Haftung der Fluggesellschaft für Körperverletzung

OLG Köln: Haftung der Fluggesellschaft für Körperverletzung

Ein Fluggast reiste mit der Beklagten, einer Fluggesellschaft. Während des Fluges rollte ein Service Wagen in die Rückenlehne des Klägers. Durch den Aufprall zog sich der Kläger eine Halswirbelverletzung zu, welche vom  dem Flughafenarzt diagnostiziert wurde.  Die Beklagte, eine Fluggesellschaft übernahm auch die Haftung für den Unfall. Der Kläger erhebt nun einen Anspruch von der Beklagten auf Zahlung eines Schadensersatzes, da der Kläger durch die Schmerzen arbeitsunfähig geworden ist.

Die Beklagte bestreitet unterdessen, dass durch diesen Unfall eine so große Beeinträchtigung des Klägers vorliegt.

Das Gericht entschied, dass die Klage zugelassen wird. Die Beklagte muss an den Kläger einen Schadensersatz zahlen und für die Folgekosten, welche aus dem Unfall entstehen könnten aufkommen.

OLG Köln 15 U 56/94 (Aktenzeichen)
OLG Köln: OLG Köln, Urt. vom 25.03.1997
Rechtsweg: OLG Köln, Urt. v. 25.03.1997, Az: 15 U 56/94
LG Köln, Az: 29 O 268/93
Fragen & Antworten zum Thema
Verwandte Urteile
Weiterführende Hinweise und Links
Hilfe und Beratung bei Fragen

Nordrhein-Westfalen-Gerichtsurteile

Oberlandgericht Köln

1. Urteil vom 25.03.1997

Aktenzeichen: 15 U 56/94

Leitsatz:

2. Passiert ein Unfall an Bord einer Maschine und die Fluggesellschaft übernimmt die Haftung so muss diese auch Schadensersatz zahlen.

Zusammenfassung:

3. Im vorliegenden Fall buchte der Kläger im Zuge einer Geschäftsreise einen Hin – und Rückflug bei der Beklagten. Der Platz des Klägers befand sich dabei in der letzten Reihe der Economy Class. Während das Flugzeug die Flughöhe absenkte, ist ein Service Wagen gegen die Rückenlehne des Klägers gerollt. Nach der Landung wurde der Flughafenarzt hinzugezogen der ein HWS-Schleudertrauma diagnostizierte. Der Kläger setzte seine Reise trotzdem fort, musste aber wegen schmerzen bereits am Folgetag zurück reisen.  Er begab sich auch in das Klinikum, in welchem er bereits März 1988 einen Operativen Eingriff an der Halswirbelsäule unterzogen hatte.

Damals wurden vor Ort seine gesundheitlichen Probleme behoben und er konnte bis dato ein beschwerdefreies Leben genießen. Da die Verletzungen deutlich schlimmer waren als vom Flughafenarzt diagnostiziert, forderte er von der Beklagten ein Schreiben in welchem die Beklagte eine Schadensersatzverpflichtung für den Unfall anerkennt. Diese Schreiben unterzeichnete die Beklagte auch. Die Beklagte ist der Meinung das es zu so einen Unfall nicht gekommen sei, wenn dann nur eine harmlose Berührung des Trolley mit der Rückenlehne. Dabei kann der Kläger nicht Verletzungen in diesem Ausmaß und Folgekosten entstanden sein.

Das Gericht entschied, dass dem Kläger eine Schadensersatzzahlung zusteht, da die Beklagte die Haftung für einen solchen Unfall übernommen hat. Des Weiteren können auch mehrere Zeugen diesen Unfall bestätigen und auch der Flughafenarzt stellte seine Diagnose unmittelbar nach der Landung.

Tenor:

4. Die auf Leistung gerichteten Klageansprüche werden dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Entscheidungsgründe:

5. Der am 21.02.1952 geborene Kläger, der im Möbelhandel kaufmännisch tätig gewesen ist, nimmt die Beklagte auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens aus einem Vorfall vom 15.01.1992 auf der Grundlage folgenden Sachverhaltes in Anspruch:

6. An jenem Tag befand sich der Kläger auf einer Geschäftsreise, für die er einen Hin- und Rückflug … bei der Beklagten gebucht hatte. Die Beförderung von …, wo planmäßig eine Zwischenlandung vorgesehen war, erfolgte mit einer Maschine des Typs Airbus A 310-200, in der der Kläger in der letzten Reihe der Economy-Class auf Sitz 34 D seinen Platz hatte (Sitzplan Bl. 174 GA). Während im Luftraum über … die Flughöhe abgesenkt wurde, soll ein Service-Wagen, ein sogen. Trolley, von hinten gegen den Sitz des Klägers gerollt sein.

7. Der Betreuungsdienst der Beklagten in … fertigte nach den Angaben des Klägers eine Art Protokoll über diesen Zwischenfall (Bl. 140 GA) und veranlaßte seine Untersuchung durch einen Flughafenarzt, der ein HWS-Schleudertrauma diagnostizierte. Der Kläger trat alsdann die Weiterreise nach … an, kehrte von dort aber am nächsten Tag vorzeitig wegen – wie er behauptet – unerträglicher Schmerzen in die Heimat zurück und begab sich zur ärztlichen Behandlung in das Klinikum M..

8. In diesem Krankenhaus hatte er sich im März 1988 nach einem Bandscheibenvorfall einem operativen Eingriff an der Halswirbelsäule unterzogen, bei der am Segment 6/7 eine Spongiosaplastik aus dem Beckenkamm und eine Plattenosteosynthese durchgeführt wurden. Schon seit seinem 16. Lebensjahr hatte der Kläger unter migräneartigen Kopfschmerzen gelitten, die sich seit 1985/86 verschlimmerten und schließlich in Dauerschmerzen, verbunden mit einem Taubheitsgefühl in den Armen, übergegangen waren. Nach eigenen Angaben will er seit Vornahme des operativen Eingriffs im wesentlichen beschwerdefrei und in seiner Erwerbstätigkeit – im Anschluß an eine Rekonvaleszenzzeit – nicht beeinträchtigt gewesen sein.

