5-stündige Abflugverspätung

AG Hannover: 5-stündige Abflugverspätung

Flugreisende forderten eine Ausgleichszahlung wegen der 5-stündigen Verspätung ihres Fluges.

Die beklagte Fluggesellschaft wurde vom Amtsgericht Hannover verurteilt, weil der Streik, auf den sie sich als außergewöhnlichen Umstand berief, den streitigen Flug nur indirekt betraf.

AG Hannover 416 C 12559/11 (Aktenzeichen)
AG Hannover: AG Hannover, Urt. vom 18.04.2012
Rechtsweg: AG Hannover, Urt. v. 18.04.2012, Az: 416 C 12559/11
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Amtsgericht Hannover

1. Urteil vom 18. April 2012,

Aktenzeichen 416 C 12559/11

Leitsätze:
2. Hält im Falle eines Streiks eine Fluggesellschaft keine Ersatzmaschinen bereit und es verzögert sich ein Flug, obwohl von der Flugsicherungsbehörde keine Flugzeiten diktiert wurden, so kann sie sich nicht auf außergewöhnliche Umstände berufen.

Eine mehr als dreistündige Verspätung der Ankunft eines Fluges ist gleich einer Flugannullierung zu behandeln.

Zusammenfassung:
3. Flugreisende foderten für die 5-stündige Verspätung ihres Fluges von der ausführenden Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung gemäß der Fluggastrechteverordnung. Die Airline berief sich auf einen Generalstreik in einem Drittland, der die Verspätung verursacht habe, indem die Maschine bereits auf einem am Morgen des streitigen Tages stattfindenden Vorflug verzögert wurde.

Das Amtsgericht Hannover ließ keine außergewöhnlichen Umstände gelten, da der streitige Flug nur indirekt von dem Streik betroffen war und ein Organisationsverschulden der Beklagten zu der vermeidbaren Verspätung geführt hatte. Diese hatte nämlich keine Ersatzmaschinen bereitgehalten, was trotz der Auslastung aller Maschinen durch die Hochsaison in ihrem betrieblichen Risikobereich liegt. Daher wurde sie zur Leistung der Ausgleichszahlung verurteilt.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1.) und an den Kläger zu 2.) jeweils 400,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.08.2011 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger 2/3 zu tragen, die Beklagte hat 1/3 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung seitens der Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

5. Die Kläger buchten bei der Beklagten einen Flug von H. nach L. P. Die planmäßige Abflugzeit war mit 13.55 Uhr MEZ angegeben. Tatsächlich erfolgte der Abflug mehr als 5 Stunden später.

6. Mit der Klage begehren die Kläger Zahlung einer Entschädigung in Höhe von je 600,- € nach der Fluggastrechteverordnung.

7. Die Kläger beantragen,

8. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger jeweils 600,- € nebst. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.08.2011 zu zahlen und die Kläger von außergerichtlich entstandenen Anwaltskosten in Höhe von 185,64 € freizustellen.

9. Die Beklagte beantragt,

10. die Klage abzuweisen.

11. Sie behauptet, am 29.06.11 seien sämtliche 24 Maschinen der Beklagten im Einsatz gewesen. Aufgrund eines Generalstreikes in … sei ein Subcharter nicht zu bekommen gewesen. Zudem habe Eurocontrol als europäisch – staatliche Stelle bereits die Flugpläne bereits in die Hand genommen. Eurocontrol habe die Start- und Landezeiten vergeben, nicht nur in …, sondern auch für …, so dass die Beklagte die Abflugzeiten zugewiesen bekommen habe und ein früherer Flug gar nicht möglich gewesen wäre. Die verspätete Startzeit sei durch Eurocontrol zugewiesen worden.

12. Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 22.02.12 durch Vernehmung des Zeugen R. S. Wegen des Beweisergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21.03.12 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

13. Die Klage ist in Höhe eines Betrages von 400,- € je Kläger begründet, im Übrigen unbegründet.

14. Den beiden Klägern steht jeweils ein Ausgleichsanspruch in Höhe von 400,- € nach Artikel 5, Artikel 7 Fluggastrechte-VO zu.

15. Unstreitig hat es bei dem Flug, den die Kläger gebucht hatten, eine Verspätung von mehr als 3 Stunden gegeben. Eine solche Verspätung von mehr als 3 Stunden steht einer Annullierung im Sinne der Fluggastrechteverordnung gleich (vgl. BGH, Urteil vom 18.02.10, Xa ZR 164/07). Das Gericht schließt sich insoweit der Rechtsansicht an, dass bei einer Flugverspätung von mehr als 3 Stunden die Fluggäste den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden müssen und somit ein Ausgleichsanspruch bei einem Zeitverlust von mehr als 3 Stunden gegeben ist.

16. Der Entschädigungsanspruch ist auch nicht nach Artikel 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung ausgeschlossen. Danach muss eine Entschädigung nicht geleistet werden, wenn die Flugannullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Eine Verspätung, die einer Annullierung gleichzusetzen ist, führt somit nur dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch, wenn die Beklagte die Verspätung nicht hätte vermeiden können.

