Kein Verschulden des Reiseveranstalters bei Stornierung der Flugbeförderung wegen „wilden“ Streiks

AG Köln: Kein Verschulden des Reiseveranstalters bei Stornierung der Flugbeförderung wegen „wilden“ Streiks

Ein Reiseveranstalter stornierte eine Pauschalreise aufgrund der Annullierung des Hinfluges wegen wilden Streiks. Die Schadensersatzklage der Reisenden wurde abgewiesen, weil der Stornierungsgrund ein außergewöhnlicher Umstand war.

AG Köln 142 C 25/17 (Aktenzeichen)
AG Köln: AG Köln, Urt. vom 05.02.2018
Rechtsweg: AG Köln, Urt. v. 05.02.2018, Az: 142 C 25/17
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Amtsgericht Köln

1. Urteil vom 5. Februar 2018

Aktenzeichen 142 C 25/17

Leitsatz:

2. Wird eine Pauschalreise aufgrund der Annullierung des Hinfluges wegen eines wilden Streiks imm ausführenden Luftfahrtunternehmen undurchführbar, hat der Reiseveranstalter keine Schadensersatzpflicht für die Stornierung.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger hatten bei der Beklagten als Reiseveranstalterin eine Flugpauschalreise von Köln-Bonn nach Kreta für den Zeitraum 7. bis 16. Oktober 2016 gebucht. Aufgrund eines wilden Streiks durch massenhafte Krankmeldung unter den Mitarbeitern des ausführenden Luftfahrtunternehmens wurde der Flug annulliert. Die Beklagte zahlte den Reisenden darauf hin den vollen Reisepreis zurück, diese wiederum buchten einen höherwertigen Ersatzurlaub und forderten später gerichtlich die Erstattung der Mehrkosten und Schadensersatz für entgangene Urlaubsfreude.

Das Amtsgericht Köln wies die Klage ab. Die Stornierung des Urlaubes beruhte auf Umständen, welche die Reiseveranstalterin nicht zu vertreten hatte. Sowohl ein illegaler Streik als auch eine tatsächlich überdurchschnittliche hohe Krankmeldungsrate liegen außerhalb des Erwart- und Beherrschbaren. Es kam nicht darauf an, ob sie alles Zumutbare unternommen hatte, um die Reise durchzuführen, denn darauf hatten die Kläger nicht bestanden, sondern selbst Abhilfe geschafft. Die Erstattung der Mehrkosten hierfür konnten sie nicht verlangen, da sie eine höherwertige Reiseleistung gebucht hatten und nicht nachwiesen, dass dies alternativlos gewesen wäre.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreites tragen die Kläger

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, soweit nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages  geleistet hat.

Tatbestand:

5. Die Kläger nehmen die Beklagte, eine Reiseveranstalterin, auf Schadenersatz und Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude in Anspruch.

6. Die Kläger buchten bei der Beklagten eine Flugpauschalreise nach Kreta in der Zeit vom 07.10.2016 bis 16.10.2016. Der Reisepreis betrug pro Person 858,00 Euro, insgesamt 1.716,00 Euro. Die Flüge von Köln/Bonn nach Heraklion und retour sollten durch die U. GmbH vorgenommen werden. Der Hinflug Y war für den 07.10.2016 um 16:25 Uhr geplant. Vom 03.10.2016 bis zum 10.10.2016 kam es zu massenhaften Krankmeldungen bei dem Cockpit- und Kabinenpersonal der U. GmbH. Hierbei handelte es sich um einen „wilden“ Streik. Der Flug Y. wurde durch U. der Beklagten gegenüber storniert. Die Reise wurde seitens der Beklagten am 07.10.2016 abgesagt, wovon die Kläger am Tag des geplanten Abflugs durch ihr Reisebüro in Kenntnis gesetzt wurden. Die Kläger erhielten den gesamten Reisepreis zurück. Die Kläger buchten am 08.10.2016 selbständig eine höherwertige (insbesondere Vollpension anstelle von Halbpension) Ersatzreise vom Flughafen Düsseldorf nach Heraklion für den Reisezeitraum vom 13.10.2016 bis zum 22.10.2016. Der Reisepreis betrug 1285,00 Euro  pro Person, insgesamt 2.570,00 Euro.