9. Durch Anwaltsschreiben vom 21.01.1992 (Anlagenheft – künftig: AH – Bl. 6 f.) ließ der Kläger der Beklagten mitteilen, daß die am 15.01.1992 erlittene Verletzung erheblicherer Natur sei, als von dem Flughafenarzt festgestellt, und forderte sie auf, ihre Schadensersatzverpflichtung anzuerkennen. Mit Fax-Schreiben vom 31.01.1992 (AH Bl. 9 f.) bestätigte die Beklagte „die Verantwortlichkeit der … für den Unfall und eine Haftpflicht nach den gesetzlichen Bestimmungen, in diesem Fäll dem H. Protokoll“. Vergleichbar äußerte sich deren Passagier-Haftpflicht – Versicherer, der D. in einem Schreiben vom 07.02.1992 (Bl. 138 f. GA), sodann nochmals die Beklagte, mit Schreiben vom 12.05.1992 (AH Bl. 24).

10. Vorprozessual hat der Kläger unter Vorlage ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sowie eines Vertrages „über ein Dienstverhältnis als freier Mitarbeiter“ mit einer Firma M. ( … AH Bl. 14 ff.) u.a. einen Verdienstausfallschaden von monatlich DM 8.900,00 bis einschließlich März 1993 geltend gemacht. Seitens des Versicherers der Beklagten sind darauf DM 70.000,00 zzgl. weiterer DM 1.387,06 für sonstige materielle Schadenspositionen gezahlt worden. Zudem hat der Kläger aus einer Krankentagegeldversicherung seit dem 42. Krankheitstag Leistungen in Höhe von DM 130,00 kalendertäglich bezogen. Seit dem 01.06.1993 ist ihm auf Zeit eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt worden (Bl. 128 f. GA).

11. Mit seiner vorliegenden Klage hat der Kläger zunächst die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des von ihm bis einschließlich März 1993 mit DM 64.737,58 errechneten restlichen Schadensbetrages (nebst Zinsen) begehrt.

12. Er hat behauptet, der sich ungesichert im Fluggastraum befindende Trolley sei auf seinen Sitz zugeschossen gekommen. Infolge des Aufpralls, den er nicht mehr genau lokalisieren könne, habe sein Krankheitsbild eine richtungweisende Verschlimmerung erfahren. Er leide unter persistierenden Schmerzen im Bereich der HWS, des Kopfes und der Arm-/Schulter-Partie. Als Folge der Dauerimmobilisierung mittels einer Schanz’schen Krawatte sei es zusätzlich zur Ausbildung eines Lymphstaus im Halsbereich gekommen. Er sei nach wie vor arbeitsunfähig krank.

13. Er hat die Auffassung vertreten, in dem vorprozessualen Verhalten der Beklagten sei zumindest ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis zu erblicken. Abzüge an seiner Forderung seien weder wegen einer zum Schaden neigenden Konstitution noch wegen privat erkaufter Versicherungsleistungen anzubringen. Wegen der Zusammensetzung des Klagebetrages im einzelnen wird auf die Ausführungen S. 8 ff. der Klageschrift (Bl. 8-20 GA) verwiesen.

14. Der Kläger hat beantragt,

15. die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 64.737,58 nebst 4 % Zinsen seit dem 21.04.1993 zu zahlen.

16. Die Beklagte hat beantragt,

17. die Klage abzuweisen.

18. Sie hat behauptet, bauartbedingt sei es ausgeschlossen, daß der Trolley in unmittelbare Berührung mit dem Körper des Klägers gekommen sei. Wenn überhaupt, dann könne der Service-Wagen allenfalls mit einer Geschwindigkeit bis maximal 0,53 m/sec gegen die Rücken- oder Seitenlehne des Sitzes gestoßen sein, was diese Teile ohne jede Erschütterung aushielten. Dadurch könne der Kläger kein HWS-Schleudertrauma und/oder, gar einen Bandscheibenvorfall noch eine richtunggebende Verschlimmerung seines gesundheitlichen Vorschadens erlitten haben.

19. Selbst wenn Ansprüche des Klägers bestanden haben sollten, seien diese durch die geleisteten Zahlungen abgegolten. Mindernd zu berücksichtigen sei – so hat sie gemeint – der mit jedenfalls 30 % festgestellte prozentuale Anteil der Vorerkrankung. Ferner müsse sich der Kläger auf den die Haftungshöchstgrenze von DM 53.500,00 nach Art. 22 Warschauer Abkommen i.d.F. des Haager Protokolls (WA/HP) übersteigenden Betrag nach den „Besonderen Beförderungsbedingungen für den Internationalen Luftverkehr“ (vgl. AH Bl. 52) vorrangig die Vorteile anrechnen lassen, die er auf andere Weise erzielt habe oder hätte erzielen können. Dies seien die bis zum 31.03.1993 vereinnahmten Leistungen aus der Krankentagegeldversicherung und weitere DM 13.350,00, die er als Lohnfortzahlung für sechs Wochen von der Fa. M. zu beanspruchen gehabt habe, weil er – was die Beklagte näher begründet – zu dieser in einem verdeckten Arbeitsverhältnis gestanden habe. Ohnedies habe sie keine DM 8.900,00 monatlich zu ersetzen, weil das Brutto-Bezüge seien.

20. Durch Urteil vom 13.01.1994 (Bl. 72 ff. GA), das wegen aller Einzelheiten in Bezug genommen wird, hat das LG die Klage abgewiesen und dies im wesentlichen damit begründet, daß ein dem Kläger etwa zustehender Schadensersatzanspruch wegen der klageweise geltend gemachten Positionen in voller Höhe ausgeglichen sei. Dem nach rechnerischer Korrektur sich ergebenden Forderungsbetrag von DM 58.902,25 stünden im betreffenden Zeitraum empfangene Leistungen aus der Krankentagegeld Versicherung in Höhe von DM 62.400,00 gegenüber, die sich der Kläger nach den wirksam in den Vertrag mit der Beklagten einbezogenen „Besonderen Beförderungsbedingungen für den Internationalen Luftverkehr“ auf einen etwa entstandenen Vermögensschaden anrechnen lassen müsse.

