Verweigerung der Beförderung wegen Thrombose-Gefahr bei einem Fluggast
AG Bad Homburg: Verweigerung der Beförderung wegen Thrombose-Gefahr bei einem Fluggast
Die Klägerin brach sich während eines Ägyptenurlaubs das Sprunggelenk. Den kurz danach angesetzten Rückflug verweigerte ihr die Fluggesellschaft, wegen eines erhöhten Thrombose-Risikos. In der Folge mussten die Klägerin und ihr Ehemann eine weitere Woche im Urlaubsort verbringen. Sie verlangt nun die Erstattung der, durch die Beförderungsverweigerung entstandenen, Mehrkosten und eine Entschädigung für ihren Verdienstausfall.
Das Amtsgericht Bad Homburg hat zu Ungunsten der Klägerin entschieden. Bei entsprechender Begründung habe die Fluggesellschaft ein Leistungsverweigerungsrecht. Die daraus anfallenden Kosten habe die Airline nicht zu tragen.
AG Bad Homburg | 2 C 331/02 (Aktenzeichen) |
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AG Bad Homburg: | AG Bad Homburg, Urt. vom 29.10.2002 |
Rechtsweg: | AG Bad Homburg, Urt. v. 29.10.2002, Az: 2 C 331/02 |
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Leitsatz:
2. Luftfahrtunternehmen kann Leistung bei medizinischem Risiko verweigern
Zusammenfassung:
3. Während eines Ägyptenurlaubs bricht sich eine Urlauberin das Sprunggelenk. Einen frischen Gipsverband tragend, erfährt sie von einer Mitarbeiterin ihrer Airline, dass sie wegen eines erhöhten Thromboserisikos nicht befördert werden könne. In der Folge müssen die Urlauberin und ihr Ehemann weitere 7 Tage im Urlaubsort verbringen.
In Deutschland angekommen verlangt die Klägerin nun die für sie entstandenen Mehrkosten von der Airline erstattet. Zudem fordert sie eine Ausgleichszahlung wegen eines 7-tägigen Verdienstausfalls.
Das Amtsgericht Bad Homburg hat den Ausführungen der Klägerin widersprochen. Ein Luftfrachtführer könne die Beförderung eines Fluggastes, der wegen eines Bruchs einen frischen Gipsverband am Bein trägt und daher nicht in der Lage ist, sich während eines Langstreckenfluges im Flugzeug zu bewegen, verweigern, weil bei dem Fluggast ein erhebliches Risiko einer Thrombose-Erkrankung besteht.
Dem nicht beförderten Fluggast stünden dann keine Schadenersatzansprüche gegen die Airline zu.
Aus den, in ihren Chartervertrag einbezogenen Allgemeinen Beförderungsbedingungen ergebe sich, dass der Airline ein Leistungsverweigerungsrecht zustehe, sofern die körperliche Verfassung des Fluggastes dies erfordere.
Die Beklagte habe sich folglich nicht objektiv pflichtwidrig verhalten.
Tenor:
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
5. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen nicht ordnungsgemäßer Luftbeförderung in Anspruch.
6. Die Klägerin und ihr Ehemann hielten sich Anfang Oktober 2001 in Ägypten auf und beabsichtigten, am 16.10.2001 nach Deutschland zurückzufliegen. Zu diesem Zweck hatten sie von der Firma … auf den Reiseveranstalter … ausgestellte Flugtickets (Bl. 8 d. A.) erworben. Der Flug sollte von der Beklagten durchgeführt werden. Die Klägerin, die sich am 10.10.2001 in Ägypten ihr oberes linkes Sprunggelenk gebrochen hatte, wandte sich vor dem 16.10.2001 an die ägyptische Geschäftsstelle der … und erkundigte sich dort über Möglichkeiten der Erleichterungen ihres Flugtransports mit dem vorhandenen Gipsverband. Die dortige Mitarbeiterin der …, Frau … eröffnete ihr daraufhin, daß die Beklagte eine Mitnahme der Klägerin mit einem frischen Gipsverband aus Sicherheitsgründen ablehne. Die Klägerin und ihr Ehemann nahmen daraufhin am Flug vom 16.10.2001 nicht teil. Sie erwarben statt dessen über die … Reisegesellschaft zwei weitere, von der Beklagten ausgegebene Flugtickets (Bl. 25 d. A.) für einen Flug nach Deutschland am 23.10.2001. Die Klägerin setzte sich wiederum kurz vor dem Abflugtermin mit Frau … in Verbindung, die ihr diesmal mitteilte, daß die Beklagte sie nur befördern würde, wenn sie zuvor ihren Gipsverband vollständig aufschneiden ließe. Diesem Ansinnen kam die Klägerin nach und wurde gemeinsam mit ihrem Ehemann am 23.10.2001 von der Beklagten nach Deutschland geflogen. Dort angekommen begab sie sich in ein Krankenhaus, wo festgestellt wurde, daß ihr Sprunggelenk nicht ordnungsgemäß zusammengewachsen war. Die Stelle mußte erneut gebrochen werden, was zu einem stationären Aufenthalt der Klägerin bis zum 02.11.2001 führte.
