Anwendung des Reisevertragsrechts

LG Aachen: Anwendung des Reisevertragsrechts

Im vorliegenden Urteil beschäftigt sich das Landgericht Aachen mit der Frage, ob bei zu erbringenden Einzelleistungen das Reisevertragsrecht Anwendung findet. Dies ist nämlich grundsätzlich nur der Fall, wenn nach dem Inhalt des geschlossenen Vertrages eine Gesamtheit von Leistungen (also mindestens zwei) zu erbringen ist. Hier schuldete eine Firma jedoch nur einen Flug und damit nur eine Leistung.

Das LG Aachen entschied, dass eine analoge Anwendung des Reisevertragsrecht erforderlich ist, da die sich der Anbieter der Einzelleistung wie ein Reiseveranstalter gerierte.

LG Aachen 5 S 76/99 (Aktenzeichen)
LG Aachen: LG Aachen, Urt. vom 06.08.1999
Rechtsweg: LG Aachen, Urt. v. 06.08.1999, Az: 5 S 76/99
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Landgericht Aachen

1. Urteil vom 06.08.1999

Aktenzeichen 5 S 76/99

Leitsatz:

2. Eine analoge Anwendung des Reisevertragsrechts bei Einzelleistungen kommt dann in Betracht, wenn sich der Anbieter der Einzelleistung typischerweise wie ein Reiseveranstalter geriert.

Zusammenfassung:

3. Vorliegend buchte der Kläger bei einer Firma einen Flug. Zwischen der Beklagten und der Firma bestand ein Vertrag, durch den die Firma ihrer Verpflichtung nach § 651 k Abs. 1 BGB, den Reisenden für den Fall ihres Konkurses bzw. ihrer Zahlungsfähigkeit abzusichern, nachgekommen ist. Dieser war zugleich ein Vertrag zugunsten Dritter, wodurch der Kläger einen unmittelbaren Anspruch gegen die Beklagte erworben hat.

Der Kläger bezahlte die gebuchten Flugtickets, doch erhielt er keine, da die Firma zahlungsunfähig geworden ist. Hierfür hatte die Beklagte einzustehen. Jedoch ist fraglich, ob die Firma als Reiseveranstalter aufgetreten ist und damit der Kläger keinen Anspruch auf Freistellung gemäß §§ 651 k Abs. 3, 328 BGB hat.

Grundsätzlich findet das Reisevertragsrecht nur dann Anwendung findet, wenn nach dem Inhalt des geschlossenen Vertrages eine Gesamtheit von Leistungen (also mindestens zwei) zu erbringen ist. Hier hat der Kläger bloß einen Flug gebucht, sodass nur eine Leistung zu erbringen war. Jedoch hat die Firma sich als Reiseveranstalter geriert. Damit ist das Reisevertragsrecht analog anzuwenden. Der Kläger hat folglich einen Anspruch auf Freistellung gemäß §§ 651 k Abs. 3, 328 BGB .

Tenor:

4. Die Berufung der Beklagten gegen das am 26.2.1999 verkündete Urteil des AGs Aachen — … — wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand:

5. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

6. Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung der Beklagten hat in der Sache selbst keinen Erfolg.

7. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Freistellung gemäß §§ 651 k Abs. 3, 328 BGB gegen die Beklagte zu. Zwischen der Firma … GmbH i. Gr. und der Beklagten ist ein Vertrag zugunsten Dritter zustandegekommen, durch den der Kläger einen unmittelbaren Anspruch gegen die Beklagte erworben hat.

8. Durch Vertrag vom 26.5.1995 ist zwischen der Beklagten und der Firma … GmbH i. Gr. ein Vertrag abgeschlossen worden, durch den die Firma … GmbH ihrer Verpflichtung nach § 651 k Abs. 1 BGB, den Reisenden für den Fall ihres Konkurses bzw. ihrer Zahlungsfähigkeit abzusichern, nachgekommen ist.