21. Gegen dieses ihm am 16.02.1994 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 16.03.1994 bei dem OLG eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerungen bis zum 13.06.1994 mit einem an diesem Tage bei dem OLG eingegangenen Schriftsatz begründet.

22. Der Kläger wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus der ersten Instanz und tritt den vom. LG vertretenen Rechtsansichten entgegen. Er meint, das Schadensereignis unterfalle nicht den Haftungsbestimmungen des Warschauer Abkommens, weil sich darin keine dem Luftverkehr eigentümliche Gefahr verwirklicht habe; folglich kämen auch die Flugbedingungen nicht zur Anwendung. Vorsorglich beruft er sich auf den Wegfall der Haftungsbeschränkung gemäß Ziff. 2. b) des Art. XV der „Allgemeinen Beförderungsbedingungen der D. für Fluggäste und Gepäck“ (künftig: ABB), äußerst vorsorglich auf Art. 25 WA/HP. Dazu behauptet er, der Service-Wagen, der den Vorschriften gemäß in einer dafür vorgesehenen Box hätte abgestellt und mit einem Absperrhaken an der Wand gesichert werden müssen, sei von der Flugbegleiterin unbeaufsichtigt und ohne Feststellung der Bremste im hinteren Bereich des Flugzeuges belassen worden, dies, obwohl sich die Maschine im Landeanflug bzw. zumindest in einer Phase der Verminderung der Flughöhe befunden habe und der Trolley zudem auch noch beladen gewesen sei. Hilfsweise macht er geltend, die Beklagte treffe der Vorwurf eines groben Organisationsverschuldens, weil der Schutz der Passagiere vor solchen Unfällen durch unbeaufsichtigt gelassene Service-Wagen nicht gewährleistet sei. Schließlich müsse zu deren Lasten berücksichtigt werden, daß sie – die Beklagte – die Sachaufklärung hintertrieben habe, indem notwendige Feststellungen nicht getroffen und Unterlagen nicht herausgegeben worden seien.

23. Zu dem eigentlichen Vorfall, trägt der Kläger ergänzend vor, der Trolley sei mit wohl erheblich höherer Geschwindigkeit, als von der Beklagten errechnet, auf seinen Platz zugerollt, während er sich mit der Schulter nach links über die Armlehne gebeugt haben dürfte. Dadurch sei er nach vorne gestoßen worden und habe dabei den Inhalt der Tasse, die er in der Hand hielt, verschüttet. Wo genau er getroffen worden sei, könne angesichts dessen, daß der Flughafenarzt der Beklagten noch am selben Tage den Schadenseintritt festgestellt habe, letztlich dahinstehen.

24. Dieser Unfall habe sein Leben zerstört. Er leide seither unter ständigen Schmerzen, könne kaum noch schlafen, habe seinen Beruf verloren, sei erwerbsunfähig, ohne daß sich die gesundheitliche Vorschädigung insoweit ausgewirkt habe. Der materielle Schaden sei in der geltend gemachten Höhe entstanden; hilfsweise stützt der Kläger seinen Zahlungsantrag auf den Verdienstausfallschaden in den auf März 1993 folgenden Monaten, wozu er ergänzende Ausführungen macht.

25. Er ist der Ansicht, die Beklagte habe ihm ein angemessenes Schmerzensgeld zur Verfügung zu stellen, dessen Größenordnung er mit DM 100.000,00 angibt.

26. Der Kläger beantragt,

27. unter Abänderung des LGsurteils

28. die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 64.737,58 nebst 4 % Zinsen seit dem 21.04.1993 zu zahlen;

29. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche materiellen Schäden, die aus dem Vorfall vom 15.01.1992 während des Fluges seit dem 01.04.1993 entstanden sind und noch entstehen, zu ersetzen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere übergegangen sind oder übergehen;

30. die Beklagte zu verurteilen, an ihn das angemessene Schmerzensgeld zu zahlen nebst Zinsen seit Zustellung des Antrages;

31. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm zukünftige immaterielle Schäden zu ersetzen; hilfsweise, ihm nachzulassen, etwaige Sicherheit durch Beibringung der Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank oder Sparkasse leisten, zu dürfen.

32. Die Beklagte beantragt,

33. die Berufung zurückzuweisen; Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft zuzulassen.

34. Unter Aufrechterhaltung ihres Vorbringens aus der Klageerwiderung führt sie ergänzend aus:

35. der Kläger trage zum Hergang des Vorfalles ins Blaue hinein vor. Tatsächlich sei der Kabinencheck ordnungsgemäß durchgeführt worden. Der auf dem Kurzstreckenflug nicht benutzte Trolley habe – den Dienstvorschriften entsprechend – leer an dem dafür vorgesehenen Platz in der hinteren Galley mit der vorgesehenen Halterung gesichert gestanden. Wie er sich dann gelöst habe, habe nicht aufgeklärt werden können. Sofern er gegen den Sitz 34 D gerollt sein sollte, sei es jedenfalls ausgeschlossen, daß er „von hinten schräg gegen die Schulter“ des Klägers geschlagen sei; ebensowenig könne ein Flugzeugsitz durch einen aus höchstens 2 m Entfernung und nur langsam anrollenden half-size-Trolley erschüttert werden.

36. Selbst bei – zu verneinender – Annahme eines „Unfalls“ im Sinne von Art. 17 WA und bei unterstellter haftungsbegründender Kausalität seien die geltend gemachten Erwerbsminderungen allenfalls zeitlich begrenzt und auch insoweit nur zu einem prozentualen Anteil auf das Ereignis vom 15.01.1992 zurückzuführen. Ein etwa weitergehender Schaden sei nicht mehr adäquat kausal und liege außerhalb des Schutzzwecks der Norm. Im übrigen verweist sie auf Art. XV Ziff. 2. d) ABB, wonach die Haftung für Personenschäden bei zum Schaden neigender Konstitution des Passagiers unter den dort genannten Voraussetzungen ausgeschlossen ist.

