Verpasster Anschlussflug
OLG Frankfurt: Verpasster Anschlussflug
Im vorliegenden Fall buchten die Kläger einen Flug bei der Beklagten, welcher aus zwei Teilflügen bestand. Die Abflugzeit des Zubringerfluges verspätete sich allerdings um drei Stunden, sodass sie den Anschlussflug nicht rechtzeitig erreichten. Sie kamen insgesamt einen Tag später am Zielort an und machen gegen die Beklagte einen Ausgleichsanspruch gemäß Art. 7 i. V. m. Art 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 geltend.
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main sprach ihm einen solchen Anspruch nicht zu, da trotz rein faktischer Nichtbeförderung, keine „Nichtbeförderung“ im Sinne der VO vorliegt.
OLG Frankfurt | 16 U 238/07 (Aktenzeichen) |
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OLG Frankfurt: | OLG Frankfurt, Urt. vom 29.05.2008 |
Rechtsweg: | OLG Frankfurt, Urt. v. 29.05.2008, Az: 16 U 238/07 |
AG Frankfurt, Urt. v. 12.04.2007, Az: 30 C 1462/06 | |
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Leitsatz:
2. Eine rein faktische „Nicht-Weiter-Beförderung“, z.B. wegen Verspätung des Zubringerfluges, reicht nicht aus, eine Nichtbeförderung im Sinne des Art. 2 j EuFlugVO anzunehmen.
Zusammenfassung:
3. Vorliegend buchten die Kläger bei der Beklagten eine Flugreise von Frankfurt am Main über Paris nach Havanna. Die Abflugzeit auf der ersten Strecke nach Paris verzögerte sich um 3 Stunden. Dadurch erreichten die Kläger nicht mehr rechtzeitig ihren Anschlussflug nach Havanna. Somit kamen sie erst einen Tag später am Zielort an, als geplant. Folglich verlangen sie von der Beklagten eine Ausgleichszahlung nach der Fluggastverordnung, wegen „Nichtbeförderung“.
Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat die Klage für begründert erachtet und den Klägern einen Anspruch auf Ausgleichszahlung Art. 7 i. V. m. Art 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 in Höhe von 600 Euro zugesprochen. Die Beklagte ging gegen dieses Urteil allerdings in Berufung.
Die Berufungsinstanz hingegen entschied anders und ändert das Urteil ab. Den Klägern steht demnach kein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung nach der VO zu, da es sich nicht um eine sog. „Nichtbeförderung“ handelt. Dazu hätte die Beklagte die Passagiere, die sich rechtzeitig zur Flugbfertigung eingefunden haben, bewusst zurückweisen müssen. Dies war hier nicht der Fall. Eine rein faktische „Nicht-Weiter-Beförderung“, z.B. wegen Verspätung des Zubringerfluges, reicht indessen nicht aus, eine Nichtbeförderung im Sinne des Art. 2 j EuFlugVO anzunehmen.
Tenor:
4. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12. April 2007 verkündete Urteil des AGs Frankfurt am Main – 30 C 1462/06-25 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
5. Die Kläger buchten für den 26. November 2006 bei der Beklagten eine Flugreise von Frankfurt am Main über Paris (Frankreich) nach Havanna (Kuba).“
6. Die Kläger sollten um 10:40 Uhr in Frankfurt am Main starten und Paris gegen 12:00 Uhr erreichen. Von Paris sollten sie um 13:30 Uhr weiterfliegen und um 18:35 Uhr in Havanna landen. Der Flug von Frankfurt am Main nach Paris startete tatsächlich mit etwa dreistündiger Verspätung; das Flugzeug landete in Paris um 15:42 Uhr, der Ausstieg begann um 16:13 Uhr. Boarding-Ende für den Anschlussflug nach Havanna war um 16:50 Uhr, während die Maschine erst um 17:59 Uhr – und zwar ohne die Kläger – startete.
7. Diese wurden erst am nächsten Tag durch die Beklagte nach Havanna weiterbefördert. Die Kläger verlangen eine Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 600,00 EUR gemäß Art. 7 i. V. m. Art 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (im Folgenden: EuFlugGastVO).
8. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß §540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
9. Das AG hat der Klage stattgegeben und die Voraussetzungen einer Ausgleichszahlung nach Art. 4 Abs. 3 EuFlugGastVO bejaht. Hinsichtlich näherer Einzelheiten der AGlichen Begründung wird auf die Entscheidungsgründe in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
10. Die Beklagte hat gegen das ihr am 03. Mai 2007 zugestellte Urteil des AGs Frankfurt am Main vom 12. April 2007 mit einer am 4. Juni 2007 (Montag) eingegangenen Schrift Berufung eingelegt, die mit einer am 03. Juli 2007 eingegangenen Schrift begründet worden ist. Die Beklagte rügt Rechtsfehler des AGs und macht geltend, die Voraussetzungen einer Ausgleichszahlung nach Art. 4 Abs. 3 EuFlugGastVO seien schon deshalb nicht gegeben, da sich die Kläger nicht entsprechend Art. 3 Abs. 2 a i. V. m. Art. 2 j EuFlugGastVO spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung eingefunden hätten.
