Anscheinsbeweis bei Erkrankung am Urlaubsort
LG Düsseldorf: Anscheinsbeweis bei Erkrankung am Urlaubsort
Ein Türkeiurlauber forderte Reisepreisminderung und Schmerzensgeld, weil er und seine Familie sich im Hotel mit einem Darmvirus ansteckten. Der Klage wurde anhand des Anscheinsbeweises, dass die Ursache der Erkrankung im Hotel und somit im Verantwortungsbereich des Reiseveranstalters lag, weitgehend stattgegeben.
LG Düsseldorf | 5 O 401/98 (Aktenzeichen) |
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LG Düsseldorf: | LG Düsseldorf, Urt. vom 23.10.2002 |
Rechtsweg: | LG Düsseldorf, Urt. v. 23.10.2002, Az: 5 O 401/98 |
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Leitsatz:
2. Erkrankt eine auffällig hohe Anzahl von Gästen eines Hotels zur gleichen Zeit an ähnlichen Symptomen, so liegt ein Anscheinsbeweis vor, dass die Ursache der Erkrankung ungeachtet ihrer konkreten Natur und Verbreitungsweise in dem Hotel und somit im Verantwortungsbereich des Reiseveranstalters liegt.
Zusammenfassung:
3. Eine dreiköpfige Familie unternahm einen bei der Beklagten für den Zeitraum von 2.08. bis 23.08.1979 gebuchten Türkei-Urlaub in einem Hotel in Antalya. Dort erlitten sie und viele weitere Gäste eine Magendarmerkrankung. In der Folge kündigte der Vater den Reisevertrag vorzeitig und verlangte die Rückbeförderung, die am 11.08. erfolgte.
Vor dem Landgericht Düsseldorf verlangte er vom Reiseveranstalter die volle Reisepreisminderung, die Erstattung von Ticketkosten für eine Zugfahrt die nach dem Heimflug nötig war, sowie Schermzensgeld. Die Beklagte bestritt, dass es in dem Hotel zu einer Häufung von Darminfekten gekommen war.
Nach Anhörung eines sachverständigen Arztes, der in dem Hotel Gäste behandelt hatte, stellte das Gericht den Anscheinsbeweis fest, dass sich der Kläger und seine Familie in dem Hotel infiziert hatten, worauf die hohe Zahl ähnlicher Erkrankungen hinwies. Damit lag ein erheblicher Mangel im Verantwortungsbereich der Reiseveranstalterin vor, für den sie haften musste.
Daher erhielt der Kläger für die von der Erkrankung betroffenen bzw. ihretwegen nicht wahrgenommenen Urlaubstage den Reisepreis und die Kosten für die Heimreise, welche die Beklagte verpflichtet gewesen ist, zu leisten, erstattet. Er erhielt außerdem Schadensersatz wegen vertaner Urlaubszeit, jedoch kein Schmerzensgeld, denn der Hotelbetreiber war kein Erfüllungsgehilfe der Beklagten, weswegen die Infektionen nicht ihre unmittelbare Schuld waren und somit kein Delikt ihrerseits vorlag.
Tenor:
4. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger 5.971,07 Euro (=11.678,40 DM) nebst 4% Zinsen seit dem 16.09.1997 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 45% und die Beklagte zu 55%. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung von 110% vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
5. Der Kläger buchte am 03.02.1997 über ein Reisebüro in B für sich, seine Ehefrau und den Sohn C bei der Beklagten eine Reise in die Anlage „D“ in Antalya in der Türkei. Die Reise sollte vom 02.08.1997 bis zum 23.08.1997 dauern, als Reisepreis wurden insgesamt 5.367,00 DM unter Berücksichtigung eines Frühbucherrabatts vereinbart, für den Flug ab München die Unterbringung in dem genannten Hotel in einem Doppelzimmer mit Zustellbett und all-inclusive-Verpflegung. Außerdem vereinbarte der Kläger den Abschluss einer Reiserücktrittskostenversicherung zum Preis von 66,00 DM. Der Kläger und seine Familie kamen am 02.08.1997 mit ca. 5-stündiger Verspätung in dem Hotel D an. Die Parteien streiten darüber, ob und aus welchen Gründen der Kläger sowie andere Gäste an Durchfall, Fieber und Erbrechen erkrankten.
