Blitzeinschlag beim Vorflug

AG Rüsselsheim: Blitzeinschlag beim Vorflug

Die Kläger hatten bei der Beklagten einen Flug gebucht. Wegen eines Blitzschlags fand dieser nicht statt und die Kläger erreichten ihren Zielort erst einen Tag später als geplant. Dafür verlangen sie Ausgleichszahlung.

Das wies das Amtsgericht ab. Ein Ausgleichsanspruch bestehe nicht bei außergewöhnlichen Umständen. Ein solcher liege hier im Blitzschlag, da er von der Beklagten schlechthin nicht zu vermeiden war.

AG Rüsselsheim 3 C 751/16 (31) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 18.01.2017
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 18.01.2017, Az: 3 C 751/16 (31)
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Amtsgericht Rüsselsheim

1. Urteil vom 18. Januar 2017

Aktenzeichen 3 C 751/16 (31)

Leitsätze:

2. Ein Blitzschlag ist ein außergewöhnlicher Umstand. der die Pflicht zur Ausgleichszahlung bei Verspätung und Annullierung von Flügen entfallen lässt.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger hatten bei der Beklagten einen Flug von Punta Cana nach Frankfurt gebucht. Das dafür vorgesehen Flugzeug wurde bei der Landung in Punta Cana auf dem unmittelbaren Flug vorher durch einen Blitzschlag schwer beschädigt. Daher fand der gebuchte Flug nicht statt und die Kläger erreichten ihren Zielort erst einen Tag später als geplant. Dafür verlangen sie Ausgleichszahlung.

Das wies das Amtsgericht ab. Ein Ausgleichsanspruch bestehe nicht bei außergewöhnlichen Umständen. Ein solcher liege hier im Blitzschlag, da er von der Beklagten schlechthin nicht zu vermeiden war. Daran ändere auch der Umstand, das Blitzschläge eine häufig auftretende Gefahr im Flugverkehr seien, nichts. Es komme vornehmlich auf die Kontrollierbarkeit an. Irrelevant sei auch der strittige Punkt, ob der Flug annulliert oder mit großer Verspätung durchgeführt wurde.

Tenor

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger je zur Hälfte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

5. Die Parteien streiten um die Zahlung von Ausgleichsansprüchen nach der Verordnung (EG) 261/2004 (nachfolgend „VO“ genannt) wegen der nicht pünktlichen Durchführung eines Fluges.

6. Die Kläger unternahmen eine Pauschalreise, in deren Rahmen die Beklagte am 01.11.2015 um 19:35 Uhr eine Flugbeförderung von Punta Cana nach Frankfurt am Main erbringen sollte (Flug DE 2227). Nachdem feststand, dass der Flug nicht pünktlich würde fliegen können, organisierten die Kläger eine eigene Rückreise; sie erreichten den Flughafen Frankfurt am Main erst am 03.11.2015 um 06:15 Uhr statt – wie geplant – am 02.11.2015 um 10:00 Uhr. Die Flugentfernung betrug über 3500 km.

7. Ursache der nicht pünktlichen Durchführung des Fluges war ein Blitzschlag an der für den Flug vorgesehenen Maschine D-ABUS beim Landeanflug auf Punta Cana im Rahmen des unmittelbaren Vorfluges DE 2226. Die nach der Landung erfolgte Untersuchung ergab, dass der Blitzschlag an der Maschine mehrere Ein- und Austrittsstellen sowie Löcher in einem Winglet verursacht hatte. Es waren über 40 Brandmarken am Flugzeug zu erkennen. Die Techniker teilten dem Kapitän mit, dass der Blitzschlag zu massiven Schäden geführt hatte und die Reparatur einige Zeit in Anspruch nehmen würde. Es musste eine intensive Blitzschlagkontrolle durchgeführt werden. Für die Reparatur wurden 3 Tage aufgewendet. Hiernach wurde die Maschine als Leerflug zurückgeführt. Angesichts der an dem Flugzeug vorhandenen Schäden war eine pünktliche Durchführung des Fluges nicht möglich.

