Entschädigung bei Gepäckverspätung

AG Bremen: Entschädigung bei Gepäckverspätung

Vorliegend buchte die Klägerin bei einem Flugunternehmen einen Flug, welcher eine Zwischenlandung beinhaltete. Der erste Flug verspätete sich, sodass die Klägerin und ihre Reisebegleitung den Anschlussflug verpassten. Sie kamen mit erheblicher Verspätung am Zielort an. Des Weiteren erhielt sie ihr Gepäck verspätet. Sie verlangt nun Schadensersatz, sowie Ausgleichszahlungen.

Das Amtsgericht Bremen sprach ihr eine Ausgleichszahlung sowie Schadensersatz wegen Nichtbeförderung zu.

AG Bremen 4 C 7/07 (Aktenzeichen)
AG Bremen: AG Bremen, Urt. vom 08.05.2007
Rechtsweg: AG Bremen, Urt. v. 08.05.2007, Az: 4 C 7/07
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Amtsgericht Bremen

1. Urteil vom 08. Mai 2007

Aktenzeichen 4 C 7/07

Leitsatz:

2. Verspätet sich ein Teil des Fluges erheblich, sodass der Anschlussflug nicht mehr erreicht wird, liegt eine Nichtbeförderung im Sinne der VO vor.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall buchte der Kläger für sich und seine Frau einen Flug von Bremen nach Asuncion über Paris und Sao Paulo bei der Beklagten. Der Ausgangsflug verspätete sich so, dass sie ihren Anschlussflug nicht mehr erreichten und scließlich mit einer 13 stündigen Verspätung in Asuncion ankamen. Mithin bekamen sie ihr Gepäck mit erheblicher Verspätung. Der Kläger begehrt nun Schadensersatz und Ausgleichszahlungen.

Die Beklagte ist der Meinung ihm stehe keine zu, da sie für einen Ersatzflug gesorgt hat und die Kläger ihren Schaden nicht rechtzeitig gemeldet hat. Das Amtsgericht Bremen sprach dem Kläger und seiner Frau Schadensersatz wegen der Verspätung des Gepäcks und eine Ausgleichzahlung wegen des verspäteten Fluges zu.

Hier wurde der Kläger und seine Frau nicht rechtzeitig befördert, sodass sie ihren Anschlussflug verpassten, was einer Nichtbeförderung im Sinne der VO gleichsteht. Auch haben die Kläger die Frist zur Schadensanzeige eingehalten. Diese beträgt vorliegend 21 Tage. Nur bei beschädigtem Gepäck muss die Schadensanzeige sofort erfolgen. Die Klage ist folglich überwiegend begründet.

Tenor

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger 25,85 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12. September 2006 zu zahlen. Die Beklagte wird weiterhin verurteilt, an die Klägerin zu 2. weitere 931,76 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12. September 2006 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben zu tragen

von den Gerichtskosten der Kläger zu 1. 49,29 %, die Klägerin zu 2. 23,67 % und die Beklagte 27,04 %;

von den außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1. dieser 98,58 % und die Beklagte 1,42 %;

von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2. diese 47,34 % und die Beklagte 52,66 %;

von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten diese 27,04 %, die Klägerin zu 2. 23,67 % sowie der Kläger zu 1. 49,29 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird hinsichtlich des der Klägerin zu 2. zugesprochene Schadensersatzes wegen Nichtbeförderung zugelassen.

Tatbestand

5. Die Kläger begehren Schadensersatz und anteilige Rückzahlung eines Flugpreises wegen nicht ordnungsgemäß erbrachter Flugleistungen.

6. Anfang Mai 2006 begab sich der Kläger zu 1. in das Reisebüro C. in W., um dort für seine Frau, die Klägerin zu 2., eine Flugreise mit dem Flugunternehmen der Beklagten nach Asuncion (Paraguay) und wieder zurück zu buchen. Auf der seitens des Reisebüros an den Kläger zu 1. gerichteten Rechnung i.H.v. 1.034,18 Euro war die Klägerin zu 2. als Reiseteilnehmerin aufgeführt. Gemäß den Vereinbarungen in dem geschlossenen Beförderungsvertrag verpflichtete sich die Beklagte, die Klägerin zu 2. am 16. Mai 2006 um 6:30 Uhr von Bremen nach Paris (Ankunft: 7:55 Uhr), um 10:15 Uhr von Paris nach Sao Paulo (Ankunft: 17:25) sowie um 22:30 Uhr weiter nach Asuncion zu fliegen, wo eine planmäßige Ankunft um 23:30 Uhr vorgesehen war.