6. Am 05.08. verlangte der Kläger von der Reiseleitung vor Ort einen Rückflug nach Hause. Ihm wurde ein Rückflug nach Frankfurt angeboten, den er nicht wahrnahm, da er den längeren Transport von Frankfurt an den Wohnort wegen der – streitigen – Erkrankung seines Sohnes für unzumutbar hielt. Der Kläger und seine Familie nahmen nur die im Hotel angebotenen Speisen und Getränke zu sich. Aufgrund der Organisation eines österreichischen Reiseveranstalters, deren Gäste zu der gleichen Zeit in dem Hotel untergebracht waren, traf am 06.08.1997 abends ein Ärzteteam des Instituts für Reise- und Tropenmedizin aus Wien in dem Hotel ein und untersuchte die österreichischen Gäste. Auch deutsche Gäste wurden von den österreichischen Ärzten mit Medikamenten, einem Antibiotikum, versorgt, jedoch nicht untersucht. Nach Angaben des Hotels D befanden sich am 10.08.1997 insgesamt 836 erwachsene Gäste und 112 Kinder im Hotel. Hiervon waren 175 Erwachsene aus Österreich und 510 Erwachsene aus Deutschland. Am 11.08.1997 wurde schriftlich von der Reiseleitung der Wunsch des Klägers nach einem Rückflug festgehalten und die Beklagte bot einen Rückflug am gleichen Tag nach Düsseldorf an, den der Kläger annahm. Der Kläger und seine Familie übernachteten bei Verwandten in der Nähe von Düsseldorf und fuhren am nächsten Tag nach Hause. Für die Bahnkarte entstanden Kosten von 367,00 DM. Mit der Klage macht der Kläger die Rückzahlung der gesamten Reisekosten von 5.435,00 DM, Ersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit von 3.150,00 DM (= 150,00 pro Tag) für sich selbst, von 2.000,00 DM (=100,00 DM pro Tag) für seine Frau und von 1.050,00 DM (= 50,00 DM pro Tag) für den Sohn C geltend. Der Kläger selbst hat ein Nettoeinkommen von 3.200,00 DM monatlich netto, seine Frau von 1.200,00 DM. Weiterhin verlangt er den Ersatz der für die Bahnfahrt gezahlten 367,00 DM und ein Schmerzensgeld von jeweils 3.000,00 DM für jedes Familienmitglied. Mit anwaltlichem Schreiben vom 25.08.1997 machte der Kläger die Ansprüche bei der Beklagten geltend. Mit Datum vom 26.11.1998 trat die Ehefrau des Klägers ihre und die ihrem Sohn zustehenden Ansprüche aus dem Reisevertrag mit der Beklagten an den Kläger ab.
7. Der Kläger hat ein Attest des behandelnden Arztes vorgelegt, der angibt, dass der Kläger und seine Familie am 13.08.1997 in seiner Praxis erschienen und mit Antibiotika behandelt wurden, ihr Allgemeinzustand aufgrund von Übelkeit und Durchfällen schlecht war und ihr Allgemeinzustand noch bis zum 27.08.1997 reduziert war. Der Kläger behauptet, zum Zeitpunkt des Eintreffens in dem Hotel D sei bereits ein Großteil der dort untergebrachten Gäste an Durchfall und/oder Fieber erkrankt gewesen. Am Nachmittag des 04.08.1997 seien er selbst sowie seine Ehefrau und der Sohn C an Durchfall, Magenkrämpfen und Fieber erkrankt und hätten Schwächeanfälle erlitten. Am gleichen Tag seien sie von zwei über das Hotel herbeigerufenen türkischen Ärzten untersucht worden und ihnen seien Medikamente verschrieben worden, die sie auch genommen hätten. Am 10.08 sei eine weitere Beanstandung bei der Reiseleitung erfolgt. Nach Rückkehr nach Hause hätten sich der Kläger und seine Familie in ärztliche Behandlung geben müssen und hätte noch mehrere Tage an Magenkrämpfen und Durchfall gelitten. Der Kläger selbst sei noch bis zum 22.08.97 krank geschrieben gewesen. Er nehme Bankkredit zumindest in Klagehöhe in Anspruch.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 21.102,00 DM nebst 10% Zinsen seit dem 16.09.1997 zu zahlen.
die Klage abzuweisen.
