Internationale Zuständigkeit für Klauselkontrolle bei Flugangeboten

KG Berlin: Internationale Zuständigkeit für Klauselkontrolle bei Flugangeboten

Ein Verbraucherschutzverband klagte gegen eine lettische Fluggesellschaft, weil diese sich in den AGB die nachträgliche Erhebung erhöhter Steuern vorbehielt. In zweiter Instanz war die Klage erfolgreich, da dies einen Verstoß gegen europäisches Verbraucherschutzrecht darstellt und die Beklagte in Deutschland Geschäfte verfolgt hat.

KG Berlin 23 U 65/07 (Aktenzeichen)
KG Berlin: KG Berlin, Urt. vom 17.12.2007
Rechtsweg: KG Berlin, Urt. v. 17.12.2007, Az: 23 U 65/07
LG Berlin, Urt. v. 07.03.2007, Az: 26 O 323/06
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Kammergericht Berlin

1. Urteil vom 17. Dezember 2007

Aktenzeichen 23 U 65/07

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Leitsatz:

2. Die internationale Zuständigkeit eines Gerichts bei unwirksamen AGB-Klauseln einer Fluggesellschaft eines anderen EU-Mitgliedsstaates ergibt sich aus der Verwendung der Klauseln am Sitz des Gerichtes.

Zusammenfassung:

3. Ein Verbraucherschutzverband klagte gegen eine lettische Fluggesellschaft, weil diese sich in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen vorbehielt, nachträglich zusätzliche Steuern einzuziehen, sollten diese zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht berechenbar gewesen sein. Das Landgericht Berlin wies die Klage zunächst ab. Es hielt sich nicht für international zuständig, weil der Kläger nicht nachgewiesen hatte, dass die AGB auf in diesem Bezirk geschlossene Verträge angewendet worden waren.

Die Berufung des Klägers vor dem Kammergericht war erfolgreich. Auf die Anwendung deutschen Rechts kam es vorliegend nicht an, da ein Verstoß gegen europäische Verbraucherschutzrichtlinien vorlag, denn die Beklagte durfte den Flugpreis nicht nachträglich ändern. Dass aus dem Zuständigkeitsbereich des Gerichtes heraus die Seiten der Beklagten aufgerufen und Flüge gebucht werden konnte genügte, um sie hier zu belangen. Ihr wurde die Verwendung der Klausel untersagt.

Tenor:

4. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 07.03.2007 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Berlin – 26 O 323/06 – wie folgt geändert:

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes von bis zu 100.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, die nachfolgende oder eine inhaltsgleiche Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Bezug auf Verträge über Luftbeförderungsleistungen zu verwenden oder sich bei der Abwicklung bereits geschlossener Verträge auf diese zu berufen, ausgenommen gegenüber einer Person, die in ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt (Unternehmer):

„Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass Steuern und Gebühren, die noch nicht berechnet wurden, gezahlt werden müssen.“

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

5. Der Kläger begehrt Unterlassung der Verwendung einer Klausel in allgemeinen Geschäftsbedingungen.

6. Er ist ein mit Wirkung vom 20.04.2001 in die Liste der qualifizierten Einrichtungen gemäß § 22a des AGB-Gesetzes eingetragener Verein.

7. Die Beklagte ist eine Fluggesellschaft mit Sitz in R. in L.

8. Von dort aus führt, plant und organisiert sie ihren Flugbetrieb und den Verkauf von Flugtickets. Dort koordiniert sie ihr Flugangebot, lässt die Flugzeuge warten und setzt ihr Personal ein.

9. Die Beklagte bietet u. a. Flüge ab und nach B. an. Die Kunden können über das Internet auch von B. aus Tickets für Flüge der Beklagten buchen. Derartige Buchungen fanden in zahlreichen Fällen statt. Die Internetseite ist im Wesentlichen in deutscher Sprache gehalten. Neben der deutschen Web-Site mit der Top-Level-Domain „de“ unterhält die Beklagte eine österreichische Website mit der Top-Level-Domain „at“. Ausweislich ihres Internetauftritts unterhält die Beklagte in B. ein „Stadtbüro, und wird für eine Ticketausstellung in einem a. Büro eine Servicepauschale von EUR 20 erhoben.

10. In ihrem Internetauftritt unter der Domain www.a…defindet sich weiter unter der Überschrift „Reiseinformation“ die Rubrik „Steuern und Gebühren“. Dort heißt es u. a.:

11. „[…] Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass Steuern und Gebühren, die noch nicht berechnet wurden, gezahlt werden müssen.“

12. Wegen der weiteren Formulierung wird auf den Internetauszug (Anlage K3) verwiesen.

13. Der Kläger begehrt die Unterlassung des oben wiedergegebenen letzten Teilsatzes.

14. Er ist der Auffassung gewesen, der Satz verstoße gegen § 309 Nr. 1 BGB, so dass ein Unterlassungsanspruch nach § 1 UKlaG bestehe.

15. Die Beklagte hat die internationale Zuständigkeit des Landgerichtes Berlin gerügt. Ferner ist die Beklagte der Auffassung gewesen, deutsches Recht sei nicht anwendbar, da zum Schutze der Dienstleistungsfreiheit das Herkunftslandprinzip gelte, wonach das Recht des Staates anzuwenden sei, in dem der Handelnde seinen Sitz habe. Die Anwendbarkeit lettischen Rechts ergebe sich zudem aus Art. 28 Abs. 2 EGBGB, da die Beförderungsleistung die Eigenart des Luftbeförderungsvertrages ausmache. Die beanstandete Reiseinformation, die keine AGB sei, sei nach lettischem Recht unbedenklich.

16. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat seine örtliche Zuständigkeit abgelehnt, da eine Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG in B. nicht konkret vorgetragen worden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens erster Instanz und der Begründung der angefochtenen Entscheidung wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen.

17. Mit seiner Berufung rügt der Kläger, das Landgericht habe den Begriff des Verwendens in § 6 UKlaG zu eng aufgefasst. Die internationale Zuständigkeit ergebe sich aus Art. 5 Abs. 3 EuGVVO. Es sei deutsches Recht anwendbar. Selbst wenn lettisches Recht Anwendung fände, könne der Kläger einen Unterlassungsanspruch geltend machen. Das folge aus § 4 a UKlaG iVm den Vorschriften des lettischen „Consumer Rights Protection Law“ und dem dortigen § 6 Abs. 3 Nr. 5 und 12. Danach verstoße die streitgegenständliche Klausel zur Preiserhöhung ebenso gegen lettisches Recht.

18. Der Kläger beantragt,

I.

die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes von bis zu 100.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, die nachfolgende oder eine inhaltsgleiche Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Bezug auf Verträge über Beförderungsleistungen zu verwenden ausgenommen gegenüber einer Person, die in ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt (Unternehmer):

„Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass Steuern und Gebühren, die noch nicht berechnet wurden, gezahlt werden müssen.“

II.

die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, sich bei der Abwicklung bereits geschlossener Verträge auf die vorstehend wiedergegebene Klausel zu berufen, wobei sich die Ordnungsgeldandrohung aus dem Antrag zu I. auch auf den Antrag zu II. bezieht.

19. Die Beklagte beantragt,

die Berufung abzuweisen.

20. Die Beklagte führt vertiefend zu ihrer erstinstanzlichen Ansicht aus, die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte sei nicht gegeben, jedenfalls finde gemäß Art. 28 Abs. 2 EGBGB lettisches Recht Anwendung. Die Kenntnis des lettischen Rechtes könne dabei nicht aus seinem europäischen Ursprung abgeleitet werden. Ein solches Vorgehen verstoße gegen § 293 ZPO. Der Unterlassungsanspruch müsse im Übrigen auf den räumlichen Anwendungsbereich des UKlaG beschränkt bleiben. Der vom Gericht dem Internet entnommene Umstand, dass die Beklagte in B. ein Stadtbüro unterhalte, sei neuer Sachverhalt, der unbeachtlich bleiben müsse. Es handele sich nicht um eine offenkundige Tatsache, da anderenfalls der Beibringungsgrundsatz ausgehöhlt werde.

21. Die Beklagte behauptet zudem, es handele sich bei dem „Stadtbüro“ um eine Repräsentanz ohne eigenständige Geschäftsaufgabe, es sei nicht im Handelsregister eingetragen und unselbstständig.

22. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 18.05.2007, Bl. 98 ff, und 27.09.2007, Bl. 136 f, sowie der Beklagten vom 18.06.2007, Bl. 107 ff, vom 27.08.2007, Bl. 134 f, und vom 10.12.2007 verwiesen.

II.

1.

23. Die Berufung ist zulässig.

24. Es liegt keine Klägeänderung gemäß § 263 ZPO vor, indem der Kläger nunmehr neben einem Verstoß gegen deutsches Recht (§ 309 Nr. 1 BGB i. V. m. § 1 UKlaG), jetzt zusätzlich einen Verstoß gegen lettisches Recht (§ 6 Abs. 3 Nr. 5 u. Nr. 12 „Consumer Rights Protection Law“ i. V. m. § 4a UKlaG) geltend macht. Denn der zugrunde liegende Sachverhalt und die begehrte Rechtsfolge bzw. der Antrag bleiben unverändert. Es geht unverändert um die Verwendung der beanstandeten Formulierung in Deutschland. Keine Klageänderung liegt vor, wenn bei gleicher Tatsachengrundlage ein anderer rechtlicher Gesichtspunkt geltend gemacht wird (vgl. Ulmer/Brandner/Hensen-Hensen, AGB – Recht, 10. Auflage 2006, § 8 Rn. 1; Zöller-Greger, 26. Auflage 2007, § 263 Rn. 8). Dies gilt vorliegend umso mehr, als die beiden fraglichen Bestimmungen auf die Richtlinie Nr. 93/13/EWG (Nr. 1 lit. l Anh. zu Art. 3 Abs. 3 RL) zurückgehen und somit gleicher rechtlicher Natur sind (vgl. BeckOK, Hrsg. Bamberger/Roth, § 309 Nr. 1 Rn. 41).

2.

