Reisebüro mit erforderlicher Sicherheit vom Kreditinstitut aus anderen Mitgliedstaat

EuGH: Reisebüro mit erforderlicher Sicherheit vom Kreditinstitut aus anderem Mitgliedstaat

Ein frenzösischer Reiseveranstalter musste sich einem Strafverfahren unterziehen, weil er Reisen nach Italien ausgeführt hatte, ohne vorher einen Kreditvertrag mit einem italienischen Partner-Institut geschlossen zu haben.

Der Europäische Gerichtshof entschied, dass eine nationale Regelung, die zusätzliche Vereinbarungen zu einem inländischen Unternehmen fordert, wenn ein ausländisches Kreditinstitut einem Reiseveranstalter die für die Betriebserlaubnis notwendige finanzielle Sicherheit gewährt, der Dienstleistungsfreiheit entgegen steht.

EuGH C-410/96 (Aktenzeichen)
EuGH: EuGH, Urt. vom 01.12.1998
Rechtsweg: EuGH, Urt. v. 01.12.1998, Az: C-410/96
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Europäischer Gerichtshof

1. Urteil vom 1. Dezember 1998

Aktenzeichen C-410/96

Leitsatz:

2. Eine nationale Regelung, die bei der Bestellung finanzieller Sicherheiten bei ausländischen Versicherungsgebern von diesen zusätzliche Vereinbarungen mit inländischen Kreditinstituten fordert, steht der unionsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit von Versicherern und Kreditinstituten entgegen.

Zusammenfassung:

3. Gegen einen französischen Reiseveranstalter lief ein Strafverfahren, weil dieser ohne gültige Betriebserlaubnis Geschäfte gemacht hatte. Die für die Ausstellung der Genehmigung notwendige finanzielle Sicherheit hatte er bei einem italienischen Kreditinstitut bestellt, das keine zusätzlichen Vereinbarungen mit einem französischen Institut hatte – dies war jedoch ein Erfordernis französischen Rechts. Der Reiseveranstalter führte im Verfahren an, dass diese nationale Regelung der in diversen EU-Richtlinien garantierten Dienstleistungsfreiheit für Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen entgegen stehe. Da das französische Gericht für das Urteil die Klärung dieser Frage durch den Europäischen Gerichtshof für erforderlich hielt, legte es sie ihm zur Beantwortung vor.

Der Europäische Gerichtshof entschied, dass die nationale Regelung den EU-Richtlinien entgegenstand. Der Zweck des Erfordernisses von Sicherheiten bei einem, im vorliegenden Fall inländischen, Institut ist der Schutz des Reisenden im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters und die Gewährleistung von Heimreise und Erstattung gezahlter Beträge. Argument des französischen Gesetzgebers für die Regelung waren vermeintliche praktische Schwierigkeiten beim grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr. Diese waren allerdings als gering anzusehen. Schwerer wog die Erschwernis für die ausländischen Institute, Geschäfte in Frankreich zu machen.

Tenor:

4. Artikel 59 EG-​Vertrag sowie die Zweite Richtlinie 89/646/EWG des Rates vom 15. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und zur Änderung der Richtlinie 77/780/EWG und die Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG (Dritte Richtlinie Schadenversicherung) stehen einer nationalen Regelung entgegen, die im Rahmen der Durchführung von Artikel 7 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen für die Bestellung finanzieller Sicherheiten bei einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Kreditinstitut oder Versicherungsunternehmen verlangt, daß dieser Sicherheitsgeber eine zusätzliche Vereinbarung mit einem im Inland ansässigen Kreditinstitut oder Versicherungsunternehmen schließt.

