Ausgleichszahlung bei reduziertem Flugpreis

LG Darmstadt: Ausgleichszahlung bei reduziertem Flugpreis

Der Kläger verlangt für sich und seine Ehefrau von der beklagten Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung von je 400,00 € pro Person. Minderung über 78,00 €, Verpflegungsaufwand von 70,00 € und eine Nebenkostenpauschale von 25,00 €.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen legten die Kläger Berufung vor dem Landgericht ein. Diese hat größtenteils Erfolg.

Landgericht Darmstadt 7 S 95/10 (Aktenzeichen)
LG Darmstadt: LG Darmstadt, Urt. vom 02.03.2011
Rechtsweg: LG Darmstadt, Urt. v. 02.03.2011, Az: 7 S 95/10
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Landgericht Darmstadt

1. Urteil vom 02. März 2011

Aktenzeichen: 7 S 95/10

Leitsatz:

2. Die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 findet bei Pauschalreisen Anwendung.

Zusammenfasung:

3. Der Kläger verlangt für sich und seine Ehefrau von der beklagten Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung von je 400,00 € pro Person. Minderung über 78,00 €, Verpflegungsaufwand von 70,00 € und eine Nebenkostenpauschale von 25,00 €.
Der Kläger und seine Ehefrau buchten bei dem Reiseveranstalter eine Pauschalreise. Die Flugbeförderung erfolgte durch die Beklagte. Der Rückflug hatte 15 Stunden Verspätung.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen legten die Kläger Berufung vor dem Landgericht ein. Diese hat größtenteils Erfolg. Als Entscheidungsgründe für die Klägerin sieht das Landgericht einen Anspruch aus Art 3 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Diese ist deshalb anwendbar, weil es sich um eine Pauschalreise handelte, also alle Leistungsträger zusammengefasst wurden.

Tenor:

4. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des AGs Rüsselsheim vom 18.06.2010, Az: 3 C 279/10, abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 800,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.02.2010 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 18 % und die Beklagte 82 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die jeweils andere Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Gegenstandswert für den gesamten Rechtsstreit wird auf 976,00 € festgesetzt.

Die Revision wird mit den sich aus den Urteilsgründen ersichtlichen Einschränkungen zugelassen.

Entscheidungsgründe:

5. Der Kläger verlangt für sich und seine Ehefrau von der beklagten Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung von je 400,00 € nach Art. 7 VO (EG) 261/2004 pro Person (im Folgenden VO), Minderung über 78,00 €, Verpflegungsaufwand von 70,00 € und eine Nebenkostenpauschale von 25,00 €. Nach der (fehlerhaften) Berechnung des Klägers ergeben sich daraus insgesamt 976,00 € (tatsächlich sind es 973,00 €). Der Kläger und seine Ehefrau buchten bei dem Reiseveranstalter … eine Pauschalreise nach Sharm El Sheikh/Ägypten. Die Flugbeförderung erfolgte durch die Beklagte. Der Rückflug von Sharm El Sheikh nach Frankfurt am Main, der für den 24.09.2009, 19.55 Uhr angesetzt war, erfolgte mit einer Verspätung von 15 Stunden.

6. Das AG hat mit Urteil vom 18.06.2010 die Klage abgewiesen.

7. Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und beantragt, das AGliche Urteil abzuändern und die Beklagte zur Zahlung von 976,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.02.2010 zu verurteilen.

8. Die Beklagte hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

9. Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden, mithin zulässig.

10. In der Sache hat die Berufung auch überwiegend Erfolg.

11. Vorab wird gemäß § 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil des AGs Rüsselsheim verwiesen. Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser entscheidungserheblichen Feststellungen (§ 529 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO) sind nicht ersichtlich.

12. Auf Grund dieser ordnungsgemäß erhobenen Feststellungen und auch des weiteren Vorbringens in der Berufungsinstanz ist die Klage überwiegend begründet.

13. Dem Kläger und seiner mitreisenden Ehefrau steht jeweils eine Ausgleichsleistung in Höhe von 400,00 € für den verspätet durchgeführten Flug von Sharm El Sheikh nach Frankfurt am Main zu (Art. 7 Abs. 1 S. 1 Nr. b VO).