7. Aufgrund eines verspäteten Starts des Ausgangsfluges um 9:00 Uhr verpasste die Klägerin zu 2. in Paris den Anschlussflug nach Sao Paulo, so dass diese nicht um 10:15 Uhr, sondern erst um 23:15 Uhr in Paris abflog und erst am 17. Mai 2006 um 10:30 Uhr in Asuncion landete. Sowohl während der zweieinhalbstündigen Wartezeit in Bremen, wo die Klägerin zu 2. ca. eine Stunde mit den übrigen Fluggästen stehend in einem überfüllten Flughafenbus verweilen musste, als auch während des 13-stündigen Aufenthaltes in Paris erfuhr die Klägerin zu 2. keinerlei Betreuung durch die Beklagte. Infolge dessen erwarb die Klägerin zu 2. auf dem Flughafen in Paris Nahrungsmittel zu einem Preis von 14,40 Euro.

8. Am Zielort in Asuncion konnte der Klägerin zu 2. zudem das bei Antritt der Flugreise übergebene Gepäck erst am 29. Mai 2006 ausgehändigt werden, worauf die Beklagte mit Schreiben vom 1. Juni 2006 hingewiesen worden ist. Daraufhin erwarb die Klägerin zu 2. Textilien und Drogerieartikel, für die sie – unter Nennung eines Umrechnungskurses – weitere 396,70 Euro begehrt.

9. Schließlich begehren die Kläger Ersatz vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten i.H.v. 163,27 Euro, eine Schadenspauschale für erforderlich gewordene Telefonkosten i.H.v. 25,- Euro sowie Ersatz der infolge der durch den Kläger zu 1. in Anspruch genommenen Rechtsschutzversicherung zu zahlenden Selbstbeteiligung i.H.v. 102,- Euro.

10. Die Kläger sind der Ansicht, dass die Beklagte gemäß der VO/EG Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 in Höhe von 600,- Euro schadensersatzpflichtig sei. Zudem sei der ihrerseits erbrachte Flugpreis wegen mangelhafter Leistungserbringung durch die Beklagte um 50 Prozent gemindert, so dass weitere 517,09 Euro des bereits gezahlten Flugpreises zu erstatten seien. Hinsichtlich der verspäteten Gepäckauslieferung sei die Beklagte nach dem Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im Internationalen Luftverkehr (Montrealer Übereinkommen) vom 28. Mai 1999 schadensersatzpflichtig.

11. Die Kläger beantragen,

12. die Beklagte zu verurteilen, an sie als Gesamtgläubiger 1.655,19 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. September zu zahlen;

13. die Beklagte zu verurteilen, vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten i.H.v. 163,27 Euro inkl. MwSt. nebst gesetzlicher Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

14. Die Beklagte beantragt,

15. die Klage abzuweisen.

16. Sie behauptet, da sie – die Beklagte – davon ausgehe, dass die Klägerin zu 2. aus Asuncion stamme, verfüge sie dort über einen ausreichenden Fundus an Kleidungsstücken und Kosmetika, so dass die Anschaffung neuer Sachen nicht erforderlich war. Zudem bestreitet sie den von den Klägern zugrunde gelegten Umrechnungskurs sowie das Entstehen der Telefon- und Selbstbeteiligungskosten.

17. Die Beklagte ist der Ansicht, ein Beförderungsvertrag sei nur mit der Klägerin zu 2. zustande gekommen. Zudem seien die Voraussetzungen der Minderung nicht gegeben, da die Beklagte mit der Beförderung zu einem späteren Zeitpunkt nacherfüllt habe. Infolge der verspäteten Schadensmeldung hätte sie auch keine Nachforschungen über den Verbleib des Gepäcks anstellen können; jedenfalls hätte die Beklagte es früher aufgefunden, so dass Ersatzbeschaffungen nicht notwendig geworden wären. Schließlich müsse sie sich die Vorteile anrechnen lassen, die sie infolge der Nichtbenutzung ihrer nicht ausgelieferten Kleidungsstücke und Kosmetika erlangt habe.

18. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien vom 22. November 2006, 17. Januar und 25. April 2007 sowie auf das Verhandlungsprotokoll vom 10. April 2007 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

19.  Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

20.  Soweit die Klägerin zu 2. von der Beklagten Schadensersatz i.H.v. 600,- Euro wegen eines um 13 Stunden verspäteten Weiterfluges von Paris nach Sao Paulo verlangt, steht ihr ein solcher Anspruch aus Art. 4 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 lit. c) VO (EG) Nr. 261/2004 vom 11. Februar 2004 zu. Danach erhalten Fluggäste bei Flügen von einer Entfernung über 3.500 Kilometern eine Ausgleichszahlung i.H.v. 600,- Euro, wenn ein Fall der Nichtbeförderung i.S.v. Art. 4 VO (EG) Nr. 261/2004 vorliegt. Ein solcher ist nach Art. 2 lit j) i.V.m. Art. 3 Abs. 2 lit. a) VO (EG) Nr. 261/2004 gegeben, wenn sich das Luftfahrtunternehmen weigert, Fluggäste zu befördern, obwohl diese sich spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung eingefunden haben. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts sind diese Voraussetzungen auch im vorliegenden Fall erfüllt.

21. Der von der Beklagten vertretenen Ansicht vermag sich das Gericht dagegen nicht anzuschließen. In den Fällen, in denen bei einem aus mehreren Abschnitten bestehenden Flug ein Flugabschnitt so verspätet durchgeführt wird, dass der Fluggast den Anschlussflug verpasst und erst Stunden später auf einem anderen Flug weiterbefördert wird, sind die Vorschriften über die Nichtbeförderung ebenfalls anzuwenden (vgl. Schmid, in: NJW 2007, S. 261, 265). Zwar mag der Einwand der Beklagten, die Voraussetzungen einer Nichtbeförderung gemäß Art. 2 lit. j) VO (EG) Nr. 261/2004 sowie gemäß Art. 3 Abs. 2 VO (EG) Nr. 261/2004 hätten nicht vorgelegen, seinen Niederschlag im Wortlaut der genannten Verordnung finden. Gleichwohl ist bei Auslegung einer Norm immer deren Sinn und Zweck zu berücksichtigen.

22. Wie sich aus den Erwägungsgründen der VO (EG) Nr. 261/2004 ergibt, hat Art. 3 Abs. 2 VO (EG) Nr. 261/2004 lediglich den Zweck, die Haftung des Luftfahrtunternehmens in den Fällen auszuschließen, in denen der Fluggast aus von ihm zu vertretenen Gründen nicht rechtzeitig zur Abfertigung erscheint. Andernfalls wäre der mit der Verordnung bezweckte weitergehende Schutz des Verbrauchers weitgehend ausgehöhlt. Ziel der Verordnungsgeber war es nämlich insbesondere, die Fluggastrechte im innergemeinschaftlichen Luftverkehr zu stärken (vgl. Erwägungsgründe 1-4).

23. Die Klägerin zu 2. kann von der Beklagten auch anteiligen Ersatz des durch die verspätete Gepäckauslieferung entstandenen Schadens verlangen. Anspruchsgrundlage ist insoweit Art. 19 S. 1 des Montrealer Übereinkommens vom 28. Mai 1999. Danach hat der Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen, der durch Verspätung bei der Luftbeförderung von Reisegepäck entsteht.

24. Nicht gehört werden kann die Beklagte indes damit, dass die Klägerin zu 2. nicht unverzüglich die Verspätung angezeigt hat. Gemäß Art. 31 Abs. 2 Satz 2 des Montrealer Übereinkommens muss der Empfänger im Fall einer Verspätung die Anzeige binnen 21 Tagen, nachdem das Reisegepäck oder die Güter diesem wieder zur Verfügung gestellt worden sind, erfolgen. Eine unverzügliche Schadensanzeige ist insofern nur im Falle beschädigten Gepäckes geboten, Art. 31 Abs. 2 Satz 1 des Montrealer Übereinkommens. Dies schließt es zwar nicht grundsätzlich aus, dass der Fluggast im Rahmen der ihm obliegenden Schadensminderungspflicht gehalten ist, dem Luftfrachtführer zur Minimierung des Schadens eine unverzügliche Verlustanzeige zu machen. Ein genereller Ausschluss des Schadensersatzes ist in dieser Konstellation – wie aus Art. 31 Abs. 4 des Montrealer Übereinkommens hervorgeht – jedoch gerade nicht vorgesehen.

