Verkehrssicherungspflicht des Reiseveranstalters bei einer Flusskreuzfahrt

AG Rostock: Verkehrssicherungspflicht des Reiseveranstalters bei einer Flusskreuzfahrt

Die Klägerin hatte bei der Beklagten eine Kreuzfahrt gebucht und durchgeführt. Auf dem Sonnendeck stürzte sie über einen auf dem Boden liegenden Mast. Sie verlangt Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Dies wies das Gericht ab. Der Mast sei gut erkennbar gewesen, sodass eine Verkehrssicherungspflichtverletzung des Reiseveranstalters nicht vorliege. Es habe sich lediglich das allgemeine Lebensrisiko realisiert.

AG Rostock 47 C 77/10 (Aktenzeichen)
AG Rostock: AG Rostock, Urt. vom 02.06.2010
Rechtsweg: AG Rostock, Urt. v. 02.06.2010, Az: 47 C 77/10
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Amtsgericht Rostock

1. Urteil vom 02. Juni 2010

Aktenzeichen 47 C 77/10

Leitsatz:

2. Die Einhaltung von Verkehrssicherungspflichten bedeutet nicht, dass jeder Unfall auszuschließen ist. Es genügen diejenigen Vorkehrungen, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung einer Gefahr erforderlich und zumutbar sind.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin hatte bei der Beklagten gemeinsam mit ihrem Ehemann eine Donaukreuzfahrt gebucht und durchgeführt. Auf dem Sonnendeck stürzte sie über einen umgelegten, auf dem Boden liegenden Mast für Sonnensegel. Sie verlangt Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Dies wies das Gericht ab. Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung des Reiseveranstalters liege nicht vor. Der Mast sei auf Grund seiner farblichen Abhebung vom Deck und seiner Größe gut erkennbar gewesen, sodass  es weiterer Sicherung nicht bedurft hätte. Es habe sich lediglich das allgemeine Lebensrisiko realisiert. Auch auf einem zur Entspannung designierten Sonnendeck sei von den Gästen einer Kreuzfahrt ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit zu erwarten.

Tenor

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

5. Die Klägerin fordert Schadensersatz und Schmerzensgeld nach einem Unfall während einer Urlaubsreise.

6. Gemeinsam mit ihrem Ehemann unternahm die Klägerin vom 02.05.2009 bis 09.05.2009 einen Flusskreuzfahrt auf der Donau mit der MS XXX. Die Beklagte war Veranstalterin dieser Reise.

7. Auf dem Schiffsdeck befinden sich Masten, an denen Sonnensegel befestigt werden. Sind diese Sonnensegel nicht gesetzt, werden die Masten umgelegt und liegen auf dem holzbeplankten Deck. Die Masten sind weiß gestrichen. Zur Darstellung wird auf die von den Parteien eingereichten Fotos (Anlage K 2, Bl. 15 d.A. und Anlage B 1, Bl. 54 d.A.) Bezug genommen.

8. Am späten Nachmittag des 08.05.2009 hatte die Klägerin auf einer Sonnenliege gelegen. Diese stand über einem umgelegten Mast. Als sich die Klägerin von der Liege erhoben und sich ihre Decke über den Arm gelegt hatte, drehte sie sich um, um einen neuen Platz aufzusuchen. In diesem Moment fiel sie über den am Boden liegenden Mast. Durch den Sturz zog sich die Klägerin erhebliche Verletzungen zu. Zur Darstellung der Verletzungen und der damit im Zusammenhang stehenden Behandlungen wird auf den Vortrag in der Klage, Seite 4 f. (Bl. 4 f. d.A.) Bezug genommen.

9. Die Klägerin ist mit einem Selbstbehalt von 30 % beihilfeberechtigt. Unter Berücksichtigung des genannten Selbstbehaltes entstanden der Klägerin Behandlungskosten in Höhe von 1.972,76 Euro. Dieser Betrag sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,00 Euro sind Gegenstand der Zahlungsforderungen der Klägerin. Im Zuge der Nachbehandlung wurde bei der Klägerin eine Heilungsstörung diagnostiziert. Es ist bislang nicht abzusehen, ob und wann die Klägerin ihren verletzen Arm ohne Einschränkungen benutzen kann.

10. Die Klägerin behauptet, die Liege sei durch ein Besatzungsmitglied über den Mast gestellt worden. Die Masten würden sich, weil sie weiß sind, nicht besonders vom Boden abheben.

11. Die Klägerin meint, die Masten seien schwer als Gefahrenquelle erkennbar. Die Beklagte bzw. deren Mitarbeiter hätten durch besondere Sicherungsmaßnahmen einen solchen Zwischenfall wie den streitgegenständlichen vermeiden müssen.

12. Die Klägerin beantragt,

1.

13. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens aber 2.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 23.01.2010 zu zahlen;

2.

14. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus dem Unfall an Bord des Flusskreuzfahrtschiffes MS XXX am 08.05.2009 noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind;

3.

15. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.072,56 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 23.01.2010 zu zahlen;

4.

16. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 179,75 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

17. Die Beklagte beantragt,

18. die Klage abzuweisen.

19. Sie behauptet, entweder die Klägerin selbst oder ein anderer Passagier habe die Liege über den Mast gestellt.

20. Weiter meint die Beklagte, der Unfall sei auf das allgemeine Lebensrisiko und die Unachtsamkeit der Klägerin zurückzuführen.

Entscheidungsgründe

21. Die zulässige Klage ist unbegründet.

22. Die Klägerin hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Schmerzensgeldanspruch. Die Voraussetzungen für die Feststellung einer Verkehrssicherungspflicht als alleinige vorwerfbare Pflichtverletzung liegen nicht vor.

23. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes trifft den Reiseveranstalter bei der Vorbereitung und Durchführung der von ihm veranstalteten Reise eine eigene Verkehrssicherungspflicht. Dabei sind diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der jeweiligen Berufsgruppe für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind. Für die deliktsrechtliche Haftung des Reiseveranstalters ist es von Bedeutung, welche rechtlichen Verpflichtungen ihm obliegen. Er übernimmt gemäß seinem Angebot die Planung und Durchführung der Reise, er haftet insoweit für deren Erfolg und trägt grundsätzlich die Gefahr des Nichtgelingens. Deshalb darf der Reisende darauf vertrauen, dass der Veranstalter alles zur erfolgreichen Durchführung der Reise erforderliche unternimmt. Der Reiseveranstalter ist somit für die Sicherheit der von ihm vermittelten Unterkünfte und Transportmittel selbst mit verantwortlich, mag auch die Verkehrssicherungspflicht in erster Linie dem Betreiber oder Beförderer treffen (BGH NJW 2006, 3268; BGHZ 103, 298).

24. Die Einhaltung von Verkehrssicherungspflichten bedeutet nicht, dass jeder Unfall auszuschließen ist. Dies ist nicht erreichbar. Es muss daher nicht für alle denkbaren entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es genügen diejenigen Vorkehrungen, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung einer Gefahr erforderlich und zumutbar sind. Erforderlich sind dabei die Maßnahmen, die ein umsichtiger und vernünftiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für ausreichend hält, um die Gefahren von Dritten abzuwenden. Dabei ist der Dritte vor solchen Gefahren zu schützen, die er selbst bei Anwendung der von ihm in der konkreten Situation zu erwartenden Sorgfalt nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und vermeiden kann (Palandt/Sprau, BGB 69 Aufl., § 823 Rn. 51 m.w.N.).

25. Ausgehend von den vorstehenden Kriterien verletze die Beklagte keine Verkehrssicherungspflicht. Insbesondere bestand keine Verpflichtung, die auf dem Deck liegenden Masten der Sonnensegel gesondert zu sichern.

26. Bei dem streitgegenständlichen Mast bzw. den Masten generell handelt es sich um deutlich von der Decksfläche abgehobene Hindernisse. Diese Hindernisse sind nicht nur wenige Zentimeter hoch sondern erheben sich derart vom Deck, dass sie sofort ins Auge fallen. Hinzu kommt der farbliche Unterschied. Während die Decksfläche holzfarben und daher eher dunkel ist, sind die Masten bzw. der hier streitgegenständliche Mast leuchtend weiß angestrichen und heben sich damit auch farblich deutlich vom Untergrund ab. Unklar ist, ob die Klägerin mit der Klage (Seite 3 vorletzter Absatz) behaupten will, dass auch das Deck weiß angestrichen sei. Aus den von den Parteien vorgelegten Fotokopien, insbesondere den von der Beklagten vorgelegten Foto ist jedoch zweifellos zu entnehmen, dass das Deck nicht weiß gestrichen ist. Eine entsprechende Behauptung stellte die Klägerin nach Vorlage dieses Fotos auch nicht weiter auf. Vor diesem Hintergrund ist ihrer Bewertung, die Masten würden sich nicht besonders vom Boden abheben, nicht zu folgen.

27. Abgesehen davon, dass Größe und Farbe der Masten für sich genommen bereits keinen zusätzlichen Hinweis bzw. keine zusätzliche Sicherung bedürfen, ist es auch nicht ersichtlich, wie eine solche Sicherung hätte erfolgen sollen. Eine zusätzliche Umzäunung der Masten ist fernliegend und würde abgesehen von der optischen Beeinträchtigung zu einer erheblichen räumlichen Beeinträchtigung für die Urlaubsgäste führen.

28. Auch andere zumutbare Maßnahmen sind nicht ersichtlich. Dies betrifft insbesondere die vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angesprochene seitliche Lagerung der Masten bzw. deren Aufstellen. Während das seitliche Lagern der Masten mit einem offensichtlich erheblichen Aufwand im Zusammenhang mit dem Auf- und Abbau sowie der Sicherung verbunden und somit unzumutbar ist, würde ein Aufstellen aller Masten zu einer optischen Beeinträchtigung zu Lasten aller Reisenden führen.

29. Auch der Umstand, dass das Schiffsdeck als Aufenthaltsort ein Ort der Entspannung ist, an dem die Urlauber gewöhnlich auch ihren Gedanken nachgehen oder abgelenkt sind, führt zu keiner anderen Bewertung. Denn zum einen sind die Masten, wie bereits dargestellt, deutlich erkennbar. Zum anderen ist von den Reisenden an Deck eines Kreuzfahrtschiffes und überall zu erwarten, dass sie ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit an den Tag legen. Letztlich ist hierbei auch zu berücksichtigen, dass auch den Reisenden bewusst sein muss, dass sie sich an Bord eines Schiffes befinden und hier technische bzw. örtliche Besonderheiten auftreten, die beispielsweise mit einem normalen Hotelaufenthalt nicht vergleichbar sind.

30. Da eine schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten nicht vorliegt, kommt auch eine Haftung aus § 664 HGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1 der Anlage zu § 664 HGB nicht in Betracht.

31. Zusammenfassend hat sich bei dem Unfall ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, für dessen Folgen die Beklagte nicht verantwortlich ist.

32. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

33. Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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