Einhaltung der Mindestruhezeit der Flugzeugbesatzung
AG Frankfurt: Einhaltung der Mindestruhezeit der Flugzeugbesatzung
Der Kläger buchte bei der Beklagten einen Flug von Punta Cana nach Frankfurt am Main. Es kam aufgrund einer Zwischenlandung wegen eines randalierenden Passagiers auf dem Vorflug und der daraus resultierenden verlängerten Arbeitszeit der Crew zu einer Verspätung von über siebzehn Stunden. Der Kläger forderte dafür eine Ausgleichszahlung. Das Gericht lehnte die begehrte Ausgleichszahlung auf Grundlage der Europäischen Fluggastrechteverordnung ab.
AG Frankfurt | 30 C 1066/14 (Aktenzeichen) |
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AG Frankfurt: | AG Frankfurt, Urt. vom 18.11.2014 |
Rechtsweg: | AG Frankfurt, Urt. v. 18.11.2014, Az: 30 C 1066/14 |
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Leitsätze:
2. Kam es wegen eines randalierenden Passagiers, der ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellte und daher der Polizei übergeben werden musste, zu einer Zwischenlandung auf dem Vorflug und konnte die Mindestruhezeit der Crew nicht mehr eingehalten werden, sodass der Flug erst später fortgesetzt werde konnte, liegt ein außergewöhnlicher Umstand nach Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechteverordnung vor.
Das Luftfahrtunternehmen muss in diesem Fall aus Gründen der Zumutbarkeit keine Ersatzcrew bereithalten oder einen Subcharter anmieten.
Zusammenfassung:
3. Der Kläger buchte bei der Beklagten einen Flug von Punta Cana nach Frankfurt am Main. Das Flugzeug musste auf dem vorherigen Flug außerplanmäßig am Flughafen Terziera auf den Azoren zwischenlanden, um den randalierenden Passagier, Herrn R, von Bord zu führen, der zumindest unter Alkoholeinfluss stand. Er war ein erhebliches Sicherheitsrisiko für den Flug und sollte somit der Polizei übergeben werden. Die damit verbundenen Formalitäten und die Suche nach dem Gepäck des Herrn R nahmen Zeit in Anspruch, wodurch die maximal zulässige Flugdienstzeit der Crew überschritten worden wäre. Dadurch wurde er Flug erst fortgesetzt, nachdem die Mindestruhezeit eingehalten wurde. Es kam zu einer Verspätung von über siebzehn Stunden für den vom Kläger gebuchten Folgeflug.
Aufgrund dieser Verspätung begehrte der Kläger eine Ausgleichszahlung.
Grundsätzlich steht dem Kläger nach Artikel 7 Abs. 1 der Europäischen Fluggastrechteverordnung analog ein Anspruch auf einen Ausgleich zu. Die Beklagte wird aber leistungsfrei, wenn ein außergewöhnlicher Umstand nach Art. 5 Abs. 3 der Europäischen Fluggastrechteverordnung vorliegt. Als Herr R das Flugzeug betrat, verhielt er sich nicht auffällig. Indem er erst während des Fluges aggressiv und unkontrollierbar wurde, stellte er ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Folglich waren die Zwischenlandung und der damit verbundene Zeitaufwand auch nicht unangebracht. Der Beklagten war es auch nicht zuzumuten auf einem Flughafen, auf dem das Flugzeug planmäßig nicht landen sollte, eine Ersatzcrew bereitzuhalten oder Subcharter in Anspruch zu nehmen. Also lag ein außergewöhnlicher Umstand vor, der die Beklagte berechtigte, den Flug erst dann fortzusetzen, wenn die Mindestruhezeit der Crew eingehalten wurde.
Es kommt auch nicht darauf an, ob der Flug von den Umständen unmittelbar betroffen ist oder ob diese am selben Tag bei vorangehenden Flügen des verspäteten Fluges auftreten. Die Beklagte wird also leistungsfrei.
Daher sprach das Gericht dem Kläger den Ausgleichsanspruch auf Grundlage der Europäischen Fluggastrechteverordnung nicht zu.
Tenor:
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
5. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe:
7. Dem Kläger steht kein Ausgleichsanspruch nach Artikel 7 Abs. 1 der Europäischen Fluggastrechteverordnung gegen die Beklagte zu. Zwar hatte der vom Kläger für den 19.10.2011 gebuchte Flug von Punta Cana nach Frankfurt am Main eine große Verspätung von über 17 Stunden mit der Folge, dass die Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch nach Artikel 7 Abs. 1 analog grundsätzlich erfüllt sind.
8. Die Beklagte ist jedoch ausnahmsweise gemäß Artikel 5 Abs. 3 der Verordnung leistungsfrei, weil die Verspätung auf einem außergewöhnlichen Umstand im Sinne des 14. Erwägungsgrundes der Verordnung beruhte. Im vorliegenden Fall musste das Flugzeug auf dem Vorflug von Frankfurt am Main nach Punta Cana außerplanmäßig am Flughafen Terziera zwischenlanden, um einen randalierenden Passagier von Bord zu weisen.