9. Daß die Beklagte aufgrund des von ihr vorgelegten Vertrages auch im Fall der Zahlungsunfähigkeit der Firma … Reisevermittlungs GmbH einstandspflichtig ist, ist von ihr nicht bestritten worden. Ebenso unstreitig ist im übrigen auch, daß die Firma … Reisevermittlungs GmbH zahlungsunfähig geworden ist und der Kläger, der bei dieser Firma einen Flug gebucht hatte, infolge der Zahlungsunfähigkeit für den von ihm vollständig entrichteten Flugpreis von 4.500,– DM keine Flugtickets erhalten hat.

10. Soweit die Beklagte sich allein darauf beruft, die Firma … sei gegenüber dem Kläger nicht als Veranstalter in Erscheinung getreten, weil diese nur eine Leistung, nämlich einen Flug zu erbringen hatte, hat dieser Einwand keinen Erfolg.

11. Grundsätzlich ist zwar nach dem Wortlaut des § 651 a Abs. 1 BGB davon auszugehen, daß das Reisevertragsrecht und damit auch die Vorschrift des § 651 k BGB nur dann Anwendung findet, wenn nach dem Inhalt des geschlossenen Vertrages eine Gesamtheit von Leistungen (also mindestens zwei) zu erbringen ist.

12. Unstreitig hatte die Fa. … gegenüber dem Kläger hier aber nur eine Leistung, nämlich den Flug zu seinem Urlaubsziel, zu erbringen, während der Kläger die übrigen Leistungen bei diversen anderen Unternehmen gebucht hatte.

13. Die wesentlichen Merkmale einer Veranstalterreise können jedoch auch dann vorliegen, wenn nur eine einzelne Reiseleistung gebucht wird.

14. Soweit solche Verträge nicht unter die §§ 651 a ff. BGB fallen, liegt ausweislich der Gesetzesmaterialien ein planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes vor und damit die Grundvoraussetzung für eine analoge Anwendung des Reisevertragsrechts. Mit der Regelung in § 651 a Abs. 1 S. 1 BGB ist es dem Gesetzgeber nicht gelungen, den ins Auge gefaßten Anwendungsbereich des Reisevertragsrechts genau zu beschreiben. Dem Gesetzgeber ging es der Sache nach darum, den Reiseveranstaltungsvertrag als einen Vertrag mit gesteigerter Haftung und Verantwortung vom Reisevermittlungsvertrag abzugrenzen, der vom Reisevertragsrecht nicht erfaßt werden sollte. Dabei wurde der zu regelnde Reiseveranstaltungsvertrag mit der Pauschalreise, bei der eine Gesamtheit von Reiseleistungen erbracht wird, gleichgesetzt und von der Vermittlung einzelner Leistungen, der sog. „Einzelreise“ abgegrenzt, wobei übersehen wurde, daß die wesentlichen Merkmale einer Veranstalterreise auch bei der Buchung einer Einzelleistung vorliegen können (vgl. BGH NJW 1992, 3158, 3160).

15. Aus § 651 a BGB läßt sich daher nicht herleiten, daß die entsprechende Anwendung des Reisevertragsrechts ausgeschlossen ist, wenn nur eine einzelne Reiseleistung geschuldet ist.

16. Dementsprechend wird eine analoge Anwendung des Reiserechts auf den Ferienhausvertrag, den Vertrag über einen Hotelaufenthalt — auch ohne weitere Nebenleistungen — sowie das Chartern eines Bootes von der herrschenden Meinung befürwortet (vgl. BGH NJW 1985, 906; Tonner, Der Reisevertrag, 3. Auflage, § 651 a Rn. 28 ff. mit weiteren Nachweisen). Dieser Auffassung liegt zugrunde, daß die Gesteller dieser Leistungen nicht nur selbst die Verantwortung für die angebotenen Leistungen übernommen haben, sondern die Leistungen darüber hinaus dem Zweck dienten, dem Reisenden durch die versprochene Gestaltung der Urlaubszeit Urlaubsfreude zu ermöglichen, die eingegangene Verpflichtung damit auf eine für die Urlaubsgestaltung wesentliche Leistung gerichtet ist.

