Verpasster Anschlussflug

AG Frankfurt: Verpasster Anschlussflug

Eine Reisende verpasste ihren Anschlussflug, weil ihr Zubringerflug sich verspätete. Da beide Flüge von der selben Gesellschaft ausgeführt wurden, verlangt die Klägerin nun von der Airline eine Ausgleichszahlung wegen bewusster Nicht-Beförderung.

Das Amtsgericht Frankfurt hat der Klägerin Recht zugesprochen. Ein planmäßiger Abflug bei Kenntnis der Verspätung des Zubringerfluges stehe einer bewussten Nichtbeförderung im Sinne von Art. 4 Verordnung (EG) Nr. 261/2004.

AG Frankfurt 29 C 884/08 (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 25.08.2008
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 25.08.2008, Az: 29 C 884/08
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Hessen-Gerichtsurteile

Amtsgericht Frankfurt

1. Urteil vom 25. August 2008

Aktenzeichen: 29 C 884/08

Leitsatz:

2. Die Airline haftet für verschuldete Verspätung von Zubringerflug.

Zusammenfassung:

3. Eine Reisende buchte bei einem Luftfahrtunternehmen einen zweigeteilten Flug nach Shanghai. Hierbei wurden sowohl der Zubringer, als auch der Anschlussflug von der beklagten Airline ausgeführt. Wegen notwendigen Enteisungsmaßnahmen verspätete sich der Zubringerflug und die Klägerin verpasste ihren Anschluss.
Sie verlangt nun von der Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung wegen bewusster Nicht-Beförderung.

Die Airline weigert sich der Zahlung. Es liege im Verantwortungsbereich der Klägerin die Flüge derart zu buchen, dass ausreichend Umsteigezeit vorhanden sei.

Das Amtsgericht Frankfurt hat dem Klägerbegehren entsprochen. In der bewussten Nicht-Beförderung eines Fluggastes, bei eigens verschuldeter Verspätung des Zubringerfluges, sei ein haftungsbegründender Umstand im Sinne von Art. 5 der Fluggastrechte Verordnung zu sehen. Dies entspreche der Systematik der Entschädigungsleistungen nach der EG-VO.
Ein Mitverschulden der Klägerin sei derweil vollständig abzulehnen. Der Zeitrahmen zwischen Ankunft und Abflug habe vorliegend 35 Minuten betragen. Diese seien objektiv ausreichend, um einen Umstieg zu vollziehen.

Auch die Enteisungsmaßnahmen am Flugzeug erfüllen keinen Befreiungstatbestand. Besonders in den Wintermonaten habe die Fluggesellschaft mit der Notwendigkeit der Enteisung zu rechnen. Der ausschlaggebende Zeitverlust sei der Beklagten demnach vollumfänglich zuzurechnen.

Tenor:

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 610,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 12.3.2008 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

5. Der Kläger begehrt aus abgetretenem Recht Ausgleichsleistungen nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (im Folgenden: EG-VO). Die Tochter des Klägers, die Zedentin, buchte am 31.8.2007 über ein Reisebüro in Mannheim einen Flug mit der Beklagten am 22.12.2007 von Frankfurt am Main nach Schanghai und zurück. Das Reisebüro entnahm die Flugverbindungen dem Reservierungssystem der Beklagten. Die Beförderung sollte zunächst um 19.45 Uhr von Frankfurt am Main nach München mit Flug LH 982, Ankunft München um 20.45 Uhr, sodann um 21.20 Uhr mit Flug LH 726 von München nach Schanghai erfolgen. Für den weiteren Inhalt des Beförderungsvertrages wird auf die Buchungsbestätigung, Bl. 10 d.A., verwiesen.

6. Die Zedentin wurde am 22.12.2007 bereits in Frankfurt am Main bis Schanghai durchabgefertigt; ihr wurden die Bordkarten für beide Flugabschnitte ausgehändigt. Der Abflug in Frankfurt am Main verzögerte sich um 56 Minuten. Die Maschine landete erst um 21.30 Uhr in München. Die Zedentin traf um 21.35 Uhr am Abflug-Gate des Fluges LH 726 ein; zu diesem Zeitpunkt war der Flug bereits geschlossen. Die Zedentin wurde auf Kosten der Beklagten in einem Hotel untergebracht und erhielt zwei Taxi-Gutscheine sowie einen Essens-Gutschein, den sie im Hotel jedoch nicht einlösen konnte. Am nächsten Tag flog sie mit dem Flug LH 3112 der Beklagten von München nach Helsinki und von dort mit der Finnair (AY057) nach Schanghai.