10. Die Beklagte behauptet, kein einziger der Gäste im Hotel D sei erkrankt. Eventuelle Durchfälle seien Anzeichen einer normalen Darmumstellung, die bei einer Reise typisch sei und keine Krankheit darstelle. Die Ursache für eine behauptete Krankheit liege jedenfalls nicht im Hotel, sondern es müsse sich um ein Trinkwasserproblem oder eine Viruserkrankung, zum Beispiel von Rotaviren, handeln, da auch aus anderen Hotels Klagen von Gästen aufgefallen seien. Die Küche sei täglich von dem örtlichen Reiseleiter besichtigt worden, diese sei stets in bestem Zustand gewesen.
11. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlage verwiesen.
12. Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung eines sachverständigen Zeugen gemäß Beweisbeschluss vom 29.12.1998 und die Einholung zweier Sachverständigengutachten gem. der Beweisbeschlüsse vom 01.04.1999 und 14.1.2000. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf die Sitzungsniederschrift vorn 25.03.1999 (Bl. 120ff. der GA), das Gutachten des Prof. Y (Bl. 186 if. d. GA) und das Gutachten des Sachverständigen Dr. S. 266 if. der GA).
Entscheidungsgründe:
13. Die Klage ist in dem im Tenor genannten Umfang begründet, im übrigen unbegründet.
I.
14. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von insgesamt 5.971,07 Euro (= 11.678,40 DM) gegenüber der Beklagten.
1.
15. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung von 3.066,84 DM ergibt sich aus § 651e Abs. 3 BGB. Der Kläger war berechtigt, den Reisevertrag zu kündigen und hat einen Anspruch auf Rückzahlung des anteiligen Reisepreises in der genannten Höhe.
16. Der Kläger schloss mit der Beklagten einen wirksamen Reisevertrag gem. § 651a BGB. Da er hierbei ausweislich der Buchungsbestätigung als Familienmitglied für sich und seine Angehörigen handelte, ist er unabhängig davon dass alle Familienmitglieder entweder über § 164 BGB oder § 328 BGB einen selbständigen Erfüllungsanspruch besitzen, alleiniger Vertragspartner der Beklagten geworden. Mithin ist der Kläger zur Geltendmachung aller mit dem Reisevertrag zusammenhängenden Gewährleistungsansprüche aktivlegitimiert und kann Leistung an sich verlangen.
17. Die bei der Beklagten gebuchte Reise in das Hotel D wies einen erheblichen Mangel im Sinne des § 651e Abs. 1 BGB auf. Nach § 651c BGB hat der Reiseveranstalter die Reise so zu erbringen, dass sie die zugesicherten Eigenschaften hat und nicht mit Mängeln behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen Nutzen aufheben oder mindern. Nach den zu den Akten gereichten Unterlagen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger und seine Familie aufgrund eines Umstandes, den die Beklagte als Reiseveranstalterin zu vertreten hat, am Urlaubsort schwer erkrankten. Aus der vorgelegten Rechnung des türkischen Arztes vom 04.08.1997 und dem Rezept vom gleichen Tag, ausgestellt auf den Sohn C, ergibt sich, dass zumindest die Ehefrau des Klägers und der Sohn bereits zu diesem Zeitpunkt erkrankt waren. Die hiergegen vorgebrachten Einwände der Beklagten, dass sich aus der Rechnung und dem Rezept keine Erkrankung ergebe, sind nicht plausibel und unsubstantiiert. Denn es ist nicht nachvollziehbar, warum im Urlaub im Ausland ohne einen Grund ein Arzt aufgesucht werden sollte, der dann auch noch Arzneien verordnet, die typischer Weise zur Behandlung von Durchfallerkrankungen geeignet sind. Zudem ergibt sich aus dem Attest des Hausarztes des Klägers und seiner Familie, dass diese am 13.08.1997, also einen Tag nach ihrer Rückkehr aus der Türkei, wegen Durchfallerkrankungen in Behandlung waren und einen schlechten Allgemeinzustand aufwiesen. Dieser schlechte Allgemeinzustand lässt darauf schließen, dass die Beschwerden schon länger bestanden.