14. Entgegen der Ansicht der Beklagten und entgegen den Ausführungen im angefochtenen Urteil findet die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 auf den vorliegenden Fall Anwendung. Der in Art. 3 Abs. 3 der VO normierte Ausschluss greift hier nicht ein.

15. Art. 3 Abs. 3 der VO lautet: „Diese Verordnung gilt nicht für Fluggäste, die kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist. Sie gilt jedoch für Fluggäste mit Flugscheinen, die im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder andere Werbeprogramme von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen ausgegeben wurden“.

16. Nach dieser Bestimmung muss der Tarif für die Öffentlichkeit zum Einen nicht verfügbar sein, er muss aber auch reduziert sein. Dies setzt dann zwingend voraus, dass man den „Normaltarif“ mit dem tatsächlich gewährten reduzierten Tarif vergleichen kann. Ein solcher Vergleich kann im vorliegenden Fall aber nicht vorgenommen werden. Nicht die Beklagte selbst hat diesen Tarif dem Kläger gewährt, sondern die Buchung ist über einen Reiseveranstalter erfolgt. Ob und welchen Tarif dieser zur Verfügung stellt, ist aber nach dem Wortlaut der Verordnung überhaupt nicht entscheidend, sondern es muss der Tarif für die Flugbeförderung kostenlos oder reduziert worden sein: Bei einem Reiseveranstalter ist aber der Tarif für die Beförderung regelmäßig nicht gesondert ausgewiesen, sondern Sinn und Zweck einer Pauschalreise ist es gerade, dass verschiedene Leistungsträger zusammenwirken und man nur an den Reiseveranstalter als dem alleinigen Vertragspartner einen bestimmten Preis pauschal für die gesamte Reise bezahlt. Von dem Reiseveranstalter werden gegenüber dem Kunden die von den einzelnen Leistungsträgern jeweils erbrachten Reiseleistungen also nicht getrennt berechnet. So war es auch im vorliegenden Fall. Aus der Buchungsbestätigung ergibt sich nur, dass der Kläger und seine Ehefrau bei dem Reiseveranstalter … eine Reise nach Sharm El Sheikh in ein bestimmtes Hotel für die Zeit vom 17.09.2009 bis zum 25.09.2009 gebucht haben. Zwar ergibt sich aus der Buchungsbestätigung, dass die Beförderung per Flugzeug durch die Beklagte erfolgen sollte, ein Einzelpreis für die Flugbeförderung ist aber weder in der Buchungsbestätigung noch in der Rechnung vom 31.05.2009 enthalten.

17. Einen Hinweis, welchen Preis der Kläger für sich und seine Ehefrau für die Flugbeförderung durch die Beklagte gezahlt hat, gibt es in diesen Unterlagen somit nicht. Soweit der Amtsrichter in dem angefochtenen Urteil ausführt, der in der Rechnung aufgeführte „Flugaufpreis“ sei nur gezahlt worden für Sicherheits-, Flughafengebühren und Steuern, ist dies spekulativ und lässt sich jedenfalls mit den übrigen getroffenen Feststellungen so nicht vereinbaren.

18. Der in der Rechnung aufgeführte „Flugaufpreis“ ist jedenfalls auch nicht gleichzusetzen mit dem für zwei Personen zu zahlenden Flugpreis für Hin- und Rückflug.

19. Art. 3 Abs. 3 VO kann deshalb nur dann Anwendung finden, wenn man einen Normaltarif von der Beklagten, so er denn überhaupt zur Verfügung gestellt wird, mit einem von der Beklagten selbst gewährten reduzierten Tarif vergleicht.

20. Dem Kläger selbst konnte die Beklagte überhaupt nichts in Rechnung stellen, weil sie insoweit nur als Leistungsträgerin aufgetreten ist und eine Vertragsbeziehung zwischen den Parteien gerade nicht besteht, sondern nur zwischen der Beklagten und dem Reiseveranstalter sowie dem Reiseveranstalter und dem Kläger.

