Fehlender Hinweis auf Fluggastrechte
AG Charlottenburg: Fehlender Hinweis auf Fluggastrechte
Nachdem sein Flug mit 6-stündiger Verspätung am Zielflughafen angekommen war, verlangt ein Reisender eine Ausgleichszahlung von seiner Airline. Diese verweigert die Übernahme der ebenfalls beanspruchten Rückzahlung der Anwaltskosten.
Das Amtsgericht Charlottenburg hat dem Kläger Recht zugesprochen. Aufgrund der fehlenden Information, über die Rechte der Fluggäste im Falle einer Verspätung, stehe dem Kläger der Ersatz jedes Schadens zu, der adäquat auf die Verspätung zurückzuführen sei.
AG Charlottenburg | 203 C 441/16 (Aktenzeichen) |
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AG Charlottenburg: | AG Charlottenburg, Urt. vom 05.01.2017 |
Rechtsweg: | AG Charlottenburg, Urt. v. 05.01.2017, Az: 203 C 441/16 |
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Leitsatz:
2. Nach Art. 14 Abs. 1 der Fluggastrechte-VO ist die Fluggesellschaft verpflichtet, bei der Abfertigung einen klar lesbaren und deutlich sichtbaren Hinweis darüber anzubringen, dass den Fluggästen bei Annullierung, Beförderungsverweigerung und Verspätung ggf. Ansprüche zustehen können und wo sie sich näher über die Ansprüche informieren können.
Zusammenfassung:
3. Ein Reisender buchte bei einer Airline einen Linienflug. Weil dieser sich um mehr als 6 Stunden verspätete, verlangt der Kläger nun eine Ausgleichszahlung im Sinne von Art. 7 der Fluggastrechte Verordnung. Die Airline verweigert nicht das Bestehen des Anspruchs, sondern wehrt sich gegen den Teil der geforderten Geldsumme, der durch die Anwaltskosten auf Klägerseite entstanden sei. Zur Geltendmachung eines solchen Anspruchs sei insofern keine vertiefte Rechtskenntnis von Nöten.
Das Amtsgericht Charlottenburg hat dem Kläger Recht zugesprochen. Nach Art. 14 der Verordnung 261/2004 sei es eine grundsätzliche Pflicht der Airline, den Reisenden über die Möglichkeit der Beanspruchung einer Ausgleichszahlung im Falle einer Flugverspätung zu informieren.
Da eine solche Inkenntnissetzung vorliegend ausgeblieben war, stünde dem Kläger der Ersatz jenes Schadens zu, der adäquat auf der Flugverspätung basiere. Als solcher sei insbesondere der Rechtsbeistand zu sehen, ohne welchen die Klägerseite keine Kenntnis von ihren Ansprüchen gehabt häte.
Tenor:
4. Die Beklagte wird verurteilt, die Kläger von den Rechtsanwaltskosten des Rechtsanwalts … in Höhe von 201,71 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.05.2016 freizustellen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
5. Von der Abfassung eines Tatbestandes wird gemäß § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe:
6. Die Klage ist, soweit sie nicht zurückgenommen wurde, vollumfänglich begründet.
7. Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ihres Prozessbevollmächtigten in Höhe von 201,71 Euro gemäß §§ 280, 241 BGB i.V.m. Artikel 14 Abs. 1 und Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004.
8. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass bei gesetzlichen wie bei vertraglichen Schuldverhältnissen zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen eines Geschädigten unter bestimmten Voraussetzungen auch durch das Schadensereignis erforderlich gewordene Rechtsverfolgungskosten gehören können. Das kann auch für Ansprüche auf Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechte-VO gelten, bei denen es sich um gesetzliche Ansprüche auf vertraglicher Grundlage handelt. Zu erstatten sind demnach alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Kosten, die aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren.
9. Vorliegend ist unstreitig, dass die Kläger ihr Ankunftsziel mit einer Verspätung von mehr als sechs Stunden erreichten.
10. Ferner ist unstreitig, dass die Beklagte weder ihrer Informationspflicht gemäß Artikel 14 Abs. 1 noch gemäß Artikel 14 Abs. 2 Fluggastrechte-VO nachgekommen ist. Die Beklagte hat auf den diesbezüglichen Vortrag der Kläger nicht ausreichend erwidert.