18. Nach Vorlage dieses ausführlichen Attestes des Hausarztes hat die Beklagte die Erkrankung des Klägers und seiner Familie auch nicht substantiiert bestritten, so dass eine Beweisaufnahme zu dieser Frage entbehrlich war, da die Tatsache der Erkrankung als unstreitig behandelt werden konnte.
19. Es ist davon auszugehen, dass die Ursache der Erkrankung des Klägers und seiner Familie innerhalb des Hotels D lag. Dies folgt aus der Anwendung des Grundsatzes, dass dann, wenn eine auffallend hohe Anzahl von Hotelgästen gleichzeitig an gleichartigen Symptomen erkrankt, ein Anscheinsbeweis dafür besteht, dass die Ursache, unabhängig von ihrer nicht im einzelnen aufklärbaren Natur, jedenfalls in dem Hotel und damit in dem Gewährleistungsbereich des Reiseveranstalters zu finden ist. Die tatsächlichen Voraussetzungen für diesen Anscheinsbeweis liegen vor. Im Hotel D erkrankten während der Zeit, in der sich der Kläger und seine Familie dort aufhielten, noch andere Gäste, wobei die Anzahl der Betroffenen und auch die Stärke der Erkrankung über das Übliche deutlich hinaus gingen.
20. Der sachverständige Zeuge Prof. Y hat bekundet, dass er und sein Team ca. 200 österreichische Gäste in dem Hotel untersuchten und wegen Durchfallerkrankungen bzw. Übelkeit und Erbrechen sowie Fieber behandelten. Er hat weiter bekundet, dass die Erkrankung schlagartig auftrat und ca. 70% bis 80% der österreichischen Gäste betroffen waren und dass der Leidensdruck der Patienten höher war, als bei einer Erkrankung an einem üblichen Reisedurchfall. Der Zeuge diagnostizierte die vorgefundenen Erkrankungen als bakterielle Ruhr oder Lebensmittelvergiftung, je nach Ausprägung der Erkrankung; die Erreger werden nach den Bekundungen des Zeugen über Lebensmittel übertragen. Nach seinen Bekundungen konnte der Erreger des typischen Reisedurchfalls, das Bakterium Escherichia Coli nicht nachgewiesen werden. Weiter hat der Zeuge Prof. Y angegeben, dass davon auszugehen ist, dass der Anteil der deutschen Gäste, die an den genannten Erkrankungen litten, ähnlich war, wie bei den österreichischen Gästen. In seinem schriftlichen Gutachten hat Prof. Y zusätzlich angeben, dass er in der Nacht vom 06. auf den 07.08.1997 im Hotel D war, also zu der Zeit, als auch der Kläger und seine Familie dort untergebracht waren.
21. Das Gericht folgt diesen glaubhaften Angaben des sachverständigen Zeugen Y. Der Zeuge hat die von ihm geschilderten Umstände selbst vor Ort wahrgenommen, hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Zeugen bestehen keine Bedenken. Soweit es sich bei den Angaben des Zeugen um Schlussfolgerungen handelt, die nicht der eigentlichen Wahrnehmung unterliegen, sondern ein Ergebnis aus der Würdigung der wahrgenommenen Umstände und der eigenen unbestrittenen Fachkunde sind, bestehen dennoch keine Bedenken, diese Ergebnisse zu verwerten. Selbst wenn es an einem entsprechenden Beweisbeschluss und an einer entsprechenden besonderen Sachverständigenbelehrung. fehlen sollte, so ist dieser Verfahrensmangel jedenfalls durch die rügelose Stellung der Anträge durch die Parteien am Schluss der Sitzung vom 25.03.1999 geheilt. Die Frage, nach welchen Vorschriften der Zeuge Y vergüten ist, ist hiervon unabhängig zu sehen. Auch eine möglicherweise nicht ordnungsgemäße Belehrung kann nicht zu einer Unverwertbarkeit der Ausführungen des Zeugen Y führen. Denn der Zeuge hat seine Ausführungen im schriftlichen Gutachten im wesentlichen noch einmal wiederholt, nachdem er zuvor entsprechend belehrt wurde und an Eides statt versicherte, diese Angaben unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu machen.
