Zwischenlandungen außerhalb der Europäischen Gemeinschaft mit Wechsel des Fluggeräts

LG Berlin: Zwischenlandungen außerhalb der Europäischen Gemeinschaft mit Wechsel des Fluggeräts

Die Klägerin hatte bei der Beklagten einen Flug gebucht, der mit einem Umstieg außerhalb der Europäischen Gemeinschaft geplant war. Bei dem Umstieg wurde ihr die Weiterreise verwehrt. Sie verlangt Ausgleichszahlung.

Das Landgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob hier die Fluggastrechteverordnung Anwendung finde.

LG Berlin 88 S 196/16 (Aktenzeichen)
LG Berlin: LG Berlin, Urt. vom 05.09.2017
Rechtsweg: LG Berlin, Urt. v. 05.09.2017, Az: 88 S 196/16
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Landgericht Berlin

1. Urteil vom 05. September 2017

Aktenzeichen 88 S 196/16

Leitsatz:

2. Dem Europäischen Gerichtshof wird die Frage vorgelegt, ob die Fluggastrechteverordnung in  Fällen des Umstiegs außerhalb der Europäischen Gemeinschaft Anwendung findet.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin hatte bei der Beklagten einen Flug von Berlin nach Agadir gebucht, der mit einem Umstieg in Casablanca, das heißt außerhalb der Europäischen Gemeinschaft, geplant war. Bei dem Umstieg wurde ihr die Weiterreise verwehrt, da ihr Platz anderweitig vergeben worden sei. Sie verlangt Ausgleichszahlung.

Das Landgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob hier die Fluggastrechteverordnung Anwendung finde. Insbesondere sei die Kausalität zwischen der Verspätung des ersten Fluges und der verwehrten Weiterreise fraglich.

Tenor:

4. Das Verfahren wird ausgesetzt.

Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt:

Liegt ein Flug im Sinne des Art. 3 Absatz 1 a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 11.02.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen vor, wenn der Beförderungsvorgang eines Luftfahrtunternehmens planmäßige Unterbrechungen (Zwischenlandungen) außerhalb des Gebietes der Europäischen Gemeinschaft mit einem Wechsel des Fluggerätes enthält?

Gründe

5. Die Klägerin verfügte über eine bestätigte Buchung für Luftbeförderungen durch die Beklagte, ein außereuropäisches Luftfahrtunternehmen, am 05.08.2015 von Berlin Tegel nach Casablanca und von dort nach Agadir.

6. Planmäßig sollte der Flug AT … von Berlin-​Tegel um 18.25 starten und um 21.30 in Casablanca landen. Der Flug AT … sollte planmäßig um 22.30 Uhr in Casablanca starten und um 23.30 Uhr in Agadir landen.

7. Der Flug AT … startete in Berlin verspätet.

8. In Casablanca ist der Klägerin von der Beklagten die Beförderung mit dem Flug AT …  verweigert worden, mit der Begründung dass der Sitzplatz anderweitig vergeben worden war. Die Klägerin erreichte Agadir erst um 3.30 Uhr.

9. Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen Ausgleichsanspruch wegen einer großen Ankunftsverspätung geltend.

10. Die Beklagte ist der Auffassung, dass sich die Verspätung des Fluges AT … nicht auf die Nichtbeförderung mit dem Flug AT … ausgewirkt hat und für diese ein Ausgleichsanspruch nach der Verordnung nicht bestehe.

11. Die Entscheidung über den Entschädigungsanspruch hängt von der Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ab.

12. Das vorlegende Gericht vertritt die Auffassung, dass die Verspätung des Fluges AT … nicht kausal für die Nichtbeförderung der Klägerin mit dem Flug AT … war. Nach eigenem Vorbringen der Klägerin hat sie den Anschlussflug erreicht, jedoch wurde ihre die Beförderung von der Beklagten verweigert, da der reservierte Sitzplatz an eine andere Person vergeben worden war. Ausreichende Anhaltspunkte, dass diese Verweigerung auf die Verspätung des Fluges AT … zurückzuführen ist, ergeben sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht.

13. Damit stellt sich die Auslegungsfrage, ob die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 auch auf den Flug AT … Anwendung finden kann.

14. Bei der Beklagten handelt es sich nicht um einen Luftfahrtunternehmer der Gemeinschaft im Sinne des Art. 3 Absatz 1 b der Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Da auch Casablanca kein Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaates der Gemeinschaft im Sinne des Art. 3 Absatz 1 a dieser Verordnung ist, hängt die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 davon ab, ob es sich bei der von der Klägerin gebuchten Beförderungen von Berlin-​Tegel nach Casablanca sowie von Casablanca nach Agadir um einen Flug im Sinne des Art. 3 Absatz 1 a dieser Verordnung handelt.

15. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 10.07.2008, C-​173/07 (Emirates Airlines ./. Schenkel) entschieden, dass sich bei einem Hin- und Rückflug jeweils um einen eigenständigen Flug handelt. Zur Begründung führt er insbesondere aus, der in Art. 8 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 verwendete Begriff „Endziel“ werde nach Art. 2 lit h als der Zielort auf dem am Abfertigungsschalter vorgelegten Flugschein bzw. bei direkten Anschlussflügen als der Zielort des letzten Fluges definiert und müsse im Sinne des Art. 8 Absatz 1 a der Verordnung vom ersten Abflugort verschieden sein. (vgl. EuGH, Beschluss vom 10.07.2008, C-​173/07, Nr.34, juris.).

16. Eine Entscheidung über die Frage, ob bei einem einheitlich gebuchten Flug mit Zwischenlandungen, jeder Beförderungsvorgang für sich als ein Flug im Sinne des Art. 3 Absatz 1 a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 anzusehen oder die Gesamtheit der Beförderungsvorgänge als ein Flug zu werten ist, ist vom Europäische Gerichtshof bisher nicht entschieden worden. Nach Auffassung der Kammer lässt sich auch aus der Wortwahl des Europäischen Gerichtshofes in seinem Urteil vom 04.10.2012, C-​321/11 (juris) nicht der Schluss ziehen, dass er mit der dortigen Formulierung „erster Flug“ und „zweiter Flug“ auch im Falle einer planmäßigen Zwischenlandung von zwei Flügen im Sinne des Art. 3 Absatz 1 a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ausgeht. So hat der Europäische Gerichtshof in dem Urteil vom 10.07.2008, C-​173/07 (a.a.O.) den jeweiligen Hin- und Rückflug als ein Flug bezeichnet, obgleich diese je eine planmäßige Zwischenlandung in Dubai enthielten.

17. Der Bundesgerichtshof hat den Begriff des Fluges im Sinne dieser vorgenannten Vorschrift im Lichte des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom, 10.07.2008, C-​173/07 (a.a.O.) dahingehend ausgelegt, dass es sich auch bei einem Erreichen eines Endziels mit planmäßig vorgenommenen Zwischenlandungen aufgrund des zwischen eines Luftverkehrsunternehmens und einem Fluggast abgeschlossenen Beförderungsvertrag jeweils um eigenständige Flugbeförderungsvorgänge handelt, so dass jede einzelne Beförderung als ein gesonderter Flug anzusehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 13.11.2012, X ZR 12/12, juris). Dabei hat der Bundesgerichtshof insgesamt auf die Argumentation des Europäischen Gerichtshofes in der Entscheidung vom 10.07.2008 (a.a.O.) zurückgegriffen (vgl. BGH, Urteil vom 13.11.2012, juris Rn.13 und 16).

18. Es ist jedoch fraglich, ob die Argumentation des Europäischen Gerichtshofes aus dieser Entscheidung ohne Weiteres auch für den Fall eines einheitlich gebuchten Fluges mit Zwischenlandungen übertragen werden kann. Denn der Europäische Gerichtshof hat in der Entscheidung vom 10.07.2008 (a.a.O) den Hin- und Rückflug je als einen eigenständigen Flug im Sinne der Verordnung angesehen, diese setzten sich aber, wie oben ausgeführt, jeweils aus zwei Flugbeförderungen mit Zwischenlandung zusammen. Soweit der Europäische Gerichtshof jede Flugbeförderung für sich als ein Flug im Sinne der Verordnung verstanden wissen wollten, hätte er von vier Flügen ausgehen müssen. Zudem hat der Europäische Gerichtshof unter anderem, wie oben ausgeführt, argumentiert, dass nach der Formulierung des Art. 8 Absatz 1 b und c der Verordnung zwischen dem ersten Abflugort und dem Endziel zu unterscheiden ist, dies aber bei einer einheitlichen Betrachtung von Hin- und Rückflug nicht möglich ist. Letztlich hielt er im Hinblick die Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus der zu befördernden Personen erforderlich, den Hin- und Rückflug nicht einheitlich zu betrachten, damit der Fluggast bei der gleichen Störung sowohl des Hin- als auch Rückfluges nicht nur einmal die Anspruche nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 geltend machen können. Diese Argumente lassen sich auf eine Flugbeförderung mit einer planmäßigen Zwischenlandung nicht übertragen.

19. Nach Auffassung der Kammer handelt es sich damit um eine Rechtsfrage, deren Antwort nicht derart offenkundig und klar ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum mehr bleibt und sich damit die Vorlage erübrigen würde.

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