25. Die Berufung ist begründet.

a)

26. Das Landgericht ist international zuständig gewesen.

27. Gemäß Art. 66 Abs. 1, Art. 68 Abs. 1 EuGVVO findet an Stelle der EuGVÜ die EuGVVO Anwendung, da die Klage nach Inkrafttreten der EuGVVO am 1.3.2002 eingereicht wurde. Die internationale Zuständigkeit des Landgerichtes Berlin ergibt sich aus Art. 5 Nr. 3 EuGVVO. Hierunter fallen Unterlassungsklagen von Verbraucherschutzverbänden wegen Verwendung oder Empfehlung vermeintlich unwirksamer AGB (Zöller-Geimer, ZPO, 26. Auflage, Anh I Art. 5 Rn. 25 b). Der Begriff des schädigenden Ereignisses in Art. 5 Nr. 3 EuGVVO ist nämlich weit zu verstehen und erfasst daher im Bereich des Verbraucherschutzes nicht nur Sachverhalte, in denen ein Einzelner einen individuellen Schaden erleidet, sondern unter anderem auch Angriffe auf die Rechtsordnung durch die Verwendung missbräuchlicher Klauseln, deren Verhinderung die Aufgabe von Organisationen wie dem Kläger ist (vgl. EuGH, Urteil vom 1. 10. 2002 – Rs. C-167/00 Verein für Konsumenteninformation/Karl Heinz Henkel = NJW 2002 S. 3617 ff. zu Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ).

28. Soweit die Beklagte Art. 5 Nr. 3 EuGVVO für nicht gegeben und die zitierte Entscheidung des EuGH für nicht einschlägig hält, vermag sie nicht durchzudringen. Der EuGH hat sich in der genannten Entscheidung ausdrücklich gegen die Auffassung gewandt, Art. 5 Nr. 3 sei nicht auf Klagen anwendbar, die vor dem Eintritt eines konkreten Schadens erhoben würden. Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ könne nicht dahin ausgelegt werden, dass seine Anwendbarkeit vom tatsächlichen Vorliegen eines Schadens abhänge. Zudem wäre es widersprüchlich, anzunehmen, dass eine Klage auf Unterlassung eines angeblich unrechten Verhaltens wie die dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende, deren Hauptziel gerade in der Vermeidung eines Schadens bestehe, erst nach dem Schadenseintritt erhoben werden könne (vgl. EuGH, a. a. O., zu Ziff. 44-48). Der Wortlaut des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO „einzutreten droht“ stellt die Anwendbarkeit auf vorbeugende Unterlassungsklagen nunmehr ausdrücklich klar (vgl. auch EuGH, a. a. O., zu Ziff. 49; Zöller-Geimer, Anh I Art. 5 Rn. 25). Es kommt nicht darauf an, einen beabsichtigten Vertragsabschluss zu kennen oder eine konkrete Verbraucherbeschwerde zu haben.

29. Aus der von der Beklagten vorgelegten Entscheidung des OLG München vom 16.05.2007 – 20 U 164/07, Anlage zum Schriftsatz vom 30.07.2007, folgt nicht anderes. Der Entscheidung lag ein konkreter Beförderungsvertrag zugrunde; es ging nicht um die Kontrolle von allgemeinen Geschäftsbedingungen, sondern um Schadensersatz wegen Annullierung eines Fluges.

30. Dementsprechend hat sich das OLG München mit dem hier in Rede stehenden Art. 5 Nr. 3 EuGVVO nicht auseinandergesetzt.

31. Im Rahmen der Zuständigkeit kommt es auf die Anwendbarkeit deutschen Rechts nicht an; eine incidente Prüfung, ob gegen die §§ 307309 BGB verstoßen wurde, erfolgt nicht, sondern ist Frage der Begründetheit. Ein Gleichlauf zwischen internationaler Zuständigkeit und anzuwendendem Sachrecht findet nicht statt. Voraussetzung für die Eröffnung einer internationalen Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 in Deutschland ist nicht, dass deutsches Recht Anwendung findet (Zöller-Geimer, Anh I Art. 5 Rn. 24). Das ergibt sich aus dem Grundsatz, wonach die Begriffe unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, i. S. von Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ/EuGVVO autonom auszulegen sind, um die volle Wirksamkeit und die einheitliche Anwendung des EuGVÜ/EuGVVO in allen Vertragsstaaten zu gewährleisten (vgl. EuGH, a. a. O., zu Ziff. 35).

32. Die von der Beklagten herangezogenen Regelungen der Dienstleistungsrichtlinie und der E-Commerce-Richtlinie zum Herkunftslandprinzip ergeben für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit nichts anderes, da sie teilweise ausdrücklich weder die Zuständigkeit der Gerichte noch das IPR regeln wollen, Art. 1 Abs. 4 E-Commerce-Richtlinie/§ 1 Telemediengesetz und – nur für das IPR – Art. 3 Abs. 2 Dienstleistungsrichtlinie (vgl. auch KG Berlin, Urt. v. 29.05.2001 – 5 U 10150/00 = NJW-RR 2002 S. 113 ff.).

b)

33. Die örtliche und sachliche Zuständigkeit des Landgerichtes Berlin folgt aus § 6 Abs. 1 UKlaG. Hier bedarf es ebenfalls, wie die Beklagte zu meinen scheint, keiner incidenten Prüfung der

34. § 307309 BGB. Zwar wird bei sogenannten doppelrelevanten Tatsachen, d.h. Tatsachen, die sowohl für die Zulässigkeit als auch die Begründetheit vorliegen, zumindest ein schlüssiger Vortrag des Klägers verlangt. Das könnte vorliegend dafür sprechen, die Frage, ob der – unstreitige – Sachvortrag des Klägers einen Verstoß gegen die §§ 307309 BGB begründet, schon im Rahmen der Zulässigkeit zu erörtern. Die Zuständigkeit in § 6 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG knüpft aber in tatsächlicher Hinsicht nur an das „Verwenden“ der AGB an. Gemeint sind die „vermeintlich“ unwirksamen AGB. Das ergibt sich aus den übrigen Zuständigkeiten des § 6 Abs. 1 S. 1 UKlaG. Diese knüpfen entsprechend dem Zweck von Zuständigkeitsnormen an einen bestimmten Ort an, ohne auf das materiell-rechtliche Vorliegen eines Verstoßes abzustellen.

