Kündigung des Vertrags wegen eines Terroranschlags

AG Bruchsal: Kündigung des Vertrags wegen eines Terroranschlags

Wegen eines Terroranschlags stornierte eine Urlauberin ihren Ägyptenurlaub und verlangt vom Veranstalter eine Erstattung des Reisepreises. Der Veranstalter sieht in dem Anschlag keinen ausreichenden Kündigungsgrund und verweigert die Zahlung.

Das Amtsgericht Bruchsal hat die Klage abgewiesen. Da der Ort des Anschlags und der geplante Urlaubsort der Klägerin weit auseinander lägen, bestehe keine Gefährdungswahrscheinlichkeit, die eine kurzfristige Stornierung rechtfertigen würde.

AG Bruchsal 3 C 125/06(Aktenzeichen)
AG Bruchsal: AG Bruchsal, Urt. vom 18.10.2006
Rechtsweg: AG Bruchsal, Urt. v. 18.10.2006, Az: 3 C 125/06
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Amtsgericht Bruchsal

1. Urteil vom 18. Oktober 2006

Aktenzeichen: 3 C 125/06

Leitsatz:

2. Das AG Bruchsal musste die Frage beantworten, ob eine Kündigung aus Angst über eine Ägyptenreise wegen eines Terroranschlags in einem Badeort rechtens ist.

Zusammenfassung:

3. Eine Urlauberin buchte bei einem Reiseveranstalter einen Ägyptenurlaub. Als unmittelbar vor Reisebeginn in einem Teil des Landes ein Terroranschlag verübt wurde, äußerte die Klägerin den Wunsch, die Reise zu stornieren.
Weil der Ort des Anschlags und das geplante Urlaubsziel jedoch weit auseinander liegen, verweigerte die Beklagte die Erstattung des Reisepreises und bestand auf die Gültigkeit des Vertrags.

Das Amtsgericht Bruchsal hat die Klage abgewiesen. Da allgemein bekannt sei, dass es aufgrund der politischen Verhältnisse in Ägypten immer wieder zu Terroranschlägen in Touristengebieten käme, müsse ein Tourist in Ägypten damit rechnen, dass sich ein terroristischer Anschlag ereigne.
Vorliegend lägen die betroffenen Orte dermaßen weit auseinander, das ein erneuter Anschlag nicht mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei.

Ein Sonderkündigungsrecht und eine entsprechende Erstattung des Reisepreises gemäß §651i BGB seien deshalb vorliegend nicht durchsetzbar. Es sei dem Veranstalter nicht zuzumuten, sämtliche Buchungen wegen Umständen rückabzuwickeln, die nur in sehr begrenztem Maße mit der zu erbringenden Leistung in Verbindung stünden.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 717,– EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.08.2005 zu bezahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 125 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn die Klägerin nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

5. Mit der Klage wird von einem Reiseveranstalter von einem Kunden eine Entschädigung gemäß § 651 i Abs. 2 BGB begehrt.

6. Die Beklagte buchte bei der Klägerin, die das Gewerbe eines Reiseveranstalters betreibt, im Juli 2005 per E-Mail zum Preis von 2.441,– EUR eine Flugpauschalreise für 3 Personen nach Hurghada (Ägypten), einem Badeort am Roten Meer. Diese Buchung wurde von der Klägerin mit E-Mail vom 22.07.2005, auf die Bezug genommen wird (As. 23), bestätigt. Am 23.07.2005 wurden in dem ägyptischen Badeort Sharm El-Sheikh Sprengstoffanschläge auf ein Hotel, ein Cafe und einen Basar verübt, bei denen nach einem „Sicherheitshinweis“ des Auswärtigen Amts der Bundesrepublik Deutschland vom 26.07.2005 mindestens 64 Menschen getötet wurden. Dieser Mitteilung des Auswärtigen Amts zufolge hatte es bereits am 07.10.2004 in Taba Anschläge auf Hotels und Touristenziele gegeben und war es am 07. und am 30.04.2005 zu Anschlägen in Kairo (Khan El-Khalili, ägyptisches Museum und Zitadelle) gekommen. In dem „Sicherheitshinweis“ wird zur Vorsicht geraten („Reisenden in Ägypten wird beim Besuch touristischer Einrichtungen, Märkten und Einkaufszentren zu besonderer Vorsicht geraten. Aufgrund der willkürlichen Auswahl der Anschlagsziele besteht für alle Reisenden eine erhöhte Gefährdung“). Die Beklagte stornierte mit E-Mail vom 25.07.2005 die Reise wegen der terroristischen Anschläge in Sharm El-Sheikh.

7. Die Klägerin begehrt von der Beklagten eine Entschädigung gemäß § 651 i Abs. 2 Satz 3 BGB in Höhe von 717,– EUR.

8. Die Klägerin beantragt:

9. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 717,00 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 26.08.2005 zu bezahlen.