7. Die Kläger behaupten, es sei nach der Absage der Reise durch die Beklagte nicht möglich gewesen, eine mit der ursprünglich gebuchten Reise vergleichbare Reise zu buchen. Die Beklagte sei daher verpflichtet, die den Klägern bei der Buchung der Ersatzreise entstandenen Mehrkosten in Höhe von 854,00 Euro zu erstatten. Ferner sind sie der Ansicht, dass die Beklagte eine Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude in Höhe der Hälfte des Reisepreises entsprechend 858,00 Euro zu leisten habe.

8. Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger jeweils 429,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 19.11.2016 zu zahlen.

die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 854,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.11.2016 zu zahlen.

die Beklagte zu verurteilen, die Kläger von der Forderung der Kanzlei Irion für die vorgerichtliche Tätigkeit in Höher der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG, sowie der Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG, sowie der Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG von insgesamt 255,85 Euro freizustellen.

9. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10. Die Beklagte ist der Ansicht, die Vereitelung der Urlaubsreise beruhe auf einem Umstand, den sie nicht zu vertreten habe. Die Beklagte behauptet, nachdem sich der Krankenstand bis zum 01.10.2016 auf dem üblichen Niveau von ungefähr 10% befunden habe, habe er bei den Piloten am 03.10.2016 bei 41%, am 04.10. bei 50%, am 05.10. bei 70%, am 06.10. bei 80%, am 07.10 bei 89%, am 08.10. bei 67%, am 09.10. bei 56% und am 10.10. bei 34% gelegen. Bei den Flugbegleitern hätten sich am 03.10. 28%, am 04.10. 24%, am 05.10. 43%, am 06.10. 50%, am 07.10. 62%, am 08.10. 61%, am 09.10. 60% und am 10.10. 46% der Mitarbeiter krankgemeldet. Aufgrund der durch den hohen Krankenstand verursachten Personalengpässe seien bei dem Luftfahrtunternehmen Verspätungen und Annullierungen von Flügen nicht vermeidbar gewesen. Ab dem 05.10.2016 habe die drastische Steigerung der Krankmeldungszahlen eine Planung der Flüge für die Folgetage nicht zugelassen. Auch habe das Luftfahrtunternehmen nicht damit rechnen können, dass an den nächsten Tagen genügend Crewmitglieder zur Verfügung stehen. Dies habe die Annullierung der Hinflüge in die Urlaubsregionen für den 07. und 08.10.2016 erforderlich gemacht. Man habe den Fluggästen trotz Zukaufes von Subchartern – hierbei habe es sich in der Zeit vom 02.10. bis zum 09.10.2016 um 49 Subcharter mit dazugehörigem Personal gehandelt – nicht seriös versprechen können, dass sie auch zurückgeflogen werden können. Von den Krankmeldungen seien bei der Beklagten am 07.10.2016 insgesamt 65 Flüge der U. betroffen gewesen, die von U. storniert worden seien. Die Beklagte abe alle zumutbaren Maßnahmen unternommen, um eine Absage der Reise abzuwenden.

11. Das Gericht hat mit Beweisbeschluss vom 07.08.2017 (Bl. 107 f. d.A.) Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin X.. Mit Zustimmung der Parteien wurde an Stelle der Vernehmung der Zeugen das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 03.07.2017 in dem Verfahren 142 C 67/17, in welcher die Zeugin X. vernommen wurde, zu Beweiszwecken verwertet (Bl. 110 ff d.A.).

12. Ferner wird auf die wechselseitig zur Akte gereichten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

13. Die Klage ist unbegründet.

14. Den Klägern steht gegen die Beklagte keine Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude  gemäß § 651 f Abs. 2 BGB und Schadenersatz gemäss § 651 f Abs.1 BGB in Hinblick auf die seitens der Beklagten abgesagte Reise nach Kreta in der Zeit vom 07.10.2016 bis 16.10.2016 zu.

I.

15. Ein Anspruch der Kläger auf Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude gemäss § 651 f Abs. 2 BGB scheitert nicht daran, dass keine Reisevereitelung im Sinne dieser Vorschrift vorliegt; denn die Nichtdurchführung des Hinfluges wegen Annullierung seitens des Leistungsträgers, der Fluggesellschaft U., führte zur Mangelhaftigkeit der von der Beklagten als Reiseleistung durchzuführenden Flugbeförderung und letztlich zur Undurchführbarkeit der Reise insgesamt; dem Anspruch steht jedoch entgegen, dass sich die Beklagte in Hinblick auf die Nichtdurchführung der Reise exkulpieren kann.

