Sanierungsarbeiten am Flughafen sind kein außergewöhnlicher Umstand

AG Köln: Sanierungsarbeiten am Flughafen sind kein außergewöhnlicher Umstand

Flugreisende forderten eine Ausgleichsleistung für die erhebliche Ankunftsverspätung ihres Fluges. Die Fluggesellschaft verweigerte diese mit dem Verweis auf außergewöhnliche Umstände in Form von Sanierungsarbeiten am Flughafen. Das Amtsgericht Köln sah diese aber nicht vorliegen und gab der Klage statt.

AG Köln 140 C 243/15 (Aktenzeichen)
AG Köln: AG Köln, Urt. vom 17.03.2016
Rechtsweg: AG Köln, Urt. v. 17.03.2016, Az: 140 C 243/15
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Amtsgericht Köln

1. Urteil vom 17. März 2016

Aktenzeichen 140 C 243/15

Leitsätze:

2. Im Falle einer Ankunftsverspätung von 3 Stunden oder mehr hat der Fluggast unter Umständen einen Anspruch auf eine Ausgleichsleistung.

Außergewöhnliche Umstände befreien die Fluggesellschaft im Falle einer Verspätung von der Ausgleichspflicht.

Sanierungs- bzw. Bauarbeiten werden lange im Vorfeld angekündigt und bieten den Fluggesellschaften so genug Zeit, geeignete Maßnahmen zu treffen, um Verspätungen zu vermeiden und stellen somit keinen außergewöhnlichen Umstand dar.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin buchte bei der beklagten Fluggesellschaft für den 30.07.2015 ein Ticket für den Flug von Köln-Bonn nach Istanbul Sabiha Gökçen. Der Flug sollte um 20:05 Uhr starten und 0:00 Uhr landen. Der Flug startete jedoch erst am 31.07.2015 um 04:30 Uhr und verspätetet sich dadurch um 7 Stunden und 56 Minuten.

Die Klägerin forderte deshalb von der Fluggesellschaft die Zahlung einer Ausgleichsleistung. Die Beklagte verweigerte jedoch die Zahlung und berief sich auf außergewöhnliche Umstände. Aufgrund von Sanierungsarbeiten reglementierte die türkische Luftaufsichtbehörde den Zugang zum Flughafen und da man keinerlei Einfluss auf diese nehmen konnte, sah die Beklagte dies als einen außergewöhnlichen Umstand.

Die Klägerin klagte deshalb vor dem AG Köln, welches der Klägerin Recht gab. Die Sanierungsarbeiten waren bereits im Vorfeld angekündigt worden. Somit hatte die Fluggesellschaft genug Zeit, geeignete Maßnahmen zu treffen, um Verspätungen zu vermeiden. Daher waren die Sanierungsarbeiten nicht als außergewöhnlicher Umstand anzusehen und da die Ursache für die Reglementierung keiner war, war auch diese selbst nicht als solcher anzusehen. Das Gericht verurteilte die Fluggesellschaft zur Zahlung von 400 € an die Klägerin.

 

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 2) 400,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 17.09.2015 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger zu 1) trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 2) zu 17 % und die Beklagte zu 83 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

5. Die Klägerin zu 2) besaß für den Flug der Beklagten am 30.07.2015 von Köln-Bonn nach Istanbul Sabiha Gökçen, Flugnummer 0X 0000, eine bestätigte Buchung. Geplant war, dass der Abflug um 20:05 Uhr erfolgt und die Landung um 0:00 Uhr. Tatsächlich wurde der Abflug erst am 31.07.2015 um 04:30 Uhr vorgenommen. Es kam zu einer Ankunftsverspätung von 7 Stunden 56 Minuten.

6. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin zu 2) eine Ausgleichszahlung nach der VO (EG) 261/2004 (im Folgenden: FluggastrechteVO).

7. Der Kläger zu 1) wandte sich mehrfach per E-Mail (02.08.2015 sowie 23.08.2015) an die Beklagte. Unter dem 28.08.2015 teilte die Beklagte mit, dass eine Ausgleichszahlung nicht erfolgen werde. Unter dem 02.09.2015 wurde die Beklagte sodann durch den Prozessbevollmächtigten der Klägerseite erneut zur Zahlung aufgefordert.

8. Ursprünglich wurde die Klage durch den Kläger zu 1), welcher die Buchung getätigt hatte, und die Klägerin zu 2) erhoben. Mit Schreiben vom 25.11.2015 hat der Kläger zu 1) seine Klage zurückgenommen.

9. Die Klägerin zu 2) beantragt nunmehr,

10. die Beklagte zu verurteilen, an sie 400,00 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 17.09.2015 zu zahlen.

11. die Beklagte wird verurteilt zur Freistellung der Klägerin an die B. Rechtschutzversicherung aus I. zu deren Aktenzeichen Leistungsnummer 00-000000-0-00-00 € 83,54 nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

12. Die Beklagte beantragt,

13. die Klage abzuweisen.