25. Zudem ergibt sich aus den von den Parteien vorgetragenen Tatsachen, dass die Klägerin zu 2., die ihr Gepäck am 29. Mai 2006 in Asuncion zurück erhielt, zuvor auf den Verlust desselben hingewiesen haben muss. Es widerspräche dem Wortlaut wie auch den Intentionen des Montrealers Übereinkommens, wenn man den Reisenden verpflichten würde, noch am Terminal eine den Anforderungen des Art. 31 Abs. 4 des Montrealers Übereinkommens entsprechende Schadensanzeige zu fertigen, zumal er von der Erforderlichkeit der Schriftform ohnehin nicht in Kenntnis gesetzt ist. Folglich ist die Norm so zu verstehen, dass es genügt, wenn der jeweilige Reisende – um seiner Schadensminderungspflicht zu genügen – das Flugunternehmen noch am Flughafen mündlich von dem Verlust seines Gepäckes unterrichtet.

26. Erst zur Geltendmachung und Bezifferung seiner dadurch entstandenen Schäden besteht die binnen 21 Tagen zu erfüllende Obliegenheit einer schriftlichen Schadensanzeige. In diesem Zusammenhang kann die Beklagte auch nicht damit gehört werden, dass im Falle einer früheren Anzeige das Gepäck eher aufgefunden worden wäre. Da – wie bereits dargestellt – aus den Umständen ersichtlich ist, dass die Klägerin zu 2. bereits vor dem 1. Juni 2006 auf den Verlust ihres Gepäcks aufmerksam gemacht hat, hätte es im folgenden der Beklagten oblegen, darzulegen, in welchem Umfange eine noch frühere Schadensanzeige der Klägerin zu 2. zur Minimierung des entstandenen Schadens beigetragen hätte. Die Darlegungs- und Beweislast für einen im Rahmen des Mitverschuldens gemäß § 254 Abs. 2 BGB anzusiedelnden Verstoß des Anspruchsinhabers gegen seine Schadensminderungspflicht trifft nämlich stets den Schadensersatzpflichtigen (BGHZ 91, 243, 260 = NJW 1984, 2216; BGH NJW 1994, 3105). Zudem ergibt sich aus den von der Klägerin zu 2. vorgelegten Schadensbelegen, dass diese drei ihrer Einkäufe am 18. sowie einen am 20. Mai 2006 getätigt hat. Eine Schadensminderung wäre indes nur in Betracht gekommen, wenn die Beklagte – was sie nicht getan hat – dargelegt hätte, dass sie vorher zur Auffindung der Gepäckstücke in der Lage gewesen wäre. Andernfalls, d.h. bei erst nach dem 20. Mai 2006 hypothetisch erfolgter Rückgabe wäre der geltend gemachte Schaden ohnehin schon entstanden.

27. Soweit die Beklagte den Umrechnungskurs des Paraguayischen Guarani zum Schadenszeitpunkt bestreitet, kann sie damit ebenfalls nicht durchdringen. Das Gericht hat sich unter Benutzung der Internet-Datenbank

28.  „www.lycos.de/startseite/geld_boerse/waehrungsrechner.html“

29. von der Richtigkeit der klägerischen Angaben überzeugt. Soweit die Beklagte die in diesem Zusammenhang geltend gemachten Schadenspositionen mit dem Einwand angreift, dass die Klägerin zu 2. vermutlich aus Asuncion stamme und dort über ausreichend Kleidungsstücke und Kosmetika verfüge, kann sie damit nicht gehört werden. Die Klägerin zu 2. hat unter Beweisantritt schlüssig vorgetragen, dass sie infolge des Gepäckverlustes zur Anschaffung von Ersatzstücken gezwungen war. Nach § 138 Abs. 2 und 3 ZPO hat sich jede Partei über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, sofern nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht. Hieraus folgt, dass eine Partei, soll ihr Vortrag beachtlich sein, auf Behauptungen des Prozessgegners unter Umständen „substantiiert“ (d.h. mit näheren positiven Angaben) zu erwidern hat. Eine allgemeine Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweispflichtigen Partei besteht jedenfalls nicht. Der Geschädigte muss zwar an der Beweisführung mitwirken, soweit es sich um Umstände aus seiner Sphäre handelt, er ist jedoch keineswegs verpflichtet, auf bloße Vermutungen des Prozessgegners zu replizieren. Der Klägerin zu 2. oblag es daher nicht, Beweis dafür anzutreten, dass sie in Asuncion nicht über Gegenstände des täglichen Bedarfes verfügt.