35. Maßgeblich ist somit, wie das Landgericht zutreffend erkannt hat, ob ein „Verwenden“ schon dann vorliegt, wenn die AGB zunächst einseitig ins Internet gestellt werden. Die Frage ist zu bejahen, selbst wenn es noch zu keinerlei Vertragsschlüssen unter Geltung der fraglichen AGB gekommen wäre (was allerdings nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag des Klägers, Bl. 101, nicht der Fall ist). Der vom Landgericht herangezogenen Ansicht von Hensen, wonach ein Vertrag im Stadium der Anbahnung gewesen sein muss (Ulmer/Brandner/Hensen-Hensen, § 1 Rn. 15), lässt sich für den vorliegenden Fall eines Internetangebotes keine eindeutige Aussage entnehmen. Das engere Verständnis des Landgerichtes wird dem Zweck der AGB-Kontrolle nach dem UKlaG nicht gerecht. Die Ansprüche aus § 1 UKlaG, der ebenfalls den Begriff „verwenden“ enthält, sollen gewährleisten, dass der Rechtsverkehr von unwirksamen AGB frei gehalten wird. Dabei ist unerheblich, ob im Einzelfall die Klausel wirkungslos ist oder ob überhaupt die AGB bereits in einen Vertrag einbezogen worden sind. Es genügt, dass sie im rechtsgeschäftlichen Verkehr benutzt worden sind (so auch Hensen, a. a. O.). Entsprechend dem Wesen einer vorbeugenden Unterlassungsklage muss die ernsthaft drohende erstmalige Verwendung genügen (vgl. Palandt-Bassenge, BGB, 66. Auflage, § 1 UKlaG Rn. 1, 6, 7 a. E.). Wie schon ausgeführt, wäre es widersprüchlich, anzunehmen, dass eine Klage auf Unterlassung eines angeblich unrechten Verhaltens, deren Hauptziel gerade in der Vermeidung eines Schadens bestehe, erst nach dem Schadenseintritt erhoben werden könne. Wenn ein Verwender von AGB Vertragsabschlüsse über das Internet anbietet, besteht die unmittelbare Gefahr, dass es auch zu entsprechenden Abschlüssen kommt. Diese Überlegungen müssen erst recht für die bloße Zuständigkeitsnorm des § 6 UKlaG gelten.

c)

36. Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch aus § 1 UKlaG zu. Anwendbar ist das deutsche Recht. Ein Verstoß, den der Kläger geltend machen kann, dürfte ebenfalls nach lettischem Recht vorliegen, was aber letztlich offen bleiben kann.

aa)

37. Das anwendbare Recht bestimmt sich vorliegend nach Art. 2730 EGBGB, dem Vertragsstatut. Dieses weist auf das deutsche Recht.

38. Das Deliktsstatut des Art. 40 EGBGB ist nicht einschlägig. Zwar weist das UKlaG Gemeinsamkeiten mit dem Unterlassungsanspruch nach Wettbewerbsrecht auf, was für eine Anwendung des Art. 40 EGBGB sprechen könnte (vgl. Palandt-Heldrich, Art. 40 EGBGB Rn. 11 zu dd, der offenbar Art. 40 für die Aktivlegitimation nach dem UKlaG für anwendbar hält). Auch ist im Falle einer – hier vorliegenden – Verbandsklage kein konkretes Vertragsverhältnis Gegenstand der Prüfung. Dennoch ist gemäß Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB auf das Vertragsstatut abzustellen (im Ergebnis wohl ebenso Palandt-Heldrich, Art. 40 EGBGB Rn. 9), da AGB erst in Verbindung mit einem vertraglichen Schuldverhältnis ihre Wirkung entfalten. Abzustellen ist auf Verträge, die die Beklagte im Inland unter Einbeziehung ihrer AGB abschließt (vgl. zu einer Verbandsklage nach §§ 13 ff AGBG BGH, Urteil vom 12.10.1989 – VII ZR 339/88 = NJW 1990 S. 317 ff zu II.; im Ergebnis ebenso BGH Urteil vom 09.07.1992 – VII ZR 7/92 = NJW 1992, 3158 ff. zu II.).