Gründe:

5. Das Tribunal de grande instance Metz hat mit Urteil vom 19. Dezember 1996, das am 24. Dezember 1996 beim Gerichtshof eingegangen ist, gemäß Artikel 177 EG-​Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Artikel 59 und 73b EG-​Vertrag, der Richtlinie 73/183/EWG des Rates vom 28. Juni 1973 zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für selbständige Tätigkeiten der Kreditinstitute und anderer finanzieller Einrichtungen (ABl. L 194, S. 1) sowie der Zweiten Richtlinie 89/646/EWG des Rates vom 15. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und zur Änderung der Richtlinie 77/780/EWG (ABl. L 386, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

6. Diese Frage stellt sich in einem Strafverfahren gegen Herrn Ambry, den Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der angeklagt ist, eine Tätigkeit in bezug auf die Veranstaltung und den Verkauf von Reisen oder Aufenthalten ausgeuebt oder an einer solchen Tätigkeit mitgewirkt zu haben, ohne im Besitz der nach Artikel 4 des französischen Gesetzes Nr. 92/645 vom 13. Juli 1992 zur Festlegung der Voraussetzungen für die Ausübung der Tätigkeiten in bezug auf die Veranstaltung und den Verkauf von Reisen oder Aufenthalten (JORF, S. 9457; im folgenden: Gesetz Nr. 92/645) erforderlichen behördlichen Erlaubnis zu sein.

7. Die Gemeinschaftsregelung

8. Artikel 7 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen (ABl. L 158, S. 59) sieht vor:

9. „Der Veranstalter und/oder Vermittler, der Vertragspartei ist, weist nach, daß im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses die Erstattung gezahlter Beträge und die Rückreise des Verbrauchers sichergestellt sind.“

10. Artikel 8 dieser Richtlinie bestimmt:

11. „Die Mitgliedstaaten können in dem unter diese Richtlinie fallenden Bereich strengere Vorschriften zum Schutze des Verbrauchers erlassen oder aufrechterhalten.“

12. In Artikel 18 der Richtlinie 89/646 heisst es:

13. „(1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, daß die in der Liste im Anhang aufgeführten Tätigkeiten in ihrem Hoheitsgebiet gemäß den Artikeln 19, 20 und 21 sowohl über eine Zweigstelle als auch im Wege des Dienstleistungsverkehrs von jedem Kreditinstitut ausgeuebt werden können, das durch die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats gemäß dieser Richtlinie zugelassen ist und kontrolliert wird, soweit die betreffenden Tätigkeiten durch die Zulassung abgedeckt sind.

(2)

14. Die Mitgliedstaaten sehen ferner vor, daß die in der Liste im Anhang aufgeführten Tätigkeiten in ihrem Hoheitsgebiet gemäß den Artikeln 19, 20 und 21 sowohl über eine Zweigstelle als auch im Wege des Dienstleistungsverkehrs von jedem Finanzinstitut eines anderen Mitgliedstaats ausgeuebt werden können, das ein Tochterunternehmen eines Kreditinstituts oder ein gemeinsames Tochterunternehmen mehrerer Kreditinstitute ist, dessen Satzung die Ausübung dieser Tätigkeiten gestattet und das alle nachfolgenden Voraussetzungen erfuellt:

…“

15. Die in Absatz 2 genannten Institute müssen bestimmte, dort im einzelnen aufgeführte Voraussetzungen erfuellen.

16. In Nummer 6 des Anhangs, auf den Artikel 18 Bezug nimmt, sind Bürgschaften und die Eingehung von Verpflichtungen genannt.

17. Artikel 4 der Richtlinie 92/49/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG (Dritte Richtlinie Schadenversicherung) (ABl. L 228, S. 1) stellt die Voraussetzungen für die Aufnahme der Versicherungstätigkeit auf. Er ersetzte Artikel 6 der Ersten Richtlinie 73/239/EWG des Rates vom 24. Juli 1973 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung (mit Ausnahme der Lebensversicherung) (ABl. L 228, S. 3) durch folgende Vorschrift:

18. „Die Aufnahme der Direktversicherungstätigkeit ist von einer vorherigen behördlichen Zulassung abhängig.