37. Hinsichtlich der Höhe des materiellen Schadens wiederholt sie ihre erstinstanzlichen Einwendungen, verteidigt das angefochtene Urteil und macht Rechtsausführungen zu den anzuwendenden Haftungsbestimmungen. Sie bestreitet, daß dem Kläger nach März 1993 ein Verdienstausfall entstanden ist und trägt dazu ergänzend vor:

38. Ausweislich einer Kreditauskunft vom 10.10.1994 (Bl. 210 GA) sei der Kläger in abhängiger Stellung in der unter seiner Wohnanschrift seit dem 01.04.1984 betriebenen Handelsagentur seiner Ehefrau beschäftigt gewesen, die sich vornehmlich mit dem Vertrieb von Möbeln befasse. Für diese Tätigkeit habe er über den 15.01.1992 hinaus bis zum 31.05.1993 ein monatliches Entgelt von DM 1.500,00 bezogen, wie sich aus einem Rentenantrag (Bl. 411 ff. GA) ergebe.

39. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der von den Parteien zu den Akten gereichten Urkunden sowie auf den Inhalt der beigezogenen Akte 8 Js 17889.6/92 Amtsanwaltschaft Frankfurt/Main, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

40. Der Senat hat Beweis erhoben gemäß den Beschlüssen vom 25.10.1994 (Bl. 220 f. GA), 07.08.1995 (Bl. 295 f. GA) und 02.04.1996 (Bl. 348 f. GA). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Gutachten der Herren Prof. Dr. H. vom 27.03.1995 (Bl. 251 ff. GA) und Prof. Dr. E. vom 24.10.1995 (Bl. 302 ff. GA) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 08.10.1996 (Bl. 415 ff. GA) verwiesen, ferner auf die in dem vorerwähnten Ermittlungs-/Strafverfahren abgegebenen Erklärungen der Frau J. geb. K. (BA Bl. 96 R, 166 R, 167), der Frau P. (BA Bl. 173-175) und des Herrn P. (BA Bl. 168-172, 178), mit deren urkundlicher Verwertung sich die Parteien einverstanden erklärt haben (Bl. 394 f., 465 f./407, 469 GA).

II.

41. Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung des Klägers ist zulässig. Entsprechendes gilt für die in zweiter Instanz vorgenommene Klageerweiterung, die – sofern es im Blick auf §264 ZPO darauf überhaupt ankommen sollte – jedenfalls, als sachdienlich zuzulassen ist.

42. Der Rechtsstreit ist insoweit entscheidungsreif, als der Anspruchsgrund im Streit steht, weswegen der Senat von der durch §304 ZPO eröffneten Möglichkeit Gebrauch macht, ein Grundurteil zu erlassen (vgl. BGH in NJW-RR 1994, 319).

43. Dem Grunde nach haftet die Beklagte dem Kläger auf Ersatz seines aus dem Ereignis vom 15.01.1992 herrührenden materiellen und immateriellen Schadens.

44. Auf den zwischen den Parteien abgeschlossenen Beförderungsvertrag findet grundsätzlich das Warschauer Abkommen (RGBl. 1933 II 1039) in der Fassung des Haager Protokolls vom 28.09.1955 (BGBl. 1958 II 291) Anwendung; denn Vertragsinhalt war eine „internationale Beförderung“ i.S.d. Art. 1 Abs. 2 WA/HP, weil maßgeblich allein Abgangs- und Bestimmungsort sind, gleichviel ob eine Unterbrechung der Beförderung oder ein Fahrzeugwechsel stattfindet.

45. Gemäß Art. 17 WA/HP hat der Luftfrachtführer den Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, daß ein Reisender getötet, körperlich verletzt oder sonst gesundheitlich geschädigt wird, wenn der Unfall, durch den der Schaden verursacht wurde, sich an Bord des Luftfahrzeuges oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat.

46. Die Eigenschaft der Beklagten als „Luftfrachtführer“ – das ist, wer sich durch Vertrag im eigenen Namen verpflichtet, Personen oder Güter auf dem Luftweg zu befördern (Schönwerth in Geigel, Der Haftpflichtprozeß 20. Aufl. 29. Kap. Rdz. 45) – steht außer Frage.

47. Ihre Haftung für den vom Kläger behaupteten Personenschaden kann sie nicht erfolgreich mit der Begründung in Abrede stellen, wegen dessen Prädisposition hinsichtlich einer erhöhten Schmerzanfälligkeit fehle es schon am Merkmal des „Unfalls“ i.S.d. Art. 17 WA/HP. Diese Argumentation mag in bezug auf die haftungsausfüllende Kausalität Bedeutung erlangen können, hinsichtlich des haftungsbegründenden Ursachenzusammenhanges geht sie fehl. Es kann nicht ernstlich zweifelhaft sein, daß der überraschende Anstoß durch ein von hinten herannahendes Gefährt ein „von außen her plötzlich einwirkendes Ereignis“ und mithin einen „Unfall“ darstellt.

48. Daß ein derartiger Anstoß des Trolleys zumindest gegen Rücken- oder Armlehne des vom Kläger eingenommenen Sitzes tatsächlich stattgefunden hat, steht zur Überzeugung des Gerichtes fest. Der Zeuge S. hat dies, aufgrund eigener Wahrnehmung glaubhaft bekundet. Die wegen dieses Vorfalles mit einem Strafverfahren überzogene Flugbegleiterin K. (jetzt B.) sowie die in der Verhandlung vor dem Strafrichter vernommenen Zeugen T. und W. haben in den von ihnen abgegebenen Erklärungen jedenfalls bestätigt, daß vom Kläger ein derartiger Vorfall noch während des Fluges gemeldet worden ist. Dasselbe folgt aus dem bei den Strafakten befindlichen „F.“ des Zeugen T. vom 15.01.1992 (BA Bl. 91). Schließlich steht fest, daß der Kläger auch dem Betreuungsdienst der Beklagten gegenüber dementsprechende Angaben gemacht hat und bei ihm im Zuge der anschließenden Untersuchung durch den Flughafenarzt ein HWS-Schleudertrauma festgestellt worden ist. In zutreffender Bewertung dieser Umstände – soweit sie ihr damals schon bekannt waren – hat die Beklagte nicht gezögert, ihre Verantwortlichkeit für den Unfall und ihre Haftpflicht nach den gesetzlichen Bestimmungen zu bestätigen.