21. Wenn man überhaupt einen Vergleich anstellen wollte, dann müsste man den Preis, den die Beklagte von dem Reiseveranstalter normalerweise verlangt, mit dem Preis vergleichen, der von der Beklagten für diesen konkreten Flug dem Reiseveranstalter in Rechnung gestellt wurde. Diese Kalkulation hat die Beklagte auch nach dem Hinweis der Kammer nicht offenlegt. In dem nachgelassenen Schriftsatz vom 29.12.2010 hat die Beklagte beispielhaft versucht darzustellen, wie sie ihre Flüge bei verschiedenen Reisveranstaltern vermarktet. Abgesehen davon, dass die Behauptung der Beklagten, sie habe die hier streitgegenständlichen Flüge für 150,00 € pro Person an … verkauft, von dem Kläger im nachfolgenden Schriftsatz vom 31.01.2010 bestritten wurde, zeigen die von der Beklagten vorgelegten Unterlagen vor allem, dass sie für die Flüge auf dem selben Flugzeug überhaupt keinen „Normaltarif“ gegenüber den verschiedenen Reiseveranstaltern verlangt, sondern unterschiedliche Tarife. Wenn die Berechnung der Beklagten zutreffend wäre, müsste einer der von ihr jetzt vorgelegten beiden Tarife auch reduziert sein, weil es nur einen „Normaltarif“ geben kann. Dies hätte dann zur Konsequenz, dass bei der Beförderung für Reiseveranstalter die meisten Passagiere zu einem reduzierten Tarif fliegen und damit aus dem Anwendungsbereich der Verordnung fallen würden. Dies war aber erkennbar nicht das Ziel dieser Verordnung (vgl. Ziff. 5 der Erwägungsgründe).

22. Im Übrigen müsste dann auch die Beklagte selbst bestimmen können, wer diesen reduzierten Tarif überhaupt erhalten darf, tatsächlich prüft dies aber nur der Reiseveranstalter, im vorliegenden Fall die … Ob der Reiseveranstalter hier den Kläger und seine Ehefrau nach den von ihm aufgestellten Bedingungen überhaupt hätte befördern dürfen, ist deshalb ohne Bedeutung.

23. Zudem ist entgegen der Darstellung der Beklagten der Benutzerkreis auch keineswegs nur auf Mitarbeiter von Reiseunternehmen beschränkt, sondern der Kreis derjenigen, die bei der … eine Reise buchen können, ist wesentlich weiter gefasst. So reicht es zum Beispiel aus, wenn der Kunde bei einem … Bahnunternehmen beschäftigt ist oder wenn man sich als Student der Touristik überhaupt mit Fragen des Tourismus beschäftigt. Auch die Angaben, die man machen muss, um als Benutzer eine Reise buchen zu können, sind so allgemein, dass letztlich auch von einer Eingrenzung auf einen ganz bestimmten Personenkreis so ohne weiteres nicht gesprochen werden kann.

24. Nach Ansicht der Kammer kann deshalb Art 3 Abs. 3 VO nur bei einer Direktbuchung Anwendung finden.

25. Damit stellt sich hier nicht die weitere Frage, ob die Verordnung auch deshalb anwendbar ist, weil hier Flugscheine im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder anderer Werbeprogramme von einem Reiseunternehmen ausgegeben wurden (Art. 3 Abs. 3 S. 2 VO).

26. Da die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 somit Anwendung findet, können der Kläger und seine Ehefrau bei der hier vorliegenden Verspätung auch die Ausgleichsleistungen nach Art. 7 VO verlangen.

27. In seinem Urteil vom 19.11.2009 hat der Europäische Gerichtshof (Az: C-402/07 und C-432/07) entschieden:

„1. Art. 2 Buchst. I sowie die Art. 5 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass ein verspäteter Flug unabhängig von der – auch erheblichen – Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden kann, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt wird.

2. Die Art. 5, 6 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Eine solche Verspätung führt allerdings dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch zugunsten der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind.

3. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass ein bei einem Flugzeug aufgetretenes technisches Problem, das zur Annullierung oder Verspätung eines Fluges führt, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, es sei denn, das Problem geht auf Vorkommnisse zurück, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind.“

28. Mit Urteil vom 18.02.2010 (Az: Xa ZR 95/06) hat der BGH daraufhin in dem von ihm dem EuGH vorgelegten Verfahren entschieden, dass die dortigen Kläger Ausgleichsansprüche nach der EG-VO Nr. 261/2004 geltend machen können. Bei einer großen Verspätung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 FluggastrechteVO stehe dem Fluggast wie bei einer Annullierung des Flugs ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 zu, sofern er sein Endziel nicht früher als drei Stunden nach der geplanten Ankunftszeit erreiche und die große Verspätung nicht auf außergewöhnliche Umstände zurückgehe, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn von dem Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

29. Zwar habe eine Annullierung des Flugs im Sinne von Art. 5 der Verordnung nicht stattgefunden. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs könne ein verspäteter Flug unabhängig von der – auch erheblichen – Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden, wenn er entsprechend der ursprünglichen Flugplanung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt werde.

30. Wegen des wesentlich verspäteten Abflugs sei gleichwohl ein Anspruch auf die in Art. 7 der Verordnung vorgesehene Ausgleichszahlung gegeben.

31. Wenn die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 der Verordnung für die Annahme einer von der Verordnung erfassten (großen) Verspätung vorliegen würden, stehe dem Fluggast, sofern auch die weiteren Voraussetzungen für eine Ausgleichsleistung erfüllt seien, der in Art. 7 der Verordnung vorgesehene Ausgleichsanspruch zu, wenn er wegen des verspäteten Fluges sein Endziel nicht früher als drei Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreiche. Dann würden die vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Anforderungen für einen Ausgleichsanspruch wegen einer wie eine Annullierung zu behandelnden großen Verspätung vorliegen.

32. Der BGH hat weiter ausgeführt, dass Zweifel an der Gültigkeit der Fluggastrechteverordnung nicht bestehen, nachdem der EuGH die Gültigkeit bei einer am Grundsatz der Gleichbehandlung (Vergleich der Situation von Fluggästen verspäteter Flüge mit der von Fluggästen annullierter Flüge) orientierten Auslegung ausdrücklich bejaht habe und auch von der Vereinbarkeit seiner Auslegung mit dem Montrealer Übereinkommen ausgegangen sei.

33. Ausgehend von diesen Grundsätzen schuldet die Beklagte dem Kläger deshalb eine Ausgleichsleistung von insgesamt 800,00 € für sich und aus abgetretenem Recht für seine Ehefrau.

34. Die Entfernung Sharm El Sheikh nach Frankfurt am Main beträgt 3.284 km.

35. An der Aktivlegitimation zur Geltendmachung der Ausgleichsleistung auch für die Ehefrau bestehen trotz des Bestreitens der Beklagten im Schriftsatz vom 11.06.2010 keine Zweifel, weil bereits in der Klageschrift eine Abtretungserklärung der Ehefrau vorgelegt wurde.

36. Da die Beklagte keine Umstände vorgetragen hat, wonach die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückging, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären (Art. 5 Abs. 3 VO), war somit sowohl für den Kläger als auch für seine Ehefrau die Ausgleichsleistung zu gewähren.

37. Für nicht gewährte Verpflegung schuldet die Beklagte ferner Schadensersatz in Höhe von 15,00 € pro Person, für den Kläger und seine Ehefrau zusammen also 30,00 €.

38. Bei einer Beförderungsverweigerung oder einer erheblichen Verspätung sind nämlich nicht nur Ausgleichszahlungen nach Art. 7 VO zu erbringen, sondern daneben auch Unterstützungs- und Betreuungsleistungen gemäß Art. 8 und 9 VO (Art. 4 Abs. 3 VO).

39. Nach dem Vortrag des Klägers hat die Beklagte ihm und seiner Ehefrau gegenüber keinerlei Unterstützungs- und Betreuungsleistungen erbracht. Es ist unstreitig, dass zwischen dem Ausstieg aus dem Flugzeug und dem Zurückbringen in die Abflughalle, was nach 22.00 Uhr erfolgt sein muss, und der Unterbringung in einem Hotel bis zum nächsten Morgen um 6.00 Uhr von Seiten der Beklagten keine Versorgung der Passagiere vorgenommen wurde.