17. Davon ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aber nicht auszugehen. Zutreffend weist die Beklagte zwar darauf hin, dass es am 29.06.11 einen Streik in … gegeben hat und dass deshalb der griechische Luftraum von 7.00 Uhr bis 11.00 Uhr MESZ gesperrt war. Dies hat der Zeuge S. bei seiner Vernehmung glaubhaft bestätigt, im Übrigen hat die Beklagte dies auch durch den vorgelegten Zeitungsartikel nachgewiesen. Das Gericht geht aufgrund der glaubhaften Angaben des Zeugen S. auch davon aus, dass das Flugzeug, mit dem der Flug H.-L. P., den die Kläger gebucht hatten, durchgeführt werden sollte, am 29.06.11 in Folge des Streikes in … nicht rechtzeitig zu dem planmäßigen Abflugzeitpunkt in H. zurück gekommen war. Der Zeuge S. hat insoweit angegeben, dass das Flugzeug, das für den streitgegenständlichen Flug vorgesehen war, am 29.06. von H. nach. K., wieder zurück nach H. und sodann von H. nach L. P. und wieder zurück habe fliegen sollen. Aufgrund des Streikes in … sei das Flugzeug morgens verspätet losgeflogen und dementsprechend auch verspätet in H. wieder gelandet, nämlich erst um 17.30 GMT/18.30 MESZ.

18. Der verspätete Abflug ist somit indirekt eine Folge des Streiks in …, denn das für den Flug vorgesehene Flugzeug konnte den für den frühen Morgen vorgesehenen Flug von H. nach K. und wieder zurück nach H. nicht rechtzeitig durchführen, vielmehr ist es in Folge des Streikes zu einer verspäteten Ankunft in H. von mehr als 5 Stunden gekommen.

19. Gleichwohl ist der Streik in … für den Flug, den die Kläger gebucht hatten, nicht als außergewöhnlicher Umstand anzusehen. Der Zeuge S. hat bei seiner Vernehmung nämlich angegeben, dass die Beklagte für solche Fälle gar keine Ersatzflugzeuge vorhält, vielmehr seien sämtliche 24 Flugzeuge, die die Beklagte selbst betreibt, im Einsatz gewesen, weitere 14 Flugzeuge seien für die Firma Air Berlin im Einsatz gewesen. Alle Flüge seien ausgelastet gewesen, es sei Sommerzeit gewesen, in dieser Zeit sei es auch so gut wie unmöglich, irgendeinen Subcharter zu bekommen. Der Zeuge hat ferner angegeben, dass dann, wenn ein Flugzeug in H. vorhanden gewesen wäre, dieses sicherlich um 13.55 Uhr planmäßig hätte abfliegen können. Für den Flug nach … seien auch – entgegen der Behauptung der Beklagten – von „Eurocontrol“ an dem Tag keine Flugzeiten vorgegeben worden, insoweit habe es keine Probleme gegeben. Nach Angaben des Zeugen S. ist es zu der Verspätung deshalb gekommen, weil das für den Flug der Kläger vorgesehene Flugzeug zunächst an dem Morgen für den Flug nach K. und zurück eingeplant war und es dort zu einer Verspätung gekommen war. Der Flug von H. nach L. P. war durch den Streik, der auf den griechischen Luftraum beschränkt war, nicht direkt beeinträchtigt. Die Verspätung ist somit nicht durch den Streik verursacht, sondern nur mittelbare Folge desselben und letztlich auf organisatorische Probleme zurückzuführen, die in der Risikosphäre des Luftfahrtunternehmens liegen. Wenn die Beklagte überhaupt keine Ersatzmaschinen für derartige Fälle vorhält und auch ersichtlich ist, dass ein Subcharter in der Sommerzeit ohnehin nicht zu bekommen ist, ist die Entscheidung, keine Ersatzmaschine bereitzuhalten, zwar aus betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten nachvollziehbar, führt jedoch nicht zu einer Entlastung der Beklagten. Der Streik in … hatte auf den vorgesehenen Flug der Kläger keinen direkten Einfluss, denn der Flug hätte, wenn sich die Beklagte nicht entschieden hätte, den vom Streik beeinträchtigten Flug nach K. durchzuführen, planmäßig durchgeführt werden können. Wenn die Beklagte ihre Flüge im sogenannten Umlaufverfahren durchführt und es zu einer – vorhersehbaren – Verzögerung des vorausgehenden Fluges kommt, die Beklagte aber gar keine Möglichkeit hat, eine Ersatzmaschine zur Verfügung zu stellen oder zu besorgen, um einen pünktlichen Abflug der Kläger zu ermöglichen, beruht die Verspätung des Fluges im Wesentlichen auf der Organisationsentscheidung der Beklagten, mit den Folgen einer Flugverspätung die Passagiere sämtlicher Flüge des Umlaufs zu belasten, statt den am Nachmittag vorgesehenen Flug pünktlich auszuführen (vergl. LG Hannover, 14 S 52/11, Urteil vom 18.01.12).

20. Den Klägern steht daher ein Ausgleichsanspruch zu. Die Entfernung von H. nach L. P. beträgt jedoch nicht über 3.500 Kilometer, sondern liegt unter dieser Entfernung. Anzuwenden ist die sogenannte Großkreismethode, nicht aber die tatsächlich geflogene Strecke. Unter Zugrundelegung der Großkreismethode beträgt die Entfernung unter 3.500 Kilometer, so dass sich lediglich ein Anspruch in Höhe von 400,- € je Person ergibt.

21. Die Zinsentscheidung beruht auf den §§ 247, 286, 288 BGB.

22. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Die Kläger haben sogleich mit der Geltendmachung ihrer Ansprüche einen Anwalt beauftragt. Eine Anspruchsgrundlage für die Erstattung der Anwaltskosten ist insoweit nicht ersichtlich.

23. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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