16. Dabei ist zunächst festzustellen, dass sie den zu der Annullierung führenden Umstand nicht zu vertreten hat. Bei dem den Flug ausführenden Unternehmen, der U. ist es zu einem auch von der Beklagten und der U. nicht zu vertretenen, d.h. weder voraussehbaren noch vermeidbaren Krankenstand gekommen, der eine Ausführung des Fluges am 07.10.2016 unmöglich machte.

17. Bei einer Reisevereitelung oder erheblichen Reisebeeinträchtigung gewährt § 651 f Abs. 2 BGB dem Reisenden einen Anspruch auf Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude, es sei denn der Mangel der Reise beruht auf Umständen, die von dem Reiseveranstalter nicht zu vertreten sind. Die Darlegungs- und Beweislast für solche Umstände wird damit dem Reiseveranstalter auferlegt. Er muss sich exkulpieren. Da der Reiseveranstalter gemäss § 278 BGB auch für das Verschulden der von ihm zur Erfüllung der Reiseleistungen eingesetzten Leistungsträger einzustehen hat – bei diesen handelt es sich um Erfüllungsgehilfen – muss er sich auch in Hinblick auf deren zu einer mangelhaften Leistung führenden Handeln exkulpieren. Die Entlastung setzt voraus, dass den Reisveranstalter selbst oder dem von ihm mit der Durchführung einer Reiseleistung beauftragten Leistungsträger in Hinblick auf den Mangel kein Vorsatz und keine Fahrlässigkeit trifft (§ 276 BGB). Fahrlässigkeit liegt insbesondere dann vor, wenn der zu dem Mangel führende Umstand voraussehbar ist und hätte vermieden werden können. Vorhersehbarkeit bedeutet dabei, dass der zur Leistung verpflichtete Reiseveranstalter oder der Leistungsträger auf der Grundlage des ihm zur Verfügung stehenden Wissens hätte erkennen können, dass zu einem Mangel führende Umstände auftreten. Vermeidbarkeit bezieht sich auf die Frage, ob das Eintreten der zu dem Mangel führenden Umstände durch das Ergreifen zumutbarer und wirtschaftlich sinnvoller Massnahmen hätte abgewendet werden können. Führt eine plötzliche Krankheitswelle des Flugpersonals dazu, dass der Flugbetrieb einer als Leistungsträgerin eingesetzten Fluggesellschaft nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, handelt es sich in der Regel um einen weder voraussehbaren noch vermeidbaren Umstand. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob die Krankmeldungen auf echten Erkrankungen beruhen oder ob es sich um vorgeschobene Erkrankungen handelt, mit denen andere Zwecke verfolgt werden. Der betroffene Betrieb muss die Krankmeldungen zunächst hinnehmen, zumal er alleine anhand der Krankmeldungen nicht erkennen kann, ob diese berechtigt oder unberechtigt sind. Er hat ohne zeitintensive Prüfung, ob es sich um eine missbräuchliche Krankmeldung im Einzelfall handelt, keine sofort zur Verfügung stehende Möglichkeit, die sich krankmeldenden Mitarbeiter trotz formell ordnungsgemässer Krankmeldung zur Arbeit zu zwingen.

18. So liegt der Fall hier. Nach dem Inhalt der mit Zustimmung der Parteien zu Beweiszwecken verwerteten Aussage der Zeugin X. in dem Verfahren 142 C 67/17 aus der Sitzung vom 03.07.2017 steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass bei der Leistungsträgerin der Beklagten,  der U., ab dem 02.10.2016 eine unerwartete Krankmeldungsrate auftrat, die die gewöhnliche um ein Vielfaches überstieg und weder im Rahmen der normalen Flugplanung noch unter Berücksichtigung von Reserven aufgefangen werden konnte.