30. Der von der Beklagten eingewandte Umstand, dass die Klägerin zu 2. während der Dauer des Gepäckverlustes ihre mitgeführten Kleidungsstücke und Kosmetika nicht genutzt habe, führte dagegen zu einer Minderung des geltend gemachten Schadensersatzanspruches. Nach ständiger Rechtsprechung sind sowohl ersparte Aufwendungen wegen ihres engen Zusammenhangs mit dem entstandenen Nachteil nach der das Schadensrecht beherrschenden Differenzhypothese als auch der Umstand, dass die Klägerin zu 2. infolge des Schadensereignisses nunmehr neben ihren bereits gebrauchten Gegenständen neue Kleidungsstücke und Kosmetika besitzt, werterhöhend zu berücksichtigen. Bei dem nach § 287 ZPO anhand des Marktwertes des erlangten Vorteils zu schätzenden Höhe des Abzuges (BGH NJW 1996, S. 584, 585) war zu beachten, dass hinsichtlich der diesen Bereich betreffenden Konstellation des sog. „Abzuges neu für alt“ vorliegend eine Besonderheit darin besteht, dass der Klägerin zu 2. nicht gebrauchte Sachen durch neue ersetzt worden sind, sondern diese vielmehr neben ihren bisher gebrauchten Gegenständen zusätzlich neue erworben hat. Gleichwohl ist zu bedenken, dass insoweit die Klägerin zu 2. gezwungen war, neue Kleidungsstücke etc. zu erwerben, für deren Anschaffung sie ohne das schädigende Ereignis keinen unmittelbaren Anlass gesehen hätte. Aufgrund des Umstandes, dass nicht abzusehen ist, welche Nutzungsdauer die von der Klägerin zu 2. mitgeführten Kleider besitzen, und die Beklagte sich jedenfalls entgegenhalten lassen muss, dass eine Anrechnung nur solange in Betracht kommt, wie die Kleider dem modernen Empfinden der Klägerin zu 2. entsprechen, erachtet das Gericht einen Abzug in Höhe von 20 % des geltend gemachten Schadens für angemessen, so dass die diesen Teil betreffende Klage in Höhe von 317,36 Euro begründet ist.

31. Soweit die Klägerin zu 2. anteilige Rückzahlung des geminderten Flugpreises verlangt, ist die Klage dagegen nur in Höhe von 25,85 Euro begründet. Bei einem bloßen Luftbeförderungsvertrag handelt es sich um einen Werkvertrag im Sinne der §§ 631 ff. BGB (LG München RRa 1995, 190). Gemäß §§ 638 Abs. 4, Abs. 1, 634 Nr. 3, 636 BGB kann der Besteller Rückzahlung zuviel geleisteten Werklohns verlangen, wenn das Werk mangelhaft war. Infolge der mehrfachen Verspätungen entsprach das von Beklagten zu erbringende Werk nicht der vereinbarten Beschaffenheit und war damit mangelhaft, zumal die der Klägerin zu 2. zwangsläufig entstandenen Wartezeiten mit erheblichen Beeinträchtigungen und ohne Unterstützungsleistungen seitens der Beklagten verbunden waren. Die Klägerin zu 2. war auch nicht gehalten, der Beklagten zuvor eine Frist zu Nacherfüllung zu setzen. Eine solche ist in Fällen wie dem vorliegenden nämlich gemäß § 638 Abs. 1 in Verbindung mit § 326 Abs. 5 BGB wegen Unmöglichkeit entbehrlich, da Flugbeförderungsverträge als Fixgeschäft anzusehen sind, bei welchen die termingenaue Beförderung einen wesentlichen Bestandteil des Vertrags darstellt. Die Unmöglichkeit ist insoweit durch Zeitablauf eingetreten.