12. das Urteil des AGs Frankfurt am Main vom 12. April 2007 – 30 C 1462/06-25 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
14. Die Kläger verteidigen das angefochtene Urteil. Sie sind der Ansicht, die Beklagte hätte durch Bereitstellung von Bodenpersonal ohne weiteres ermöglichen können, dass sie mit der erst um 17:59 Uhr gestarteten Maschine nach Havanna weiterbefördert worden wären. Im Übrigen sind sie der Meinung, dass berücksichtigt werden müsse, dass zum Zeitpunkt der geplanten Abfertigung für den Weiterflug nach Havanna die Maschine überbucht gewesen sei.
15. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
16. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig.
17. Das OLG ist gemäß §119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG zuständig, da es sich um eine Streitigkeit über Ansprüche handelt, die gegen eine Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes hatte. Bei der deutschen Niederlassung der Beklagten handelt es sich lediglich um eine Zweigniederlassung.
18. Die Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg.
19. Den Klägern steht kein Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 4 Abs. 3 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 a EuFlugGastVO zu.
20. Zwar ist diese Verordnung gemäß Art. 3 Abs. 2 b EuFlugGastVO anwendbar. Nach Auffassung des Senats liegt jedoch keine „Nichtbeförderung“ im Sinne des Art. 4 EuFlugGastVO vor.
21. Nach der Definition des Begriffs in Art. 2 j EuFlugGastVO setzt eine „Nichtbeförderung“ die Weigerung voraus, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in Art. 3 Abs. 2 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z. B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen.
22. Eine rein faktische „Nicht-Weiter-Beförderung“, z.B. wegen Verspätung des Zubringerfluges, reicht indessen nicht aus, eine Nichtbeförderung im Sinne des Art. 2 j EuFlugGastVO anzunehmen.
23. Das ist bereits aufgrund des Wortlauts der Fall, da der Begriff der „Weigerung“ ein bewusstes Zurückweisen der Passagiere impliziert, die sich mit einer bestätigten Buchung und rechtzeitig zur Flugabfertigung eingefunden haben.
24. Darüber hinaus spricht auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift für eine Beschränkung auf die Fälle einer Zurückweisung der Fluggäste wegen Überbuchung des Fluges.
25. Die EG-VO 261/04 hat die EG-VO Nr. 295/91 abgelöst. Sie hat zwar den Anwendungsbereich der alten Verordnung erweitert, aber nicht auf die Fälle des Nichterreichens des Anschlussfluges wegen verspäteten Eintreffens des Zubringerfluges.
26. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Die alte Verordnung hat ausschließlich die Fälle der Nichtbeförderung wegen Überbuchung erfasst, wie der BGH in seiner Entscheidung vom 12. Juli 2006 (NJW-RR 2006, 1719 f.) ausdrücklich festgestellt hat. Auch wenn in der neuen Verordnung der Begriff „Überbuchung“ im Gegensatz zur alten Verordnung nicht genannt wird, ist aus den Erwägungsgründen auf den Willen der Verordnungsgebers zu schließen, es bei den Anwendungsfällen der Überbuchung zu belassen, auch wenn jetzt nur allgemein von „Nichtbeförderung“ die Rede ist.
27. In dem dritten Erwägungsgrund wird nämlich darauf hingewiesen, dass zwar ein grundlegender Schutz für die Fluggäste geschaffen worden sei, die Zahl der gegen ihren Willen nicht beförderten Fluggäste aber immer noch zu hoch sei. Nach Erwägungsgrund 4 sollte die Gemeinschaft deshalb die mit der genannten Verordnung festgelegten Schutzstandards erhöhen, um die Fluggastrechte zu stärken. Dementsprechend sieht Erwägungsgrund 9 vor, dass die Zahl der gegen ihren Willen nicht beförderten Fluggäste dadurch verringert werden sollte, dass von dem Luftfahrtunternehmen verlangt wird, Fluggäste gegen eine entsprechende Gegenleistung zum freiwilligen Verzicht auf ihre Buchungen zu bewegen, anstatt Fluggästen die Beförderung zu verweigern, und denjenigen, die letztlich nicht befördert werden, eine vollwertige Ausgleichsleistung zu erbringen.
28. Diese Erwägung ist dann mit der Vorschrift des Art. 4 umgesetzt worden, nach dessen Abs. 1 ein Luftfahrtunternehmen zunächst versuchen muss, Fluggäste gegen eine entsprechende Gegenleistung zum freiwilligen Verzicht auf ihre Buchung zu bewegen, und nach dessen Abs. 2 Fluggästen gegen ihren Willen die Beförderung verweigern kann, wenn sich nicht genügend Freiwillige finden, wobei nach Abs. 3 diesen unverzüglich eine Ausgleichsleistung zu erbringen ist.