40. Wenn diese Leistungen nach Art. 8, 9 VO nicht wie in der Verordnung vorgesehen in Natur erbracht werden, sondern sich das ausführende Luftfahrtunternehmen weigert, diese zu erbringen, steht dem Flugreisenden ein Schadensersatzanspruch zu. Nach dem deutschen Schuldrecht schuldet ein Luftfahrtunternehmer gemäß § 280 Abs. 1 BGB seinen Fluggästen Schadensersatz, wenn er schuldhaft seine Verpflichtungen aus Art. 8, 9 VO nicht erfüllt (vgl. dazu Urteil des BGH vom 25.03.2010, Az. Xa ZR 96/09, Tz. 24, 25). Die in dieser Entscheidung aufgestellten Grundsätze finden auch hier Anwendung.

41. Zwar hat der BGH seine Entscheidung darauf gestützt, dass im dort zu entscheidenden Streitfall der Luftbeförderungsvertrag zwischen den dortigen Parteien dem deutschen „Sachrecht“ unterliege (BGH, a.a.O., Tz. 24). Ein solcher Luftbeförderungsvertrag wurde zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits nicht geschlossen, weil der Kläger die Flüge bei der … im Rahmen der Pauschalreise gebucht hat.

42. Der zwischen der Beklagten und der … abgeschlossene Chartervertrag hat aber als Vertrag zu Gunsten Dritter für den Kläger einen Anspruch auf Beförderung gegen die Beklagte begründet, so dass nicht nur Ansprüche aus der EG-Verordnung in Betracht kommen, sondern auch vertragliche Schadensersatzansprüche (vgl. BGH, Urteil vom 17.01.1985, Az: VII ZR 63/84, abgedruckt in BGHZ 93, S. 217 ff = NJW 1985, S. 1457 ff).

43. Von den in der Klageschrift geltend gemachten Positionen sind deshalb die Verpflegungskosten von in Höhe von 30,00 € zuzusprechen, weil es sich insoweit um Betreuungsleistungen handelt, die an sich die Beklagte aufgrund der Verspätung zu erbringen hatte. Zwar hat die Beklagte die Entstehung dieser Kosten bestritten, die Kammer kann aber aufgrund des unstreitigen Sachverhaltes eine Schadensschätzung vornehmen (§ 287 ZPO). Soweit der Kläger für sich und seine Ehefrau einen Betrag von 70,00 € für Verpflegungskosten verlangt hat, fehlt es an einem konkreten Vortrag, wie sich dieser Betrag errechnen soll.

44. Die übrigen in der Klageschrift geltend gemachten Positionen stehen dem Kläger allerdings nicht zu

45. Soweit der Kläger einen Minderungs- bzw. Schadensersatzanspruch in der Form geltend macht, dass er den hälftigen Ticketpreis für den Rückflug in Höhe von 78,00 € verlangt, ist ein solcher Anspruch schon deshalb nicht gegeben, weil der Rückflug tatsächlich durch die Beklagte erfolgt ist. Aus der vorgelegten Buchung ergibt sich auch gerade nicht, dass es sich bei den dort ausgewiesenen 156,00 € um den kompletten Flugpreis für zwei Personen gehandelt hat. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden.

46. Zudem liegt ein Mangel der Flugleistung, der einen zusätzlichen Minderungsanspruch begründen könnte, bei einer Verspätung regelmäßig nicht vor (BGH, Urteil vom 28.05.2009, Az: Xa ZR 113/08, abgedruckt in NJW 2009, S. 2743; BGH, Urteil vom 18.02.2010, Az: Xa ZR 106/06).

47. Die von dem Kläger verlangte allgemeine Schadenspauschale von 25,00 € konnte nicht gewährt werden, weil das Schadensersatzrecht außerhalb der Abrechnung eines Verkehrsunfalls eine solche Pauschale nicht kennt.

