Sturz eines Reisenden auf einem Segelboot

LG Hannover: Sturz eines Reisenden auf einem Segelboot

Die Klägerin war Reisende auf einer Segelyacht. Die Reise wurde von dem Beklagten, dessen Geschäftsführer ihr Kind ist, organisiert. Während der Reise erlitt sie bei einem Anlegemanöver in Französisch-​Polynesien einen Unfall und verletzte sich dabei so schwer am linken Fuß, dass sie noch vor Ort operiert werden musste. Sie klagte auf Schmerzensgeld i.H.v. 10.000,- € und auf Ersatz sämtlicher materiellen Schäden aus dem Unfall.

Das LG Hannover lehnte die Klage als unbegründet ab und verwies hinsichtlich des Unfalls auf das allgemeine Lebensrisiko.

AG Hannover 19 O 247/08 (Aktenzeichen)
LG Hannover: LG Hannover, Urt. vom 19.03.2009
Rechtsweg: LG Hannover, Urt. v. 19.03.2009, Az: 19 O 247/08
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Landgericht Hannover

1. Urteil vom 19. März 2009

Aktenzeichen 19 O 247/08

Leitsatz:

2. Stürzt ein Segler auf einem Segelschiff während sie sich gegen die eigene Blickrichtung zurückbewegt wegen eines unbemerkten Hindernisses, realisiert sich das allgemeine Lebensrisiko, das der Segler bei diesem Verhalten in Kauf nimmt und ist nicht das Ergebnis einer Pflichtverletzung des Reiseveranstalters. Der Veranstalter haftet in diesem Fall weder vertraglich noch deliktisch wegen der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.

Zusammenfassung:

3. Die Klägerin, eine erfahrene und ausgebildete Seglerin, war Reisende auf einem Katamaran. Die Reise, die in der Zeit vom 09. bis zum 25.03.2007 stattfand, wurde von dem Beklagten, dessen Geschäftsführer ihre Tochter ist, organisiert. Während der Reise erlitt sie bei einem Anlegemanöver in Französisch-​Polynesien einen Unfall, bei dem sie während einer Rückwärtsbewegung in eine Luke, die sie vorher nicht wahrgenommen hatte, fiel. Dabei verletzte sie sich so schwer am Sprunggelenk des linken Fußes, dass sie noch vor Ort operiert werden musste. Wieder zurück in Deutschland musste sie weiter ärztlich behandelt werden. Nach ihrem Vortrag leidet sie bis heute noch an den Folgeverletzungen. Von der Versicherung der Beklagten erhielt sie außergerichtlich 2.000,- €. Sie klagte auf Schmerzensgeld i.H.v. 10.000,- € und auf Ersatz sämtlicher materiellen Schäden aus dem Unfall.

Das LG Hannover lehnte die Klage als unbegründet ab und sah in dem Unfall die Realisierung des allgemeinen Lebensrisikos.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

5. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung ihrer Einstandspflicht für zukünftige materielle Schäden wegen eines Unfalls im Rahmen einer durch die Beklagte veranstalteten Katamaran-​Reise in Anspruch.

6. Die am 05.08.1939 geborene Klägerin – die Mutter der Geschäftsführerin der Beklagten – nahm vom 09. bis zum 25.03.2007 an einer von der Beklagten organisierten Katamaran-​Reise in der Südsee teil. Die Klägerin besitzt seit 30 Jahren eine eigene Segelyacht und hat die zum Führen der Yacht erforderlichen Ausbildungen absolviert. Am 19.03.2007 erlitt sie auf dem Katamaran während eines Anlegemanövers in Französisch-​Polynesien einen Unfall, indem sie rückwärts mit dem linken Fuß in eine offene Luke fiel (zu den Örtlichkeiten vergleiche die Fotos Anlage K 1 und Anlage K 11). Sie musste wegen einer Sprunggelenkfraktur am 20.03. in Raiatea/Französisch-​Polynesien operiert werden; nach ihrer Rückkehr schloss sich in Deutschland eine ärztliche Behandlung der Fraktur mit einer abschließenden Rehabilitationsmaßnahme im Juli 2007 an. Die Versicherung der Beklagten zahlte außergerichtlich 2.000,00 Euro.

