW 2014, 861). Danach hat das Luftfahrtunternehmen darzutun, dass es auf Störungen seines Flugplans, die als Folge eines außergewöhnlichen Ereignisses oder aus anderen Gründen, insbesondere wegen auftretender technischer Defekte, eintreten können, angemessen vorbereitet ist und die im Personenluftverkehr üblichen Vorkehrungen getroffen hat, um auf solche Störungen reagieren und die Annullierung oder erhebliche Verspätung eines hiervon betroffenen Flugs wenn möglich vermeiden zu können (BGH, NJW 2014, 861).

15. Dies ist der Beklagten gelungen. Insbesondere hat der Zeuge X glaubhaft bekundet, dass zum Beispiel eine Umleitung des Fluges auf den nahegelegenen Istanbuler Atatürk-Flughafen nicht erfolgversprechend gewesen wäre, da man auch hierfür einen Airway Slot hätte bekommen müssen. Da dieser Flughafen regelmäßig bis an die Grenze seiner Kapazitäten ausgelastet sei, hätte dies nicht bewerkstelligt werden können. Auch andere zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung der Verspätung sind nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin zu 2. in der Berufungserwiderung (Bl. 118 d.A.) vorträgt, dass die Beklagte den Flug rechtzeitig hätte annullieren müssen, kann sie damit nicht gehört werden. Ein solches Vorgehen wäre gänzlich kontraproduktiv gewesen und hätte eine Verspätung nicht nur nicht verringert, sondern den Fluggästen den beabsichtigten Flug letztlich gänzlich verwehrt. Die Zielrichtung dieses Einwandes ist daher weder rechtlich noch tatsächlich nachvollziehbar.

3.

16. Da der Hauptanspruch nicht besteht, ist auch die Zinsforderung unbegründet.

17. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

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