48. Allerdings muss sich der Kläger den ihm und seiner Ehefrau gewährten Ausgleichsanspruch in Höhe von jeweils 400,00 € auf den von ihm geltend gemachten Schadensersatzanspruch anrechnen lassen. Diese Anrechnung hat die Beklagte im Schriftsatz vom 11.06.2010 erklärt, so dass dahinstehen kann, ob es einer solchen ausdrücklichen Anrechnungserklärung überhaupt bedarf. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Betreuungsleistungen an sich keinen Schadensersatz darstellen, sondern in Natur zu erbringende Aufwendungen, die zum Zwecke der Nacherfüllung, etwa in Form einer anderweitigen Beförderung zum Endziel, notwendig sind. Deshalb wird in Teilen der Rechtsprechung und Literatur angenommen, dass eine Anrechnung der … Ausgleichsleistung auf solche Ansprüche nicht zu erfolgen hat (so AG Dortmund, RRa 2008, S. 188, 189; Schmidt, NJW 2007, S. 261, 267; Staudinger/Ilchmann, NJW 2008, S. 2752, 2756). Diese Ansicht ist überholt, weil der BGH in seiner nachfolgenden Entscheidung vom 25.03.2010 angenommen hat, dass bei Anwendung des deutschen Rechts ein Luftfahrtunternehmen seinen Fluggästen Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB schuldet, wenn es seine Pflichten aus Art. 8 EG-VO schuldhaft verletzt hat. Deshalb hat der BGH in der oben angegebenen Entscheidung auch grundsätzlich angenommen, dass ein Schadensersatzanspruch reduziert werden kann, wenn dem Kläger anrechenbare Ausgleichsansprüche zustehen (BGH, a.a.O, Tz. 28; vgl. dazu auch Bollweg, RRa 2009, S. 10, 16).

49. Da der Kläger nicht nur aus eigenem Recht, sondern auch aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau einen Schadensersatzanspruch geltend macht und die Ausgleichsleistung von jeweils 400,00 € über dem jeweiligen Schadensbetrag für den Kläger und seine Ehefrau liegt, kann der Kläger neben der Ausgleichsleistung keinen weiteren Schadensersatz verlangen.

50. Damit kann der Kläger also für sich und seine Ehefrau die Ausgleichsleistung von je 400,00 € verlangen, insgesamt also 800,00 €.

51. Der Kläger kann Verzugszinsen in der gesetzlichen Höhe ab 16.02.2010 verlangen.

52. Mit Schreiben des Klägervertreters vom 25.01.2010 hat dieser die Zahlung verlangt bis spätestens 15.02.2010. Durch diese befristete Mahnung ist die Beklagte mit Ablauf des 15.02.2010 in Verzug geraten, der Kläger kann deshalb ab 16.02.2010 Zinsen in der gesetzlichen Höhe verlangen (§§ 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1, 187 Abs. 1 entsprechend BGB).

53. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen waren im Maß des Unterliegens und Obsiegens verhältnismäßig zu teilen (§§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO).

54. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung, aber mit Abwendungsbefugnis, ergibt sich aus § 708 Ziff. 10 ZPO in Verbindung mit § 711 ZPO. Die Bemessung des Gegenstandswertes folgt dem Umfang der Anfechtung des AGlichen Urteils bzw. dem bezifferten Antrag des Klägers in erster und zweiter Instanz.

55. Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

56. Die Frage, was unter einem „reduzierten Tarif“ im Sinne von Art. 3 Abs. 3 EG-VO zu verstehen ist, ist bisher in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt worden.

57. Die Revision war ferner zu der Frage, ob der Fluggast gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen, mit dem kein Luftbeförderungsvertrag geschlossen wurde, Schadensersatzansprüche wegen der Nichterbringung von Betreuungs- und Unterstützungsleistungen geltend machen kann sowie zu der Frage, ob und wie eine Anrechnung nach Art. 12 VO (EG) Nr. 261/2004 zu erfolgen hat, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen.

58. Die oben formulierten Fragen sind soweit ersichtlich noch nicht höchstrichterlich entschieden. Wegen des sich aus dem vorliegenden Verfahren ergebenden unterschiedlichen Meinungsstandes bedürfen die Fragen einer Klärung durch den BGH. Es ist auch zu erwarten, dass diese Fragen künftig in einer Vielzahl von Fällen entscheidungserheblich sein werden, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Klärung erforderlich ist.

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