19. Diese Zulassung muß bei den Behörden des Herkunftsmitgliedstaats beantragt werden von

a)

20. Unternehmen, die ihren Sitz im Staatsgebiet dieses Mitgliedstaats begründen,

…“

21. Mit Artikel 5 der Richtlinie 92/49 wurde ausserdem Artikel 7 der Richtlinie 73/239 wie folgt geändert:

22. „(1) Die Zulassung gilt für die gesamte Gemeinschaft. Sie erlaubt dem Unternehmen, dort Tätigkeiten auszuüben, sei es im Rahmen der Niederlassungsfreiheit, sei es im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit.

…“

23. Die nationale Regelung

24. Artikel 4 des Gesetzes Nr. 92/645 bestimmt, daß nur eine natürliche oder juristische Person mit Kaufmannseigenschaft, die im Besitz einer behördlichen Erlaubnis für Reisevermittler ist, Individual- oder Gruppenreisen bzw. -aufenthalte veranstalten oder verkaufen darf. Derselbe Artikel nennt die Voraussetzungen für die Erteilung dieser Erlaubnis; namentlich ist gemäß Buchstabe c

25. „gegenüber den Kunden insbesondere im Hinblick auf die Erstattung von Beträgen, die [die Reisevermittler] für die in Artikel 1 genannten Leistungen erhalten, und die Erbringung von Ersatzleistungen eine ausreichende finanzielle Sicherheit nachzuweisen, die in der Verpflichtung eines kollektiven Garantiefonds, eines Kreditinstituts oder eines Versicherungsunternehmens besteht; diese finanzielle Sicherheit umfasst auch die Kosten einer etwaigen Rückreise und muß in diesem Fall im Inland unmittelbar verfügbar sein“.

26. Die Durchführungsbestimmungen zu diesem Gesetz sind im Dekret Nr. 94/490 vom 15. Juni 1994 (JORF, S. 8746) festgelegt.

27. Artikel 12 dieses Dekrets bestimmt:

28. „Die in Artikel 4 Buchstabe c des Gesetzes vom 13. Juli 1992 vorgesehene finanzielle Sicherheit besteht in einer schriftlichen Bürgschaftserklärung

1.

29. eines kollektiven Garantiefonds mit Rechtspersönlichkeit, der eigens zu diesem Zweck eingerichtet worden ist, oder

2.

30. eines zur Stellung einer finanziellen Sicherheit befugten Kreditinstituts oder Versicherungsunternehmens.

31. Die finanzielle Sicherheit ist speziell bestimmt für die Erstattung von Beträgen, die der Reisevermittler für die Verpflichtungen erhalten hat, die er gegenüber seinen Kunden im Hinblick auf laufende oder noch zu erbringende Leistungen eingegangen ist; sie ermöglicht es insbesondere im Fall der Zahlungseinstellung, die zu einem Konkursantrag geführt hat, die Rückreise der Reisenden zu gewährleisten.

…“

32. Artikel 14 des Dekrets Nr. 94/490 sieht vor:

33. „Die finanzielle Sicherheit kann nur von einem Kreditinstitut oder einem Versicherungsunternehmen gestellt werden, das seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft oder eine Zweigstelle in Frankreich hat. Die finanzielle Sicherheit muß in jedem Fall unmittelbar verfügbar sein, um unter den Voraussetzungen des nachstehenden Artikels 16 die Rückreise der Kunden zu gewährleisten. Hat das Kreditinstitut oder das Versicherungsunternehmen seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft als Frankreich, muß zu diesem Zweck eine Vereinbarung zwischen dieser Einrichtung und einem in Frankreich ansässigen Kreditinstitut oder Versicherungsunternehmen geschlossen werden. Eine entsprechende Bescheinigung des in Frankreich ansässigen Kreditinstituts oder Versicherungsunternehmens wird von dem betreffenden Reisevermittler dem Präfekten übermittelt. Dem Präfekten sind unverzueglich und unter den gleichen Bedingungen die Änderungen dieser Vereinbarung und gegebenenfalls der Abschluß einer neuen Vereinbarung über den gleichen Gegenstand mitzuteilen.

