Ausgleichsanspruch des Fluggastes Bei Flugverspätung

AG Bremen: Ausgleichsanspruch des Fluggastes Bei Flugverspätung

Zwei Fluggäste verlangen von ihrem Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung, wegen einer mehrstündigen Flugverspätung. Da der Flug im Rahmen eines Code-Sharing-Prozesses von einer Tochtergesellschaft des Beklagten Unternehmens ausgeführt wurde, verweigert dieses jedoch die Zahlung.

Das Amtsgericht Bremen hat den Klägern Recht zugesprochen. Durch die Anwendung des Code-Sharings sei die Beklagte Vertragspartner geworden und als solcher müsse sie für etwaige Pflichtverletzungen aufkommen.

AG Bremen 4 C 0516/11 (Aktenzeichen)
AG Bremen: AG Bremen, Urt. vom 18.01.2013
Rechtsweg: AG Bremen, Urt. v. 18.01.2013, Az: 4 C 0516/11
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Bremen-Gerichtsurteile

Amtsgericht Bremen

1. Urteil vom 18. Januar 2013

Aktenzeichen: 4 C 0516/11

Leitsatz:

2. Für Fluggäste besteht ein Ausgleichsanspruch bei Flugverspätung

Zusammenfassung:

3. Zwei Fluggäste buchten bei einer Airline einen Flug nach Paris. Bei dem entsprechenden Angebot handelte es sich um eine besondere Variante des Code-Sharings. Das Luftfahrtunternehmen warb zwar mit dem Flug, ließ ihn allerdings durch eine seiner Tochtergesellschaften ausführen.

Da der entsprechende Flug mit einer Verspätung von mehr als 3 Stunden am Zielflughafen ankam, verlangen die Fluggäste nun eine Ausgleichzahlung. Das beklagte Mutterunternehmen weigert sich der Zahlung, da es auf die Umstände, die zur Verspätung führten, keinen Einfluss hatte.

Das Amtsgericht Bremen hat den Klägern Recht zugesprochen. Eine Fluggesellschaft kann sich nicht darauf berufen, infolge des sog. Code-Sharings sei allein ihre Tochtergesellschaft ausführendes Luftfahrtunternehmen, wenn diese zwar den Flug durchführt, dieser aber ausschließlich unter einer Flugnummer durchgeführt wird, die den Namen des Mutterunternehmens trägt.

Da der gesamte Buchungsvorgang unter dem Namen dieses Mutterunternehmens abgelaufen war, war für die Fluggäste zu keinem Zeitpunkt ersichtlich, dass sie in ein Vertragsverhältnis mit der Tochtergesellschaft getreten waren.
Aufgrund der sich hier ergebenen Vertragssituation, stehe den Klägern deshalb eine Ausgleichszahlung im Rahmen des Art. 7 der Fluggastrechte Verordnung zu.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1), an die Klägerin zu 2) und an den Kläger zu 3) jeweils 250 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.10.2011 zu zahlen.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, die den Klägern entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 170,77 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.10.2011 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des für die Kläger aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand

5. Die Kläger buchten bei der Beklagten für den 12.08.2011 einen Flug von Bremen nach Paris mit der Flugnummer … . Planmäßig sollte dieser Flug um 6:40 Uhr von Bremen abfliegen. Er wurde jedoch annulliert, so dass die Kläger stattdessen mit einer anderen Fluggesellschaft um 11:35 Uhr von Bremen über Amsterdam nach Paris flogen und erst gegen ca. 15:15 Uhr statt wie geplant 8:10 Uhr in Paris ankamen.

6. Mit Schreiben vom 18.08.2011 forderten die Kläger die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung auf. Mit E-Mail vom 18.08.2011 lehnte die Beklagte die Zahlung ab. Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 16.09.2011 forderten die Kläger die Beklagte unter Fristsetzung zum 30.09.2011 erneut zur Zahlung auf. Mit Schreiben vom 29.09.2011 bot die Beklagte den Klägern ohne Anerkennung einer Rechtspflicht einen nicht erstattbaren Reisegutschein über 350 EUR an. Alternativ bot sie ihnen pro Person einen Barbetrag von 100 EUR an.