49. Infolge des Anstoßes durch den Trolley ist es auch zu einer gesundheitlichen Schädigung des Klägers gekommen. Aus dem „F.“ wie auch aus den Erklärungen K. und S. geht hervor, daß der Kläger zeitnah zu diesem Vorfall über Beschwerden geklagt hat. Unstreitig – zudem von dem Zeugen S. bekundet – ist er bei der Zwischenlandung in … mit einem Rollstuhl abgeholt und zur Untersuchung gefahren worden. Der Flughafenarzt der Beklagten hat die besagte Diagnose gestellt. Diese muß sie ebenso gegen sich gelten lassen wie die von ihr und ihrem Versicherer in der Folgezeit abgegebenen Bestätigungserklärungen und geleisteten Zahlungen.

50. Vorprozessual sind keinerlei Zweifel daran angemeldet worden, daß der Aufprall des Trolleys körperliche Verletzungen herbeigeführt haben könne. Alle Umstände, seien sie räumlicher, konstruktiver oder physikalisch/technischer Natur, die die Beklagte nunmehr ins Feld führt, um darzutun, daß die Herbeiführung eines Körperschadens durch den behaupteten Vorfall schlechthin ausgeschlossen sei, waren ihr auch zu jener Zeit bekannt, in der sie ihre Verantwortlichkeit für den Personenschaden – um nichts anderes ist es je gegangen – bestätigt und Zahlungen von DM 70.000,00 auf einen krankheitsbedingten Verdienstausfallschaden geleistet bzw. diese gebilligt hat.

51. Da sich die Beklagte mit ihren jetzt angestellten theoretischen Überlegungen zu ihrem eigenen Verhalten in Widerspruch setzt, ohne diesen aufzulösen, braucht ihren diesbezüglichen Angaben und Berechnungen nicht weiter nachgegangen zu werden.

52. Dies erübrigt sich auch deswegen, weil sich der Senat durch Einholung medizinischer Sachverständigengutachten die erforderliche Gewißheit davon verschafft hat, daß der Kläger infolge des fraglichen Ereignisses vom 15.01.1992 eine gesundheitliche Schädigung davongetragen hat. Das fachorthopädische Gutachten von Herrn Prof. Dr. H. (Bl. 251 ff. GA) bestätigt im Nachhinein die seinerzeitige Diagnose des Flughafenarztes. Seinen Ausführungen zufolge können, die vom Kläger beschriebenen Beschwerden zwanglos als erhebliche Muskelverspannung nach Zerrung der Halswirbelsäule in Verbindung mit dem unvorbereitet auftreffenden Service-Wagen verstanden werden, während von einer unfallbedingten Bandscheibenverletzung nicht auszugehen sei. Auf der Grundlage der von ihn nach eingehender Untersuchung des Klägers getroffenen Feststellungen, die ausführlich und nachvollziehbar begründet sind, sieht der Senat es als erwiesen an, daß der Kläger bei dem Unfall vom 15.01.1992 eine Distorsion der Halswirbelsäule vom Schweregrad I bis II erlitten hat, die eine Einschränkung seiner Arbeits- und Erwerbsfähigkeit aus orthopädischer Sicht für längstens 1 Jahr seit dem Unfallgeschehen nach sich gezogen hat. Für die während dieses Zeitraumes eingetretenen unfallbedingten materiellen Schäden des Klägers hat die Beklagte dem Grunde nach gemäß Art. 17 WA/HP einzustehen.

53. Darauf, daß ihre Haftung nach dieser Bestimmung zusätzlich das Vorliegen einer sogen, „luftfahrttypischen Kausalität“ (vgl. dazu Schönwerth TranspR 1992, 11 ff.; ders. in Geigel a.a.O. Rdz. 45) erfordere, beruft sich die Beklagte nicht. Vielmehr ist es der Kläger, der im Blick auf Haftungsbeschränkungen in den für den Luftverkehr geltenden Regeln mittels dieses Argumentes zur Anwendbarkeit nationalen Vertrags- und Deliktsrechts zu gelangen versucht. Auf diesem Weg ist ihm indes nicht zu folgen. Auch wenn man den von ihm vertretenen Standpunkt einnimmt, die Haftungsbestimmungen der Art. 17 ff. WA/HP regelten nur die Schadensersatzansprüche, die sich aus den dem Luftverkehr eigentümlichen Gefahren ergeben könnten (so BGH NJW 1979, 495 unter Verweisung auf Schoner ZLW 1977, 276), ist die Heranziehung dieser Vorschriften vorliegend nicht ausgeschlossen. Der Kläger selbst argumentiert damit, daß sich der Trolley während des Landeanfluges (Bl. 113 GA) oder in einer Phase des Sinkfluges (Bl. 453 GA) „selbständig“ gemacht habe, als die Neigung des Flugzeugrumpfes mehr als 4° betragen habe und eben damit auch zu rechnen gewesen sei. Von daher besteht ein innerer Zusammenhang mit den dem Luftverkehr eigentümlichen Gefahren, zu denen auch gehört, daß infolge von Flughöhenänderungen oder bedingt durch Turbulenzen nicht gesicherte Gegenstände sich innerhalb des Fluggastraumes in Bewegung setzen und Schaden anrichten können.

54. Die Beklagte meint, ein Haftungsausschluß folge aus Art. XV Ziff. 2. d) ABB. Auch diese Rechtsansicht teilt der Senat nicht. Die angezogene Vorschrift hat folgenden Wortlaut:

55. Wird ein Fluggast befördert, dessen Alter, geistiger oder körperlicher Zustand derart ist, daß die Beförderung eine Gefahr für ihn selbst darstellt, so haftet der Luftfrachtführer nicht für Personenschäden (einschließlich Tod), soweit sie durch diesen Zustand verursacht worden sind.

56. Wenngleich der Kläger einen Vorschaden an der Wirbelsäule hatte, besagt das doch nicht, daß die Beförderung als solche – das schädigende Ereignis hinweggedacht – eine Gefahr für ihn darstellte. Die Beklagte zeigt auch keine brauchbaren Anhaltspunkte dafür auf, daß die während des Fluges erlittene Distorsion der Halswirbelsäule „durch diesen Zustand“ – die gesundheitliche Vorschädigung – verursacht worden ist, eine gleichartige Verletzung nicht vielmehr jeder andere Passagier ebenso davongetragen hätte, der anstelle des Klägers Opfer des rückwärtigen Trolley-Anstoßes geworden wäre.