…“

34. Artikel 16 des Dekrets 94/490 enthält folgende Durchführungsvorschriften für die finanzielle Sicherheit:

35. „Die Pflicht zur Leistung aufgrund der Sicherheit besteht bereits dann, wenn der Gläubiger dem Sicherheitsgeber Nachweise vorlegt, aus denen sich ergibt, daß die Forderung bestimmt und fällig ist und daß das Reisebüro, für das die Sicherheit gestellt ist, zahlungsunfähig ist, ohne daß der Sicherheitsgeber dem Gläubiger die Einrede der anteilmässigen Haftung oder die Einrede der Vorausklage entgegenhalten kann.

36. Die Zahlungsunfähigkeit des Reisevermittlers, für den die Sicherheit gestellt ist, kann sich entweder aus einem Konkursantrag oder aus einer durch den Gerichtsvollzieher oder durch Einschreiben mit Rückschein zugestellten Zahlungsaufforderung ergeben, die abgelehnt wird oder der nicht binnen 45 Tagen ab Zustellung der Aufforderung entsprochen wird.

37. Im Fall der Klage muß der Kläger den Sicherheitsgeber durch Einschreiben mit Rückschein von der Klageschrift mit Ladung in Kenntnis setzen.

38. Bestreitet der Sicherheitsgeber den Zahlungsanspruch dem Grund oder der Höhe nach, so kann der Gläubiger unmittelbar beim zuständigen Gericht Klage erheben.

39. Abweichend von den vorstehenden Bestimmungen wird die Leistung aufgrund der Sicherheit im Hinblick auf die Gewährleistung der Rückreise der Kunden eines Reisebüros bei Dringlichkeit vom Präfekten angeordnet, der den Sicherheitsgeber auffordert, unverzueglich und vorrangig die erforderlichen Beträge freizugeben, um die mit der Rückreise verbundenen Kosten zu decken. Wird die finanzielle Sicherheit jedoch von einem kollektiven Garantiefonds im Sinne von Artikel 13 gestellt, so erfuellt dieser in dem vom Präfekten ordnungsgemäß festgestellten Fall der Dringlichkeit die Sicherheit unverzueglich mit allen Mitteln.“

40. Das Ausgangsverfahren

41. Herr Ambry ist als Geschäftsführer der Gesellschaft A Tours vor dem Tribunal de grande instance Metz angeklagt, 1996 eine Tätigkeit in bezug auf die Veranstaltung und den Verkauf von Reisen oder Aufenthalten ausgeuebt oder an einer solchen Tätigkeit mitgewirkt zu haben, ohne im Besitz der nach Artikel 4 des Gesetzes Nr. 92/645 dafür erforderlichen behördlichen Erlaubnis zu sein.

42. Er beantragte bei der Präfektur Moselle eine Erlaubnis, die ihm mit der Begründung verweigert wurde, daß die für die Ausübung der Tätigkeit eines Reisevermittlers unerläßliche finanzielle Sicherheit, über die er verfügte, nicht die Anforderungen des Artikels 14 des Dekrets Nr. 94/490 erfuelle, weil sie von einer italienischen Finanzgesellschaft, der Compagnia cauzioni SpA mit Sitz in Rom, stamme, die keine Vereinbarung mit einem Kreditinstitut oder einem Versicherungsunternehmen mit Sitz in Frankreich geschlossen habe.

43. Herr Ambry stellte vor dem Tribunal de grand instance Metz die Vereinbarkeit der in Artikel 14 des Dekrets Nr. 94/490 aufgestellten Erfordernisse mit dem Gemeinschaftsrecht für den Fall in Frage, daß dem Reisevermittler die Sicherheit von einem Kreditinstitut oder Versicherungsunternehmen gewährt werde, das seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union habe. Diese Erfordernisse stellten auf dem Gebiet der Stellung finanzieller Sicherheiten ein Hindernis für den freien Kapitalverkehr und für die Dienstleistungsfreiheit dar, wie sie nach dem Vertrag und den genannten Richtlinien vorgesehen seien, so daß ihm die Erlaubnis unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht verweigert worden sei.