32. Gleichwohl vermochte das Gericht eine Minderung des Flugpreises in der von den Klägern geltend gemachten Höhe nicht zu erblicken. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin zu 2. einen zweimonatigen Aufenthalt in Asuncion plante, bei Transatlantikflügen auch Verspätungen von acht Stunden in der Regel entschädigungslos hinzunehmen sind (OLG Düsseldorf NJW-RR 1992, S. 1330) und gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 261/2004 bereits gewährte Ausgleichsleistungen auf einen nach nationalem Recht weitergehenden Schadensersatzanspruch angerechnet werden können, gelangt das Gericht gemäß § 287 ZPO zu einer Minderung des Flugpreises von 5 Prozent. Dabei kann es keinen Unterschied machen, ob der ausgleichsberechtigte Fluggast Minderungs- oder Schadensersatzansprüche i.S.v. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 261/2004 geltend macht, da jeweils die nicht ordnungsgemäß erbrachten Flugleistungen Ursache der geltend gemachten Ansprüche sind.

33. Bei der Berechnung des geminderten Flugpreises war zu berücksichtigen, dass die genannten Mängel nur den Hinflug betrafen und daher von den diesem Reiseabschnitt zugrunde liegenden hälftigen Flugpreis von 517,09 Euro auszugehen war.

34.  Soweit die Klägerin zu 2. Ersatz der verauslagten Kosten i.H.v. 14,40 Euro für Lebensmittel auf dem Pariser Flughafen begehrt, ist ihre Klage begründet. Ein derartiger Anspruch ergibt sich aus §§ 634 Nr. 4, 636, 280 Abs. 1 BGB bzw. gemäß § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3, 6 Abs. 1, 9 Abs. 1 EG (VO) Nr. 261/2004.

35. Ersatz der anteiligen an die Rechtsschutzversicherung zu zahlenden Selbstbeteiligungskosten sowie pauschalierte Telefonkosten kann die Klägerin zu 2. dagegen nicht verlangen. Zum einen ist nicht sie, sondern ihr Ehemann Vertragspartner der Versicherung. Andererseits hat die insoweit beweisbelastete Klägerin zu 2., nachdem die Beklagte das Entstehen dieser Kosten bestritten hat, hierfür keinen Beweis angeboten.

36. Zudem konnten die mit dem Klageantrag zu 2. geltend gemachten vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 163,27 Euro nicht zugesprochen werden. Grundsätzlich stellen die Kosten eines zugelassenen Rechtsanwaltes zwar einen vom Schuldner gem. §§ 280 Abs. 2, 286 BGB zu ersetzenden Verzugsschaden dar, da der in Verzug befindliche Schuldner alle Kosten zweckentsprechender Maßnahmen der Rechtsverfolgung zu erstatten hat, soweit der Gläubiger die Aufwendungen nach den Umständen des Falles als notwendig ansehen durfte. Voraussetzung ist insoweit jedoch, dass sich der Schuldner überhaupt schon in Verzug befindet. Diesbezüglich fehlt der Klage bereits jeglicher Vortrag.

37. Zum anderen ist ein solcher Anspruch aufgrund der Schadensminderungspflicht des Gläubigers gem. § 254 Abs. 2 BGB auf die Fälle beschränkt, in denen der Gläubiger davon ausgehen durfte, die Forderung werde ohne Einschaltung der Gerichte beigetrieben werden können. Denn der Gläubiger ist gehalten, unter mehreren Möglichkeiten, eine Forderung geltend zu machen, die kostengünstigste zu wählen. Vom Gläubiger ist unter solchen Umständen zu verlangen, dass er seine Forderung sogleich im Mahnverfahren oder klagweise betreibt (ausführlich OLG Oldenburg, Urt. v. 24. April 2006, 11 U 8/06 = JurBüro 2006, S. 481 m.w.N.). Beauftragt der Gläubiger aber sogleich einen Rechtsanwalt, ohne zuvor selbst an den Schuldner herangetreten zu sein, sind die ihm dadurch entstandenen Kosten unter keinem Gesichtspunkt ersatzfähig.

38. Die Klage des Klägers zu 1. war dagegen überwiegend als unbegründet abzuweisen.

39. Hinsichtlich der Ansprüche aus der VO (EG) Nr. 261/2004 sowie des Montrealer Übereinkommens folgt dies bereits daraus, dass der Kläger zu 1. kein Fluggast bzw. Reisender im Sinne dieser Rechtsgrundlagen war. Unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung des geschlossenen Flugbeförderungsvertrages stellen die genannten Normen einzig darauf ab, dem jeweiligen Fluggast die in den Übereinkommen niedergelegten Rechte, womöglich noch während des durchzuführenden Fluges zu gewährleisten. Damit ließe sich aber eine Rechtsinhaberschaft nur des jeweiligen Vertragspartners, der in Fällen wie dem vorliegenden in eigener Person gar nicht am Flug beteiligt ist, nicht vereinbaren.

