Stornierung durch Reiseveranstalter
AG Rüsselsheim: Stornierung durch Reiseveranstalter
Weil sein Flug ohne sein Wissen storniert wurde, verlangt ein Reisender eine Ausgleichszahlung wegen Nicht-Beförderung von der ausführenden Airline.
Das Amtsgericht Rüsselsheim hat die Klage abgewiesen. Der Anspruch sei grundsätzlich begründet, jedoch nicht gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen, sondern gegen den Veranstalter als Vertragspartner.
AG Rüsselsheim | 3 C 923/16 (Aktenzeichen) |
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AG Rüsselsheim: | AG Rüsselsheim, Urt. vom 20.01.2017 |
Rechtsweg: | AG Rüsselsheim, Urt. v. 20.01.2017, Az: 3 C 923/16 |
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Leitsatz:
2. Wird einem Luftfahrtunternehmen von einem Reiseveranstalter eine sog. Delete-Nachricht übermittelt, wonach die Beförderung (Rückflug) eines Fluggastes und seines Begleiters nicht mehr erwünscht ist und liegt der Grund dafür in einer Überbuchung des Reiseveranstalters, so kann die Stornierung nicht dem Luftfahrtunternehmen zugerechnet werden.
Zusammenfassung:
3. Ein Reisender buchte bei einem Reiseveranstalter einen Pauschalurlaub. Am Flughafen angekommen musste der Kläger feststellen, dass die Maschine bereits ausgebucht war. Zur Begründung führte die Airline aus, dass ihr eine Nachricht von dem Veranstalter zugekommen sei, in welcher dieser den Flug storniert habe.
Der Kläger verlangt nun von dem ausführenden Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung wegen Nichtbeförderung im Sinne von Art. 7 der Fluggastrechte Verordnung.
Das Amtsgericht Rüsselsheim hat die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Ausgleichszahlung wegen Nichtbeförderung setze eine willentliche Weigerung der Airline voraus, die Gäste nicht zu befördern. Eine Ausnahme hiervon bilde eine der vom Veranstalter versandten Delete-Nachrichten, in welcher der Flug storniert wurde.
Da sich die Fluggäste bei der Buchung des Veranstalters bedient hatten, war dieser auch zur Stornierung befugt. Im Ergebnis muss der Kläger daher bei seinem Reiseveranstalter schadlos halten. Ein Anspruch gegen das ausführende Flugunternehmen besteht hingegen nicht.
Tenor:
Die Kosten des Rechtsstreits und der Nebenintervention hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte bzw. der Nebenintervenientin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte bzw. die Nebenintervenientin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert wird auf 400,00 Euro festgesetzt.
Die Berufung gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Tatbestand:
5. Die Parteien streiten um Ausgleichsansprüche gemäß der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 vom 11.02.2004 (nachfolgend: VO).
6. Die Klägerin buchte bei der … einen Flug von Santorin (Griechenland) über Mykonos nach München, welcher von der Beklagten als ausführendes Luftfahrtunternehmen unter der Flugnummer DE … durchgeführt worden ist. Das Flugzeug sollte planmäßig am 01.10.2014 um 12.15 Uhr in Santorin starten und in München um 15.10 Uhr landen.
7. Die Klägerin behauptet, sie und ihre Reisebegleitung seien am 01.10.2014 gegen 10 Uhr am Flughafen in Santorin eingetroffen. Dort sei ihr am Abfertigungsschalter der Beklagten mitgeteilt worden, dass weder sie, noch ihre Reisebegleitung gebucht seien und deshalb nicht befördert werden würden.
8. Eine Beförderung der Klägerin und ihrer Reisebegleitung auf diesem Flug fand nicht statt.
9. Die Klägerin buchte daraufhin auf eigene Kosten einen Ersatzflug nach München; die Landung des diesen Flug ausführenden Flugzeugs in München erfolgte am 01.10.2014 um 20.50 Uhr.
10. Mit E-Mail vom 02.10.2014 und vom 08.10.2014 sowie mit Schreiben vom 21.03.2016 forderten die Klägerin und ihre Reisebegleitung die Beklagte zur Zahlung einer Ausgleichspauschale nach der VO auf.
11. Mit E-Mail vom 21.03.2016 wies die Beklagte die Forderung zurück.
12. Mit Schriftsatz vom 13.07.2016 hat die Beklagte der … den Streit verkündet. Die Zustellung dieses Schriftsatzes an die … erfolgte am 04.08.2016. Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 10.10.2016 hat die … erklärt, dem Rechtsstreit auf Beklagtenseite beizutreten.