8. Die Klägervertreter machten behauptete Ansprüche der Kläger außergerichtlich gegenüber der Beklagten geltend und forderte diese zur Zahlung des Ausgleichsbetrags von je EUR 600,00 auf.

9. Die Kläger behaupten, dass der Flug DE 2227 als verspäteter Flug durchgeführt worden sei und erst am 03.11.2015 um 06:15 Uhr in Punta Cana gestartet sei. Die Beklagte habe jedoch am 02.11.2015 gegen 09:00 Uhr einen neuen Start festgelegt und den Klägern mitgeteilt, dass um 13:00 Uhr ein Bus zum Flughafen starte. Dieser Bus sei jedoch so voll gewesen, dass die Kläger keinen Platz gefunden haben. Auch ein weiterer Abflug nach 16:00 Uhr sei nicht erfolgt, da das Ersatzfluggerät einen technischen Defekt gehabt habe.

10. Die Kläger beantragen,

11. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 1. einen Betrag in Höhe von EUR 600,00, den Kläger zu 2. einen Betrag in Höhe von EUR 600,00, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

12. Die Beklagte beantragt,

13. die Klage abzuweisen.

14. Die Beklagte behauptet, sie habe den Flug annulliert.

15. Die Klageerwiderung ist der Klägerseite am 02.08.2016 mit einer Stellungnahmefrist von 2 Wochen zugestellt worden. Die Replik ist 30.11.2016 bei Gericht eingegangen.

Entscheidungsgründe

16. Die zulässige Klage ist unbegründet.

17. Die Klägerseite hat keinen Anspruch auf Leistung von Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. c), Art. 6 Abs. 1 VO. Dabei kann dahinstehen, ob hier tatsächlich – wie klägerseits behauptet – eine große Verspätung oder – wie beklagtenseits behauptet – eine Annullierung des gebuchten Fluges DE 2227 vorlag.

18. Der Ausgleichsanspruch ist jedenfalls gemäß Art. 5 Abs. 3 VO ausgeschlossen, da die Verspätung auf einem außergewöhnlichen Umstand im Sinne dieser Vorschrift beruht. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs soll ein Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung des Art. 5 Abs. 3 VO entfallen, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die insofern maßgeblichen Umstände müssen ungewöhnlich sein, außerhalb des Rahmens der normalen Betriebstätigkeit des Luftverkehrsunternehmens liegen und dürfen nicht von ihm zu beherrschen sein (BGH X ZR 146/11, Rn. 20).

19. Grund für die hier maßgebliche Verspätung war der Umstand, dass die für den Flug eingeplante Maschine D-ABUS auf dem unmittelbaren Vorflug DE 2226 von Frankfurt am Main nach Punta Cana infolge eines Blitzschlages so beschädigt worden ist, dass sie den klägerseits gebuchten Flug nicht mehr innerhalb von 3 h durchführen konnte. Eine durch einen Blitzschlag hervorgerufene Beschädigung des Flugzeugs führt zu einem Ausschluss von Ausgleichsansprüchen gemäß Art. 5 Abs. 3 VO. Bei einem Blitzschlag handelt es sich um ein ungewöhnliches, von außen kommendes Ereignis, das aufgrund seiner Natur nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens ist und von ihm tatsächlich nicht beherrscht werden kann (so grundsätzlich auch LG Darmstadt, Urteil vom 01.08.2007, 21 S 263/06; AG Hannover, Urteil vom 07.03.2012, 436 C 11054/11; AG Frankfurt a.M., Urteil vom 07.08.2014, 32 C 1652/14 (84); AG Frankfurt a. M., Urteil vom 04.03.2015, 29 C 3128/14 (21); AG Köln, Urteil vom 07.12.2015, 142 C 119/15).