39. Die §§ 307309 BGB oder speziell § 309 Nr. 1 BGB stellen ferner keine zwingenden internationalen Vorschriften, sog. Eingriffsnormen, im Sinne des Art. 34 EGBGB dar. Die lex specialis des Art. 29 ist nicht einschlägig, Art. 29 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB. Art. 34 setzt eine zwingende Regelung im überwiegenden öffentlichen Interesse und eine Inlandsbeziehung voraus (Kropholler, IPR, 6. Auflage, S. 498). Die §§ 307309 BGB dienen in erster Linie dem Interessenausgleich zwischen den Vertragsparteien und damit Individualinteressen. Der weitere wirtschaftsrechtliche Zweck, Nachteile abzuwenden, die dem Wirtschaftsverkehr durch den fehlenden Konditionenwettbewerb entstehen (vgl. Palandt-Heinrichs, vor § 305 Rn. 8), stellt sich demgegenüber als Nebenwirkung dar. Das reicht für eine Anwendung des grundsätzlich zurückhaltend anzuwendenden Art. 34 EGBGB nicht aus (ebenso MüKo BGB – Sonnenberger, 4. Auflage, Einl. Zu Art. 3 ff. EGBGB Rn. 53, 57, 61, der zudem auf die Ersetzung u. a. des § 12 AGBG durch Art. 29 a EGBGB hinweist; MüKo BGB-Spellenberg, Art. 31 Rn. 10 f.; vgl. zum Verbraucherkreditgesetz BGH, Urteil vom 13.12.2005 – XI ZR 82/05 = NJW 2006, 762 ff., iuris zu Rn. 25-27).

40. Der zwingende Charakter ergibt sich schließlich nicht aus einer EG-Richtlinie (vgl. hierzu Kropholler, S. 497). Der insoweit für § 309 Nr. 1 BGB einschlägige Anhang der Klauselrichtlinie, vgl. Nr. 1 l, war nicht verbindlich (vgl. Palandt-Grüneberg, § 310 Rn. 28, 40).

bb)

41. Es bleibt somit bei der Anwendung des Vertragsstatuts. Zu diesem gehören gemäß Art. 31 Abs. 1 EGBGB die Einbeziehung von AGB und ihre Wirksamkeit nach der Inhaltskontrolle (vgl. Kropholler, S. 456; Palandt-Heldrich, Art. 31 EGBGB Rn. 3). Nach dem Vertragsstatut ist das deutsche Recht zur Anwendung berufen.

42. Für den Luftbeförderungsvertrag von Personen fehlt eine besondere Vermutung, so dass die allgemeinen Regeln gelten. Da eine Rechtswahl nach Art. 27 EGBGB von den Parteien nicht vorgetragen wird, ist die objektive Anknüpfung gemäß Art. 28 Abs. 1 S. 1 EGBGB maßgebend. Danach unterliegt der Vertrag dem Recht des Staates, mit dem er die engsten Verbindungen aufweist.

43. Zugunsten der Beklagten könnte die widerlegliche Vermutung des Art. 28 Abs. 2 EGBGB sprechen. Grundsätzlich ist nach Abs. 2 das Recht der gewerblichen Hauptniederlassung des Luftfrachtführers maßgeblich, weil der Transport das Vertragsverhältnis charakterisiert. Die Existenz eines Stadtbüros in B. ändert hieran nichts. Nicht als Niederlassung sind nämlich bloße Geschäftsstellen anzusehen, welche lediglich Flugscheine verkaufen. Auch auf selbstständige Einrichtungen Dritter wie Reisebüros kommt es nicht an (vgl. MüKo BGB-Martiny, Art. 28 Rn. 268). Da nach dem Sachvortrag beider Parteien keine gewerbliche Niederlassung der Beklagten in Deutschland existiert, ergeben sich keine zureichenden Anhaltspunkte, um eine Niederlassung i. S. d. Art. 28 Abs. 2 Satz 2 EGBGB annehmen zu können. Der Behauptung der Beklagten, es handele sich bei dem „Stadtbüro“ um eine Repräsentanz ohne eigenständige Geschäftsaufgabe, brauchte nicht nachgegangen werden. Charakteristische Leistung dürfte die von der Beklagten zu erbringende Beförderung mit dem Flugzeug sein. Charakteristisch für auf Erbringen von Dienstleistungen oder Tätigkeiten gerichtete Verträge ist die Leistung des zum Tätigwerden Verpflichteten (vgl. MüKo BGB-Martiny, Art. 28 Rn. 35).

44. Die Vermutung des Art. 28 Abs. 2 EGBGB gilt aber vorliegend nicht, da die hier streitgegenständlichen Luftbeförderungsverträge aufgrund der Gesamtumstände eine engere Verbindung mit Deutschland aufweisen, Art. 28 Abs. 5 EGBGB.

45. Denn die Vertragsabwicklung erfolgt ganz überwiegend in Deutschland. Der Internetauftritt unter der Top-Level-Domain „de“ richtet sich gezielt an in Deutschland lebende Kunden. Für zahlreiche der angesprochenen Kunden ist aufgrund dessen der Bestimmungsort ein in Deutschland befindlicher Flughafen. Schließlich ist der von der AGB-Kontrolle bezweckte Schutz der Kunden vor unangemessenen und benachteiligenden Klauseln, sofern sie Verbraucher sind, zu berücksichtigen. Diese Umstände führen in ihrer Gesamtheit zu einer engeren Verbindung mit Deutschland.

46. Neben der – hier nicht ersichtlichen – Bezugnahme oder Ausrichtung des Vertrages, der AGB oder von Formularen auf Vorschriften einer bestimmten Rechtsordnung spielt für die Prüfung der engeren Verbindung eine erhebliche Rolle, ob die Vertragsabwicklung überwiegend in einem anderen Staat erfolgt (vgl. MüKo BGB-Martiny, Art. 28 Rn. 95). Ebenso kann dem Bestimmungsort, d.h. dem Ort der vertraglich vereinbarten letzten Landung, Bedeutung zukommen (vgl. dazu, wenn auch teilweise kritisch MüKo BGB-Martiny, Art. 28 Rn. 268; Staudinger, RRa 2007 S. 98, 109). Die Staatsangehörigkeit und der gewöhnliche Aufenthaltsort deuten nur dann auf eine bestimmte Rechtsordnung, wenn sie beiden Parteien gemeinsam sind. Sie haben vorliegend keine Aussagekraft.