7. Mit Schreiben vom 17.1.2008 meldete die Zedentin Ansprüche wegen Nichtbeförderung erstmals bei der Beklagten an. Durch Erklärung vom 29.3./4.2.2008 trat die Zedentin ihre Ansprüche an den Kläger ab. Die Beklagte lehnte die Ansprüche mit Schreiben vom 5.3.2008 endgültig ab.

8. Der Kläger ist der Ansicht, er habe aus abgetretenem Recht Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 4 i.V.m. Art. 7 der EG-VO wegen Nichtbeförderung. Die Beklagte habe es zu vertreten, dass die Zedentin ihren Anschlussflug verpasst habe, so dass eine Nichtbeförderung im Sinne der Definition in Art. 2 lit j EG-VO vorliege. Der Flug Frankfurt am Main – Schanghai über München (und zurück) sei als Direktflug im Reservierungssystem hinterlegt gewesen. Eine Umsteigezeit von 35 Minuten im München sei ausreichend; dies zeige sich schon daran, dass die Beklagte selbst auf ihrer Website für den 22.12.2008 eine Verbindung Frankfurt am Main – Peking über München mit dieser Umsteigezeit anbiete. Die Zedentin habe während der Wartezeit einen Snack sowie ein Getränk verzehrt und hierfür 10,00 Euro ausgegeben.

9. Der Kläger beantragt die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 610,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 12.3.2008 zu zahlen;

10. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von vorgerichtlichen Anwaltsgebühren in Höhe von 83,54 Euro freizustellen.

11. Die Beklagte beantragt die Klage abzuweisen.

12. Sie ist der Ansicht, es liege keine Nichtbeförderung im Sinne der EG-VO vor, da die Zedentin wegen der äußerst kurzen Umsteigezeit bewusst das Risiko eingegangen sei, den Anschlussflug zu verpassen. Die Verzögerung des Fluges LH 982 sei auf notwendige Enteisungsmaßnahmen und das Ausladen von Gepäck eines nicht zum Boarden erschienenen Fluggastes zurückzuführen, was nicht von der Beklagten zu vertreten sei. Mangels einer physischen Zurückweisung der Zedentin liege keine bewusste Entscheidung der Nichtbeförderung vor, so dass Ansprüche nach der EG-VO ausschieden. Die Beklagte bestreitet eine ordnungsgemäße Rechnungstellung der vorgerichtlichen Anwaltsgebühren mit Nichtwissen.

13. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze mit ihren Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

14. Die Klage ist in der Hauptsache begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus Art. 4 i.V.m. Art. 7 EG-VO auf Ausgleichszahlung in Höhe von 600,00 Euro. Die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage liegen vor. Der Zedentin ist gegen ihren Willen die Beförderung auf dem gebuchten Flug LH 726 verweigert worden. Der Abflug ohne die Zedentin stellt, obwohl ein Zurückweisen durch die Beklagte im Sinne einer bewussten Entscheidung nicht vorliegt, eine Nichtbeförderung nach Art. 2 lit j i.V.m. Art. 4 Abs. 3 EG-VO dar. Gemäß Art. 2 lit j EG-VO ist unter dem Begriff der Nichtbeförderung die Weigerung zu verstehen, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in Art. 3 Abs. 2 EG-VO genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind.

15. Obwohl Art. 4 EG-VO auf den ersten Blick die Fälle von Überbuchungen erfasst, spricht sein Wortlaut nicht dagegen, die Vorschrift in allen denjenigen Fällen anzuwenden, in denen ein Fluggast nicht befördert wurde, ohne dass einer der in Art. 2 lit j aufgeführten Rechtfertigungsgründe vorliegt. Eine derartige weite Auslegung entspricht auch Sinn und Zweck der Verordnung, insbesondere dem erklärten Ziel des Verbraucherschutzes. Ein Fall der Nichtbeförderung liegt demnach auch dann vor, wenn bei einem aus mehreren Reiseabschnitten bestehenden Flug ein Flugabschnitt so verspätet durchgeführt wird, dass der Reisende seinen bei derselben Gesellschaft gebuchten Anschlussflug verpasst und erst Stunden später auf einem anderen Flug befördert wird.

16. Dies entspricht der Systematik der Entschädigungsleistungen nach der EG-VO. Während der Verordnungsgeber im Fall der Verspätung die Unterstützungsleistungen nach den Art. 8 und 9 EG-VO als Ausgleich für die hinzunehmenden Nachteile des Reisenden offenbar für ausreichend hält, weist er dem Fluggast für die Falle der Nichtbeförderung oder Annullierung des Fluges zusätzlich den Ausgleichsanspruch nach Art. 7 EG-VO zu, woraus ersichtlich ist, dass der Verordnungsgeber davon ausging, dass die Annullierung und die Nichtbeförderung mit größeren Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten für den Fluggast verbunden sind als die Verspätung (vgl. LG Berlin, a.a.O.). Da der Fluggast, dem die Wahrnehmung des gebuchten Fluges verwehrt ist, weil der erste Flugabschnitt so verspätet durchgeführt wird, dass er seinen Anschlussflug verpasst, und er deshalb zur Umbuchung gezwungen ist, wie im Falle einer Annullierung keine Wahlfreiheit hat, sind diese beiden Fälle gleichzustellen (so auch LG Berlin, a.a.O.).

