Rückerstattung von Hotelkosten bei Flugannullierung
AG Rüsselsheim: Rückerstattung von Hotelkosten bei Flugannullierung
Ein Fluggast verklagt ein Luftfahrtunternehmen auf Schadensersatz, weil er sich wegen eines annullierten Fluges ein Hotelzimmer am Flughafen buchen musste.
Das Amtsgericht Rüsselsheim sprach dem Kläger einen Anspruch auf Rückerstattung der Hotelkosten zu.
AG Rüsselsheim | 3 C 56/11 (36) (Aktenzeichen) |
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AG Rüsselsheim: | AG Rüsselsheim, Urt. vom 21.09.2011 |
Rechtsweg: | AG Rüsselsheim, Urt. v. 21.09.2011, Az: 3 C 56/11 (36) |
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Leitsätze:
2. Bei Flugannullierung ist das Luftfahrtunternehmen verpflichtet dem Fluggast ein Hotelzimmer zur Verfügung zu stellen.
Kümmert sich das Luftfahrtunternehmen nicht um ein Hotelzimmer, so hat es dem Fluggast die Kosten einer selbstsständigen Hotelbuchung vollständig zu erstatten.
Zusammenfassung:
3. Der Kläger buchte bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen einen Flug. Dieser Flug wurde annulliert, sodass der Kläger nicht befördert werden konnte und eine Nacht am Flughafen im Hotel verbringen musste.
Das Luftfahrtunternehmen hat dem Kläger entgegen seiner Pflicht kein Hotel gebucht. Somit musste der Kläger sich selbst ein Hotel suchen.
Aus diesem Grund verlangt der Kläger von dem beklagten Luftfahrtunternehmen Ersatz der Hotelkosten. Das Luftfahrtunternehmen hält dem Kläger entgegen, dass er ein günstigeres Hotel hätte buchen müssen.
Das Amtsgericht Rüsselsheim hat dem Kläger jedoch die Erstattung der Hotelkosten zugesprochen, da das beklagte Luftfahrtunternehmen nicht vorgetragen hat, welches Hotel zum besagten Zeitpunkt günstiger gewesen sei.
Tenor:
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 1278,88 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.08.2010 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 97,46 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.01.2011 für nicht anrechenbare vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
5. Die Parteien streiten um Schadenersatz wegen der Annullierung eines Fluges sowie um den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
6. Der Kläger buchte für sich, seine Ehefrau und seine Tochter einen Flug bei der Beklagten von Havanna, Kuba, nach Frankfurt am Main für den 19.04.2010 (Economy-Class). Der Flug wurde aufgrund einer durch einen isländischen Vulkan im gesamten nordeuropäischen Luftraum verursachten Aschewolke nicht durchgeführt. Die Beklagte beförderte den Kläger und seine Mitreisenden erst am 26.04.2010 nach Frankfurt zurück. Die Beklagte hatte dem Kläger und seine Mitreisenden in der Zwischenzeit weder Verpflegung, Unterkunft noch die Durchführung von Telefongesprächen angeboten.
7. Die Mitreisenden traten ihre Ansprüche gegen die Beklagte an den Kläger ab.
8. Der Kläger machte seine behaupteten Ansprüche mit Schreiben vom 16.05.2010 gegenüber der Beklagten geltend. Die Beklagte lehnte Ansprüche des Klägers mit Schreiben vom 13.07.2010 ab. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers machte dessen behauptete Ansprüche mit Schreiben vom 27. und 28.07.2010 außergerichtlich gegenüber der Beklagten geltend und forderte diese zur Zahlung des Ersatzbetrages sowie der entstandenen Rechtsanwaltsgebühren bis zum 04.08.2010 auf.
9. Der Kläger behauptet, dass ihm während dem 19. und 26.04.2010 folgende Kosten in Höhe von insgesamt EUR 1345,08 entstanden seien:
– Übernachtung im Hotel … vom 19. bis 21.04.2010: | 3 x EUR 129,00 |
– Übernachtung im Hotel … … … („4-Sterne-plus“-Hotel) vom 22. bis 26.04.2010: | EUR 720,00 |
– 4 Hin- und Rückfahrten mit dem Taxi zum örtlichen Condor-Büro zwischen dem 20. und 22.04.2010: | 8 x 7,00 CUC (insgesamt EUR 44,80) |
– Hin- und Rückfahrt mit dem Taxi zum Hotel … … …: | 2 x 70,00 CUC (insgesamt EUR 112,00) |
– Telefonkosten zwischen den 20. und 26.04.2010: | EUR 81,28 |
11. Der Kläger behauptet, dass für die vorgerichtliche Rechtsverfolgung ordnungsgemäß abgerechnete Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von zumindest EUR 97,46 entstanden seien. Die Rechtsschutzversicherung des Klägers habe diesen Betrag gezahlt und – insoweit unstreitig – ihre Erstattungsansprüche am 24.02.2011 an den Kläger abgetreten.