47. Für Verträge, die über das Internet abgeschlossen werden, gelten nach verbreiteter Auffassung keine Besonderheiten, soweit – wie hier – die Leistungserbringung in der realen Welt erfolgt. Das Kriterium der engeren Verbindung ist auch auf elektronisch geschlossene Verträge anzuwenden. Die Art. des Vertragsschlusses bzw. die Vertriebsform kann allein noch keine abweichende Anknüpfung rechtfertigen. (vgl. Kropholler, S. 471; MüKo-Martiny, BGB, Art. 28 Rn. 113, 417; beide m. w. N.).

48. Dem ist insoweit zuzustimmen, als der Kontakt über das Internet ebenso wie der Ort des Vertragsschlusses zu flüchtig oder zufällig ist, um allein die Vermutung des Art. 28 Abs. 2 EGBGB aufzuheben. Hinzu kommt aber, dass die reale Leistungserbringung vorliegend nicht nur in Lettland, sondern ebenso in Deutschland erfolgt, da die im Internet angebotenen Flüge der Beklagten von deutschen Flughäfen abgehen bzw. dort ankommen. Im Unterschied zum reinen Warentransport, bei dem der Schwerpunkt im Verpacken und Versenden der Ware zu sehen sein mag, wird die charakteristische Leistung der Luftbeförderung gleichermaßen auf der gesamten Strecke erbracht und lässt sich nicht einem Land schwerpunktmäßig zuordnen. Vor diesem Hintergrund kommt dem Umstand, dass sich der Internetauftritt gezielt an in Deutschland lebende Kunden richtet, wesentliche Bedeutung zu (ebenso Pfeiffer, NJW 1997 S. 1207, 1214). Angesichts der Top-Level-Domain „de“ und der Möglichkeit, das Angebot in deutscher Sprache aufzurufen, vermag der Senat dem Einwand der Beklagten, die Website sei auch außerhalb Deutschlands aufrufbar, nicht zu folgen. Denn das solchermaßen gestaltete Angebot bezieht sich auf in Deutschland gelegene Flughäfen. Dieser enge Zusammenhang zwischen in Deutschland lebender Kundschaft und in Deutschland befindlichen Flughäfen lässt sich bei der gebotenen Berücksichtigung der Gesamtumstände nicht leugnen.

49. Er überwiegt den Umstand, dass die der Beförderung zugrunde liegende Logistik in Lettland erbracht wird und die Beklagte ihren Sitz in ebenfalls in Lettland hat.

50. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in zahlreichen Fällen der Bestimmungsort der Luftbeförderung Deutschland sein wird. Denn durch die gezielte, auf Deutschland bezogene Ansprache werden Kunden erreicht, die einen von Deutschland ausgehenden Hin- und Rückflug buchen, da sie in Deutschland leben und dementsprechend nach Deutschland zurück kehren werden.

51. Zudem ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es um die Kontrolle von allgemeinen Geschäftbedingungen und konkret die Anwendung verbraucherschützender Normen geht. Der Verbraucher, der in „seinem“ Land in seiner Sprache zu einem Vertragsschluss über eine von Deutschland aus zu erbringende Dienstleistung aufgefordert wird, darf berechtigterweise erwarten, dass der in Deutschland geltende rechtliche Schutzstandard für ihn gilt. Insofern kann, wenn auch Art. 40 EGBGB nicht unmittelbar anwendbar ist, an die Parallele der AGB-Kontrolle zum Schutz vor unlauterem Wettbewerb als Unterfall der unerlaubten Handlung angeknüpft werden, bei der zugunsten des Geschädigten der Ort der „Handlung“ gilt.

52. Der Schutzgedanke kann im Rahmen des Art. 28 Abs. 5 EGBGB herangezogen werden. Die Lehre von der charakteristischen Leistung darf danach nicht schematisch angewendet werden. Die Annahme, dies sei stets das Recht des Leistenden, insbesondere des Verkäufers, nicht aber das des Kunden, kann nicht befriedigen, wenn das Kriterium des Leistens andere Gesichtspunkte, z.B. den Schutz des Schwächeren, völlig verdrängen würde (vgl. Kropholler, a. a. O., S. 468; MüKo BGB-Martiny, Art. 28 Rn. 36).

53. Eine Korrektur tritt allerdings im Verbraucherrecht schon durch Art. 29 Abs. 2 EGBGB ein. Diese Norm stellt auf das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Verbrauchers ab, wenn der Vertrag infolge einer im Verbraucherland auf den Vertragsabschluss gerichteten Tätigkeit des Unternehmers oder von ihm eingesetzter Personen zustande gekommen ist. Hier wird wegen des sozialen Schutzbedürfnisses von der Regelanknüpfung abgewichen, weil der Verbraucher nicht selbst die Initiative zu einem Geschäft im Ausland ergriffen hat und auf die Maßgeblichkeit seiner eigenen Rechtsordnung vertrauen durfte (vgl. MüKo BGB-Martiny, Art. 28 Rn. 38). Dieser Gedanke des berechtigen Vertrauens lässt sich für den vorliegenden Fall des Schutzes vor benachteiligenden Klauseln heranziehen.