20. Dem steht auch nicht entgegen, dass es sich bei einem Blitzschlag um ein jedenfalls grundsätzlich bekanntes Problem des Luftverkehrs handelt. Dies führt jedoch nicht dazu, dass es damit nicht ungewöhnlich bzw. „Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit das Luftfahrtunternehmens“ wäre (a.A. für das Phänomen des Vogelschlags: Schlussanträge des Generalanwalts (EuGH) vom 28.07.2016, C-315/15, Rn. 25 ff.). Die Tatsache, dass Blitzschläge mit einer gewissen Häufigkeit vorkommen und Flugzeughersteller wie Luftfahrtunternehmen hierauf explizit Rücksicht nehmen und sie – wie Vogelschlag – stets durch Gegenmaßnahmen zu vermeiden suchen, nimmt einem Blitzschlag nicht schlechterdings die Qualität des „Außergewöhnlichen“.

21. Vielmehr stellen mit der Durchführung des Fluges nicht zu vereinbarende Wetterbedingungen und deren Folgen – einschließlich der Beschädigung infolge eines Blitzschlags – ausweislich des Wortlauts des Erwägungsgrundes 14 der VO ausdrücklich einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 VO dar. In Erwägungsgrund 14 der VO wird erkennbar, dass der Verordnungsgeber bei den haftungsausschließenden außergewöhnlichen Umständen ersichtlich solche im Blick hatte, die außerhalb der Sphäre des Luftfahrtunternehmens liegen und sich – wie hier – dessen Beherrschung entziehen. Der hier vorliegende Umstand der „nicht vereinbaren Wetterbedingungen“ wird in Erwägungsgrund 14 explizit in der exemplarischen Aufzählung außergewöhnlicher Umstände aufgeführt.

22. Würde man einen Blitzschlag aufgrund seiner Relevanz als „Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit das Luftfahrtunternehmens“ betrachten, würde der Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 3 VO vollständig ausgehöhlt. Es bliebe hiernach kaum noch ein Umstand denkbar – nicht einmal Terroranschläge oder Flugzeugentführungen, die wohl kaum als „Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit das Luftfahrtunternehmens“ zu erblicken sein dürften -, der nicht schon vorgekommen und deshalb durch regelmäßige Gegenmaßnahmen von Flughafenbetreibern und Luftfahrtunternehmern adressiert wird. Sämtliche von der VO in Erwägungsgrund 14 explizit als außergewöhnliche Umstände benannten Vorkommnisse stellen „gewisse, bekannte, berücksichtigte und gegenwärtige Gefahren“ (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts (EuGH) a.a.O., Rn. 34) dar, so dass dies kaum ein relevantes Kriterium für die Qualifikation eines Umstandes als „Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit das Luftfahrtunternehmens“ sein kann.

23. Die eingetretene Verzögerung der Beförderung der Kläger geht auf den vorgenannten außergewöhnlichen Umstand zurück. Der Blitzschlag auf dem unmittelbaren Vorflug war ursächlich für die Überschreitung der relevanten Verspätungsgrenze von 2 h (bei angenommener Annullierung) bzw. 3 h (bei angenommener großer Verspätung). Bereits infolge des vorgenannten außergewöhnlichen Umstands war es unmöglich, die Kläger mit einer Verspätung von weniger als 2 h bzw. 3 h zu befördern. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die erforderliche Reparatur der Maschine 3 Tage in Anspruch genommen hat.

24. Der Qualifikation des Geschehens beim Landeanflug auf Punta Cana als außergewöhnlichen Umstand steht auch nicht entgegen, dass sich dieses nicht anlässlich des klägerseits gebuchten Fluges, sondern im Rahmen des unmittelbaren Vorflugs ereignet hat. Der Verordnung selbst ist nicht zu entnehmen, dass der Eintritt außergewöhnlicher Umstände nur auf den unmittelbaren gebuchten Flug – und nicht auf Vorflüge – bezogen ist.