19. Die Zeugin X. hat in ihrer Vernehmung bekundet, dass sich in Reaktion auf die Bekanntgabe der Umstrukturierungspläne bei der U. noch am Abend des 30.09.2016 ein Krisenstab aus Arbeitnehmervertretern gebildet habe, der Unmut über die Pläne geäußert habe. Am 02.10. hätten sich dann 21% des Cockpitpersonals und 23% des Kabinenpersonals, am 03.10. 41% des Cockpitpersonals und 28% des Kabinenpersonals, am 04.10. 50% des Cockpitpersonals und 24% des Kabinenpersonals, am 05.10. 70% des Cockpitpersonals und 43% des Kabinenpersonals, am 06.10. 80% des Cockpitpersonals und 50% des Kabinenpersonals, am 07.10. 89% des Cockpitpersonals und 62% des Kabinenpersonals, am 08.10. 67% des Cockpitpersonals und 61% des Kabinenpersonals, am 09.10. 56% des Cockpitpersonals und 60% des Kabinenpersonals und am 10.10. 34% des Cockpitpersonals und 46% des Kabinenpersonals krankgemeldet. Die Krankmeldungen seien sehr kurzfristig erfolgt. Erst nach einem erfolgreichen Vermittlungsversuch des niedersächsischen Wirtschaftsministers am 07.10.2016 hätten sich der Krankenstand normalisiert und die Lage sich entspannt. Die Zeugin X. hat weiter bekundet, dass in dem Vorjahreszeitraum die Krankmeldungsrate bei dem Cockpitpersonal bei 8 % und bei dem Kabinenpersonal bei 10 % lag. Die Aussage der Zeugin X. ist schlüssig, widerspruchsfrei und detailreich. Die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin wird nicht dadurch in Zweifel gezogen, dass es sich nur um eine Zeugin vom Hörensagen handelt. Die Zeugin hat einleitend bekundet, dass sie im Bereich des Operational Managements eingesetzt war. Ihre Aufgabe bestand seiner Zeit darin, die Abläufe als „stiller Beobachter“ zu protokollieren. Dabei hatte sie Zugang zu allen relevanten Unterlagen und konnte diese zusammentragen. Die Zeugin hat weiter ausgesagt, dass ihre Tätigkeit ab der Einsetzung eines Krisenstabes am 30.09.2016 begann. Auch diese Aussage der Zeugin ist glaubhaft. Sie belegt, dass die Zeugin an den zuvor bekundeten Vorgängen in Bezug auf die Krankmeldungen sowie den dann ergriffenen Maßnahmen unmittelbar beteiligt war. Ihre Aufgabe bestand gerade darin, die Vorgänge aus eigener Wahrnehmung zu erfassen und zu dokumentieren. Ihre Einbindung diente gerade dem Zweck, dass sie ihre Wahrnehmungen später wiedergeben kann. Es bestehen auch keine Zweifel an der Richtigkeit der Aussage. Dass es sich um eine plötzliche, so noch nicht da gewesene und das Übliche übersteigende Krankmeldungswelle handelte, war auch Gegenstand der Pressberichterstattung. Dass die Rate der Krankmeldungen explosionsartig zunahm und ein Vielfaches dessen betrug, mit dem seitens U. zu rechnen war, ergibt sich aus dem Vergleich der Zahlen aus Oktober 2016 mit den Zahlen aus dem Vorjahreszeitraum. Diese wurden am 02.10.2016 um mehr als das Doppelte und dann zunehmend um das sechs- bis achtfache überschritten. Dafür, dass U. mit solchen krankheitsbedingten Ausfälle rechnen musste, gibt es keinen Anhaltspunkt, so dass auch keine Möglichkeit bestand,  sich auf ein solches Szenario im Sinne einer Vermeidbarkeit vorzubereiten. Zwar konnte U. bei Bekanntgabe der Umstrukturierungspläne mit einer Reaktion der Arbeitnehmer rechnen, nicht aber damit, dass sich Arbeitnehmer in einer so hohen Zahl berechtigt oder möglicherweise unberechtigt, von U. aber in der konkreten Situation nicht zeitnah überprüfbar, krankmelden würden. Ein der Beklagten zurechenbares Verschulden von U. in Bezug auf das zu der Annullierung des Fluges der Kläger führende krankheitsbedingte Ausfallen des Personals von U. liegt daher nicht vor.

20. Selbst wenn man aber entgegen der hier vertretenen Ansicht nicht primär auf die Krankmeldungen als den die Annullierung des Fluges verursachenden Umstand abstellt sondern auf einen „wilden“ Streik der Mitarbeiter von U. läge kein der Beklagten zuzurechnendes Verschulden vor; denn jedenfalls ab Bekanntwerden dieses Umstandes wurden die zumutbaren Massnahmen unternommen, um die u.a. auch der Beklagten gegenüber geschuldeten Leistungen zu erbringen.