9. Nach durchgeführter Beweisaufnahme steht es zur hinreichenden Überzeugung des Gerichts fest, dass der Passagier, Herr R, während des Flugs unter Alkohol- und möglicherweise weiterem Drogeneinfluss gestanden hat und durch sein unkontrollierbares und aggressives Verhalten ein nicht hinzunehmendes Sicherheitsrisiko für den Flug dargestellt hat. Dies hat die Zeugin H K im Rahmen ihrer schriftlichen Vernehmung glaubhaft bekundet. Sie hat zudem bestätigt, dass die Entscheidung des Kapitäns des Fluges zur Zwischenlandung auf Terziera auf diesem Umstand beruhte und dass der Passagier der örtlichen Polizei übergeben wurde. Zudem hat die Zeugin ausgesagt, dass das Gepäck des Passagiers ausgeladen werden sollte und es sehr lange gedauert habe, bis das Gepäckstück gefunden worden sei. Auch wenn die Zeugin keine konkreten Angaben zur Dauer der Gepäcksuche machen konnte, erscheint es dem Gericht als äußerst plausibel, dass die Suche nach einem einzelnen Gepäckstück sowie die Formalitäten, die im Rahmen der außerplanmäßigen Zwischenlandung und der Übergabe des Passagiers an die örtliche Polizei nicht innerhalb eines Zeitraums von einer Stunde und 39 Minuten erledigt werden konnten. Dies war jedoch der Zeitraum, der nach Abzug der bereits geleisteten Flugdienstzeit und der zu erwartenden Flugdienstzeit für den Flug von Terziera nach Punta Cana noch zur Verfügung stand, ohne das die maximal zulässige Flugdienstzeit der Besatzung überschritten worden wäre. Daher war die Beklagte berechtigt, den Flug nach Punta Cana erst nach Einhaltung der vorgeschriebenen Mindestruhezeit fortzusetzen.
10. Die Verspätung des von dem Kläger gebuchten Flugs ist auf diesen außergewöhnlichen Umstand zurückzuführen. Das für den vom Kläger gebuchten Flug vorgesehene Flugzeug hat den Flughafen von Punta Cana aufgrund des außergewöhnlichen Umstands nicht planmäßig erreicht, so dass ein pünktlicher Start des anschließenden Rückflugs nach Frankfurt am Main nicht möglich war. Wenn außergewöhnliche Umstände die Einhaltung des Flugplans eines Luftverkehrsunternehmens beeinträchtigen, so kommt es für die Beurteilung der Frage, ob die Annullierung oder große Verspätung eines Fluges auf diese zurückgeht, nicht darauf an, ob der Flug von den Umständen unmittelbar betroffen ist oder die Umstände an dem selben Tag bei einem der vorangehenden Flüge des für den annullierten oder verspäteten Flugs vorgesehenen Flugzeugs eingetreten sind (vgl. BGH, Urteil vom 12.06.2014, X ZR 121/13).
11. Der Beklagten ist auch nicht vorzuwerfen, dass sie den Eintritt des Umstandes selbst dadurch verschuldet hat, dass sie beim Einstieg der Passagiere keine ausreichenden Kontrollen durchgeführt hat. Es ist nicht dargetan, dass der betreffende Passagier sich bereits beim Einsteigen in Frankfurt am Main auffällig verhalten hat und für das Bodenpersonal Veranlassung bestanden hätte, ihm die Mitnahme auf dem Flug zu verweigern. Zum einen ist ungeklärt, zu welchem Zeitpunkt der Passagier den Alkohol oder die anderen Drogen, die seinen Zustand herbeigeführt haben, konsumiert hat. Dies muss nicht zwangsläufig bereits vor Antritt des Fluges gewesen sein. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass der Passagier während des Fluges – von den Flugbegleitern unbeobachtet – (weitere) Drogen zu sich genommen hat. Zum anderen ist es möglich, dass der Passagier während des Einstiegs sein Verhalten noch kontrollieren konnte und daher aus diesem Grund nicht weiter aufgefallen ist.
12. Die Verspätung wäre auch dann nicht zu vermeiden gewesen, wenn die Beklagte alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hätte. Welche Maßnahmen einem Luftverkehrsunternehmen zuzumuten sind, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zu einer großen Verspätung eines Fluges führen oder Anlass einer Annullierung geben, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls; die Zumutbarkeit ist situationsabhängig zu beurteilen (vgl. BGH, a. a. O.). Der Beklagten war im vorliegenden Fall nicht zuzumuten, im Bereich des Flughafens Terziera auf den Azoren eine Ersatzcrew bereit zu halten, zumal eine planmäßige Landung auf diesem Flughafen nicht vorgesehen war. Auch die Anmietung eines Subcharters in Punta Cana, so denn einer zur Verfügung gestanden hätte, war der Beklagten nicht zumutbar.
13. Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO abzuweisen.
14. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
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