Kostenlos beförderte Kleinkinder
BGH: Kostenlos beförderte Kleinkinder
Vorliegend nahm die Klägerin mit ihrer Familie eine Pauschalreise in Anspruch. Hierzu gehörte ein Hin-und Rückflug bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen. Die Klägerin wurde kostenlos befördert, da sie nicht einmal zwei Jahre alt war. Der Flug verspätete sich um ca. sechs Stunden. Sie verlangt nun von der Beklagten eine Ausgleichzahlung gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004.
Der Bundesgerichtshof entschied, dass der Klägerin kein Anspruch auf Ausgleichszahlung zustehe, da die Fluggastverordnung bei kostenlos beförderten Kindern keine Anwendung finde.
BGH | X ZR 35/14 (Aktenzeichen) |
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BGH: | BGH, Urt. vom 17.03.2015 |
Rechtsweg: | BGH, Urt. v. 17.03.2015, Az: X ZR 35/14 |
LG Darmstadt, Urt. v. 19.02.2014, Az: 7 S 99/13 | |
AG Rüsselsheim, Urt. v. 30.04.2013, Az: 3 C 3161/12 | |
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Leitsatz:
2. Fluggäste die kostenlos befördert wurden. haben kein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastverordnung, auch dann nicht, wenn der Flug eine erhebliche Ankunftsverspätung hatte.
Zusammenfassung:
3. Im vorliegenden Fall verlangt die Klägerin eine Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 von dem beklagten Luftfahrtunternehmen. Die Klägerin nahm mit ihren Eltern an einer Flug-Pauschalreise nach Mallorca teil. Diese war damals erst noch nicht eimal zwei Jahre und wurde von der Beklagten kostenlos befördert. Der Rückflug hatte allerdings eine Verspätung von 6 Stunden und 20 Minuten.
Das Berufungsgericht sprach der Klägerin keinen Anspruch auf Ausgleichszahlung zu, da die Klägerin kostenlos befördert wurde. Hiergegen wendet sich nun die Revision der Klägerin.
Auch der Bundesgerichtshof bestätigt die Entscheidung des Berufungsgerichts und entschied, der Klägerin stehe kein Ausgleichsanspruch nach der Fluggastverordnung zu. Die Klägerin wurde kostenlos von der Beklagten befördert, was dazu führe, dass sie Fluggastverordnung hier keine Anwendung finde.
Tenor
4. Die Revision gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 19. Februar 2014 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
5. Die Klägerin begehrt eine Ausgleichszahlung in Höhe von 250 € wegen eines verspäteten Fluges nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. EU L 46 vom 17. Februar 2004, S. 1 ff.; nachfolgend: Fluggastrechteverordnung oder Verordnung).
6. Die Klägerin nahm mit ihren Eltern an einer Flug-Pauschalreise nach Mallorca teil. Die Flugbeförderung erfolgte durch die Beklagte. Diese gewährte dem Reiseveranstalter in der Flugbuchungsbestätigung eine „100% Kinderermäßigung bis 1 Jahr“ und stellte keine Kosten für die Beförderung der damals noch nicht zweijährigen Klägerin in Rechnung. Der Rückflug von Palma de Mallorca nach München wurde mit einer Verspätung von 6 Stunden und 20 Minuten durchgeführt.
7. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
8. Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.
9. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe ein Anspruch auf Ausgleichszahlung nicht zu.
10. Die Fluggastrechteverordnung finde gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Die Klägerin sei kostenlos von der Beklagten befördert worden. Ob eine kostenlose Beförderung vorliege, beurteile sich bei einer Pauschalreise nach dem Verhältnis zwischen dem Reiseveranstalter und der beklagten Fluggesellschaft als Leistungsträger. Entgegen der von der Klage vertretenen Ansicht komme es nicht darauf an, ob der auf die Beförderung der Klägerin angewendete „Nulltarif“ für die Öffentlichkeit unmittelbar oder mittelbar verfügbar war.
11. Dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
12. Der Klägerin steht kein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung zu. Zwar mussten die Reisenden beim Rückflug eine Ankunftsverspätung von mehr als drei Stunden hinnehmen, was grundsätzlich einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung begründet (EuGH, Urteil vom 19. November 2009 – C-402/07, Slg. 2009, I-10923 = NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 – Sturgeon/Condor; Urteil vom 23. Oktober 2012 – C-581/10, NJW 2013, 671 = RRa 2012, 272 – Nelson/Lufthansa; BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 – Xa ZR 95/06, NJW 2010, 2281 = RRa 2010, 93; Urteil vom 7. Mai 2013 – X ZR 127/11, RRa 2013, 237 = NJW-RR 2013, 1065). Jedoch ist die Klägerin vom Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung ausgenommen. Denn die Verordnung gilt nach ihrem Art. 3 Abs. 3 Satz 1 nicht für Fluggäste, die kostenlos befördert werden.