21. Soweit zum Teil der Streik bei Leistungsträgern als ein den Reiseveranstalter nicht exkulpierender Umstand angesehen wird, geschieht dies ohne Prüfung der Voraussetzungen des § 276 BGB. Auch bei einem bestreikten Leistungsträger und nicht nur bei Streiks Dritter, die sich auf den Leistungsbereich von Leistungsträgern und Veranstalter auswirken, ist aber im Rahmen der Verschuldenshaftung § 276 BGB zu prüfen. Alleine darauf abzustellen, dass es sich um den Leistungsbereich des Reiseveranstalters handelt genügt nicht; dies würde eine verschuldensunabhängige Haftung voraussetzen, die das Reisevertragsrecht im Rahmen des § 651 f Abs. 2 BGB gerade nicht vorsieht. Auch ein zur Undurchführbarkeit einer Reiseleistung führender Streik bei einem Leistungsträger muss daher für diesen voraussehbar und vermeidbar sein, um den Fahrlässigkeitsvorwurf erheben zu können. Eine Vorhersehbarkeit ist jedenfalls dann gegeben, wenn ein Streik angekündigt wird. Bei einem nicht angekündigten „wilden“ Streik ist die Vorhersehbarkeit in der Regel nicht gegeben, ein solcher Ausstand soll gerade einen Überraschungseffekt haben. Eine Vermeidbarkeit liegt bei einem Streik ab dem Zeitpunkt der Ankündigung vor, bei einem „wilden“ Streik erst dann, wenn er bereits begonnen hat. Bezogen auf ein Luftfahrtunternehmen ist jedenfalls ab der Streikankündigung zu erwarten, dass die zumutbaren und wirtschaftlich sinnvollen Massnahmen ergriffen werden, um den die zu erbringende Leistung hindernden Umstand – die Arbeitsniederlegung – zu vermeiden.

22. Danach kann vorliegend nach Massgabe der Aussage der Zeugin X. mit der gebotenen Gewissheit festgestellt werden, dass die Leistungsträgerin U. das ihr Zumutbare unternahm, um die streikbedingten Leistungsstörungen ab Bekanntwerden der möglicherweise einen „wilden“ Streik darstellenden Krankmeldungen  zu vermeiden.  Die Zeugin X. hat dazu ausgesagt, dass U. bereits am 01.10.2016, das heißt schon vor dem Ansteigen der Krankmeldungen bzw. dem Beginn des wilden Streiks, Vorkehrungen traf, um Subcharter anzumieten. Ab dem 02.10.2016 wurde dann ein Büro gebildet, in dem zwei bis drei Mitarbeiter 24 Stunden am Tag den Subcharter-Markt beobachteten, um die maximale Anzahl an Flugzeugen zu chartern. Insgesamt wurden 59 Fluggesellschaften von U. unmittelbar angefragt, weitere über dann ab dem 02.10. und 03.10.2016 kontaktierte Vermittler (Broker). Insgesamt wurden über den gesamten Zeitraum vom 02.10. bis zum 10.10.2016 180 Flüge mit Subchartern durchgeführt. Hierfür wurde von U. ein zweistelliger Millionenbetrag ausgegeben, ein Vielfaches von dem, was normalerweise in einem Geschäftsjahr für den Einsatz von Subchartern eingeplant wird. Weiter versuchte man nach den Angaben der Zeugin, Flüge an den Reiseveranstalter V. zurückzugeben, damit dieser neue Flüge für die betroffenen Passagiere finden konnte. Daneben wurde versucht, Fluggäste auch selbständig auf andere Fluggesellschaften umzubuchen und zuletzt gab es Appelle an Teilzeitmitarbeiter oder freigestellte Mitarbeiter gegeben, Flüge zu übernehmen. Die Zeugin hat weiter bekundet, dass am 06.10.2016 die Situation dergestalt war, dass der Flugbetrieb von Deutschland aus eingestellt wurde. Im Vordergrund stand bei der Umplanung  die Überlegung, dass man die Passagiere, die sich noch an den Destinationen befanden und dort vielleicht schon zwei / drei Tage warteten zurückholt. Angesichts dieser umfänglichen Maßnahmen, ihren Leistungsverpflichtungen nachzukommen, ist nicht zu erkennen, dass U. ein der Beklagten über § 278 BGB zurechenbares Verschulden dafür trifft, dass entschieden wurde die Flüge ab Deutschland, zu denen auch der streitgegenständliche am 07.10.2016 nach Kreta gehörte, zu annullieren.