13. die Beklagte zu verurteilen,
14. an den Kläger EUR 1345,08 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.08.2010 zu zahlen.
15. an den Kläger EUR 97,46 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Zustellung der Klage für nicht anrechenbare vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren zu zahlen.
18. Die Beklagte behauptet, dass der Reiseveranstalter … den Reisevertrag mit dem Kläger spätestens am 18.04.2010 gekündigt habe, bevor der Flug annulliert worden sei. Der Kläger habe sich nicht um eine günstigere Ersatzunterkunft bemüht. Die behaupteten Taxifahrten sowie die behaupteten Telefonate seien nicht notwendig gewesen.
19. Sie meint, dass sie im Falle einer Sperrung des europäischen Luftraums über mehrere Tage wegen eines Vulkanausbruchs nach der Verordnung (EG) Nr. 261/04 (nachstehend „VO“ genannt) keinen Betreuungspflichten unterliege. Der Kläger hätte zudem überhaupt nur eine Unterbringung in einem 3-Sterne-Hotel verlangen dürfen. Diese seien wenigstens im März 2011 zu einem Preis ab EUR 22,00 pro Tag und Person buchbar gewesen.
20. Das Gericht hat auf Grundlage des Beweisbeschlusses vom 12.05.2011 am 27.07.2011, durch Vernehmung der Zeugin, Beweis über die Behauptung des Klägers erhoben, dass er für notwendige Taxifahrten von und zum Condor-Büro sowie zum Hotel insgesamt EUR 156,80 verauslagt habe.
Entscheidungsgründe:
21. Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.
22. Die Klägerin hat Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von EUR 1278,88 gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. b), 9 Abs. 1, Abs. 2 VO.
23. Die Beklagte hat den von dem Kläger gebuchten Flug annulliert im Sinne des Art. 5 VO. Sie war hier nach verpflichtet, dem Kläger und seinen Mitreisenden Mahlzeiten und Erfrischungen sowie die Durchführung von 2 Telefongesprächen und – da absehbar war, dass ein Flug frühestens erst am folgenden Tag möglich sein wird – eine Hotelunterbringung sowie die Beförderung zum und vom Hotel anzubieten. Diese (gesetzlichen) Pflichten hat die Beklagte verletzt, da sie dem Kläger und seinen Mitreisenden keine entsprechenden Angebote gemacht hat. Ein Verschulden der Beklagten an der Pflichtverletzung wird vermutet, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Angesichts der vorliegenden Umstände war unter Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Fristsetzung durch den Kläger im Hinblick auf die Leistungserbringung durch die Beklagte entbehrlich, § 281 Abs. 2 BGB.
24. Der Ersatzpflicht der Beklagten steht die Behauptung, dass der Reiseveranstalter … den Reisevertrag spätestens am 18.04.2011 gekündigt habe, nicht entgegen. Diese Behauptung ist bereits unsubstantiiert, da sie – aufgrund der von der Beklagten gewählten Formulierung, namentlich die ausdrückliche Bezugnahme auf den Kenntnisstand des Prozessvertreters der Beklagten, nach dem alle großen Reiseveranstalter spätestens am 18.04.2010 gekündigt haben – erkennbar „ins Blaue hinein“ erfolgt ist. Die Behauptung bleibt überdies unerheblich, weil die von der Beklagten geschuldete Flugbeförderung nach (endgültigem) unstreitigem Vortrag direkt seitens des Klägers und nicht im Rahmen einer Pauschalreise gebucht worden ist.
25. Dem Kläger ist aufgrund der Pflichtverletzung der Beklagten ein Schaden entstanden. Das pauschale Bestreiten des Schadens durch die Beklagte ist – im Hinblick auf die Hotel- und Telefonkosten, allerdings nicht auf die Taxikosten – nicht hinreichend substantiiert, da der Kläger zu den einzelnen Schadenspositionen umfassend und unter Vorlage von Rechnungskopien vorgetragen hat. Unter Berücksichtigung der hieraus folgenden Darlegungslast hätte die Beklagte den Schaden in qualifizierter Form bestreiten müssen; dies ist trotz richterlichen Hinweises nicht erfolgt.