7. Die Klägerin behauptet, daß ein Mitarbeiter der Beklagten auf dem Flughafen in … habe Frau … auf deren Anfrage vor dem 16.10.2001 ausdrücklich erklärt, daß die Beklagte die Klägerin mit einem unter 10 Tage alten Gipsverband keinesfalls mitfliegen lassen werde. Ein Mitarbeiter der Beklagten habe Frau … desweiteren am Abend vor dem Rückflug am 23.10.2001 erklärt, daß die Klägerin nur mitgenommen werden würde, wenn sie sich zuvor ihren Gipsverband aufschneiden lasse. Die vorzeitige Öffnung des Gipsverbandes habe dazu geführt, dass das Sprunggelenk der Klägerin nicht ordnungsgemäß zusammengewachsen ist.
8. Die Klägerin begehrt mit vorliegender Klage Ersatz der Kosten für die in Ägypten erworbenen Flugtickets von 306,77 EUR und des Verdienstausfalls ihres Ehemannes für die Zeit vom 16.10.2001 bis zum 23.10.2001 von 613,55 EUR, Ersatz der Kosten für die Beschäftigung einer Ersatzkraft in der von ihr betriebenen Lottoannahmestelle für die Zeit vom 17.10.2001 bis 17.01.2002 von 975,– EUR bzw. 511,29 EUR sowie die Zahlung eines Schmerzensgeldes von 2.045,18 EUR.
10. die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.339,85 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2001 zu zahlen.
13. Sie stellt ihre Passivlegitimation in Abrede und behauptet, sie beschäftige keine eigenen Mitarbeiter in Ägypten und habe es zu keiner Zeit abgelehnt, die Klägerin mit ihrem Gipsverband zu befördern.
14. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
15. Die Klage ist unbegründet.
16. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der Kosten für die Beschaffung der beiden Tickets für den Flug von Ägypten nach Deutschland am 23.10.2001 in Höhe von 306,77 EUR aus § 325 Abs. 1 BGB. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin scheitert zwar entgegen der Ansicht der Beklagten nicht bereits an ihrer fehlenden Passivlegitimation, da der zwischen ihr und dem Reiseveranstalter … abgeschlossene Chartervertrag betreffend den Flug vom 16.10.2001 als Vertrag zugunsten der den Flug antretenden Reisenden im Sinne von § 328 BGB anzusehen ist, aus dem der Klägerin ein eigener Anspruch gegen die Beklagte auf Beförderung erwachsen ist (vgl. BGH NJW 85, 1457). Die Beklagte haftet der Klägerin jedoch nicht wegen der Nichterfüllung ihres Beförderungsanspruchs, da die Beklagte – den Vortrag der Klägerin zu ihrer Zurückweisung durch Mitarbeiter der Beklagten als zutreffend unterstellt – sich dabei nicht objektiv pflichtwidrig verhalten hat. Der Beklagten stand nämlich gegenüber dem Anspruch der Klägerin auf Flugbeförderung am 16.10.2001 ein Leistungsverweigerungsrecht zu, das sich aus ihren in den Chartervertrag mit der … einbezogenen Allgemeinen Beförderungsbedingungen ergibt. Dort heißt es auf Seite 25 ausdrücklich, daß die Beklagte berechtigt ist, die Beförderung eines Fluggastes zu verweigern, wenn dessen körperliche Verfassung dies erfordert. Ein solcher Fall war vorliegend gegeben.
17. Die Klägerin hatte sich erst am 10.10.2001 in Ägypten ihr oberes linkes Sprunggelenk gebrochen und trug dementsprechend einen frischen Gipsverband mit der Folge, daß sie während des ca. fünfstündigen Fluges am 16.10.2001 nicht in der Lage gewesen wäre, sich im Flugzeug zu bewegen. Damit bestand für die Klägerin ein ernsthaftes Risiko einer Thromboseerkrankung während des Flugs. Es gilt nämlich als medizinisch gesichert, daß das Thromboserisiko auf Langstreckenflügen wesentlich ansteigt, was auf den geringen Luftdruck in der Flugzeugkabine in großer Flughöhe und die geringere Luftfeuchtigkeit, die nur 20 bis 30 % des durchschnittlichen Wertes am Boden entspricht, zurückzuführen ist. Diese beiden Faktoren begünstigen eine Verdickung des Blutes, was zu einer verstärkten Gefährdung von älteren Fluggästen, Schwangeren, Rauchern oder frisch Operierten führen kann. Soweit die Klägerin vorgebracht hat, eine Thrombosegefahr habe in ihrem Fall wegen der Möglichkeit des Hochlegens des Beins und der Einnahme von Medikamenten nicht bestanden, kann es hierauf nicht ankommen. Für den Luftfrachtführer eines Charterflugs ist die Flugbeförderung ein Massengeschäft, das seinem Wesen nach – gerade auch unter der Berücksichtigung seiner Preiskalkulation – eine eingehende Prüfung eines jeden einzelnen Falles im Hinblick auf vorliegende Beförderungshindernisse ausschließt. Der Luftfrachtführer wäre überfordert, würde man von ihm verlangen, die Konstitution eines jeden Fluggastes, der trotz offensichtlicher Gebrechen auf einer Flugbeförderung beharrt, bis ins einzelne unter Hinzuziehung ärztlicher Beratung zu überprüfen. Er muß vielmehr nach Treu und Glauben die Möglichkeit haben, eine abstrakt-typisierende Betrachtungsweise anzustellen und jeden Fluggast, der objektiv an einem Gebrechen leidet, das erhebliche Gesundheitsrisiken im Falle der Flugbeförderung mit sich zu bringen geeignet ist, von der Luftbeförderung auszuschließen. Unter Zugrundelegung dieser Prämisse war die Beklagte befugt, eine Beförderungsverweigerung auszusprechen, so daß die von der Klägerin behauptete Zurückweisung durch die Beklagte nicht pflichtwidrig gewesen wäre.