23. Ob sich ein Verschulden der Beklagten daraus ergibt, dass die Beklagte nicht selbst alles Zumutbare und wirtschaftlich Sinnvolle getan hat, um die durch die Annullierung drohende Undurchführbarkeit der Reise abzuwenden, kann dahinstehen, denn die Kläger haben nicht auf der Durchführung der Reise bestanden und die Beklagte zur Leistungserbringung aufgefordert, sondern haben sich selbst um eine Ersatzreise bemüht.

24. Ein Anspruch auf Ersatz der den Klägern durch die Buchung der Ersatzreise nach Kreta in der Zeit vom 13.10.2016 bis zum 22.10.2016 entstandenen Mehrkosten in Höhe von 854,00 Euro gemäss § 651 f Abs. 1 BGB besteht nicht. Unabhängig von dem Umstand, dass die Beklagte die Nichtdurchführbarkeit der Reise nach den obigen Feststellungen nicht zu vertreten hat, sind die Mehrkosten der Ersatzreise nach § 651 f Abs. 1 BGB nicht erstattungsfähig, da es sich um Aufwendungen zur Abhilfe nach § 651 c Abs. 3 BGB handelt und diese bei einer vereitelten Reise nicht neben einem Schadenersatzanspruch beansprucht werden können.

25. Erstattungsfähige Schäden im Rahmen des § 651 f Abs. 1 BGB  sind solche Aufwendungen und Kosten, die in Hinblick auf die Mangelhaftigkeit der gebuchten Reise aufgewandt oder geleistet wurden. Mit ihnen soll innerhalb des Reisevertrages einer durch den Mangel hervorgerufene Situation abgeholfen werden. Wird der Reisevertrag gar nicht durchgeführt, kann der Reisende nur entweder Entschädigung wegen entgangener Urlaubsfreude nach § 651 f Abs. 2 oder im Rahmen des § 651 c Abs. 3 BGB Aufwendungen für eine im Wege der Selbstabhilfe gebuchte Ersatzreise beanspruchen. Denn wenn der Reisende für eine nicht durchgeführte Reise Entschädigung begehrt hält er an dem geschlossenen Vertrag nicht mehr fest und stellt sich die Ersatzreise nicht als Abhilfe der vereitelten Reise dar.

26. Da die Kläger hier in erster Linie den Entschädigungsanspruch nach § 651 f Abs. 2 BGB verfolgen steht ihnen daneben ein Anspruch auf Ersatz der Mehrkosten für die später gebuchte Reise nach § 651 c Abs. 3 BGB  nicht mehr zu.

27. Selbst wenn man eine Anwendbarkeit des § 651 c Abs. 3 BGB annehmen wollte, fehlt es an dessen Voraussetzungen, insbesondere der Erforderlichkeit der Aufwendungen; denn die seitens der Kläger gebuchte Reise nach Kreta war höherwertig.

28. Erstattungsfähig sind im Rahmen der Selbstabhilfe die erforderlichen Aufwendungen. Dabei kann der Reisende auch höherwertige Leistungen in Anspruch nehmen, wenn gleichwertige nicht erreichbar sind und die Mehrkosten verhältnismässig sind. Darlegungsbelastet dafür, dass gleichwertige Ersatzleistungen nicht zur Verfügung standen ist der Reisende.

29. Danach erweisen sich die Mehrkosten von 854,00 Euro als nicht erforderlich. Unstreitig buchten die Kläger statt der ausgefallenen Reise eine Reise, die Voll- statt Halbpension enthielt. Dass die Kläger bei der Suche nach einer Ersatzreise auf Kreta keine Unterkünfte mit Halbpension fanden und es sich daher bei der gebuchten Reise um die der nicht durchgeführten Reise am nächsten kommende handelte, ist weder ersichtlich noch seitens der Kläger substantiiert dargestellt worden.

II.

30. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr.11, 711  ZPO.

31. Streitwert: 1.712,00 Euro

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