44. Die Vorlagefrage

45. Da das Tribunal de grande instance Metz der Ansicht ist, daß die Entscheidung über die gegen Herrn Ambry erhobene Anklage eine Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften erfordere, hat es das Verfahren ausgesetzt, um dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

46. Steht Artikel 14 des Dekrets Nr. 94/490 vom 15. Juni 1994, das zur Durchführung von Artikel 31 des Gesetzes Nr. 92/645 vom 13. Juli 1992 erlassen wurde, mit der Richtlinie 73/183 von 1973, der Koordinierungsrichtlinie vom 15. Dezember 1989, Artikel 59 EG-​Vertrag und Artikel 73b des Vertrages von Maastricht nicht in Einklang, weil er in dem Fall, daß eine finanzielle Sicherheit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft als Frankreich gestellt wird, den Abschluß einer Vereinbarung zwischen dem in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft als Frankreich und einem in Frankreich ansässigen Kreditinstitut oder Versicherungsunternehmen verlangt?

47. Der Gerichtshof hat im Verfahren nach Artikel 177 des Vertrages nicht über die Vereinbarkeit von Vorschriften des nationalen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht zu entscheiden; er kann dem vorlegenden Gericht aber alle Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts geben, damit es über die Vereinbarkeit dieser Vorschriften mit den angeführten Gemeinschaftsbestimmungen entscheiden kann.

48. Da die Dienstleistungsfreiheit der Kreditinstitute unmittelbar durch die Richtlinie 89/646 geregelt ist, brauchen die allgemeineren Bestimmungen der Richtlinie 73/183 nicht herangezogen zu werden. Soweit das vorlegende Gericht fragt, ob die in der französischen Regelung den in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Versicherungsunternehmen auferlegte Verpflichtung, eine Vereinbarung mit einem in Frankreich ansässigen Versicherungsunternehmen zu schließen, mit den Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit vereinbar ist, ist dagegen im Hinblick auf eine derartige Verpflichtung die Richtlinie 92/49 auszulegen, die die Dienstleistungsfreiheit im Versicherungsbereich betrifft.

49. Daher ist die Vorlagefrage so zu verstehen, ob Artikel 59 des Vertrages, die Richtlinien 89/646 und 92/49 oder Artikel 73b des Vertrages einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren betroffenen entgegenstehen, die im Rahmen der Durchführung von Artikel 7 der Richtlinie 90/314 für die Stellung finanzieller Sicherheiten bei einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Kreditinstitut oder Versicherungsunternehmen verlangt, daß dieser Sicherheitsgeber eine zusätzliche Vereinbarung mit einem im Inland ansässigen Kreditinstitut oder Versicherungsunternehmen schließt.

50. Zur Auslegung der Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit

51. Nach Artikel 7 der Richtlinie 90/314 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Sicherheiten vorzusehen, die im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses des Veranstalters, bei dem der Verbraucher seine Reise gebucht hat, die Erstattung gezahlter Beträge oder die Rückreise des Verbrauchers ermöglichen. Diese Bestimmung ist so auszulegen, daß sie zum Schutz des Verbrauchers ein Ergebnis vorschreibt, das die Verleihung eines Rechts an den Pauschalreisenden umfasst, mit dem seine Rückreise und die Erstattung gezahlter Beträge gesichert werden (vgl. Urteil vom 8. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-​178/94 , C-​179/94 und C-​188/94 bis C-​190/94 , Dillenkofer u. a., Slg. 1996, I-​4845, Randnrn. 35 und 42).

52. Ausserdem ergibt sich aus Artikel 8 dieser Richtlinie, daß die Verpflichtung, diese Sicherheiten vorzusehen, wie die anderen Schutzvorschriften der Richtlinie eine Mindestverpflichtung darstellt.