29. In der Einführung von Art. 4 Abs. 1 und 2 EuFlugGastVO liegt daher bereits eine erhebliche Stärkung der Fluggastrechte. Dem Verbraucherschutzgedanken ist darüber hinaus dadurch stärker Rechnung getragen worden, dass die Tatbestände der „Annullierung“ und „Verspätung“ eingeführt worden sind, also weitere entschädigungspflichtige Tatbestände geschaffen wurden, auch sind Charterflüge in den Anwendungsbereich einbezogen worden. Anhaltspunkte dafür, dass der Tatbestand der „Nichtbeförderung“ neu definiert werden sollte und nicht nur im Fall der „Überbuchung“, sondern auch bei Nichterreichung des Anschlussfluges wegen Verspätung des Zubringerfluges erfüllt sein sollte, finden sich hingegen eben nicht in den Erwägungsgründen.
30. Dabei wäre es – bei einem entsprechenden Willen des Verordnungsgebers – ohne Weiteres möglich gewesen, die Nichtbeförderung neu und anders, und zwar als jede Form des misslungenen (Weiter-) Transports der Fluggäste zur ursprünglich gebuchten Flugzeit zu definieren. Das aber wollte der Verordnungsgeber offensichtlich nicht.
31. Dafür spricht auch die Systematik des Art. 4, dessen Absätze in ihrem Regelungsgehalt aufeinander aufbauen. Da die Absätze 1 und 2 unmissverständlich die Fälle der Überbuchung im Blick haben, muss sich auch der Regelungsgehalt von Abs. 3, der die Konsequenzen aus dem Verhaltenskodex der Abs. 1 und 2 beinhaltet, auf die Fälle der Überbuchung beschränken.
32. Der Senat verkennt nicht, dass die Frage der Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 3 EuFlugGastVO überwiegend anders bewertet wird (so z. B. OLG Hamburg, RRa 2008, 139 ff.; LG Berlin Urteil v. 11.10.2007, Az: 57 S 39/07; AG Bremen, Urteil vom 8. Mai 2007, 4 C 7/07 (Juris); Führig, RRa 2007, 58 ff., 59; Schmid, NJW 2006, 1841 ff., 1842; wohl auch Müller-Rostin, NZV 2007, 221 ff., 223).
33. Aufgrund des Wortlauts und der Entstehungsgeschichte der Verordnung verbietet es sich jedoch, allein aus dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes und der Erwägung, dass der Fluggast bei jeder faktischen Nichtbeförderung keine Wahlfreiheit genießt und ohne eigenes Verschulden nicht – wie geplant – weiter transportiert wird, eine Nichtbeförderung im Sinne des Art. 4 EuFlugGastVO anzunehmen.
34. Denn entscheidend ist, dass nach Auffassung des Senats aus den genannten Gründen der Regelungsgehalt von Art. 4 Abs. 3 EuFlugGastVO diese über den Fall der Überbuchung hinausgehenden Fälle der unterbliebenen Beförderung nicht erfasst und nicht erfassen wollte, mag dies aus der Sicht des Verbrauchers auch zu beklagen sein.
35. Auch in diesem Fall haben sich die Kläger wegen einer Verspätung des Zubringerfluges nicht rechtzeitig am Flugsteig eingefunden. Ein Zurückweisen der Passagiere wegen einer Überbuchung des Anschlussfluges erfolgte nicht, da sie sich nicht bis zum Boarding-Ende um 16:50 Uhr am Flugsteig eingefunden hatten.
36. Auf die Frage, ob es wegen des deutlich späteren Starts der Maschine um 17:59 Uhr seitens der Beklagten möglich gewesen wäre, durch Bereitstellung von Bodenpersonal für die Kläger ein Erreichen des Anschlussfluges zu ermöglichen, kann dahingestellt bleiben.
37. Denn Voraussetzung der Ausgleichszahlung nach Art. 4 Abs. 3 EuFlugGastVO ist in jedem Fall, dass den Passagieren, die sich rechtzeitig am Flugsteig eingefunden haben, wegen Überbuchung der Maschine der Weiterflug verweigert wurde. Deshalb kann es auch dahingestellt bleiben, ob den Klägern die Auskunft erteilt worden war, die Maschine sei bereits voll besetzt gestartet, bzw. ob die Maschine ursprünglich überbucht gewesen ist. Im Zeitpunkt des Boarding-Endes war sie es jedenfalls nicht, so dass es den Klägern möglich gewesen wäre, bei rechtzeitigem Erscheinen den Anschlussflug in Anspruch zu nehmen. Nur dann, wenn ihnen für diesen Fall der Weiterflug verweigert worden wäre, weil sich nicht gemäß Art. 4 Abs. 1 EuFlugGastVO genug Freiwillige gefunden hätten, auf ihre Buchung zu verzichten, hätte ihnen ein Anspruch auf Ausgleichszahlung nach Art. 4 Abs. 3 EuFlugGastVO zugestanden.
38. Da dies nicht der Fall war, war der Berufung stattzugeben.
39. Die Kostenentscheidung beruht auf §91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§708 Nr. 10, 711 ZPO.
40. Die Revision war gemäß §543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Der Senat weicht in seiner Rechtsauffassung zur „Nichtbeförderung“ im Sinne des Art. 4 Abs. 3 EuFlugGastVO von verschiedenen Instanzgerichten ab, u. a. auch von der Entscheidung des OLG Hamburg, RRa 2008, 139 ff.
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