13. Die Klägerin beantragt die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 400,- Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 83,54 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
15. Die Beklagte behauptet, am 30.09.2014 habe die Streitverkündete der Beklagte eine sog. Delete-Nachricht bezüglich der Klägerin und ihrer Reisebegleitung übersendet, aus der hervorgehe, dass eine Beförderung der Klägerin und ihrer Reisebegleitung nicht mehr erwünscht sei.
16. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
17. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin … (Referentin Flugplan bei der Beklagten). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 13.12.2016 (112, 113 d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
18. Die zulässige Klage ist unbegründet.
19. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichspauschale nach Art. 4 Abs. 3 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 lit. b) VO.
20. Eine Nichtbeförderung der Klägerin hinsichtlich des streitgegenständlichen Fluges von Santorin nach München am 01.10.2014 (Flugnummer: DE 3603) im Sinne der VO ist nicht gegeben. Eine Nichtbeförderung ist nach der Legaldefinition gemäß Art. 2 lit. j) VO die Weigerung Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in Art. 3 Abs. 2 VO genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung vorliegen.
21. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ein vertretbarer Grund für die Nichtbeförderung vorliegt. Die Zeugin … hat in ihrer Vernehmung vor dem erkennenden Gericht detailliert und widerspruchsfrei bekundet, dass der Reiseveranstalter (Streitverkündete) der Klägerin am 30.09.2014 per elektronischer Mitteilung an die Beklagte den streitgegenständlichen Flug bezüglich der Klägerin (und ihres Mitreisenden) storniert hat. Der Reiseveranstalter (Streitverkündete) hat damit kundgetan, dass eine Beförderung seiner Vertragspartnerin (nämlich der Klägerin) nicht mehr gewünscht wird. Die Klägerin ihrerseits muss sich diese ‚Mitteilung des Reiseveranstalters (Streitverkündeten) zurechnen lassen. Sie hat sich zur Buchung des Fluges des Reiseveranstalters (Streitverkündeten) bedient, weshalb dieser grundsätzlich befugt ist, gegenüber einzelnen Leistungsträger bzw. Erfüllungsgehilfen Änderungs- bzw. Stornierungsmitteilungen abzugeben. Erfolgt eine solche Änderungs- oder Stornierungsmitteilung gegen den Willen des Reisenden, muss sich dieser an seinem Vertragspartner schadlos halten und kann nicht einzelne Leistungsträger bzw. Erfüllungsgehilfen in Anspruch nehmen.
22. Das gilt nach Ansicht des Gerichts jedenfalls dann, wenn der einzelne Leistungsträger (hier: das Luftfahrtunternehmen) überhaupt keine Veranlassung zur Stornierung gegeben hat. Eine solche Veranlassung zur Stornierung wäre beispielsweise dann gegeben, wenn das Luftfahrtunternehmen den Reiseveranstalter allein deshalb zur Stornierung auffordert, weil das Luftfahrtunternehmen selbst den Flug überbucht hat. Eine solche Konstellation ist hier jedoch nicht gegeben. Denn nach den glaubhaften Angaben der Zeugin … hat die Streitverkündete für den streitgegenständlichen Flug ein Kontingent von vierzehn Passagieren, aber tatsächlich sechsunddreißig Passagiere angemeldet. Es spricht somit alles dafür, dass die Stornierung auf eine Überbuchung der Streitverkündeten zurückzuführen ist und damit allein durch die Streitverkündete veranlasst worden ist. In einem solchen Fall kann die Stornierung nicht dem Luftfahrtunternehmen zugerechnet werden, so dass letztlich die seitens der Streitverkündeten ausgesprochene Stornierung einen vertretbaren Grund für die Nichtbeförderung darstellt.
23. Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten und Zinsen, wobei hinzukommt, dass eine vorprozessuale Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht einmal ansatzweise schlüssig dargelegt worden ist.
24. Die Klage war daher insgesamt abzuweisen.
25. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 91, 101 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
26. Die Streitwertfestsetzung hat ihre Grundlage in § 3 ZPO.
27. Die Berufung gegen dieses Urteil wird zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die streitgegenständliche Problematik, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Stornierungsmitteilung eines Reiseveranstalters an ein Luftfahrtunternehmen einen vertretbaren Grund für eine Nichtbeförderung darstellt – soweit ersichtlich – höchstrichterlich noch nicht entschieden worden ist.
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