22. Die Zahl der nach den Angaben von Prof. Y erkrankten Personen mit jedenfalls 70% bei den österreichischen Reisenden und einer entsprechenden Anzahl an Erkrankten bei den deutschen Touristen lag erheblich über dem, was normalerweise in einem Hotel, auch unter Berücksichtigung eines üblichen Reisedurchfalls zu erwarten ist. Sowohl nach den Angaben des Zeugen Y, als auch nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S2 sind gleichzeitige Erkrankungen von maximal 10% der Hotelgäste in einem Land wie der Türkei zu erwarten. Die hier festgestellte Zahl lag bei etwa dem siebenfachen dieser unter normalen Umständen zu erwartenden Zahl. Insofern rechtfertigt sich der Anscheinsbeweis, dass die Ursachen hierfür in dem Hotel D und damit im Gewährleistungsbereich der Beklagten lag.
23. Hinzu kommt, dass die Beklagte auch nicht bestritten hat, dass der Kläger und seine Familie sich ausschließlich in dem Hotel verpflegten, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine externe Infektionsquelle auszuschließen ist. Dies ist auch nur wahrscheinlich, denn die Gäste hatten sämtlich einen all-inclusive-Aufenthalt gebucht, bei dem auch die Versorgung mit Getränken und Snacks zwischen den Mahlzeiten enthalten war, so dass keine Veranlassung bestand, sich außerhalb des Hotels mit Lebensmitteln zu versorgen.
24. Diesen bestehenden Anscheinsbeweis, dass die Ursache der Erkrankungen im Hotel D liegt, konnte die Beklagte nicht erschüttern. Soweit die Beklagte die Vermutung äußert, dass z. B. ein regionales Trinkwasserproblem die Ursache der Erkrankungen sei, ist dies nicht erheblich. Zum einen spricht hiergegen die Angabe des Zeugen Prof. Y, dass die von ihm vorgefundenen Krankheitsbilder typisch für eine durch Lebensmittel übertragene Erkrankung ist. Zum anderen würde auch ein mit Krankheitserregern versetztes Trinkwasser im Urlaubshotel einen Reisemangel im Sinne des § 651c BGB darstellen.
25. Die Beklagte kann auch nicht einwenden, dass sich aus den von ihr behaupteten gemeldeten Erkrankungen in anderen Hotels ergebe, dass die Ursache der Erkrankungen des Klägers und seiner Familie außerhalb des Hotels D liege. Denn die Beklagte hat nicht im einzelnen dargelegt, dass sich auch in anderen Hotels eine so auffallende Häufung von Magen-Darm-Erkrankungen feststellen ließ, so dass sich kein Anhaltspunkt dafür ergibt, dass die Ursache der Erkrankung nicht im Gewährleistungsbereich der Beklagten liegt. Auch die Vermutung der Beklagten, dass es sich um eine epidemieartig auftretende Viruserkrankung, insbesondere eine Erkrankung an dem Rotavirus handeln müsse, hat sich durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt. Das hierzu eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dr. S2 hat ergeben, dass eine Erkrankung an Rotaviren oder anderen Viren, die eine Durchfallsymptomatik verursachen, mit einer Wahrscheinlichkeit von um 2% zu bewerten ist. Das Gericht folgt den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen. Der Sachverständige hat sich ausführlich und nachvollziehbar mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Reise-Durchfallerkrankungen beschäftigt und kommt unter Heranziehung der Informationen zu dem plausiblen Ergebnis, dass die von der Beklagten angenommene Erkrankung mit Viren sehr unwahrscheinlich ist.Eine so geringe Wahrscheinlichkeit genügt nicht, den Anscheinsbeweis zu erschüttern, dass die Ursache der Erkrankungen in der Lebensmittelversorgung des Hotels zu suchen ist. Hinzu kommt, dass der Sachverständige auch angegeben hat, die Häufigkeit des Auftretens von Rotaviren betrage insgesamt nur etwa 1 % und 80-90% aller Erkrankten seien Kinder, da die meisten Erwachsenen durch eine Erkrankung in der Kindheit bereits eine Immunität entwickelt hätten. Auch diese Angaben des Sachverständigen sprechen gegen eine Erkrankung der Gäste in dem Hotel an Viren. Denn nach der Lage der Akten kann ein besonders hoher Anteil an Kindern unter den Erkrankten nicht festgestellt werden.