54. Gemäß Art. 29 Abs. 4 Nr. 1 gilt die Regelung des Art. 29 Abs. 2 EGBGB zwar ausdrücklich nicht für Beförderungsverträge. Der Gedanke des Art. 29 Abs. 2 darf dementsprechend nicht einfach in Art. 28 Abs. 1, 5 hineintransportiert werden. Grund für diese Ausnahme ist zum einen, dass der Anbieter nicht dem wechselnden Aufenthaltsrecht einer Vielzahl von Kunden unterstehen soll. Zudem greifen zum Schutz des Verbrauchers verschiedene internationale Übereinkommen ein, die als sog. vereinheitlichtes Recht in keiner Kollision stehen und unmittelbar Anwendung finden.

55. Das schließt aber nicht aus, den Schutzgedanken als eines von mehreren Kriterien zumindest in den Fällen heranzuziehen, in denen ein Anbieter selbst in seinem (Internet)angebot einen starken Bezugspunkt zu einem bestimmten Land herstellt. Dies wird er ohnehin nur tun, wenn er eine Vielzahl von Kunden in dem betreffenden Land zu erreichen hofft. In einem solchen Fall ist es ihm aber zuzumuten, sich mit der entsprechenden nationalen Rechtsordnung vertraut zu machen.

cc)

56. Das Gericht konnte bei der Ermittlung des Vertragsstatuts auf Informationen der Beklagten auf deren Website als offenkundige Tatsache gemäß § 291 ZPO zurückgreifen. Bei Angaben im Internet auf der eigenen Website einer Partei handelt es sich um offenkundige Tatsachen. Offenkundig ist eine Tatsache, wenn sie zumindest am Gerichtsort der Allgemeinheit bekannt oder ohne besondere Fachkunde auch durch Information aus allgemein zugänglichen, zuverlässigen Quellen wahrnehmbar ist, das heißt wenn sie generell oder in einem bestimmten Bereich einer beliebig großen Zahl von Personen bekannt oder zumindest wahrnehmbar ist. Es kommt nicht darauf an, dass die Tatsache jedermann gegenwärtig ist, es genügt, dass man sich aus einer allgemein zugänglichen und zuverlässigen Quelle ohne besondere Fachkenntnis über die Tatsache sicher unterrichten kann (MüKo ZPO – Prütting, 3. Auflage, § 291 Rn. 5; Zöller-Greger, § 291 Rn. 1). Es schadet nichts, wenn der Richter die Tatsache erst durch eine Nachfrage oder durch ein Nachschlagen in einem allgemein zugänglichen zuverlässigen Buch feststellt (Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 66. Auflage, § 291 Rn. 4). Dementsprechend kann eine Recherche im Internet zulässig sein (ebenso ArbG Siegen, Beschluss vom 03.03.2006 – 3 Ca 1722/05, juris zu Rn. 20, 21). Eigene Angaben eines Unternehmens auf seiner Homepage über seine Standorte dürften im Allgemeinen zuverlässig sein. Das Gericht darf Informationen hierüber auch ohne entsprechende Parteibehauptung in den Prozess einführen (vgl. MüKo ZPO – Prütting, § 291 Rn. 13; Zöller-Greger, § 291 Rn. 2). Die von der Beklagten hiergegen vorgebrachten Bedenken greifen vorliegend nicht, weil das anwendbare Recht von Amts wegen zu ermitteln ist (vgl. Kropholler, IPR. 6.A., S. 467, 644) und sich Anhaltspunkte zum Sitz konkret aus der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 30.07.2007 vorgelegten Entscheidung des OLG München vom 16.05.2007, S. 6, und dem streitgegenständlichen! Internetauftritt der Beklagten (also nicht etwa über eine allgemeine Recherche mit Suchmaschine etc) ergeben. Der Senat kann nicht sehenden Auges eine auf falscher oder unvollständiger Tatsachenbasis beruhende Bestimmung des anwendbaren Rechts vornehmen (vgl. auch MüKo ZPO – Prütting, § 291 Rn. 13).

dd)

57. Nach dem anwendbaren deutschen Recht ist ein Verstoß gegen § 309 Nr. 1 AGB-Gesetz zu bejahen (vgl. Ulmer/Brandner/Hensen-Hensen, § 309 Rn. 5), der ohnehin – was Art. 8 RL 93/13/EWG erlaubt – strenger ist (vgl. BeckOK, Hrsg. Bamberger/Roth, § 309 Nr. 1 Rn. 41). Die Klausel erlaubt es der Beklagten, nachträglich zum vereinbarten Ticketpreis eine zusätzliche Zahlung für Steuern und Gebühren zu verlangen. Das ist nichts anderes als eine Preiserhöhung. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass die Steuern und Gebühren von dritter Seite erhoben werden. Denn es handelt sich um die Beklagte treffende Zahlungsverpflichtungen. Das Risiko von Steuer- und Gebührenerhöhungen obliegt aber der Beklagten. Nach § 305 Abs. 1 S. 2 BGB ist unerheblich, dass die Beklagte die streitgegenständliche Klausel nicht in die gesonderten Geschäftsbedingungen, sondern in die Rubrik „Reiseinformation“ aufgenommen hat. Maßgebend ist, dass sie für eine Vielzahl von Fällen vorformuliert ist.