11. Bereits mit Schriftsatz vom 17.11.2016 (Bl. 30 und 31 d.A.) haben die Kläger vorgetragen, dass die Beklagte ihrer Informationspflicht gemäß Artikel 14 Abs. 2 Fluggastrechte-VO nicht nachgekommen ist und alle Informationen über mögliche Entschädigungsansprüche erst durch ihren Prozessbevollmächtigten übermittelt wurden. Dies hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 16.11.2016 (Bl. 35 bis 52 d.A.) nicht bestritten. Ihr Vortrag bezieht sich lediglich auf die Hinweispflicht gemäß Artikel 14 Abs. 1 der Fluggastrechte-VO.
12. Im Schriftsatz vom 21.12.2016 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 05.01.2017 haben die Kläger ferner vorgetragen, dass die Beklagte auch ihrer Informationspflicht gemäß Artikel 14 Abs. 1 der Fluggastrechte-VO nicht nachgekommen ist. Nach dieser Vorschrift ist die Beklagte verpflichtet, bei der Abfertigung einen klar lesbaren und deutlich sichtbaren Hinweis darüber anzubringen, dass den Fluggästen bei Annullierung, Beförderungsverweigerung und Verspätung ggf. Ansprüche zustehen können und wo sie sich näher über die Ansprüche informieren können. Die Beklagte hat hierzu mit Schriftsatz vom 16.11.2016 lediglich vorgetragen, dass sich ein solcher Hinweis an allen Flughäfen befände, an dem sie Fluggäste abfertige und so auch am Flughafen Nürnberg, und das Vorhandensein dieser Hinweise im Übrigen gerichtsbekannt sei.
13. Die Kläger sind jedoch nicht vom Flughafen Nürnberg, sondern vom Flughafen Tegel abgeflogen. In der mündlichen Verhandlung teilte das Gericht dem Beklagtenvertreter zudem mit, dass das Vorhandensein des Hinweises im Übrigen nicht gerichtsgekannt sei. Der Beklagtenvertreter bot daraufhin als „Beweismittel“ ein Foto an und konnte auf den gerichtlichen Hinweis, dass dies kein zulässiges Beweismittel für die Behauptung sei, bereits am Abflugtag habe ein entsprechender klar lesbarer und deutlich sichtbarer Hinweis am Flughafen Tegel ausgehangen, kein anderes Beweismittel anbieten.
14. Die Beklagte hat auch weder im Schriftsatz vom 16.11.2016 noch in der mündlichen Verhandlung substantiiert vorgetragen, wo am Flughafen Tegel sich ein solcher Hinweis befinden soll und wie dieser konkret gestaltet ist. Auch aus dem von der Beklagten zitierten Entscheidung des AG Düsseldorf vom 19.05.2016, GeschZ 45 C 55/16, lässt sich derartiges nicht entnehmen. Es fragt sich schon, wie das dortige Gericht in der Lage ist, das Aushängen eines bestimmten Hinweises an allen Flughäfen zu kennen. Darüber hinaus ersetzt das Zitieren von Entscheidung nicht den substantiierten Vortrag in der Sache.
15. Die Beklagte ist verpflichtet, die durch die Verletzung der Informationspflichten in Artikel 14 Abs. 1 der Fluggastrechte-VO adäquat verursachten Kosten, die aus der Sicht des Kläger zur Wahrnehmung ihrer Rechte erforderlich und zweckmäßig waren, zu ersetzen.
