Richtlinie 90/314/EWG bei Insolvenz durch betrügerisches Verhalten
EuGH: Richtlinie 90/314/EWG bei Insolvenz durch betrügerisches Verhalten
Ein Reisender möchte einen Reisesicherungsschein in Anspruch nehmen und die bereits gezahlten Kosten für eine gebuchte Reise erstattet bekommen. Da der Reiseveranstalter daraufhin insolvent ging und festgestellt wurde das er niemals vorhatte diese Reise durchzuführen, ist zu klären, ob auch bei betrügerischen Verhalten des Veranstalters die Sicherung greift.
Das Gericht entschied auch in diesem Fall greift die Versicherung, da den Reisenden selbst, kein schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen sei.
EuGH | C-134/11 (Aktenzeichen) |
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EuGH: | EuGH, Urt. vom 16.02.2012 |
Rechtsweg: | EuGH, Urt. v. 16.02.2012, Az: C-134/11 |
LG Hamburg, Urt. v. 02.03.2011, Az: 306 S 83/10 | |
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Leitsatz:
2. Die Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen sichert den Reisenden auch im Falle der Insolvenz eines Reiseveranstalters ab, wenn die Insolvenz auf dessen betrügerisches Verhalten zurückzuführen ist.
Zusammenfassung:
3. Im vorliegenden Fall buchte der Reisende eine Reise, welcher er bezahlte und dafür einen Sicherungsschein erhielt. Der Reiseveranstalter führte diese Reise allerdings nicht durch, da dieser in der Zwischenzeit insolvent ging. Nach Anmeldung der Insolvenz wurde festgestellt dass der Reiseveranstalter niemals vor hatte die gebuchte Reise durchzuführen.
Der Europäische Gerichtshof muss nun entscheiden, wie der Art. 7 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen auszulegen ist, da hier ein betrügerische Verhalten von seitens des Reiseveranstalter vorliegt.
Das Gericht entschied, dass diese Richtlinie, welche den Reisenden in einem solchen Fall absichert auch in so einem Fall greifen muss, da dem Reisenden selbst keine Schuld trifft. Es wird dem Reisenden gewährleistet, dass er sein bezahltes Geld, wie auch einen Rückflug vom Urlaubsort bekommt.
Tenor:
4. Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 7 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen ist dahin auszulegen, dass ein Sachverhalt, bei dem die Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters auf dessen betrügerisches Verhalten zurückzuführen ist, in den Geltungsbereich dieses Artikels fällt.
Gründe:
5. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen (ABl. L 158, S. 59).
6. Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Blödel-Pawlik und der HanseMerkur Reiseversicherung AG (im Folgenden: HanseMerkur Reiseversicherung) über deren Weigerung, den Preis für eine Pauschalreise zu erstatten, die vom Verbraucher bezahlt, aber vom Reiseveranstalter nicht durchgeführt wurde.
Rechtlicher Rahmen:
Unionsrecht:
7. In den Erwägungsgründen 7, 18, 21 und 22 der Richtlinie 90/314 heißt es:
8. „Dem Fremdenverkehr kommt eine ständig wachsende Bedeutung im Wirtschaftsleben der Mitgliedstaaten zu. Pauschalreisen bilden einen wichtigen Teil des Fremdenverkehrs. Dieser Zweig des Reisegewerbes in den Mitgliedstaaten würde zu stärkerem Wachstum und erhöhter Produktivität angeregt, wenn es ein Minimum an gemeinsamen Regeln gäbe, um diesen Wirtschaftszweig auf Gemeinschaftsebene zu strukturieren. …
…
9. Der Veranstalter und/oder Vermittler, der Vertragspartei ist, hat gegenüber dem Verbraucher die Haftung für die ordnungsgemäße Erfüllung der sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen zu übernehmen. Ferner haben der Veranstalter und/oder der Vermittler die Haftung für Schäden zu übernehmen, die dem Verbraucher aus der Nichterfüllung oder der mangelhaften Erfüllung des Vertrages entstehen, es sei denn, dass die bei der Ausführung des Vertrages festgestellten Mängel weder auf einem Verschulden ihrerseits noch auf einem Verschulden eines anderen Dienstleistungsträgers beruhen.
…
10. Sowohl dem Verbraucher als auch der Pauschalreisebranche wäre damit gedient, wenn der Reiseveranstalter und/oder -vermittler verpflichtet wäre, Sicherheiten für den Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses nachzuweisen.
11. Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit haben, für den Bereich der Pauschalreisen strengere Vorschriften zum Schutz der Verbraucher zu erlassen oder beizubehalten.“
12. Art. 1 der Richtlinie 90/314 bestimmt:
13. „Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Pauschalreisen (einschließlich Pauschalurlaubsreisen und Pauschalrundreisen), die in der Gemeinschaft verkauft oder zum Kauf angeboten werden.“
14. Art. 4 Abs. 6 Unterabs. 1 der Richtlinie 90/314 lautet:
15. „Wenn der Verbraucher gemäß Absatz 5 vom Vertrag zurücktritt oder wenn der Veranstalter – gleich aus welchem Grund, ausgenommen Verschulden des Verbrauchers – die Reise vor dem vereinbarten Abreisetag storniert, hat der Verbraucher folgende Ansprüche:
16. a) Teilnahme an einer gleichwertigen oder höherwertigen anderen Pauschalreise, wenn der Veranstalter und/oder der Vermittler in der Lage ist, ihm eine solche anzubieten. Ist die angebotene Pauschalreise von geringerer Qualität, so erstattet der Veranstalter dem Verbraucher den Preisunterschied; oder
17. b) schnellstmögliche Erstattung aller von ihm aufgrund des Vertrages gezahlten Beträge.“
18. Art. 5 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 90/314 sieht vor:
19. „(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit der Veranstalter und/oder Vermittler, der Vertragspartei ist, gegenüber dem Verbraucher die Haftung für die ordnungsgemäße Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen unabhängig davon übernimmt, ob er selbst oder andere Dienstleistungsträger diese Verpflichtungen zu erfüllen haben, wobei das Recht des Veranstalters und/oder Vermittlers, gegen andere Dienstleistungsträger Rückgriff zu nehmen, unberührt bleibt.
20. (2) Die Mitgliedstaaten treffen hinsichtlich der Schäden, die dem Verbraucher aus der Nichterfüllung oder einer mangelhaften Erfüllung des Vertrages entstehen, die erforderlichen Maßnahmen, damit der Veranstalter und/oder der Vermittler die Haftung übernimmt, es sei denn, dass die Nichterfüllung oder die mangelhafte Erfüllung weder auf ein Verschulden des Veranstalters und/oder Vermittlers noch auf ein Verschulden eines anderen Dienstleistungsträgers zurückzuführen ist …“
21. Art. 7 der Richtlinie 90/314 bestimmt:
22. „Der Veranstalter und/oder Vermittler, der Vertragspartei ist, weist nach, dass im Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses die Erstattung gezahlter Beträge und die Rückreise des Verbrauchers sichergestellt sind.“
23. Art. 8 der Richtlinie 90/314 lautet:
24. „Die Mitgliedstaaten können in dem unter diese Richtlinie fallenden Bereich strengere Vorschriften zum Schutze des Verbrauchers erlassen oder aufrechterhalten.“
Deutsches Recht:
25. § 651k Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, mit dem Art. 7 der Richtlinie 90/314 in deutsches Recht umgesetzt wurde, bestimmt:
26. „Der Reiseveranstalter hat sicherzustellen, dass den Reisenden erstattet werden:
27. der gezahlte Reisepreis, soweit Reiseleistungen infolge Zahlungsunfähigkeit oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Reiseveranstalters ausfallen …“
28. Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
29. Herr Blödel-Pawlik buchte am 4. August 2009 für sich und seine Ehefrau eine Pauschalreise bei der Rhein Reisen GmbH (im Folgenden: Rhein Reisen), die als Reiseveranstalter mit der HanseMerkur Reiseversicherung einen Insolvenzversicherungsvertrag mit Vertragsbeginn am 1. August 2009 abgeschlossen hatte.
30. Rhein Reisen überreichte Herrn Blödel-Pawlik zwei Sicherungsscheine, in denen bestätigt wurde, dass ihm der gezahlte Reisepreis erstattet werde, soweit Reiseleistungen infolge Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters ausfallen sollten.
31. Vor Beginn der Reise teilte Rhein Reisen Herrn Blödel-Pawlik mit, dass sie gezwungen sei, Insolvenz anzumelden.
32. Aus den Akten geht hervor, dass Rhein Reisen, vertreten durch einen Alleingeschäftsführer, in Wirklichkeit keineswegs die Absicht hatte, die betreffende Reise durchzuführen. Sowohl die Chronologie der Ereignisse als auch die Aufstellung der Buchungen auf dem Bankkonto dieses Reiseveranstalters sollen ein betrügerisches Verhalten des Veranstalters erkennen lassen.