53. Sofern die Mitgliedstaaten den Vertrag, insbesondere Artikel 59, beachten, sind sie daher nicht gehindert, vorzusehen, daß die betreffenden Sicherheiten nicht nur zu stellen sind, sondern für den Fall der Rückreise des Reisenden auch unmittelbar verfügbar sein müssen.

54. Daher ist zu prüfen, ob der in Artikel 59 des Vertrages aufgestellte Grundsatz der Dienstleistungsfreiheit, der im Bankenbereich durch die Richtlinie 89/646 und im Versicherungsbereich durch die Richtlinie 92/49 durchgeführt wurde, einer nationalen Regelung entgegensteht, die – um sicherzustellen, daß die in Artikel 7 der Richtlinie 90/314 vorgesehenen Sicherheiten im Fall der Rückreise des Reisenden unmittelbar verfügbar sind, – für den Fall der Stellung solcher Sicherheiten in einem anderen Mitgliedstaat vorsieht, daß eine Vereinbarung zwischen dem Sicherheitsgeber und einem im Inland ansässigen Finanzinstitut bestehen muß.

55. Nach den in Rede stehenden Rechtsvorschriften gilt die Verpflichtung zum Abschluß einer Vereinbarung mit einer im Inland ansässigen Einrichtung für die in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen, wenn der im Inland ansässige Reisevermittler bei einer dieser Einrichtungen Sicherheiten stellt. Aus den Erklärungen der französischen Regierung in der mündlichen Verhandlung ergibt sich, daß diese Vereinbarung zusätzlich zu den ursprünglichen Sicherheiten geschlossen wird, die von dem Kreditinstitut oder dem Versicherungsunternehmen für den Reiseveranstalter gestellt werden. Die Vereinbarung muß zwischen dem ursprünglichen Sicherheitsgeber und einem im Mitgliedstaat des Reisevermittlers ansässigen Kreditinstitut oder Versicherungsunternehmen geschlossen werden, das sich verpflichtet, die unmittelbare Verfügbarkeit der Beträge zu gewährleisten.

56. Folglich ist, wenn die nach Artikel 7 der Richtlinie 90/314 erforderlichen Sicherheiten bei einem im Inland ansässigen Finanzinstitut gestellt werden, nur ein Vertrag erforderlich, während für sie, wenn sie bei einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Finanzinstitut gestellt werden, eine zusätzliche Vereinbarung bestehen muß, die die Form anderer Sicherheiten annimmt, die bei einem im Inland ansässigen Finanzinstitut gestellt werden.

57. Dieses letztgenannte Erfordernis hat zunächst für die in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Finanzinstitute eine beschränkende und abschreckende Wirkung, da es diese hindert, die verlangten Sicherheiten ebenso wie ein im Inland ansässiger Sicherheitsgeber dem Reiseveranstalter unmittelbar anzubieten.

58. Dieses Erfordernis ist auch geeignet, den Reiseveranstalter davon abzuhalten, sich an ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Finanzinstitut zu wenden. Dessen Verpflichtung, eine weitere Sicherungsvereinbarung zu schließen, kann zusätzliche Kosten verursachen, die gewöhnlich auf den Reiseveranstalter abgewälzt werden.

59. Daher ist festzustellen, daß eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die den in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Finanzinstituten die Verpflichtung zum Abschluß einer zusätzlichen Vereinbarung auferlegt, eine Beschränkung der durch Artikel 59 des Vertrages und die Richtlinien 89/646 und 92/49 garantierten Dienstleistungsfreiheit darstellt.

60. Es ist jedoch zu prüfen, ob eine derartige Beschränkung als für den Schutz der Verbraucher erforderlich gerechtfertigt sein kann.