13. Zu Recht hat das Berufungsgericht Art. 3 Abs. 3 Satz 1 FluggastrechteVO dahin verstanden, dass sämtliche Fluggäste, die kostenlos reisen, vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen sind. Auf die Verfügbarkeit eines solchen „Nulltarifs“ für die Öffentlichkeit kommt es nicht an; weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte der Vorschrift noch ihr Sinn und Zweck rechtfertigen die Annahme, der Ausschlusstatbestand der „kostenlos reisenden Fluggäste“ betreffe lediglich den Sonderfall eines für die Öffentlichkeit nicht verfügbaren Tarifs, der den Flugpreis auf Null reduziert.
14. Nach seinem Wortlaut erfasst Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung zwei Fallvarianten: Fluggäste, die „kostenlos“ reisen, und solche, die zu einem „reduzierten Tarif“ reisen, der für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Der Relativsatz bezieht sich unzweifelhaft allein auf die zweite Variante (so auch Schmid/Degott/Hopperdietzel, Fluggastrechte-Kommentar, Februar 2014, Art. 3 Rn. 27; Wahl, RRa 2013, 262, 265). Bestätigt wird dies durch die weiteren Sprachfassungen, namentlich die englische („This Regulation shall not apply to passengers travelling free of charge or at a reduced fare not available directly or indirectly to the public“) und die französische Fassung („Le présent règlement ne s’applique pas aux passagers qui voyagent gratuitement ou à un tarif réduit non directement ou indirectement accessible au public“). Dem Wortlaut nach betrifft der Ausschlusstatbestand der ersten Alternative also jeden kostenlos reisenden Fluggast, gleich ob er als „gewöhnlicher“ Fluggast eine 100prozentige Flugpreisermäßigung erhält oder ob er aufgrund einer besonderen Nähebeziehung zum Luftfahrtunternehmen aus geschäftspolitischen Überlegungen besondere Konditionen gewährt bekommt und mit einem entsprechenden Funktionsrabatt (vgl. hierzu Hausmann, Europäische Fluggastrechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung und großer Verspätung von Flügen, 2012, S. 66, 69, 70) nicht nur verbilligt, sondern unentgeltlich reisen kann. Der Tatbestand erfasst danach Kleinkinder, die keinen Flugpreis entrichten und ohne Sitzplatzanspruch auf dem Schoß der Eltern reisen, ebenso wie Flugpersonal, das etwa einen Flug unentgeltlich als dienstlichen Zubringerflug nutzt.
15. Aus der Entstehungsgeschichte der Fluggastrechteverordnung ergeben sich keine Anhaltspunkte, nach denen die Benennung des „kostenlos reisenden Fluggastes“ als erste Variante im Tatbestand des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung lediglich klarstellend darauf hinweisen sollte, der „reduzierte, nicht öffentlich verfügbare Tarif“ erfasse auch eine (nicht für die Öffentlichkeit verfügbare) Preisermäßigung auf Null. Abgesehen davon, dass mit dem gewählten Wortlaut in diesem Fall das Gegenteil einer Klarstellung erreicht worden wäre, beruht der interessierende Verordnungstext inhaltlich auf Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 des Rates vom 4. Februar 1991 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr (ABl. EG L 36 vom 8. Februar 1991, S. 5) und ist im Gesetzgebungsverfahren seit dem Kommissionsvorschlag vom 21. Dezember 2001 (ABl. EG C 103 E vom 30. April 2002, S. 225) unverändert geblieben. Die Verordnung formuliert damit bewusst abweichend von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates vom 9. Oktober 1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 889/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Mai 2002 zur Änderung der Verordnung (ABl. EG L 140 vom 30. Mai 2002, S. 2) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28. Mai 1999 (ABl. EG L 194 vom 18. Juli 2001, S. 39 – Montrealer Übereinkommen), welcher den Anwendungsbereich jener Haftungsbestimmungen im Luftverkehr ausdrücklich auf „unentgeltliche Beförderungen“ erstreckt. Dem entspricht das Verständnis des Wirtschafts- und Sozialausschusses. Dieser führt in Abschnitt 2.10 seiner Stellungnahme zum Kommissionsvorschlag vom 17. Juli 2002 (ABl. EG C 241 vom 7. Oktober 2002, S. 29) aus, dass die Verordnung für „zahlende Fluggäste“ (worunter auch die Zahlung mit Bonuspunkten zu verstehen sei) gelten solle.