16. Mit Schriftsatz vom 21.12.2016 haben die Kläger vorgetragen, dass sie von den möglichen Ansprüchen wegen dieser Verspätung gegen die Beklagte erst durch Zufall von ihrem jetzigen Prozessbevollmächtigten erfuhren. Als sie nämlich nach der Rückkehr von einer Flugreise sich bei ihm nach dem Stand eines anderen Mandats erkundigten und aus diesem Anlass auf die Flugreise zu sprechen kamen, klärte der Prozessbevollmächtigte die Kläger erst über ihre Rechte auf. Diesen Vortrag hat die Klägerin zu 1) – in der mündlichen Verhandlung persönlich gehört – wiederholt. Die Beklagte hat diesen Vortrag nicht bestritten. Eine Erklärung hierzu gab der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung nicht ab. Seinen Antrag auf Gewährung einer Erklärungsfrist wiederholte er nicht, nachdem ihm das Gericht in der mündlichen Verhandlung mitteilte, dass er sich hierzu in der mündlichen Verhandlung erklären könne.
17. Nach diesem unstreitigen Sachverhalt war die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten der Kläger zur außergerichtlichen Geltendmachung der Ausgleichsansprüche nach Fluggastrechte-VO zur Wahrnehmung der Rechte zweckmäßig und erforderlich. Der Beklagten kann in der Argumentation gefolgt werden, es bestünde die abstrakte Möglichkeit sich über mögliche Ausgleichsansprüche nach Fluggastrechte-VO im Internet zu informieren, weshalb die Einschaltung eines Rechtsanwaltes nicht erforderlich gewesen sei. Denn die Beklagte verkennt, dass dies nur möglich ist, wenn die Kläger überhaupt eine Ahnung davon gehabt hätten, dass Ihnen solche Ansprüche zustehen. Da die Beklagte jedoch ihrer Informationspflicht nicht nachgekommen ist, wussten die Kläger von etwaigen Ansprüchen, nach denen sie im Internet hätten suchen können nichts. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder von der Beklagten vorgetragen, dass das Vorhandensein der Ansprüche jedem Verbraucher bekannt wäre.
18. Die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten mit der außergerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche verstößt auch nicht gegen die Schadensminderungspflicht, denn bei einer reinen Erstberatung hätte der Prozessbevollmächtigte der Kläger gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 RVG eine Gebühr in Höhe von 190 Euro zzgl. Umsatzsteuer, mithin 226,10 Euro abrechnen können. Die abgerechnete Gebühr für die außergerichtliche Tätigkeit liegt darunter.
19. Das Bestreiten der Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Beklagten ist unerheblich, da die Kläger keinen Zahlungsanspruch, sondern einen Freistellungsanspruch geltend machen.
20. Eine Anrechnung nach Artikel 12 Abs. 1 Satz 2 Fluggastrechte-VO findet nicht statt. Danach sind Ausgleichszahlungen auf solche Ansprüche anrechenbar, die dem Fluggast aufgrund der Verspätung, der Nichtbeförderung oder der Annullierung des Fluges zustehen. Dies dient zur Vermeidung einer Überkompensation. Der hier streitgegenständliche Anspruch beruht jedoch auf der Verletzung von Informationspflichten für die die Fluggastrechte-VO keine Ausgleichszahlungen vorsieht.
21. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, soweit die Beklagte verurteilt wurde. Hinsichtlich des zurückgenommenen Teils beruht die Kostenentscheidung auf § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO in Verbindung mit § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, denn die Kläger haben die Klage lediglich in Höhe von 41,05 Euro zurückgenommen und die Zuvielforderung löst auch keinen Gebührensprung aus.
22. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
23. Die Berufung wird nicht zugelassen. Gemäß § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dient. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Frage, unter welchen Umständen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten im Falle der Geltendmachung von Fluggastentschädigung ohne vorherige eigene Mahnung durch den Fluggast ersetzt verlangt werden können, ist durch den Bundesgerichtshof – wie zitiert – bereits entschieden und hat daher schon keine grundsätzliche Bedeutung. Auch dem vorstehenden Urteil entgegenstehende Rechtsprechung ist nicht ersichtlich. Es ist kein Fall bekannt, in welchem der hier vorgetragene Sachverhalt, nämlich die Ersatzpflicht bei unstreitiger fehlender Kenntnis der Kläger von Ansprüchen und unstreitiger Verletzung der Informationspflichten aus Artikel 14 Abs. 1 der Fluggastrechte-VO bereits entschieden worden wäre. Die von der Beklagten zitierten Entscheidungen haben sämtlich andere Sachverhalte zur Grundlage.
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