25. Erwägungsgrund 15 der VO macht deutlich, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements eine Verspätung oder Annullierung „bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs“ zur Folge hat. Vor diesem Hintergrund gilt, dass außergewöhnliche Umstände nicht nur für den Flug, anlässlich dessen sie eingetreten sind, sondern auch für dessen Folgeflüge berücksichtigungsfähig sind. Dies steht auch im Einklang mit der ratio und dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 VO. Dieser bezieht das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände grundsätzlich nur auf den Fall der Annullierung. Diese ist nach Art. 2 lit. l) VO definiert als die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges. Hieraus folgt, dass nach den vom Verordnungsgeber ursprünglich angestellten Erwägungen der Eintritt eines außergewöhnlichen Umstands dem Beginn des vom betroffenen Fluggast gebuchten Fluges zwingend zeitlich vorausgehen muss – also bei den Flugvorbereitungen oder den Vorflügen eingetreten sein muss – und es hiernach gerade nicht nur auf außergewöhnliche Umstände ankommen kann, die erst nach dem Beginn des Fluges eintreten (vgl. Wahl, RRa 2013, 262; im Ergebnis auch BGH NJW 2014, 3303).

26. Eine zeitliche Begrenzung der Fortwirkung außergewöhnlicher Umstände lässt sich der VO allein in Erwägungsgrund 15 entnehmen, der unter anderem auf eine durch einen außergewöhnlichen Umstand „an einem bestimmten Tag“ verursachte „Verspätung bis zum nächsten Tag“ abhebt. Aus dieser Formulierung folgt, dass die Fortwirkung außergewöhnlicher Umstände jedenfalls auch den auf den konkreten Ereignistag folgenden Tag umfassen muss. Anderenfalls wäre das Abheben auf den „nächsten Tag“ an dieser Stelle völlig überflüssig und sinnentleert. Hinzu kommt, dass dem Verordnungsgeber – wie insbesondere die Art. 5 Abs. 1 lit. b, 9 Abs. 1 lit. b VO zeigen – bei Erlass der Verordnung bewusst war, dass Verspätungen und Flugannullierungen ohne Weiteres bis auf den nachfolgenden Tag fortwirken können, ohne dass er einen Bedarf gesehen hat, die Fortwirkung außergewöhnlicher Umstände zeitlich – über die in Erwägungsgrund 15 gewählten Formulierung hinaus – zu begrenzen (vgl. Wahl a.a.O.).

27. Es kann ferner dahinstehen, ob die Beklagte in ausreichendem Umfang Maßnahmen ergriffen hat, um eine Annullierung bzw. weitere Verspätung nach dem Eintritt des außergewöhnlichen Umstandes zu vermeiden.

28. Eine Würdigung der beklagtenseits zur Organisation der Ersatzbeförderung vorgetragenen Umstände – namentlich der streitige Vortrag zu den behaupteten Subcharteranfragen – kann unterbleiben, da sie nicht streitentscheidend sind. Das Gericht schließt sich insofern der im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 18.04.2012 geäußerten Rechtsauffassung des Landgerichts Darmstadt (Az. 7 S 247/11) an, nach der ein „Wiederaufleben“ der Haftung nach Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes nicht in Betracht kommt. Auf die weiteren Verzögerungen nach Wegfall des außergewöhnlichen Umstandes kommt es nicht an.

29. Nach dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 3 VO hat die Beklagte die ihr zumutbaren Maßnahmen allein im Hinblick auf die Vermeidung von außergewöhnlichen Umständen, nicht aber im Hinblick auf die Vermeidung einer Annullierung oder großen Verspätung zu ergreifen. Besonders deutlich wird dies in der englischen Fassung der VO, in der sich die zumutbaren Maßnahmen grammatikalisch unmissverständlich nur auf die außergewöhnlichen Umstände beziehen („the cancellation is caused by extraordinary circumstances which could not have been avoided even if all reasonable measures had been taken“). Gegenüber diesem eindeutigen Wortlaut des Verordnungstextes, der sich entsprechend auch in den Erwägungsgründen 12 und 14 findet, muss die missverständliche Formulierung des – ohnedies grundsätzlich nachrangigen – Erwägungsgrundes 15 a.E. zurückstehen.