26. Im Hinblick auf die geltend gemachten Hotelkosten beläuft sich der kausale und adäquate Schaden des Klägers auf insgesamt EUR 1107,00. Dem steht die Behauptung der Beklagten, dass der Kläger ein günstigeres Hotel hätte wählen können und müssen, nicht entgegen. Die Beklagte hat trotz richterlichen Hinweises nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, dass zwischen dem 19. und 26.04.2010 günstigere Mittelklassehotels verfügbar gewesen wären. Die pauschale (und bestrittene) Behauptung, dass 3-Sterne-Hotels in Varadero zu EUR 22,00 pro Person und Tag verfügbar gewesen wären, reicht diesbezüglich nicht aus, da sich die Beklagte in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf im März 2011 gültige Preise beruft. Die im März 2011 gültigen Preise sagen indessen über im April 2010 vorherrschende Preise nicht aus; insbesondere unter Berücksichtigung von etwaigen Wechselkursschwankungen und saisonalen Besonderheiten.
27. Auch die Taxikosten in Höhe von insgesamt EUR 156,80 stellen einen kausalen und adäquaten Schaden dar. Nach der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Auslagen in der behaupteten Höhe entstanden sind. Die Zeugin hat ausführlich bekundet, dass der Kläger und seine Begleiterinnen für 8 Einzelfahrten jeweils CUC 7,00 und für 2 weitere Einzelfahrten jeweils CUC 70,00 verauslagen mussten. Die Zeugin hat detailreich und ohne Belastungstendenz geschildert, wie es zu den einzelnen Fahrten gekommen ist und wie die einzelnen Fahrpreise festgelegt worden sind. Die Aussagen der Zeugin waren glaubhaft, sie sind widerspruchsfrei und in sich schlüssig geblieben.
28. Im Hinblick auf Telefonkosten ist dem Kläger ein kausaler und der Beklagten zurechenbarer Schaden in Höhe von insgesamt EUR 15,08 entstanden. Ersatzfähig sind nur die ersten beiden vom Kläger geführten Telefonate am 20.04.2010. Ersatzansprüche für darüber hinausgehende Telefonkosten sind nicht begründet, da die Beklagte nach Art. 9 Abs. 2 VO nur 2 Telefonate hätte anbieten müssen. Eine darüber hinausgehende Ersatzpflicht nach Werkvertragsrecht besteht nicht.
29. Die Klägerseite hat auch keinen Anspruch auf Leistung von Ausgleichszahlungen aus eigenem und abgetretenem Recht in der geltend gemachten Höhe gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. c), Art. 5 Abs. 1 VO. Ein Ausgleichsanspruch ist entsprechend Art. 5 Abs. 3 VO ausgeschlossen, da die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände im Sinne dieser Vorschrift zurückgeht. Der Vulkanausbruchs im Island und die hierdurch verursachte Aschewolke liegen außerhalb der Sphäre des Luftfahrtunternehmens und entziehen sich dessen Beherrschung.
30. Die Klägerseite kann auch Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten als Verzugsschaden aus abgetretenem Recht verlangen, §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 398 BGB. Bei Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerseite war die Beklagte mit der Leistung der Ausgleichszahlungen bereits im Verzug. Die Ausgleichszahlungen waren unmittelbar fällig; der Verzug ist spätestens durch die Ablehnung der klägerischen Ansprüche durch die Beklagte am 13.07.2010 eingetreten. Ein Verschulden der Beklagten am Verzug wird vermutet, § 286 Abs. 4 BGB. Die … Rechtsschutzversicherung AG hat ihre Erstattungsansprüche an den Kläger abgetreten.
31. Es kann dahinstehen, ob seitens des Prozessbevollmächtigten der Klägerseite eine ordnungsgemäße Rechnungsstellung erfolgt ist. Die Rechnungsstellung nach § 10 Abs. 1 RVG ist nur für die Einforderbarkeit der Vergütung im Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandanten maßgeblich und ohne Bedeutung für die Fälligkeit des Anspruchs – insbesondere im Hinblick auf einen materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch (OLG München, Az. 10 U 2476/06, Beschluss vom 19.07.2006). Wie sich aus § 10 Abs. 3 RVG ergibt, steht eine fehlende Rechnungsstellung einem materiellrechtlichen Anspruch des Rechtsanwalts nicht entgegen; dieser entsteht bereits mit dem ersten Tätigwerden des Anwalts und wird gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 RVG mit der Erledigung des Auftrags oder der Beendigung der Angelegenheit – unabhängig von einer Rechnungsstellung – fällig.
32. Der Zinsanspruch ist begründet gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 BGB.
33. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 709 ZPO.
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