Mindestruhezeit ist kein außergewöhnlicher Umstand

AG Hannover: Mindestruhezeit ist kein außergewöhnlicher Umstand

Der Kläger hatte für sich und seine Ehefrau Flüge gebucht. Der Flug von Madrid nach Teneriffa-Nord sollte durch die Beklagte ausgeführt werden. Das Flugzeug von Madrid nach Teneriffa-Nord startete mit einer 4 stündigen Verspätung.

Der Kläger beantragte einen Mahnbescheid und anschließend eine Vollstreckungsbescheid gegen die Beklagte. Gegen den Vollstreckungsbescheid hat die Beklagte Einspruch eingelegt.

Das AG Hannover erklärt, dass der Widerspruch der Beklagten unbegründet ist und gab dem Kläger recht.

AG Hannover 426 C 12868/10 (Aktenzeichen)
AG Hannover: AG Hannover, Urt. vom 31.01.2011
Rechtsweg: AG Hannover, Urt. v. 31.01.2011, Az: 426 C 12868/10
Fragen & Antworten zum Thema
Verwandte Urteile
Weiterführende Hinweise und Links
Hilfe und Beratung bei Fragen

Niedersachsen-Gerichtsurteile

Amtsgericht Hannover

1. Urteil vom 31.01.2011

Aktenzeichen: 426 C 12868/10

Leitsatz:

2. Ausgleichsansprüche des Reisenden bei Flugverspätung können auch auch aus Art. 6 I b der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ergeben.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger hatte für sich und seine Ehefrau Flüge gebucht. Von München nach Madrid und von Madrid nach Teneriffa-Nord. Der Flug von Madrid nach Teneriffa-Nord sollte durch die Beklagte ausgeführt werden. Das Flugzeug von Madrid nach Teneriffa-Nord startete mit einer 4 stündigen Verspätung.

Der Kläger hat am 31.05.2010 einen Mahnbescheid gegen die Beklagte beantragt, der dieser am 14.07.2010 zugestellt worden ist. Da die Beklagte nicht innerhalb der ihr gesetzten Frist von einem Monat hiergegen Widerspruch erhoben hat, wurde auf Antrag des Klägers am 15.09.2010 ein Vollstreckungsbescheid erlassen. Die Einspruchsfrist wurde auf einen Monat festgelegt. Gegen den Vollstreckungsbescheid hat die Beklagte am 26.10.2010 Einspruch eingelegt.

Das AG Hannover erklärt, dass der Widerspruch der Beklagten unbegründet ist. Nach Auffassung des Gerichts hat der Kläger einen Ausgleichsanspruch in Höhe von 800,– €. Das Gericht sieht eine Verspätung des Flugzeuges nach Art. 6 I b der Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Danach hat der Reisende einen Ausgleichanspruch auf 400 €. Da es 2 Kläger sind, ergeben sich somit 800€.

Tenor:

4. Der Vollstreckungsbescheid des AGs Uelzen vom 15.09.2010 (Aktenzeichen 30 B 489/10) bleibt aufrechterhalten.

Die Beklagte trägt die weiteren Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils für vorläufig vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

5. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Entschädigung wegen einer Flugverspätung in Anspruch. Der Kläger hatte für sich und seine Ehefrau Flüge für den 23.12.2009 gebucht, und zwar von H nach München, von München nach Madrid und von Madrid nach Teneriffa-Nord. Der Flug von Madrid nach Teneriffa-Nord sollte durch die Beklagte ausgeführt werden. Abflugzeit in Madrid war 14.35 Uhr, Ankunft in Teneriffa war für 16.20 Uhr vorgesehen. Tatsächlich startete das Flugzeug mit einer Verspätung von unstreitig mehr als 4 Stunden und landete auch um mindestens 4 Stunden später in Teneriffa-Nord. Da die Flugentfernung zwischen Madrid und Teneriffa-Nord 1771 km beträgt, verlangt der Kläger gemäß Art. 5, 6 und 7 der Verordnung (EG) 261/2004 eine Entschädigung von 400,– € pro Person.