61. Nach Auffassung der französischen Regierung rechtfertigen es die praktischen Schwierigkeiten, die hinsichtlich der unmittelbaren Verfügbarkeit bestuenden, wenn das Finanzinstitut in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sei, daß von diesen Instituten der Abschluß einer zusätzlichen Vereinbarung verlangt werde. Dieses Erfordernis sei damit zu erklären, daß grenzueberschreitende Geldtransfers eine gewisse Zeit beanspruchten und daß es schwierig, wenn nicht unmöglich sei, im Falle eines Rechtsstreits oder der Weigerung des Sicherheitsgebers, die Beträge freizugeben, zu bestimmten administrativen Maßnahmen zu greifen oder in anderen Mitgliedstaaten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einzuleiten.

62. Das durch die in Rede stehende Regelung aufgestellte Gebot der unmittelbaren Verfügbarkeit betrifft nur den Fall der Rückreise der Reisenden und nicht die anderen Leistungen, für die die Sicherheiten gemäß Artikel 7 der Richtlinie 90/314 gestellt werden.

63. Die Verpflichtung zum Abschluß einer zusätzlichen Vereinbarung gilt aber für alle Sicherheiten, die von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Kreditinstituten oder Versicherungsunternehmen gestellt werden.

64. Folglich geht die Verpflichtung zum Abschluß einer zusätzlichen Vereinbarung mit einem in Inland ansässigen Finanzinstitut, soweit sie über die Fälle der Rückreise hinaus besteht, über das hinaus, was zur Erreichung des verfolgten Zieles erforderlich ist.

65. Bezueglich des Teils der Sicherheiten, der die Rückreise des Reisenden sichern soll und für den das Gebot der unmittelbaren Verfügbarkeit gerechtfertigt ist, hat Herr Ambry in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, daß Geldtransfers zwischen europäischen Banken sehr schnell vorgenommen werden könnten, nämlich über das internationale Transfersystem innerhalb von 24 bis 48 Stunden; die französische Regierung hat dies eingeräumt, jedoch hinzugefügt, daß die Zeiträume unterschiedlich seien und deutlich länger sein könnten.

66. Das Gebot der unmittelbaren Verfügbarkeit der Beträge kann ersichtlich in der Regel auch dann adäquat erfuellt sein, wenn der Sicherheitsgeber in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist. Jedenfalls sieht die in Rede stehende Regelung für den Reiseveranstalter nicht einmal die Möglichkeit vor, nachzuweisen, daß er die gesicherten Beträge mit der Schnelligkeit, die diese Regelung verlangt, verfügbar machen kann.

67. Was schließlich das Vorbringen angeht, in anderen Mitgliedstaaten könne nicht ebenso wirksam vorgegangen werden, wie es aufgrund bestimmter administrativer Maßnahmen oder bestimmter gerichtlicher Entscheidungen im Inland gewährleistet sei, so können zwar bestimmte administrative Maßnahmen nicht in gleicher Weise gegenüber in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen getroffen werden, doch stehen jedenfalls die gerichtlichen Eilverfahren zur Verfügung, die es in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft gibt. Die Wirksamkeit der in diesen Verfahren ergehenden Entscheidungen wird vom Inhalt des Sicherungsvertrags zwischen dem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Finanzinstitut und dem Reiseveranstalter abhängen.

68. Somit ergibt sich, daß Artikel 59 des Vertrages sowie die Richtlinien 89/646 und 92/49 einer nationalen Regelung entgegenstehen, die im Rahmen der Durchführung von Artikel 7 der Richtlinie 90/314 für die Stellung finanzieller Sicherheiten bei einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Kreditinstitut oder Versicherungsunternehmen verlangt, daß dieser Sicherheitsgeber eine zusätzliche Vereinbarung mit einem im Inland ansässigen Kreditinstitut oder Versicherungsunternehmen schließt.

69. Nach alledem braucht die Frage, ob eine solche Regelung auch gegen Artikel 73b des Vertrages verstösst, nicht geprüft zu werden.

Kosten:

70. Die Auslagen der französischen und der spanischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

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