40. Soweit auch der Kläger zu 1. Ersatz der weiter entstandenen Kosten verlangt, ist seine Klage ebenfalls unbegründet. Hinsichtlich der Kosten für Telefon und Nahrungsmittel ist bereits zu berücksichtigen, dass ein dahingehender Schaden nicht ihm, sondern seiner Frau, der Klägerin zu 2., entstanden ist. Bezüglich des Anspruchs auf Ersatz der an die Rechtsschutzversicherung erbrachten anteiligen Selbstbeteiligung in Höhe von 102,- Euro hat der Kläger zu 1. trotz Bestreitens durch die Beklagte keinen Beweis angeboten, so dass er insoweit beweisfällig geblieben ist, was zu einer Abweisung der auf diese Ansprüche gerichteten Klage führen musste.

41. Soweit der Kläger zu 1. schließlich anteilige Rückzahlung des geminderten Flugpreises begehrt, ist seine Klage schließlich in Höhe von 25,85 Euro aus den oben dargelegten Gründen begründet. Nach Auffassung des Gerichts ist nämlich nicht allein die Klägerin zu 2. Vertragspartnerin der Beklagten geworden ist. Allein aus dem Umstand, dass der Kläger zu 1. – unbestritten – im Reisebüro den Flug für seine Frau buchte, ergibt sich dessen Eigenschaft als Vertragspartei zwar nicht zwangsläufig. Vielmehr ist hier den Umständen nach davon auszugehen, dass nach dem beim Vertragsschluss zu Tage tretenden Willen der Vertragsschließenden auch die Klägerin zu 2. Anspruchsberechtigte sein sollte. Gemäß § 164 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich ein Vertretungsverhältnis auch aus den Umständen des Vertragsschlusses ergeben. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere die erkennbare Interessenlage, die Verkehrssitte sowie die dem Geschäft zu Grunde liegenden Lebensverhältnisse und typische Verhaltensweisen. Gleichwohl muss in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BGH unterschieden werden zwischen dem terminus des „Reisenden“ und des „Reiseteilnehmers“. Reisender ist dabei grundsätzlich derjenige, der den Reisevertrag abschließt (BGH NJW 2002, S. 2238). Abgrenzungsprobleme können in den Fällen entstehen, in denen eine Person für andere (mit-) bucht. Dabei ist abzugrenzen, ob die anderen selbst Vertragspartner werden oder ob dies allein der „Buchende“ ist. Dies ist eine Auslegungsfrage, bei der regelmäßig zu berücksichtigen ist, wer zur Zahlung des Reisepreises verpflichtet ist. Die Stellung der Reiseteilnehmer richtet sich dann nach § 328 BGB bzw. im Falle der Beteiligung von Ehegatten nach § 1357 BGB, so dass auch diese die Rechte aus dem Reisevertrag – namentlich auch die Gewährleistungsrechte – geltend machen können (OLG Düsseldorf RRa 2003, S. 211).

42. Hinsichtlich der mit dem Klageantrag zu 2. geltend gemachten vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

43. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB, wobei als Zinsbeginn wegen § 187 BGB analog der Tag des Fristablaufes nicht zu berücksichtigen war.

44.  Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92, 100 Abs. 1 ZPO.

45. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

46. Die Berufung war gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 Satz 1 ZPO hinsichtlich der Frage, ob in der verspäteten Weiterbeförderung der Klägerin zu 2. eine Nichtbeförderung i.S.d. VO (EG) Nr. 261/2004 gegeben ist, wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die von der Beklagten des weiteren beantragte Zulassung der Berufung bezüglich der Obliegenheit zur unverzüglichen Schadensanzeige i.S.v. Art. 31 des Montrealer Übereinkommens konnte dagegen mangels Vorliegen der Voraussetzung von § 511 Abs. 4 ZPO nicht erfolgen. Weder handelt es sich dabei um eine Rechtssache grundsätzlicher Bedeutung noch sind die Voraussetzungen des § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO erfüllt. Wie dargelegt, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Norm, dass im Falle des Gepäckverlustes eine unverzügliche Anzeige nicht erforderlich ist.

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