57. Greift der Haftungsausschluß gemäß Art. XV Ziff. 2. d) ABB aber nicht, soweit es um das unfallursächlich entstandene Grundleiden geht, erfaßt er ebensowenig die darauf zurückzuführenden seelisch bedingten Folgeschäden. Solche nämlich liegen beim Kläger vor und begründen einen Schadensersatzanspruch auch hinsichtlich der Verdiensteinbußen, die er später als ein Jahr nach dem schädigenden Ereignis zu verzeichnen gehabt hat.

58. Grundsätzlich erstreckt sich die Haftung des Ersatzpflichtigen auch auf die aus einer Körperverletzung oder Gesundheitsbeschädigung resultierenden Folgewirkungen, gleichviel, ob sie organisch oder psychisch bedingt sind (BGH NJW 1996, 2425; NJW 1993, 1523; NJW 1991, 2547, 2548; NJW 1986, 777 ff.). Stehen – vie hier – haftungsausfüllende Folgewirkungen von bei dem Unfall erlittenen körperlichen Verletzungen in Rede, die aufgrund psychischer Fehlverarbeitung zu psychosomatischen Beschwerden geführt haben, scheitert die Zurechnung solcher Schäden nicht daran, daß sie auf einer psychischen Prädisposition oder sonstwie auf einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen (vgl. BGH NJW 1996, 2425, 2426 m.w.N.). Nur in Fällen extremer Schadensdisposition kann eine Haftungsbegrenzung eintreten, was indes voraussetzt, daß das schädigende Ereignis ganz geringfügig ist (Bagatelle) und nicht gerade speziell die Schadensanlage des Verletzten trifft (BGH a.a.O.). Ist der Unfall lediglich Anlaß, latente innere Konflikte zu kompensieren, und flüchtet sich der Geschädigte in eine Neurose, die keinen inneren Bezug zu dem Unfallgeschehen mehr aufweist, sondern bei der sich dieses Geschehen als ein durch beliebige andere Ereignisse auswechselbarer Kristallisationspunkt für die neurotische Fehlverarbeitung darstellt, sind die psychischen Beeinträchtigungen nicht dem Schädiger zuzurechnen, sondern gehören zum allgemeinen Lebensrisiko des Verletzten, das dieser entschädigungslos zu tragen hat (vgl. nur BGH NJW 1993, 1523 und die dortigen Nachweise).

59. In Anwendung dieser Differenzierungsmaßstabe ist die bis in die Gegenwart andauernde Schmerzkrankheit des Klägers als eine psychisch vermittelte Folgewirkung des Unfalls vom 15.01.1992 zu bewerten, die dem Grunde nach der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten unterfällt.

60. Nach dem Ergebnis der neurologisch-psychiatrischen Begutachtung durch Herrn Prof. Dr. E. das dieser in seinen schriftlichen Ausführungen (Bl. 302 ff. GA) dargestellt und eingehend erläutert sowie in seiner mündlichen Anhörung (Bl. 420 ff. GA) bekräftigt und vertieft hat, unterliegt es nach Überzeugung des Senats keinem berechtigten Zweifel, daß es sich bei dem Kläger um einen wirklichen Schmerzkranken, nicht um einen Simulanten handelt. Für eine gegenteilige Annahme haben sich weder aus der Anamnese noch aus dem psychischen Befund irgendwelche Anhaltspunkte gewinnen lassen. In seiner mündlichen Befragung hat der Sachverständige unter Bezugnahme auf medizinische Fachliteratur ergänzend darauf hingewiesen, daß nach wissenschaftlichen Erkenntnissen der Rücken ein Austragungsort „psychischer Störungen“ sei, was ohne weiteres in das vom Kläger beschriebene Beschwerdebild paßt.

61. Daß diese Schmerzkrankheit ein seelisch vermittelter Folgeschaden des Unfalls vom 15.01.1992 ist, entnimmt der Senat aufgrund der ihm durch den Gutachter vermittelten Sachkunde den folgenden Umständen:

62. die Primärpersönlichkeit des Klägers weist zwanghafte Züge auf, die die Grundlage für die psychische Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens mit einem Trauma nur geringen Schweregrades bilden. Seine persönliche Vorgeschichte, in der er mehrfach Belastungssituationen ausgesetzt war, die er ohne Beeinträchtigung seiner sozialen Leistungsfähigkeit gemeistert hat, liefert keinen hinreichenden Anhalt dafür, daß jedes beliebige vom Kläger als traumatisierend empfundene Ereignis eine vergleichbare psychopathologische Fehlverarbeitung auszulösen geeignet gewesen wäre. Der Annahme, daß es sich bei dem Vorfall vom 15.01.1992 um ein akzidentielles, austauschbares Ereignis gehandelt haben könnte, stehen zudem dessen charakteristische Besonderheiten entgegen. Das dadurch hervorgerufene Trauma nämlich hat speziell die Schadensanlage des Klägers, seinen wohl sensibelsten, am stärksten vulnerablen Teil, die voroperierte Halswirbelsäule, betroffen. Dies geschah in einer freiberuflich herausgehobenen Situation, während eines Fluges im Gespräch mit seinem Techniker-Kollegen, und zwar durch einen überraschend von hinterrücks auftretenden Unfall, zu dem es aus Sicht des Klägers nur kommen konnte, weil vom Personal der Beklagten in unverantwortlicher Weise „geschlampt“ worden war. Vor dem Hintergrund der zwanghaften Persönlichkeitsstruktur des Klägers, die der Gutachter im einzelnen dargestellt hat, spricht alles dafür, daß gerade dieser Unfall mit seinen individuellen Merkmalen geschehen mußte, um die psychische Fehlverarbeitung auszulösen und zu der Schmerzkrankheit zu führen. Davon, daß sich insoweit nur das allgemeine Lebensrisiko des Klägers verwirklicht hat, was von der Beklagten zu beweisen wäre (BGH NJW 1986, 777, 779), kann nach alledem nicht ausgegangen werden.