26. Im Ergebnis hatte der Kläger nach den vorstehenden Ausführungen das Recht, den Reisevertrag mit der Beklagten zu kündigen. Eine Fristsetzung nach § 615e Abs. 2 BGB war vorliegend entbehrlich. Denn aufgrund der schweren Erkrankungen, die zu einem eingeschränkten Allgemeinzustand des Klägers und seiner Familie führten, bestand ein besonderes Interesse an dem sofortigen Abbruch der Reise. Bei einer erheblichen Erkrankung, deren erforderliche Behandlung vor Ort nicht ohne weiteres sicher gestellt ist, darf der Reisende die Reise abbrechen, um sich in Deutschland behandeln zu lassen, wie es der Kläger getan hat. Zudem ist nicht ersichtlich, wie der Beklagten eine Abhilfe möglich gewesen sein soll, da die Erkrankung ja bereits eingetreten war. Die Kündigungserklärung ist spätestens mit dem unstreitigen Begehren nach einem Rückflug gegeben.
27. Als Folge der berechtigten Kündigung hat die Beklagte für die Zeit ab dem 11.08.1197, also dem Tag, an dem der Kläger mit seiner Familie zurückflog, nach § 615e Abs. 3 BGB den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis verloren. Der Reisepreis betrug insgesamt 5.367,00 DM für 21 Tage. Der Tagesreisepreis belief sich danach auf 255,57 DM. Auf die Zeit vom 11.08. bis 23.08.1997 (12 Tage) entfielen somit 3.066,84 DM, die von der Beklagten zurückzuzahlen sind.
2.
28. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von weiteren 2.044,56 DM nach § 651c BGB, da der Reisepreis von 255,57 DM für weitere acht Tage um 100% zu mindern ist. Der Kläger und seine Familie waren entsprechend der obigen Ausführungen ab dem 03.08.1997 bis zum Abflug am 11.08.1997 aufgrund eines Mangels in der Reiseleistung der Beklagten schwer erkrankt. Diese Tage waren aufgrund der Erkrankung mit Durchfall, Fieber und Übelkeit für die normale Urlaubsgestaltung vollkommen entwertet. Eine Minderung um 100% ist gerechtfertigt.
3.
29. Weiter hat der Kläger einen Anspruch auf Erstattung der Fahrkarte in Höhe von 367,00 DM nach § 651f Abs. 1 BGB. Da die Beklagte nicht in der Lage war, einen Flug zu dem Flughafen zur Verfügung zu stellen, von dem der Kläger und seine Familie abgeflogen waren, hat die Beklagte die hierdurch entstandenen Mehrkosten für den Transport zu ersetzen. Sie kann sich auch nicht darauf berufen, dass wenige Tage zuvor ein Flug nach Frankfurt angeboten wurde, von wo aus geringere Weiterreisekosten entstanden wären. Denn sie hat nicht bestritten, dass dem Kind C zu diesem Zeitpunkt ein Transport aufgrund der Erkrankung nicht zumutbar war.
4.
30. Im übrigen hat der Kläger einen Anspruch auf Ersatz für die nutzlos aufgewendete Urlaubszeit nach § 651f Abs. 2 BGB in Höhe von insgesamt 6.200,00 DM. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch ist begründet, denn die Reise des Klägers und seiner Familie war erheblich im Sinne der Vorschrift beeinträchtigt, dies ist nach herrschender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur der Fall, wenn die Mängel einer Minderung von mindestens 50% rechtfertigen. Diese Voraussetzung ist nach den vorstehenden Ausführungen erfüllt. Ein Resterholungswert für die zu Hause verbrachte Zeit ergibt sich nicht, da sowohl der Kläger als auch seine Familie noch bis zum Ende der geplanten Urlaubszeit arbeitsunfähig erkrankt waren. Bei der Bemessung des Schadensersatzes, der den immateriellen Wert für entgangene Urlaubsfreuden ausgleichen soll, geht das Gericht von einem Mittelwert zwischen dem Reisepreis und dem auf die Reisezeit entfallenen Nettoeinkommen des Klägers und seiner Familie aus. Denn hieraus ergibt sich der Wert, den der Urlaub für den einzelnen persönlich ausmacht.