14. Die Beklagte ist der Ansicht, was sie näher ausführt, dass eine Ausgleichszahlung nur im Falle der Annullierung, nicht aber im Falle der Verspätung geltend gemacht werden könne.

15. Sie ist des Weiteren der Ansicht, dass die Verspätung auf einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der FluggastrechteVO zurückzuführen sei. Hierzu behauptet sie, dass der Flug aufgrund von Beschränkungen innerhalb des türkischen Luftraums nicht flugplanmäßig habe durchgeführt werden können. Aufgrund von Sanierungsarbeiten an der Start- und Landebahn des Flughafens Istanbul-Sabiha Gökçen hätten die dortigen Kapazitäten nur eingeschränkt zur Verfügung gestanden und der Zugang zum Flughafen sei von der türkischen Luftaufsicht reglementiert worden. Dem Flug sei der Airway-Slot erst für den 31.07.2015 um 3:40 Uhr (Ortszeit) zugeteilt worden. Sodann sei die Startposition noch ein weiteres Mal auf 4:20 Uhr verschoben worden. Sie habe keine Möglichkeit gehabt, die eingetretene Verzögerung zu verhindern oder zu verkürzen. Die Reglementierung des Zugangs zum Flughafen Istanbul-Sabiha Gökçen und die Vergabe der Airway-Slots seien hoheitliche Aufgaben, auf welche sie keinen Einfluss nehmen könne.

16. Letztlich ist die Beklagte der Ansicht, dass die geltend gemachten vorgerichtlich Rechtsanwaltskosten nicht erstattungsfähig seien.

17. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

18. Die zulässige Klage ist teilweise begründet, im Übrigen ist die Klage unbegründet.

19. Die Klägerin zu 2 hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 400,00 € gem. Art. 5 Abs. 1 c), 7 Abs. 1 b) der FluggastrechteVO.

20. Die Klägerin, welche eine bestätigte Buchung für den von der Beklagten durchgeführten Flug 0 X 0000 besaß und unstreitig rechtzeitig zur Abfertigung eintraf, erreichte den Zielflughafen Istanbul unstreitig mit einer Ankunftsverspätung von mehr als drei Stunden.

21. Die Flugstrecke betrug mehr als 1500 km aber weniger als 3500 km und lag damit in dem Bereich, für den Artikel 7 Abs. 1 lit. b) FluggastrechteVO eine Ausgleichszahlung i. H. v. 400,00 € vorsieht.

22. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat, ebenso wie der Bundesgerichtshof, bereits wiederholt entschieden, dass dem Fluggast eine Ausgleichsleistung nach Art. 7 FluggastrechteVO nicht nur bei der Annullierung von Flügen, sondern auch dann zusteht, wenn er sein Endziel aufgrund des verspäteten Fluges nicht früher als 3 Stunden nach der ursprünglichen Ankunftszeit erreicht (vgl. EuGH, Urteil vom 23.10.2012, Az. C-581/10 und C-629/10; Urteil vom 19.11.2009, Az. C-402/07 und C-432/07; BGH, Urteil vom 18.02.2010, Az. Xa ZR 95/06). Das erkennende Gericht schließt sich dieser Auffassung an. Zwar ergibt sich aus dem Wortlaut der Art. 5 und 7 der FluggastrechteVO nicht unmittelbar, dass Fluggäste den in Art. 7 FluggastrechteVO vorgesehenen Anspruch auf Ausgleichszahlung auch im Falle einer verspäteten Abflugzeit geltend machen können. Bei der Auslegung der Vorschrift sind jedoch nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und der mit ihr verfolgte Regelungszweck zu berücksichtigen. Die Situation von Fluggästen verspäteter Flüge unterscheidet sich kaum von derjenigen von Fluggästen annullierter Flüge, da beide Fälle gleichermaßen mit Unannehmlichkeiten für die Betroffenen in Form eines Zeitverlust verbunden sind. So ergibt sich auch aus den Erwägungsgründen der FluggastrechteVO, dass diese darauf abzielt, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste unabhängig davon sicherzustellen, ob sie von einer Nichtbeförderung, einer Annullierung oder einer Verspätung betroffen sind, da sie alle von gleichen Ärgernissen und großen Unannehmlichkeiten betroffen sind (vgl. Erwägungsgrund Nr. 2 zur VO (EG) 261/2004; EuGH, am angegebenen Ort).

23. Vor diesem Hintergrund stellt sich die vom EuGH vorgenommene Analogie, wonach der Ausgleichsanspruch nach Art. 7 FluggastrechteVO auch Fluggästen zusteht, die von einer mehr als dreistündigen Flugverspätung betroffen sind, nicht als rechtswidrig, sondern als zulässige Rechtsfortbildung dar. Insbesondere verstößt der EuGH hiermit auch nicht gegen das Prinzip der Gewaltenteilung. Die Kompetenz der Gerichte zu einer allgemeinen Rechtsfortbildung ist nicht nur auf den Fall der Lückenausfüllung bei planwidriger Lückenhaftigkeit beschränkt. Sofern die Rechtsordnung Wertentscheidungen, sei es auch nur in unvollkommener Form, für eine Lösung in einem bestimmten Sinne ergibt, darf der Richter das Gesetz im Rahmen seines Zwecks und seiner Wertentscheidung auch ohne konkreten Nachweis einer Lücke ausdifferenzierten und ergänzen (vergleiche BGH NJW 1989, 3273, 3274).