30. Bei Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes kann es auf die nach dessen Eintritt getroffenen Maßnahmen des Luftfahrtunternehmens nicht ankommen, da dies anderenfalls zu einer Ungleichbehandlung einer Annullierung, für die allein der Verordnungsgeber Art. 5 VO ursprünglich vorgesehen hatte, und einer „großen Verspätung“ (von über 3 h) führen würde. Annulliert ein Luftfahrtunternehmen infolge des Vorliegens eines außergewöhnlichen Umstandes einen Flug, so entfällt die Haftung nach Art. 5 Abs. 3 VO. Sieht ein Luftfahrtunternehmen indes – nicht zuletzt auch im Interesse der Fluggäste – von einer Annullierung dieses Fluges ab und verspätet diesen lediglich, so darf es allein deshalb gegenüber einer Annullierung nicht in der Weise schlechter gestellt werden, als das Entfallen der Haftung nach Art. 5 Abs. 3 VO nun davon abhängt, ob das Luftfahrtunternehmen auch nach Vorliegen des außergewöhnlichen Umstandes alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat (so im Ergebnis auch Landgericht Darmstadt, a.a.O.).

31. Eine weitergehende Auslegung des Art. 5 Abs. 3 VO in dem Sinne, dass ein Luftfahrtunternehmen nach dem Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes alle zumutbaren Maßnahmen auch zur Vermeidung einer großen Verspätung zu ergreifen hat, überdehnt den Regelungsgehalt der Vorschrift und den vom Verordnungsgeber ins Auge gefassten Sinn und Zweck der Regelung, die bei Erlass der Verordnung nur für den Fall einer Annullierung gedacht gewesen ist. Eine Benachteiligung der Fluggäste ist auch ohne Sanktionierung einer sich vertiefenden Verspätung durch drohende Ausgleichsleistungen nicht zu besorgen, da das Luftfahrtunternehmen sowohl bereits aus Eigeninteresse als auch im Hinblick auf die zu erbringenden Betreuungsleistungen nach Art. 9 VO gehalten ist, einen verspäteten Flug möglichst zeitnah durchzuführen (zur Frage der zumutbaren Maßnahmen grundsätzlich anderer Auffassung: BGH, Urteile vom 12.06.2014, Az. X ZR 104/13, X ZR 121/13, und 16.09.2014, Az. X ZR 102/13).

32. Vor dem vorgenannten Hintergrund ist auch die Behauptung, dass die Beklagte für den 02.11.2015 nach 9:00 Uhr einen neuen Abflugzeitpunkt festgelegt habe, der dann wegen Überfüllung des Transferbusses bzw. wegen eines technischen Defekts des Ersatzfluggeräts nicht eingehalten worden sei, unerheblich. Nach vorgenommener Annullierung bzw. der Überschreitung der relevanten Verspätungsgrenze von 3 h (bei angenommener großer Verspätung) hat die Beklagte für weitere Verzögerungen bezüglich der Ersatzbeförderung nicht einzustehen. Vielmehr besteht allein die Pflicht zu Ersatzbeförderung nach Art. 8 VO i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. a) VO (bei angenommener Annullierung) bzw. zur Durchführung des gebuchten Fluges (bei angenommener großer Verspätung), für die nach der VO keine zeitliche Vorgabe gilt. Im Übrigen bleiben die diesbezüglichen klägerischen Behauptungen unerheblich, nachdem die Klägerseite beweisfällig geblieben ist und die Beklagte den Vortrag zur Festsetzung einer neuen Abflugzeit bestritten hat.

33. Da die Hauptforderung nicht besteht, ist die Klage auch hinsichtlich der Nebenforderungen unbegründet.

34. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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