7. Die Klägerin meint, mit der Beklagten einen Reisevertrag geschlossen zu haben. Diese habe den Unfall durch eine Verletzung der ihr obliegenden Organisationspflichten verschuldet. Sie behauptet, bei dem Anlegemanöver auf Anordnung des Skippers mitgeholfen zu haben. Sie habe sich zur Befestigung eines Fenders zum Bug-​Ende des Katamarans begeben und dabei die zu diesem Zeitpunkt noch geschlossene Luke passiert. Während der nachfolgenden Arbeitsschritte sei die Luke von ihr unbemerkt geöffnet worden, weshalb sie bei einer Rückwärtsbewegung mit dem linken Fuß in diese hineingefallen sei. Der Beklagten sei ihrer Ansicht nach vorzuwerfen, nicht dafür Sorge getragen zu haben, dass niemand die Luke hinter ihrem Rücken vollständig öffne. Dies sei auch für sie als erfahrene Seglerin nicht vorhersehbar gewesen. Vielmehr müssten die Luken bei Anlegemanövern aus Sicherheitsgründen stets verschlossen sein. Die Klägerin behauptet weiter, der Öffnungs- und Verschließmechanismus der Luke habe nicht dem Sicherheitsstandard entsprochen, weil sie nicht in Halb – bzw. 45 Grad-​Stellung hätten arretiert werden können.

8.Zu den Folgen behauptet die Klägerin, auch nach der Entlassung aus der Rehabilitation sei eine regelmäßige Schmerztherapie, Krankengymnastik und Lymphdrainage bei fortbestehender Schwellneigung und Schmerzsymptomatik erforderlich. Während der ersten 4 Monate nach der Operation sei sie auf einen Rollstuhl und die ständige Haushaltshilfe ihres Ehemanns angewiesen gewesen. Nach wie vor bestünden Missempfindungen sowie eine Bewegungseinschränkung des Gelenks bei längeren Belastungen. Daher meint die Klägerin, ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 10.000,00 Euro sei zum Ausgleich dieser Beeinträchtigungen angemessen. Von den vorprozessual gezahlten 2.000,00 Euro verrechne sie 1.772,79 Euro auf ihren materiellen Schaden und den Rest in Höhe von 2.027,21 Euro auf den immateriellen Schaden.

9. Die Klägerin beantragt,

1.

10. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 20.07.2007 zu bezahlen.

2.

11. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche materiellen Schäden aus dem Unfall vom 19.03.2007 auf einem Katamaran in Französisch Polynesien zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

12. Die Beklagte beantragt,

13. die Klage abzuweisen.

14. Sie behauptet, die Klägerin sei lediglich als Mutter der Geschäftsführerin der Beklagten auf dem Katamaran mitgefahren. Sie meint, die Parteien hätten daher keinen Reisevertrag geschlossen, sondern es läge lediglich ein Gefälligkeitsverhältnis vor. Unabhängig davon sei die Klägerin für den Unfall selbst verantwortlich. Sie sei zum Zeitpunkt des Unfalls bereits 11 Tage an Bord und daher mit den örtlichen Gegebenheiten und somit auch der Position der Luke am Bug vertraut gewesen. Auf Grund ihrer langjährigen Segelerfahrung hätte sie damit rechnen müssen, dass eine Luke auch unvorhergesehen geöffnet werden könne.

15. Wegen des Vortrags der Parteien im einzelnen und im übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

16. Die Klage ist unbegründet.

I.

17. Es kann dahinstehen, ob die Parteien einen Reisevertrag geschlossen haben oder lediglich eine deliktische Haftung der Beklagten wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht in Betracht kommt. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin ist eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten durch die Beklagte zu verneinen; vielmehr hat sich bei dem Sturz das allgemeine Lebensrisiko der Klägerin realisiert.

18. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Reiseveranstalter eine eigene Verkehrssicherungspflicht bei der Vorbereitung und Durchführung der von ihm veranstalteten Reisen (vergleiche BGH, Urteil vom 12.06.2007, Az. X ZR 87/06). Diese Verkehrssicherungspflicht umfasst die Auswahl und die Kontrolle der Leistungsträger und die Beschaffenheit der einbezogenen Beförderungsmittel. Es sind diejenigen Sicherungsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Reiseveranstalter für ausreichend halten darf, um die Reisenden vor Schaden zu bewahren und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind (BGH, Urteil vom 18.07.2006, Az. X ZR 142/05, RRa 2006, Seite 206). Verkehrssicherungspflichten erfordern aber nicht, dass gegen alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorkehrungen getroffen werden müssen. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst vielmehr nur diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend halten darf, um andere vor Schäden zu bewahren. (BGH Urteil vom 16.05.2007, Az. VI ZR 189/05, NJW 2006, Seite 23, 26). Nach diesen Grundsätzen scheidet eine Haftung der Beklagten aus.

19. Unstreitig wurden die Mitreisenden bei Beginn der Reise darüber informiert, dass die Luken bei Anlegemanövern geschlossen zu halten sind (Bl. 4 der Klagerwiderung, Bl. 39 d.A., von der Klägerin nachfolgend nicht bestritten). Die Klägerin selbst legt dies ihrer Argumentation, sie habe nicht mit einem Öffnen der Luke zu rechnen brauchen, zugrunde. Mehr als die Erteilung dieser Anweisung musste nicht getan werden, um ein Öffnen der Luke zu verhindern; anders als die Klägerin meint, musste die Beklagte nicht kontinuierlich dafür Sorge tragen, dass die Anweisung auch wirklich umgesetzt wird. So hält die Rechtsprechung auch bei der Benutzung von Wasserrutschen die Erteilung von Warnhinweisen zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht für ausreichend; eine permanente Kontrolle der Einhaltung dieser Anweisungen wird nicht gefordert (OLG Oldenburg, Urteil vom 27.03.2002, Az. 2 O 21/02).

20. Es kann dahinstehen, ob die Luke den sicherheitstechnischen Anforderungen nicht entsprach, weil man sie nicht bei 45 bis 90 Grad arretieren konnte. Selbst wenn man die Luke nur um 45 bis 90 Grad hätte öffnen können, wäre der Unfall nicht vermieden worden, weil eine derartige Öffnung bereits ausgereicht hätte, um bei einer Rückwärtsbewegung mit dem Fuß hineinzufallen. Gerade deshalb erging die Anweisung, die Luken während der Segelmanöver überhaupt nicht zu öffnen. Dass dies nach dem Sachvortrag der Klägerin dennoch geschah, ist – wie ausgeführt – von der Beklagten nicht zu verantworten.

21. Insgesamt hat sich mit dem Sturz nach einer Rückwärtsbewegung daher das typische allgemeine Lebensrisiko der Klägerin verwirklicht. Die Schiffsreise mit einem Katamaran und die Durchführung von Segelmanövern sind per se gefährlich. Die Klägerin hat damit freiwillig und bewusst ein gesteigertes allgemeines Lebensrisiko auf sich genommen. Sie selbst trägt vor, eine erfahrene Seglerin zu sein, die sich mit den Gepflogenheiten an Bord eines solchen Katamarans auskenne. Dann aber musste sie auch wissen, dass sich auf einem Boot zahlreiche Hindernisse nicht nur in Form der Luke, sondern auch in Form von Masten oder Verankerungen zum Festmachen befinden. Ein Sturz über oder in ein nicht bemerktes Hindernis auf einem Schiff während einer Rückwärtsbewegung gegen die eigene Blickrichtung stellt eine typische Gefahr dar, die der Segler bei einem solchen Verhalten in Kauf nimmt, und ist nicht das Resultat einer Pflichtverletzung.

II.

22. Nach allem war die Klage mit der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 ZPO.

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