18. Da es an einer Pflichtverletzung der Beklagten im Zusammenhang mit dem Flug vom 16.10.2001 fehlt, steht der Klägerin auch kein Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfallschadens ihres Ehemannes für die Zeit nach dem 16.10.2001 aus abgetretenem Recht zu.
19. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der Kosten für die Beschäftigung einer Ersatzkraft für die von ihr betriebene Lottoannahmestelle für einen Zeitraum von drei Monaten in Höhe von 975,– EUR bzw. 511,29 EUR. Ein Anspruch bis zum 01.11.2001 steht der Klägerin bereits deshalb nicht zu, da jegliche von ihr behaupteten Pflichtverletzungen der Beklagten für die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bis zum 01.11.2001 nicht kausal gewesen wären, da sie nach ihrem eigenen Vortag den am 10.10.2001 erhaltenen Gipsverband ohnehin drei Wochen bis zur Ausheilung ihres Bruchs hätte tragen müssen.
20. Für die Zeit danach vermag sich die Klägerin nicht auf eine Schlechterfüllung des Luftbeförderungsvertrages betreffend den Flugtransport vom 23.10.2001 berufen. Durch den Erwerb zweier auf die Beklagte ausgestellten Flugtickets über die … Reisegesellschaft als Vermittler ist insoweit zwar ein Luftbeförderungsvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten zustande gekommen. Ihr steht jedoch kein Anspruch aus positiver Forderungsverletzung dieses Vertrages zu. Die Klägerin hat zwar schlüssig dargetan, daß ihre Arbeitsunfähigkeit bis Januar 2002 auf den erneuten Bruch ihres Sprunggelenks am 24.10.2001 zurückzuführen ist und dieser wiederum adäquat kausal auf der verfrühten Öffnung des Gipsverbandes in Ägypten aufgrund einer Äußerung eines Mitarbeiters der Beklagten beruhte, wonach die Klägerin ohne Öffnung des Gipsverbandes von der Beklagten am 23.10.2001 nicht befördert werden würde. Die Klägerin hat jedoch nicht substantiiert dargelegt, daß die von dem Mitarbeiter der Beklagten getätigte Äußerung eine der Beklagten zuzurechnende Pflichtverletzung darstellt. Eine solche wäre nur dann gegeben, wenn der besagte Mitarbeiter der Beklagten deren Erfüllungsgehilfe im Sinne von § 278 BGB gewesen wäre. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Mitarbeiter im Organisationsbereich der Beklagten an einer Stelle eingesetzt gewesen wäre, wo es zu seinem von der Beklagten übertragenen Aufgabenkreis gehört hätte, entweder Entscheidungen über die Mitnahme von Flugreisenden zu treffen, deren Beförderung ein Hindernis entgegenstehen könnte, oder wenigstens Auskünfte darüber zu erteilen, unter welchen Voraussetzungen die Beklagte die Mitnahme eines Reisenden ablehnen würde. Ob diese Bedingungen auf den Mitarbeiter der Beklagten zutreffen, mit dem die Mitarbeiterin der … Frau …, telefoniert haben soll, läßt sich dem Vortrag der Klägerin nicht einmal ansatzweise entnehmen. So vermochte sie bei ihrer Befragung im Termin lediglich zu sagen, daß Frau … eine entsprechende Information von der … erhalten habe, wobei der Klägerin noch nicht einmal bekannt war, ob es sich hierbei um die … in Deutschland oder um Mitarbeiter der … auf dem Flughafen in … gehandelt haben soll. Ein derart vager Vortrag zur Person des von Frau … Befragten läßt indessen keinerlei Rückschlüsse darauf zu, ob es sich hierbei um einen Erfüllungsgehilfen der Beklagten in vorgenanntem Sinne gehandelt hat.
21. Aus denselben Gründen ist auch die Verrichtungsgehilfeneigenschaft des Befragten nicht dargetan, so daß auch eine Haftung der Beklagten aus §§ 831, 847 BGB auf Schmerzensgeld nicht besteht.
22. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
23. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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