17. Es liegen auch die weiteren Voraussetzungen einer Nichtbeförderung vor. So lässt sich kein von der Zedentin zu vertretender Grund für die Nichtbeförderung erkennen. Die Gründe, die von der Beklagten für die Verspätung des Zubringerfluges genannt wurden, liegen sämtlich nicht im Verantwortungsbereich der Zedentin. Die Buchung des Fluges lässt ein Verschulden der Zedentin hinsichtlich einer zu knapp bemessenen Umsteigezeit nicht erkennen. Der Kläger hat vielmehr unwidersprochen vorgetragen, dass die Beklagte auf ihrer Website selbst Flugverbindungen mit einer Umsteigezeit von 35 Minuten für den Flughafen München anbietet. Die Beklagte hat nicht substantiiert dargelegt, dass die geplante Umsteigezeit zu kurz gewählt sei.

18. Dazu hätte es entweder der Darlegung bedurft, dass die sog. Minimum connecting time für München nicht eingehalten sei, oder aber einer detaillierten Schilderung, welche Umsteigezeit für München benötigt wird. Auch bei einer Auslegung der lit j, die auf das Vertretenmüssen des Luftfahrtunternehmens abstellt, wären die Voraussetzungen erfüllt. Solche außergewöhnlichen Umstände sind hier nicht vorgetragen.

19. Das Enteisen der Flugzeuge bei Minusgraden stellt vielmehr eine – wie allgemein bekannt – durchaus übliche Maßnahme dar, die im Verlauf der Winterperiode mit höherer Wahrscheinlichkeit eintreten kann, und auf die je nach Wettervorhersage eine Vorbereitung möglich ist. Die Verspätung bzw. das Nichterscheinen eines eingecheckten Passagiers stellt ebenfalls kein Ereignis dar, das außergewöhnlich wäre. Es ist nicht ersichtlich, dass es der Beklagten nicht möglich gewesen wäre, die Vorbereitungen für das aus Sicherheitsgründen notwendige Ausladen der Gepäckstücke des nicht erschienenen Passagiers bereits frühzeitig, d.h. in der Zeit zwischen dem Schluss des Boarding und der geplanten Abflugzeit, zu treffen.

20. Die Ausgleichsleistung beträgt nach Art. 7 Abs. 1 lit c 600,00 Euro.

21. Der Kläger hat aus abgetretenem Recht auch Anspruch auf Zahlung von 10,00 Euro Verpflegungskosten gegen die Beklagte. Der Anspruch ergibt sich aus Art. 4 Abs. 3 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit a EG-VO. Zwar spricht der Artikel lediglich davon, dass den Fluggästen Mahlzeiten und Erfrischungen anzubieten seien, d.h. dem Wortlaut nach handelt es sich um eine Verpflichtung zur Erbringung von Naturalleistungen; die Beklagte selbst hat jedoch davon Abstand genommen und stattdessen Gutscheine ausgegeben. Die Beklagte hat die Tatsache, dass die Zedentin den Essensgutschein im Hotel nicht einlösen konnte, nicht substantiiert bestritten. Dass bei Nichterbringung der Unterstützungsleistungen nach Art. 9 EG-VO der auf Naturalleistung gerichtete Anspruch sich in einen solchen auf Geldausgleich wandelt, entspricht dem Sinn und Zweck der Vorschrift, da der Reisende die Unterstützungsleistungen zunächst aus seinem eigenen Vermögen erbringen muss, und so das Luftfahrtunternehmen entlastet. Die Höhe des Anspruchs wird gemäß § 287 ZPO auf 10,00 Euro geschätzt; diese Kosten hält das Gericht für angemessen, aber auch notwendig, um in einem deutschen Hotel eine kleine Mahlzeit und ein Getränk zu sich nehmen zu können.

22. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB. Der Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten war zurückzuweisen, da die Klägerseite trotz des Bestreitens durch die Beklagte mit Nichtwissen eine ordnungsgemäße Rechnung über die Gebühren nicht vorgelegt hat; diese ist aber Voraussetzung dafür, dass der Anspruch des Rechtsanwalts auf die Gebühren fällig und der Freistellungsanspruch begründet ist.

23. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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