58. Der Verstoß führt zu einem Unterlassungsanspruch, den der Kläger geltend machen kann. Für das deutsche Recht folgt dies aus § 309 Nr. 1 BGB i. V. m. § 1 UKlaG, § 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG.

ee)

59. Ein Verstoß ergäbe sich unter Zugrundelegung der von dem Kläger eingereichten englischen Übersetzung ebenso nach lettischem Recht. Die Übersetzung entspricht derjenigen des Translation and Terminology Centre, eine von der lettischen Regierung eingesetzte Übersetzungsstelle speziell für Dokumente von europäischer Bedeutung. Auf deren Internetseite wird auf die einschlägigen Literatur verwiesen (vgl. MüKo BGB – Basedow, 5. Auflage, Vor § 305 Rn. 41).

60. Der Verstoß führte ebenfalls zu einem Unterlassungsanspruch, den der Kläger geltend machen kann. Das folgt aus Sec 6 Abs. 3 Nr. 5 „Consumer Rights Protection Law“ i. V. m. § 4a Abs. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 4a Abs. 2 UKlaG.

61. § 4 a ist trotz seines Inkrafttretens nach Rechtshängigkeit uneingeschränkt anwendbar, da keine zeitliche Beschränkung in Übergangsregelungen für sog. Altfälle vorgenommen wurde. Bei Unterlassungsansprüchen ist wegen ihrer in die Zukunft gerichteten Wirkung auf das zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung geltende Recht abzustellen.

62. Nach § 4 a Abs. 1 UKlaG kann, wer innergemeinschaftlich gegen Gesetze zum Schutz der Verbraucherinteressen im Sinne von Art. 3 VO (EG) Nr. 2006/2004 verstößt, auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Diese Voraussetzungen sind bei Anwendbarkeit lettischen Rechts gegeben. Nach dem Anhang Ziff. 5 zu Art. 3 lit a VO (EG) Nr. 2006/2004 gehören zu den Gesetzen zum Schutz der Verbraucherinteressen die innerstaatlichen Regelungen, die zur Umsetzung der Richtlinie (EWG) Nr. 93/13 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen erlassen wurden. Der von dem Kläger in Übersetzung vorgelegte Sec 6 Abs. 3 Nr. 5 des lettischen „Consumer Rights Protection Law“ stellt eine solche Umsetzung dar (vgl. MüKo BGB – Basedow, Vor § 305 Rn. 41). Er entspricht nahezu wörtlich Nr. 1 lit. l Anh. zu Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie Nr. 93/13. Danach sind Klauseln missbräuchlich, die darauf abzielen oder zur Folge haben, dass der […] Erbringer einer Dienstleistung den Preis zum Zeitpunkt der Lieferung […] erhöhen kann, ohne dass der Verbraucher in beiden Fällen ein entsprechendes Recht hat, vom Vertrag zurückzutreten, wenn der Endpreis im Verhältnis zu dem Preis, der bei Vertragsschluss vereinbart wurde, zu hoch ist. Die streitgegenständliche Klausel verstößt gegen diese Regelung, da sie kein Lösungsrecht für den Verbraucher vorsieht. Es handelt sich entgegen der Ansicht der Beklagten um eine Klausel im Sinne der lettischen „Consumer Right Protection Law“, da sie nicht ausgehandelt ist, vgl. Sec 6 Abs. 3 Satz 1 („has not been mutually discussed“).

63. Diese Feststellung könnte das Gericht gemäß § 293 ZPO treffen, ohne weitere Feststellungen zur konkreten Anwendung der Bestimmung in Lettland zu treffen. Denn die fragliche Norm erfolgte in nahezu wörtlicher Umsetzung der Richtlinie Nr. 93/13 EWG und ist daher richtlinienkonform anzuwenden. Selbst wenn es eine abweichende Auslegung in der lettischen Rechtspraxis gäbe, wäre diese unbeachtlich, wenn sie mit einer richtlinienkonforme Auslegung unvereinbar wäre. Bei dieser Auslegung ist das Ziel der größtmöglichen Wirkung des Gemeinschaftsrechts und insbes. der Freiverkehrsrechte, zu dessen Effektivierung die Richtlinie beitragen soll, zu beachten (vgl. MüKo BGB – Basedow, Vor § 305 Rn. 54). Da das lettische Recht eine konkrete Verbotsklausel in nationales Recht implementiert hat, ist – anders als etwa bei der Generalklausel – der Interpretationsspielraum ohnehin eingeschränkt. Raum für eine richtlinienkonforme Rechtspraxis, die einen Verstoß gegen Sec 6 Abs. 3 Nr. 5 für die streitgegenständliche Klausel verneint, besteht nicht.

3.

64. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1, 2, § 709 Satz 2 ZPO.

65. Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO. Die Frage des anwendbaren Rechts bei der Kontrolle von AGB in Luftbeförderungsverträgen, wenn diese über das Internet zwischen Verbrauchern und in Deutschland nicht niedergelassenen Luftfahrtgesellschaften zustande kommen, betrifft eine Vielzahl von Kunden und ist – soweit ersichtlich – höchstrichterlich noch nicht entschieden.

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