16. Ein einengendes Verständnis des Ausschlusstatbestands ist schließlich nach Sinn und Zweck der Verordnung nicht geboten. Zutreffend verweist die Revision im Ausgangspunkt zwar auf Erwägungsgrund 1, wonach die Maßnahmen der Union im Bereich des Luftverkehrs unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, der Ausschlusstatbestand des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung unterliege als Ausnahmetatbestand zwingend einem engeren Begriffsverständnis als dem durch seinen Wortlaut vorgegebenen. Aus den Erwägungsgründen 1 und 4 folgt, dass die Fluggastrechteverordnung als Maßnahme der Luftverkehrspolitik (Art. 100 Abs. 2 AEUV) und das dabei angestrebte hohe Schutzniveau für Fluggäste, mit dem ferner dem Verbraucherschutz im Allgemeinen Rechnung getragen werden soll, primär der Sicherstellung harmonisierter Bedingungen für die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen in einem liberalisierten Binnenmarkt (Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV i.V.m. Art. 26 AEUV) dienen. Das durch die Verordnung geschaffene, unmittelbar anwendbare europäische Schuldrecht (vgl. Hausmann, aaO, S. 45) harmonisiert die Voraussetzungen und Rechtsfolgen im Bereich der Nichtbeförderung, Annullierung und großen Verspätung als Hauptleistungsstörungen der der Personenbeförderung zugrundeliegenden Verträge und betrifft im Gegensatz zum Montrealer Übereinkommen nicht auch die sich aus der Gefahrgeneigtheit des Luftverkehrs ergebenden Haftungsfragen. Der Anwendungsbereich der Verordnung knüpft sonach allein an die geschäftliche Absatztätigkeit der Luftfahrtunternehmen an.
17. Die Rechtsfolgenbestimmungen zur Rückerstattung des Flugpreises (vgl. Art. 8 der Verordnung und Erwägungsgründe 10, 11, 13 und 17) bestätigen, dass der Fluggastrechteverordnung das Absatzgeschäft des Luftfahrtunternehmens und damit grundsätzlich die entgeltliche Beförderung als Anwendungsvoraussetzung zugrunde liegen. Dies schlösse es zwar nicht notwendig aus, auch unentgeltliche Beförderungen zu erfassen, zumal sie in der Regel – wie auch im Streitfall, in dem die Klägerin mit ihren Eltern gereist ist – Bestandteil eines auch entgeltliche Beförderungen umfassenden Luftbeförderungsvertrags sein werden. Es widerspricht aber auch nicht Sinn und Zweck der Fluggastrechteverordnung, dass die in dieser eingeräumten Ansprüche davon abhängen, dass der Fluggast seine Beförderung mit einem Entgelt „erkauft“ hat. Vielmehr erschiene es widersprüchlich, wenn dem kostenlos beförderten Fluggast die Rechte aus der Verordnung eingeräumt würden, während Fluggäste, die zu einem öffentlich nicht zugänglichen Sondertarif befördert werden, keine Ansprüche geltend machen könnten, obwohl diese immerhin ein Entgelt gezahlt haben (so auch Schmid/Degott/Hopperdietzel, Fluggastrechte-Kommentar, Februar 2014, Art. 3 Rn. 28; Wahl, RRa 2013, 262, 265). Schon vor diesem Hintergrund kann der Argumentation der Revision, aus dem besonderen Betreuungsbedürfnis von Kleinstkindern ergebe sich die Notwendigkeit, diese auch bei kostenloser Beförderung nicht vom Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung auszunehmen, nicht gefolgt werden.
18. Zutreffend und von der Revision unbeanstandet hat das Berufungsgericht weiterhin angenommen, dass zur Feststellung, ob eine kostenlose Beförderung vorliegt, bei einer Pauschalreise auf das Vertragsverhältnis zwischen dem Reiseveranstalter und dem Luftfahrtunternehmen als Leistungsträger abzustellen ist.
19. Allein diese Sichtweise folgt der dargestellten Anknüpfung des Anwendungsbereiches der Fluggastrechteverordnung an die Absatztätigkeit des ausführenden Luftfahrtunternehmens als Schuldner der Ansprüche im Rahmen der Verordnung und entspricht spiegelbildlich der von der Verordnung bezweckten Schutzerstreckung auf im Rahmen von Reiseverträgen beförderte Fluggäste (hierzu Erwägungsgrund 5), ohne den Reisenden, der für die Gesamtheit der Reiseleistungen dem Reiseveranstalter einen Reisepreis entrichtet, gegenüber anderen Fluggästen besser oder schlechter zu stellen. Der Maßgeblichkeit des Vertragsverhältnisses zwischen Reiseveranstalter und Luftfahrtunternehmen entspricht es, dass es nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung unerheblich ist, ob ein Tarif unmittelbar oder mittelbar öffentlich verfügbar ist; Flugtarife im Rahmen von Pauschalreisen sind mittelbar öffentlich verfügbare Tarife (so zutreffend Hausmann, aaO, S. 64 mwN).
20. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht geboten, da nach dem Vorstehenden keine vernünftigen Zweifel an der Auslegung der hier entscheidungserheblichen Bestimmungen der Verordnung bestehen. Eine abweichende Auffassung zur Auslegung des Ausschlusstatbestands des „kostenlos reisenden Fluggastes“ wird auch weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur vertreten.
21. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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