7. Die Kläger beantragen,

8. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1), an die Klägerin zu 2) und an den Kläger zu 3) jeweils 250 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.10.2011 sowie die den Klägern entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 170,77 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.10.2011 zu zahlen.

9. Die Beklagte beantragt,

10. die Klage abzuweisen.

11. Die Beklagte behauptet, der gebuchte Flug habe nicht durch sie durchgeführt werden sollen, sondern durch ihre hundertprozentige Tochtergesellschaft R.. Insoweit ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Flugzeuge des Luftfahrtunternehmens R. zur Flotte der Beklagten gehören und dass von diesem Unternehmen eingesetzte Personal der Beklagten zuzurechnen ist. Unstreitig ist ferner, dass eine Flugbuchung auf der Internetseite des Luftfahrtunternehmens R. automatisch auf die Internetseite der Beklagten umgeleitet wird. Die allgemeinen Beförderungsbedingungen für Flüge, die bei der Gesellschaft R. gebucht werden, sind diejenigen der Beklagten. Reisende können Flugbuchungen nicht direkt bei dem Luftfahrtunternehmen R. vornehmen. Auch die auf dem Markt befindlichen Buchungssysteme buchen Flüge ausschließlich über die Beklagte und nicht über R.. Auf der Internetseite des Luftfahrtunternehmens R. unter Sitemap/Informations and Services/Legal Notices wird, nachdem auf Legal Notices geklickt wird, auf die Internetseite der Beklagten umgeleitet und es erscheinen dort die rechtlichen Hinweise der Beklagten. Die allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten bestimmen für den Fall eines so genannten Code-Share-Fluges, dass ausschließlich die allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten gelten. Dazu heißt es in Ziffer 3 der allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten: „Die vorliegenden allgemeinen Beförderungsbedingungen gelten auch für diese Art von Beförderungen“.

12. Streitig ist zwischen den Parteien dagegen, ob das Luftfahrtunternehmen R. eine unselbstständige Niederlassung der Beklagten ist und als hundertprozentiges Tochterunternehmen in wirtschaftlicher und personeller Hinsicht ihrer Kontrolle unterliegt.

Entscheidungsgründe

13. Die Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 250 EUR aufgrund der Annullierung des streitgegenständlichen Fluges zu. Dieser Anspruch ergibt sich aus Art. 5 Absatz 1 c in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 a der Verordnung (EG) 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 (nachfolgend VO 261/2004).

14. Die Beklagte ist passiv legitimiert. Sie kann sich nicht darauf berufen, infolge des so genannten „Code-Sharings“ sei allein das Unternehmen R. ausführendes Unternehmen in Bezug auf den Flug …

15. Code-Sharing ist kein festumrissener Rechtsbegriff, sondern bezeichnet eine bestimmte Form der Kooperation zwischen zwei Luftfahrtunternehmen. Dabei benutzt ein Unternehmen den Flugdienst eines anderen mit, indem es Fluggäste oder Fracht unter seiner eigenen Flugnummer auf dem Flugdienst des anderen Unternehmens einbucht, welches die alleinige Verantwortung für die Durchführung des Fluges behält (Kummer, in: jurisPR-BGHZivilR 3/2010 Anm. 4).

16. Beim Code-Sharing teilen sich die an der Vereinbarung beteiligten Fluggesellschaften die Kapazitäten des betreffenden jeweils unter eigener Flugnummer geführten Linienfluges in der Weise, dass neben den Fluggästen des den Flug ausführenden Unternehmens, das die alleinige Verantwortung für die Durchführung des Fluges mit dem von ihm eingesetzten Flugzeug behält, auch Fluggäste des Code-Sharing-Vertriebspartners eingebucht und befördert werden (BGH, Urteil vom 26.11.2009, NJW 2010, 1522). So liegt es hier nicht. Der streitgegenständliche Flug wurde nicht unter einer Doppelflugnummer, sondern ausschließlich unter der Flugnummer … von Bremen nach Paris geführt. Das Kürzel AF steht für den Firmennamen der Beklagten. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich schon deshalb nicht um einen Fall des Code-Sharings, bei dem ausführendes Luftfahrtunternehmen nach der Rechtsprechung des BGH allein dasjenige ist, dass den Flug tatsächlich durchführt.