10. Die Beklagte beantragt:

11. Klageabweisung.

12. Die Beklagte ist der Auffassung, dass sie gemäß § 651 j BGB berechtigt gewesen sei, den Vertrag zu kündigen.

13. Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

14. Die zulässige Klage ist begründet.

15. Der Beklagten stand kein Kündigungsrecht gemäß § 651j BGB wegen einer erheblichen Gefährdung der Reise infolge bei Vertragsabschluss nicht voraussehbarer höherer Gewalt zu.

16. Unter höherer Gewalt ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes, auch durch die äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis zu verstehen (vgl. BGHZ 100/188). Auch Terroranschläge können als höhere Gewalt einzustufen sein. Es ist allerdings wegen der hier gegebenen Beschränkung der Terroranschläge auf einen örtlich begrenzten Bereich zweifelhaft, ob ein Vorliegen höherer Gewalt für ähnlich strukturierte Touristengebiete in Ägypten oder gar das ganze ägyptische Staatsgebiet bejaht werden kann (vgl. hierzu Führich, Versicherungsrecht 2004, 455 m.w. Rechtsprechungsnachweisen).

17. Es bestehen auch Bedenken, ob eine Gefährdung von Reisenden durch Anschläge, wie sie hier in Sharm El-Sheikh durchgeführt wurden, nicht als voraussehbar im Sinne von § 651 j BGB anzusehen ist, weil allgemein bekannt ist, dass es aufgrund der politischen Verhältnisse in Ägypten immer wieder zu Terroranschlägen in Touristengebieten kommt. Auch dem von der Beklagten vorgelegten „Sicherheitshinweis“ des Auswärtigen Amts ist zu entnehmen, dass es in dem Jahr vor dem Vertragsabschluss in ägyptischen Tourismuszentren zu Terroranschlägen kam, die mit denjenigen in Sharm El-Sheikh vergleichbar sind. Ein Tourist in Ägypten muss damit rechnen, dass sich immer wieder einmal ein terroristischer Anschlag in dieser Größenordnung ereignet.

18. Letztlich bedarf es keiner weitergehenden Befassung mit den vorstehend angeführten Voraussetzungen für eine Kündigung wegen höherer Gewalt, da es im vorliegenden Fall jedenfalls an einer erheblichen Gefährdung der Reise im Sinne von § 651 j BGB fehlt. Ein Reisender muss dann, wenn es, wie hier, bei der Gefährdung der Reise um die Bedrohung der persönlichen Sicherheit geht, im Zeitpunkt der Kündigung eine Prognose anstellen, wann mit welcher Wahrscheinlichkeit am Reiseziel eine Gefährdung für ihn eintreten könnte. Ein Kündigungsrecht besteht dann, wenn mit dem Eintritt des schädigenden Ereignisses mit einer erheblichen Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist (vgl. BGH NJW 2002/3700 u. Münchner Kommentar, BGB, 4. Aufl., § 651 j Rn. 16). Diese Wahrscheinlichkeitsschwelle ist im vorliegenden Fall nicht überschritten. Trotz der aufgrund von Medienberichten allgemein bekannten Gefahr von Terroranschlägen besuchen jedes Jahr Millionen von Touristen Ägypten. Mit der darin zum Ausdruck kommenden Bewertung der von den in größeren Abständen immer wieder vorkommenden Terroranschlägen ausgehenden Gefährdung für Reisende steht in Einklang, dass in dem „Sicherheitshinweis“ des Auswärtigen Amts, auf den die Beklagte sich beruft, nicht vom Besuch einzelner Gebiete Ägyptens oder einer Ägyptenreise überhaupt abgeraten wird, sondern lediglich zu besonderer Vorsicht beim Besuch touristischer Einrichtungen aufgefordert wird. Bei einer die vorhandenen Risiken nüchtern abwägenden Betrachtungsweise ist es im Übrigen auch wenig wahrscheinlich – dies insbesondere wegen der erhöhten Aufmerksamkeit der mit Sicherungsmaßnahmen gegen Terroranschläge befassten Stellen –, dass bereits kurze Zeit nach Terroranschlägen in einem großen Badeort Ägyptens in einem anderen großen Badeort dieses Landes derartige Anschläge versucht werden.

19. Die Höhe der von der Klägerin geforderten Entschädigung ist unstreitig.

20. Der klägerische Zinsanspruch – die Beklagte ist nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin zuletzt mit Anwaltsschreiben vom 17.08.2005 unter Fristsetzung bis zum 25.08.2005 zur Zahlung aufgefordert worden – ergibt sich aus den §§ 286, 288 BGB.

21. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Ziffer 11, 711 ZPO.

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