17. Wird demgegenüber ein Linien- oder ein Charterflug gebucht, so wird eine analoge Anwendung des Reisevertragsrechts auf den allein auf eine Luftbeförderung gerichteten Vertrag unter dem oben genannten Gesichtspunkt nicht für gerechtfertigt angesehen. Bei Flugverträgen geht es um einen reinen Beförderungsvertrag, dessen Zweckbestimmung nicht die Gestaltung des Urlaubs (Urlaubsgenuß und Erholung), sondern lediglich die Zielerreichung ist (vgl. LG Frankfurt NJW-RR 1990, 1211,1212; LG Berlin NJW-RR 1990, 636; Schmid, Rechtsprechung zum Charterflug, S. 25; Seyderhelm, Reiserecht, 1997, § 651 a BGB Rn. 32, Führich, Der neue Insolvenzschutz des Pauschalreisenden, VersR 1995, 1138, 1139; a.A. AG Homburg RRa 1995, 65).

18. Gleichwohl kommt eine analoge Anwendung des Reisevertragsrechts bei Einzelleistungen dann in Betracht, wenn sich der Anbieter der Einzelleistung typischerweise wie ein Reiseveranstalter geriert (vgl. LG Frankfurt NJW-RR 1993, 124; Seyderhelm, § 651 a Rn. 25; Wolf, BGH-Rechtsprechung aktuell: Werkvertrag, Reisevertrag, NJW 1994 838, 840)
19. Aufgrund der vorliegend gegebenen Gesamtumstände ist hier davon auszugehen, daß die Firma …, obwohl diese nur eine Einzelleistung zu erbringen hatte, als Reiseveranstalter aufgetreten ist und damit beim Kläger einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, der die analoge Anwendung des Reisevertragsrechts rechtfertigt.

20. Bei der Firma … Reisevermittlungs GmbH handelt es sich um ein trotz ihres Namens als Reiseveranstalter bekanntes Unternehmen, wie sich unter anderem aus den vom Kläger eingereichten Zeitungsausschnitten ergibt, wofür aber nicht zuletzt auch der Umstand heranzuziehen ist, daß das Unternehmen vom vermittelnden Reisebüro ausweislich der Buchungsbestätigung als Reiseveranstalter neben Unternehmen wie … genannt wird. In einem derartigen Fall spricht jedoch bereits aus Sicht des Reisenden alles dafür, daß der Reiseveranstalter auch im konkreten Fall in eigener Verantwortung tätig werden will und nicht nur als Vermittler handelt (vgl. LG Frankfurt NJW-RR 1993, 124).

21. Bestärkt wird diese Ansicht des Reisenden hier zudem in maßgeblicher Weise auch durch den Umstand, daß die Firma … zur Absicherung einen Sicherungsschein ausgestellt und dem Kläger übersandt hat. In diesem Schein wird sie ausdrücklich als Veranstalter aufgeführt, wobei sie nur als … — …“ firmiert; der Zusatz „Reisevermittlungs GmbH“ bezeichnenderweise fehlt. Da dieser Sicherungsschein jedoch von dem Unternehmen in Kenntnis des bei ihr gebuchten Leistungsumfanges übersandt wird, muß bei dem Reisenden zwangsläufig der Eindruck entstehen, der Übersender sei auch im konkreten Einzelfall als Veranstalter tätig. Insoweit fehlt in dem Schein jedweder Hinweis auf einen Vorbehalt dahingehend, daß die Aushändigung des Versicherungsscheines ohne Prüfung der Frage erfolgt, ob das als Veranstalter bezeichnete Unternehmen im konkreten Einzelfall tatsächlich auch als Reiseveranstalter im Rechtssinne anzusehen ist.

22. Da somit die Firma … im Verhältnis zum Kläger als Reiseveranstalter anzusehen ist und die Beklagte ihrerseits die von diesem Unternehmen als Reiseveranstalter eingegangenen Verpflichtungen abzusichern hat, haftet diese dem Kläger gemäß § 651 k, § 328 BGB auf Freistellung.

23. Nach allem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

24. Streitwert für das Berufungsverfahren: 4.500,– DM.

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