6. Der Kläger behauptet, am Flugtag habe sowohl in Madrid als auch am Flughafen Teneriffa-Nord schönes Wetter geherrscht. Das Bodenpersonal in Madrid habe ihm erklärt, dass die Crew aus Bilbao komme und Verspätung habe. Tatsächlich sei die Maschine aus Bilbao dann auch gegen 18.00 Uhr am Flughafen Madrid gelandet und die Crew habe das bereits wartende Flugzeug nach Teneriffa-Nord betreten. Gleichwohl sei die Maschine erst gegen 19.00 Uhr gestartet.

7. Der Kläger hat am 31.05.2010 einen Mahnbescheid gegen die Beklagte beantragt, der dieser am 14.07.2010 zugestellt worden ist. Da die Beklagte nicht innerhalb der ihr gesetzten Frist von einem Monat hiergegen Widerspruch erhoben hat, wurde auf Antrag des Klägers am 15.09.2010 ein Vollstreckungsbescheid erlassen, der der Beklagten am 05.10.2010 zugestellt worden ist. Die Einspruchsfrist wurde auf einen Monat festgelegt. Gegen den Vollstreckungsbescheid hat die Beklagte am 26.10.2010 Einspruch eingelegt.

8. Der Kläger beantragt,

den Vollstreckungsbescheid des AGs Uelzen vom 15.09.2010 (Az. 30 B 489/10) aufrechtzuerhalten.

9. Die Beklagte beantragt,

den Vollstreckungsbescheid aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10. Zur Begründung trägt sie vor, die Verspätung der Crew um 2 Stunden und 12 Minuten sei durch eine vorhergehende Verspätung am Vorabend entstanden, weil die Crew gleichwohl ihre Mindest-Ruhezeiten einzuhalten gehabt habe. Durch diese Verspätung habe ihr ein neuer Start- und Landeslot durch die zuständige Flugsicherungsbehörde Eurocontrol in Brüssel erteilt werden müssen, da aufgrund der Verspätung der ursprünglich zugeteilte Slot nicht mehr verwendet werden konnte.

11. Sowohl die Verspätung der Crew als auch die erneute Zuteilung eines Start- und Landeslots, die zusammen zur Verspätung von 4 Stunden und 12 Minuten geführt hätten, würden deswegen außergewöhnliche Umstände darstellen, für die die Beklagte nicht einzustehen habe.

12. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

13. Der Einspruch der Beklagten gegen den Vollstreckungsbescheid des AGs Uelzen ist zulässig und innerhalb der der Beklagten gesetzten Anspruchsfrist von einem Monat eingelegt worden.

14. In der Sache hat er jedoch keinen Erfolg.

15. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Ausgleichsanspruch in Höhe von 800,– € gemäß Art. 1 Abs. 1 c, Art. 6 Abs. 1 b, Art. 7 Abs. 1 b der Verordnung (EG) Nr. 261/2004.

16. Ein Ausgleichsanspruch gemäß Art. 7 der Verordnung richtet sich bei Verspätung des Fluges nach Art. 6 gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen. Darunter ist nach der Begriffsbestimmung in Art. 2 b) der Verordnung das Luftfahrtunternehmen anzusehen, das im Rahmen eines Vertrages mit einem Fluggast einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt. Da der vom Kläger gebuchte Flug von Madrid nach Teneriffa-Nord unstreitig von der Beklagten durchgeführt werden sollte und wurde, ist diese damit Anspruchsgegnerin des Klägers.

17. Unstreitig liegt eine Verspätung gemäß Art. 6 Abs. 1 b der Verordnung vor. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Klägers beträgt die Entfernung von Madrid nach Teneriffa-Nord 1771 km, so dass für die Geltendmachung einer Ausgleichszahlung eine Verspätung von 3 Stunden oder mehr vorliegen muss. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Verspätung hat auch nach der Einlassung der Beklagten mehr als 4 Stunden, nämlich 4 Stunden und 12 Minuten gedauert. Schließlich hat der Kläger auch sein Endziel mit mehr als 3 Stunden Verspätung erreicht. Die Höhe des Ausgleichsanspruchs beträgt somit gemäß Art. 7 Abs. 1 b der Verordnung für jeden Fluggast 400,– €, so dass der Kläger vorliegend einen Anspruch auf Zahlung von 800,– € gegen die Beklagte hat.