17. Darüber hinaus fehlt es bezüglich der Firma R. am Merkmal der „alleinigen Verantwortung des tatsächlich ausführenden Unternehmens für die Durchführung des Fluges“. Jedenfalls im Außenverhältnis zu den Fluggästen hat die Beklagte zu keinem Zeitpunkt vorprozessual erkennen lassen, dass jemand anders als sie Verantwortung für die Durchführung des Fluges tragen sollte. Unstreitig hat der gesamte Buchungsvorgang im vorliegenden Fall über die Beklagte stattgefunden. Die Kläger hätten unstreitig nicht einmal theoretisch die Möglichkeit gehabt, einen Flug direkt bei der Firma R. zu buchen. Die allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten bestimmen für den Fall eines so genannten Code-Sharing-Fluges, dass ausschließlich die allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten gelten. Die Beklagte hat auch zunächst die Korrespondenz in der vorgerichtlichen Auseinandersetzung mit den Klägern übernommen. Dabei hat sie sich auf technische Schwierigkeiten berufen, aber zu keinem Zeitpunkt ihrer Passivlegitimation in Abrede gestellt. Dies erfolgte erstmals im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung.

18. Es bestehen auch Zweifel, ob die Firma R. im Verhältnis zur Beklagten ein anderes Unternehmen im Sinne der Fluggastrechteverordnung ist. Entscheidend für das Merkmal und die Auslegung des Begriffs „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ ist, dass die vor Ort anwesende Gesellschaft verantwortlich sein soll, die auch tatsächlich die Möglichkeit hat, die von der VO 261/2004 vorgesehenen Betreuungs- und Unterstützungsleistungen zu erbringen und auch Einfluss auf die organisatorischen Abläufe nehmen kann, um Stornierungen oder Verspätungen abzuwenden. Daran fehlt es beispielsweise im Falle eines Flugvermittlungsvertrages, in dem der Vertragspartner eine Flugleistung entgeltlich vermittelt, den Flug jedoch selbst nicht durchführt und sich eines Dritten bedient, auf den er weder tatsächlich noch rechtlich diese Einflussmöglichkeiten hat. Hier ist es jedoch so, dass die Beklagte tatsächlich diese Einflussmöglichkeiten hatte und auch wahrnahm. Sie hatte als Muttergesellschaft auch die Möglichkeit, Einfluss auf ihre Tochtergesellschaft zu nehmen, um diese beispielsweise mit ausreichendem Personal oder auch den Erfordernissen ausreichender technischer Wartung auszustatten, damit diese die Flüge ordnungsgemäß und pünktlich wahrnehmen kann. R. gehört daher nach Auffassung des Gerichts zum Unternehmen der Beklagten Im Sinne der VO 261/2004 (siehe dazu schon AG Bremen, Urteil vom 26.09.2012, 4 C 309/11, AG Bremen, Urt. v. 10.10.2011, 16 C 89/11, RRa 2012, 20).

19. Da die Entfernung von Bremen nach Paris weniger als 1500 km beträgt, beträgt die Entschädigungsleistung für jeden der Kläger 250 EUR.

20. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 BGB, die Erstattungspflicht bezüglich vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren ergibt sich aus dem Rechtsgrund des Verzugs. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 709 S. 2, 711 ZPO.

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Berichte und Besprechungen

Focus: Wird bei Flugverspätungen entschädigt?
Sueddeutsche Zeitung: Flugverspätung: Welche Rechte Passagiere haben
Die Welt: BGH nimmt Flugverspätungen unter die Lupe
Forum Fluggastrechte: Keine Haftungsbefreiung durch Code-Sharing
Passagierrechte.org: Ausgleichsanspruch bei Flugverspätung

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