63. Die somit dem Grunde nach zu bejahende Haftung der Beklagten gemäß Art. 17 WA/HP für der materiellen Schaden des Klägers, der ihm infolge der am 15.01.1992 erlittenen körperlichen Verletzung und der dadurch verursachten psychisch vermittelten Schmerzkrankheit entstanden ist, unterliegt nicht der summenmäßigen Beschränkung nach Art. 22 WA/HP. Art. 25 WA/HP nämlich bestimmt, daß die in Art. 22 WA/HP vorgesehenen Haftungsbeschränkungen nicht gelten, wenn nachgewiesen wird, daß der Schaden durch eine Handlung oder Unterlassung des Luftfrachtführers oder seiner Leute verursacht worden ist, die entweder in der Absicht, Schaden herbeizuführen, oder leichtfertig und in dem Bewußtsein begangen wurde, daß ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde.

64. Im Fall einer Handlung oder Unterlassung der Leute ist außerdem zu beweisen, daß diese in Ausführung ihrer Verrichtungen gehandelt haben.

65. Danach greift eine unbegrenzte Einstandspflicht des Luftfrachtführers dann Platz, wenn – von Vorsatztaten abgesehen – ein Fall besonders qualifizierter Fahrlässigkeit gegeben ist. Erforderlich dafür ist, daß er oder seine „Leute“ sich in besonders krasser Weise über die Sicherungsinteressen der ihnen anvertrauten Personen oder Güter hinweggesetzt haben (BGH NJW 1982, 1218), daß ein grob fahrlässiges Verhalten zu konstatieren ist, bei dem eine auf der Hand liegende Sorgfaltspflicht außer Betracht gelassen wird (BGHZ 74, 162, 168). Hinzutreten muß das Bewußtsein des wahrscheinlich zu erwartenden Schadenseintritts. Eine solche Erkenntnis als innere Tatsache ist dann anzunehmen, wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und den auslösenden und begleitenden Umständen diese Folgerung recht fertigt, wobei ein solches Bewußtsein eher naheliegen kann, wenn es um Schäden an Leib und Leben geht, als wenn bloße Sachschäden drohen (BGHZ 74, 162, 168 f.).

66. Diese tatbestandlichen Anforderungen an den Eintritt einer summenmäßig unbegrenzten Haftung des Luftfrachtführers sind im Streitfall als erfüllt anzusehen.

67. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme muß davon ausgegangen werden, daß der Anstoß, während sich das Flugzeug in einem angekündigten Sinkflug befand, durch einen unbeaufsichtigt im Gang stehengelassenen beladenen Getränkewagen erfolgt ist.

68. So hat es der Zeuge S. in seiner detailreichen, in sich geschlossenen Aussage bekundet. Er hat eingeräumt, nicht gesehen zu haben, was genau sich in dem Trolley befand. Sicher war er sich aber, vor dem Anstoß ein Klirren gehört zu haben und ausschließen zu können, daß es sich um einen zum Sammeln von Abfällen bestimmten sogen. „Geländewagen“ gehandelt habe. Da eine andere Alternative von der Beklagten nicht dargetan und auch nicht ohne weiteres ersichtlich ist, bleibt den Angaben des Zeugen S. zufolge nur der Schluß übrig, daß es ein mindestens teilweise befüllter Getränkewagen war, der gegen den Sitz des Klägers gerollt ist.

69. Nach Inhalt und Aussageverhalten besteht kein Anlaß, Glaubhaftigkeit oder Glaubwürdigkeit der Angaben bzw. des Zeugen S. in Zweifel zu ziehen. Auch die teilweise anderslautenden Erklärungen der im Strafverfahren gehörten Mitarbeiter der Beklagten begründen diesbezügliche Vorbehalte nicht.

70. Wenn Frau K. im Verhandlungstermin vom 25.01.1994 sich über ihren Verteidiger dahin eingelassen hat, daß sie, nachdem sich der fragliche Vorfall zugetragen hatte, einen leeren Getränkewagen im Gang stehend vorgefunden habe (BA Bl. 96 R), so ist dem gegenüberzustellen ihre im Verhandlungstermin vom 15.11.1994 auf Befragen persönlich abgegebene Erklärung, nicht sagen zu können, ob es ein Müll-Trolley gewesen sei oder nicht (BA Bl. 178). Diese in sich widersprüchlichen Angaben sind nicht geeignet, die Richtigkeit der von dem Zeugen S. bekundeten Wahrnehmung nachhaltig in Frage zu stellen. Die Zeugen T. und W. sind weder Augenzeugen des eigentlichen Unfalls gewesen noch haben sie den fraglichen Trolley in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang damit in Augenschein genommen. Der Zeuge T. will ihn sich lediglich später von Frau K. haben zeigen lassen, über andere Feststellungen als die, daß es sich um einen halfsize-Trolley gehandelt habe (BA Bl. 178), hat er nichts berichtet.

71. Legt man der Beurteilung die von dem Zeugen S. wiedergegebenen Wahrnehmungen zugrunde, kann es sich bei dem unfallverursachenden Gefährt nicht um den für eine Benutzung auf dem Kurzstreckenflug nicht eingeplanten und deswegen leer und ordnungsgemäß gesichert in der Box abgestellten Trolley gehandelt haben, der sich sozusagen „schicksalhaft“ aus seiner Verankerung gelöst hat und gegen den Sitz des Klägers gerollt ist.

72. War nämlich der Wagen befüllt, handelte es sich offenkundig um einen im Einsatz befindlichen; denn die Beklagte trägt selbst vor, daß der für den Service nicht vorgesehene Trolley leer abgestellt worden sei. Das wiederum läßt dann aber nur den Rückschluß zu, daß der zum Einsatz gekommene Trolley nur deswegen von seinem Standort im Gang gegen den Sitz des Klägers rollen konnte, weil er dort von „Leuten“ der Beklagten unbeaufsichtigt und ungesichert zurückgelassen worden war. Eine andere Möglichkeit zeichnet sich nicht ab.