24. Die Beklagte kann sich hinsichtlich der Verspätung nicht auf Art. 5 Abs. 3 der FluggastrecheVO berufen. Eine Verspätung führt gem. Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch zugunsten der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO ist eng auszulegen.

25. Ein außergewöhnlicher Umstand i. S. d. Art. 5 Abs. 3 FluggastrechteVO  ist nur dann gegeben, wenn das Vorkommnis nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftverkehrsunternehmens und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist. Der BGH führt in Übereinstimmung mit dem EuGH in st. Rspr. aus, dass Umstände außergewöhnlich sind, die nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechen, sondern außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann. Es sollen Ereignisse erfasst werden, die nicht zum Luftverkehr gehören, sondern als – jedenfalls in der Regel von außen kommende – besondere Umstände seine ordnungs- und planmäßige Durchführung beeinträchtigen oder unmöglich machen können. Umstände, die im Zusammenhang mit einem den Luftverkehr störenden Vorfall auftreten, können nur dann als außergewöhnlich i.S.v. Art. 5 Abs. 3 der FluggastrechteVO angesehen werden, wenn sie auf ein Vorkommnis zurückgehen, das, wie die in Erwägungsgrund 14 der Verordnung aufgezählten, nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und aufgrund seiner Natur oder Ursache von diesem tatsächlich nicht zu beherrschen ist (Blankenburg in: RRa, 2015, 162 ff., m.w.N.).

26. Danach ist von dem Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes nicht auszugehen. Denn nach dem Vortrag der Beklagten standen die Kapazitäten am Flughafen in Istanbul aufgrund von Sanierungsarbeiten nur eingeschränkt zur Verfügung und der Zugang zu dem Flughafen wurde von der türkischen Luftaufsicht reglementiert.

27. Bei den Sanierungsarbeiten handelt es sich nicht um ein besonderes außergewöhnliches Ereignis, sondern um eine länger bekannte Maßnahme, auf die auch schon im Vorfeld von Seiten der Beklagten hätte reagiert werden können. Sanierungs- und Umbaumaßnahmen gehören zum normalen Flugbetrieb.

28. Sind die Sanierungsarbeiten, mithin die Primärursache, schon nicht als außergewöhnlicher Umstand anzuerkennen, so kann eine darauf beruhende Folge, nämlich die Reglementierung durch die Luftaufsicht, ebenfalls nicht einen außergewöhnlichen Umstand darstellen.

29. Mithin ist die Beklagte zur Ausgleichszahlung verpflichtet.

30. Die geltend gemachten Zinsen stehen der Klägerin gem. §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB zu.

31. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sind hingegen nicht erstattungsfähig. Zum einen hat die Klägerin schon nicht aufgezeigt, dass eine erneute außergerichtliche Zahlungsaufforderung durch einen Rechtsanwalt erforderlich war, nachdem die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 28.08.2015 die Vornahme der Ausgleichszahlung abgelehnt hatte. Zum anderen hat die Klägerin auf den Einwand der Beklagten nichts zu der Art des erteilten Auftrages – bedingter oder unbedingter Auftrag – vorgetragen. Sollte vorliegend ein unbedingter Klageauftrag erteilt worden sein, können die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht gem. § 286 BGB verlangt werden, da es sich in diesem Fall bei dem außergerichtlichen Schreiben um eine Maßnahme handelt, die der Vorbereitung des Rechtsstreits gem. § 19 Abs. 1 Nr. 1 RVG dient.

32. Die hinsichtlich der Nebenforderung geltend gemachten Zinsen teilen das Schicksal der unbegründeten Nebenforderung.

33. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2, 708 Nr. 11, 711, 709 ZPO. Im Hinblick auf die Teilabweisung betreffend die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst diesbezüglicher Zinsen, die ausgehend von einem fiktiven Streitwert gebildet aus Hauptforderung und Nebenforderungen einen Anteil von mehr als 10% dieses Streitwerts ausmacht, waren die Kosten des Rechtsstreits auf Basis des fiktiven Streitwerts unter Berücksichtigung der Teilabweisung – so wie erkannt – zu quoteln (Zöller/Herget, ZPO, 30. Aufl., § 92 ZPO, Rn. 11).

34. Die Berufung wurde aufgrund der Entscheidung des AG Köln vom 07.01.2016 (138 C 417/15) gem. § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO – Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung – zugelassen.

35. Streitwert: 400,00 €

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