33. In diesem Zusammenhang verlangte Herr Blödel-Pawlik von der HanseMerkur Reiseversicherung die Erstattung des Reisepreises, den er gezahlt hatte.
34. Die HanseMerkur Reiseversicherung macht jedoch geltend, dass sie eine solche Erstattung nicht vornehmen müsse, da der Fall, dass die Ursache des Reiseausfalls ausschließlich im betrügerischen Verhalten des Reiseveranstalters liege, nicht von Art. 7 der Richtlinie 90/314 erfasst werde.
35. Das vorlegende Gericht hat ebenfalls Zweifel, ob die Richtlinie 90/314 Verbraucher vor betrügerischen Machenschaften von Reiseveranstaltern schützen soll.
36. Da das Landgericht Hamburg der Auffassung ist, dass die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von der Auslegung der Richtlinie 90/314 abhängt, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
37. Ist Art. 7 der Richtlinie 90/314 auch dann anzuwenden, wenn der Reiseveranstalter deshalb zahlungsunfähig wird, weil er die von den Reisenden vereinnahmten Gelder in von Anfang an betrügerischer Absicht in voller Höhe zweckfremd verwendet hat und eine Durchführung der Reise nie geplant war?
Zur Vorlagefrage:
38. Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 der Richtlinie 90/314 dahin auszulegen ist, dass ein Sachverhalt, bei dem die Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters auf dessen betrügerisches Verhalten zurückzuführen ist, in den Geltungsbereich dieses Artikels fällt.
39. Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Art. 7 der Richtlinie 90/314 dem Reiseveranstalter die Verpflichtung auferlegt, für den Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses die Erstattung gezahlter Beträge und die Rückreise des Verbrauchers sicherzustellen; diese Sicherstellung bezweckt den Schutz des Verbrauchers gegen die mit der Zahlungsunfähigkeit oder dem Konkurs des Reiseveranstalters verbundenen wirtschaftlichen Risiken (vgl. Urteil vom 8. Oktober 1996, Dillenkofer u. a., C-178/94, C-179/94 und C-188/94 bis C-190/94, Slg. 1996, I-4845, Randnrn. 34 und 35).
40. Somit besteht der wesentliche Zweck dieser Bestimmung darin, zu garantieren, dass die Rückreise des Verbrauchers und die Erstattung der von diesem gezahlten Beträge für den Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses des Reiseveranstalters sichergestellt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Dillenkofer u. a., Randnrn. 35 und 36).
41. Diese Garantie ist jedoch nach dem Wortlaut von Art. 7 der Richtlinie 90/314 an keine bestimmte Voraussetzung in Bezug auf die Ursachen der Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters geknüpft.
42. Der Gerichtshof hat dazu in Randnr. 74 des Urteils vom 15. Juni 1999, Rechberger u. a. (C-140/97, Slg. 1999, I-3499), festgestellt, dass Art. 7 der Richtlinie die Erfolgspflicht aufstellt, den Pauschalreisenden für den Fall der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses des Reiseveranstalters ein Recht auf die Erstattung gezahlter Beträge und auf Rückreise zu verleihen, und dass diese Garantie speziell dazu bestimmt ist, den Verbraucher gegen die Folgen des Konkurses – unabhängig von seinen Ursachen – zu schützen.
43. Der Gerichtshof hat daraus geschlossen, dass Umstände wie das fahrlässige Verhalten des Reiseveranstalters oder der Eintritt außergewöhnlicher oder unvorhersehbarer Ereignisse der Erstattung der gezahlten Beträge und der Rückreise des Verbrauchers nach Art. 7 der Richtlinie 90/314 nicht entgegenstehen könnten (vgl. Urteil Rechberger u. a., Randnrn. 75 und 76).
44. Im Übrigen wird eine solche Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 90/314 durch das mit dieser Richtlinie angestrebte Ziel bestätigt, nämlich ein hohes Niveau des Verbraucherschutzes zu gewährleisten (vgl. Urteil Dillenkofer u. a., Randnr. 39).
45. Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 7 der Richtlinie 90/314 dahin auszulegen ist, dass ein Sachverhalt, bei dem die Zahlungsunfähigkeit des Reiseveranstalters auf dessen betrügerisches Verhalten zurückzuführen ist, in den Geltungsbereich dieses Artikels fällt.
Kosten:
46. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
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