18. Die Beklagte kann auch nicht erfolgreich einwenden, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären (Art. 5 Abs. 3 der Verordnung). Nach mittlerweile einhelliger Rechtsprechung ist die Vorschrift nicht nur bei annullierten, sondern auch bei verspäteten Flügen anwendbar (EuGH, Urteil vom 19.11.2009, C-402/07). Die Einwände der Beklagten, die Verspätung der Crew um 2 Stunden und 12 Minuten und die dadurch verbundene Zuteilung eines neuen Start- und Landeslot, beruhe auf außergewöhnlichen Umständen, führt nicht zu einer Entlastung gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung.

19. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist Art. 5 Abs. 3 der Verordnung als Ausnahmebestimmung eng auszulegen. Zwar können Wetterverhältnisse, die der Durchführung eines einzelnen Fluges entgegenstehen, auch hinsichtlich weiterer Flüge außergewöhnliche Umstände darstellen, wenn sie zu einer Entscheidung des Flugverkehrsmanagements führen, die zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung kommt, obwohl das Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Verspätungen zu verhindern. Es bedarf dann jedoch konkreten Vortrags dazu, welche Möglichkeiten zur Verfügung standen, um die Verspätung zu verhindern. Dem Luftverkehrsunternehmen obliegt es, darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass es ihm auch unter Einsatz aller ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel offensichtlich nicht möglich gewesen wäre, ohne angesichts der Kapazität des Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbare Opfer die außergewöhnlichen Umstände zu vermeiden, mit denen es konfrontiert war und die zur Verspätung bzw. Annullierung geführt haben.

20. Vor diesem Hintergrund führt der Vortrag der Beklagten nicht zu einer Entlastung. Die Beklagte hätte darlegen müssen, welche anderen personellen, materiellen und finanziellen Mittel ihr zur Verfügung standen, um den Flug zum geplanten Zeitpunkt durchzuführen und aus welchen Gründen es ihr gegebenenfalls nicht zumutbar war, auf diese Ressourcen zurückzugreifen. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Klägers stand das Flugzeug flugbereit zur Verfügung. Die Beklagte hätte deswegen darlegen müssen, weswegen es ihr an einem Großflughafen wie Madrid, an dem die Beklagte als spanische Fluggesellschaft sicherlich über eine große Anzahl von Personal verfügt, nicht möglich war, den Flug zum geplanten Zeitpunkt durchzuführen und aus welchen Gründen es ihr gegebenenfalls nicht zumutbar war, auf diese Personalmittel zurückzugreifen. Nach dem Vortrag der Beklagten musste die Crew Mindestruhezeiten einhalten, die wegen einer Verspätung am Vorabend des vom Kläger gebuchten Fluges entstanden waren. Es ist für das Gericht schlechterdings nicht vorstellbar, dass es der Beklagten unter diesen Umständen nicht möglich war, bis zur geplanten Abflugzeit um 14.35 Uhr eine Ersatzcrew zur Verfügung zu stellen. Hierzu hat die Beklagte keinerlei Ausführungen gemacht, so dass im Hinblick auf den Ausnahmecharakter, den die Regelung in Art. 5 Abs. 3 der Verordnung hat, keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, dass der Ausgleichsanspruch der Beklagten entfallen könnte.

21. Die Nebenforderungen folgen aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. BGB.

22. Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Fragen zu diesem Urteil? Diskutiere in unserem Forum.

Fragen & Antworten zum Thema

Fragen & Antworten zum Thema: Flugverspätung bei der Lufthansa und Rechtsanwaltskosten

Verwandte Entscheidungen

LG Darmstadt, Urt. v. 18.12.13, Az: 7 S 90/13
AG Frankfurt, Urt. v. 18.11.14, Az: 30 C 1066/14

Berichte und Besprechungen

Forum Fluggastrechte: Mindestruhezeit ist kein außergewöhnlicher Umstand
Passagierrechte.org: Kein außergewöhnlicher Umstand begründet die Mindesruhezeit

Rechtsanwälte für Reiserecht

Hilfe bei rechtlichen Fragen: Rechtsanwälte für Reiserecht oder Rechtsanwälte für Fluggastrechte