73. Ein unbefugter Zugriff eines Mitpassagiers auf einen gesichert in der Box belassenen Trolley käme nur in Betracht, wenn noch nicht alle Getränkewagen, die für einen Einsatz vorgesehen waren, von „Leuten“ der Beklagten aus der Box hervorgeholt gewesen wären. Auf einen solchen Sachverhalt weist aber nichts hin. Nach der Erinnerung des Zeugen T. soll der Zwischenfall passiert sein, während der Service im Gange war (BA Bl. 171). Der Zeuge S. wußte zu berichten, daß er und der Kläger im Zeitpunkt des Anstoßes ein Getränk in Händen hielten, woraus zu entnehmen ist, daß ihnen zuvor bereits serviert worden war. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte, die auch von der mit den Abläufen an Bord vertrauten Beklagten nicht aufgezeigt werden, ist davon auszugehen, daß ihre „Leute“ den befüllten Service-Wagen in Benutzung genommen hatten und auch für dessen Verbringung an den Standort verantwortlich zeichneten, von dem aus „das Unheil seinen Lauf nahm“.

74. Darüber, daß es gegen Dienstanweisungen verstößt, einen beladenen Getränkewagen unkontrolliert und ungesichert im Fahrgastraum stehenzulassen, sind die Parteien einig. Dieses Verhalten füllt unter den hier gegebenen Umständen zugleich den Vorwurf einer groben Fahrlässigkeit aus.

75. Den Bekundungen des Zeugen S. zufolge, an denen aus den dargelegten Gründen die Bewertung festzumachen ist, befand sich die Maschine im Sinkflug. Dieser war zuvor angekündigt worden. Der Trolley blieb dessen ungeachtet unbeaufsichtigt und ungesichert im Fahrgastraum stehen, dies auch nicht etwa nur für einen kurzen Moment, vielmehr soll ein mehrfaches Klingeln notwendig gewesen sein, bevor eine der Flugbegleiterinnen in der Economy-Class erschien. Ob dies nun 5-10 Min. gedauert hat, wie von dem Zeugen geschätzt, oder etwas weniger, ist ohne Belang für die Feststellung, daß der ungesichert im Gang stehende Trolley eine geraume Weile ohne jedwede Kontrolle war, während sich die Maschine im Sinkflug befand. Dieses Zurücklassen des Trolleys stellt unter den gegebenen Umständen einen krassen Verstoß gegen auf der Hand liegende Sorgfaltspflichten dar.

76. Angesichts der bevorstehenden angekündigten Flughöhenänderung mit einer entsprechenden Neigung der Maschine, der geringen Entfernung zwischen dem Abstellort des Trolleys und den benachbarten Sitzen der Passagiere, der von dem Zeugen T. bekundeten „Leichtgängigkeit“ der Wagen (BA Bl. 169), die auch den übrigen Flugbegleitern nicht verborgen geblieben sein kann, dessen nicht unbeträchtlichen Eigengewichtes und der auf einer „schiefen Ebene“ zu erreichenden Beschleunigung ist die Folgerung gerechtfertigt, daß derjenige, der dennoch derart leichtfertig gegen einfachste und jedermann ohne weiteres einleuchtende Sorgfaltspflichten zum Schutz der Passagiere vor gesundheitlicher Schädigung verstößt, das Bewußtsein eines wahrscheinlich eintretenden Schadens hat.

77. Daß die „Leute“ der Beklagten beim Benutzen, Abstellen und Sichern der Getränkewagen in Ausführung ihrer Verrichtungen gehandelt haben, ist zu bejahen.

78. Darauf, ob anstatt der Art. 22/25 WA/HP die in den Beförderungsbedingungen enthaltenen Haftungsbestimmungen anzuwenden sein könnten, braucht nicht weiter eingegangen zu werden.

79. Auch die darin geregelten Haftungsbegrenzungen gelten unter den in Art. XV Ziff. 2. b) ABB genannten Voraussetzungen nicht, die jedenfalls keine strengeren Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten stellen als Art. 25 WA/HP.

80. Liegt aber ein Anwendungsfall des Art. 25 WA/HP vor, dann hat der Verletzte auch Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens. Dies ergibt sich aus dem Gesetz zur Durchführung des Ersten Abkommens zur Vereinheitlichung des Luftprivatrechts vom 15.12.1933 (RGBl. I 1079), dessen §1 Abs. 1 besagt:

81. Bei Tötung, Körperverletzung oder Gesundheitsbeschädigung von Reisenden bestimmen sich der Kreis der Ersatzberechtigten, der Gegenstand der Ersatzpflicht und die Art der Ersatzleistung in den Fällen des Artikels 17 des Ersten Abkommens zur Vereinheitlichung des Luftprivatrechts nach den §§21, 22 und 24 des Luftverkehrsgesetzes, in den Fällen des Artikels 25 nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

82. Da damit allgemein auf §§823 ff. BGB verwiesen ist, ist der Nichtvermögensschaden (Schmerzensgeld) ebenfalls zu ersetzen (vgl. Schönwerth in Geigel a.a.O. 29. Kap. Rdz. 69).

83. Somit erweisen sich die auf Leistung gerichteten Klageansprüche dem Grunde nach als gerechtfertigt.

84. Die Entscheidung darüber, inwieweit die gesundheitlichen Vorschädigungen des Klägers oder eine besondere Schadensanfälligkeit anspruchsmindernd zu berücksichtigen sind, bleibt dem Betragsverfahren vorbehalten.

85. Prozessuale Nebenentscheidungen sind nicht veranlaßt.

86. Gegenstandswert für dieses Grundurteil: DM 164.737,58.

87. Wert der Beschwer für die Beklagte: über DM 60.000,00.

Fragen zu diesem Urteil? Diskutiere in unserem Forum.

Fragen & Antworten zum Thema

Fragen & Antworten zum Thema: Haftung der Fluggesellschaft für Körperverletzung

Verwandte Entscheidungen

OLG Frankfurt, Urt. v. 16.04.2014, Az: 16 U 170/13
AG Bad Homburg, Urt. v. 29.10.2002, Az: 2 C 331/02

Berichte und Besprechungen

Forum Fluggastrechte: Haftung der Fluggesellschaft bei einer Körperverletzung
Passagierrechte.org: Haftung der Fluggesellschaft

Rechtsanwälte für Reiserecht

Hilfe bei rechtlichen Fragen: Rechtsanwälte für Reiserecht oder Rechtsanwälte für Fluggastrechte.