31. Der Kläger hat unbestritten vorgetragen, etwa 3.200,00 DM netto zu verdienen, seine Frau 1.200,00 DM. Hieraus ergibt sich ein täglicher Verdienst des Klägers von 106,67 DM und für seine Frau von 40,00 DM. Der Mittelwert zwischen dem täglichen Reisepreis von 255,57 DM und dem täglichen Einkommen beträgt damit 181,12 DM für den Kläger und 147,79 DM für seine Ehefrau. Der von dem Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch von 150,00 DM pro Tag für sich selbst und von100,00 DM für seine Frau sind deshalb in jedem Fall gerechtfertigt. Auch den geltend gemachten Anspruch von 50,00 DM für das Kind sieht das Gericht nach § 287 ZPO als angemessen an.
32. Es ergibt sich damit wie vom Kläger begehrt, ein Anspruch von 3.150,00 DM für ihn selbst, von 2.000,00 DM für seine Frau und 1.050,00 DM für den Sohn, insgesamt 6.200,00 DM.
5.
33. Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus § 284, 288 BGB a.F. Einen über den gesetzlichen Zinssatz von 4% hinausgehenden Zinsanspruch hat der Kläger nicht schlüssig dargelegt, da er trotz des Bestreitens der Beklagten keine Unterlagen über die behauptete Kreditaufnahme vorgelegt hat.
6.
34. Weitergehende Ansprüche des Klägers wegen Minderung oder Schadensersatz beziehungsweise Schmerzensgeld bestehen nicht.
35. Hinsichtlich des Anreisetages hat der Kläger keine Mängel schlüssig vorgetragen, so dass insofern eine Minderung oder Schadensersatz ausscheiden.
36. Ein Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 847 BGB kann der Kläger nicht geltend machen. Denn der Hotelbetreiber ist als Leistungsträger nicht Verrichtungsgehilfe des Reiseveranstalters im Sinne des § 831 BGB. Eine deliktische Haftung der Beklagten kommt insofern nicht in Betracht. Ein eigenes Verschulden der Beklagten als Reiseveranstalterin lässt sich nicht feststellen. Festgestellt werden kann nur, dass der Kläger und seine Familie in dem Hotel D mit Krankheitserregern in Kontakt gekommen sein müssen. Der Grund hierfür kann aber auch in einem kurzzeitigen Hygienefehler des Hotelpersonals oder auf einzelne verdorbene Lebensmittellieferungen zurückzuführen sein. Die der Beklagten obliegende Verkehrssicherungspflicht geht jedoch nicht so weit, derartiges mit absoluter Sicherheit zu verhindern. So war die Beklagte nicht verpflichtet, bei dem Hotel sämtliche Lebensmittellieferungen zu überprüfen. Ein Verschulden der Beklagten kann auch nicht darin gesehen werden, dass sie den Kläger und seine Familie in dem Hotel einquartierte, obwohl dort schon zuvor Gäste erkrankt waren. Denn zu diesem Zeitpunkt, am 02.08.1997, stand noch nicht fest und die Beklagte musste demzufolge auch nicht wissen, dass die Ursache der Erkrankung wohl allein in dem Hotel D zu suchen war. Denn der Zeuge Prof. Y traf erst am 06.08.1997 ein und nahm seine Untersuchungen vor. Die Ursache der Erkrankungen stand damit am Anreisetag des Klägers noch nicht fest.
7.
37. Im Ergebnis waren dem Kläger nach den vorstehenden Ausführungen folgende Beträge zuzuerkennen:
Rückzahlung Reisepreis 3.066,84 DM
Minderung 2.044,56 DM
Schadensersatz Fahrkarte 367,00 DM
nutzlos aufgewendete Urlaubszeit 6.200,00 DM
11.678,40 DM
38. Der Betrag von 11.678,40 DM entspricht 5.971,07 Euro.
II.
39. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 92, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
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