Fluggastrechte bei Annullierung
AG Königs Wusterhausen: Fluggastrechte bei Annullierung
Die Kläger begehrten eine Ausgleichszahlung wegen der Annullierung ihres Fluges nach Mallorca. Das Gericht wies die Klage ab, da es die ursächliche Überlastung des Luftraumes in Folge eines Streiks der französischen Fluglotsen als außergewöhnliche Umstände anerkannte.
AG Königs Wusterhausen | 4 C 1350/16 (2) (Aktenzeichen) |
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AG Königs Wusterhausen: | AG Königs Wusterhausen, Urt. vom 02.02.2017 |
Rechtsweg: | AG Königs Wusterhausen, Urt. v. 02.02.2017, Az: 4 C 1350/16 (2) |
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Leitsatz:
2. Luftraumüberlastung aufgrund Fluglotsenstreiks stellt einen außergewöhnlichen Umstand dar.
Zusammenfassung:
3. Die Kläger hatten bei der Beklagten einen Flug von Berlin-Schönefeld nach Palma de Mallorca gebucht. Weniger als 24 Stunden vor dem Abflug wurden sie über dessen ersatzlose Annullierung informiert. Hierfür begehrten sie eine Ausgleichszahlung gemäß der europäischen Fluggastrechteverordnung.
Die beklagte Fluggesellschaft berief sich auf eine Überlastung des Luftraums in Folge des Streiks französischer Fluglotsen. Das Amtsgericht Königs Wusterhausen folgte dieser Argumentation und wies die Klage ab, da bei Annullierung aufgrund außergewöhnlicher Umstände keine Ausgleichsleistung geschuldet wird.
Tenor:
Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 1.685,50 € festgesetzt.
Tatbestand:
5. Die Parteien streiten um Ausgleichs- und Schadensersatzansprüche wegen der Annullierung eines Fluges von Schönefeld nach Palma de Mallorca.
6. Die Kläger verlangen die Leistung von Ausgleichszahlungen in Höhe von 800,00 € pro Person nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (nachfolgend: Fluggastrechteverordnung oder Verordnung) zuzüglich entstandener Stornokosten in Höhe von 85,50 €.
7. Die Klägerin zu 1.) buchte am 06.01.2016 bei der Beklagten für beide Kläger eine Flugreise von Schönefeld (SXF) nach Palma de Mallorca (PMI) und zurück zu einem Gesamtpreis von 124,40 €. Der Hinflug mit der Flugnummer FR 110 sollte am Dienstag, 26.01.2016 um 11.00 Uhr in Schönefeld starten, planmäßige Ankunft in Mallorca war um 13.35 Uhr. Tatsächlich wurde dieser Flug annulliert. Der gebuchte Rückflug mit der Flugnummer FR 111 startete am Donnerstag, 28.01.2016 in Mallorca um 14.10 Uhr; die Landung in Schönefeld erfolgte planmäßig um 17.10 Uhr. Die Kläger traten zum Rückflug nicht an.
8. Am 25.01.2016 erhielt die Klägerin zu 1.) von der Beklagten um 16.08 Uhr eine SMS und um 17.10 Uhr eine E-Mail mit der Mitteilung, dass der Hinflug am 26.01.2016 ersatzlos gestrichen worden sei und sie daher zwischen einer Umbuchung des Hinfluges oder einer Kostenrückerstattung wählen könne (Anlage K 7; Bl. 79 d. A.). Die Klägerin fragte bei der Beklagten um 19.05 Uhr per E-Mail nach dem Grund für die Stornierung des Fluges und nach Umbuchungsmöglichkeiten für den 26.01.2016 (Anlage K 7). Eine Antwort erhielt sie nicht. Die Beklagte war zunächst auch telefonisch nicht erreichbar und der Live-Chat zeigte Wartezeiten von mehr als zwei Stunden an. Im Live-Chat bot später ein Mitarbeiter der Beklagten eine Umbuchung des Fluges auf den 30.01.2016 an. Zu einer Umbuchung der Kläger auf eine andere Fluggesellschaft, ggf. auch von einem anderen deutschen Flughafen, war die Mitarbeiterin der Beklagten nicht bereit. Da die Kläger keine Möglichkeit hatten, einen passenden Hinflug zu finden, der mit dem kurzfristigen Rückflugtermin kompatibel gewesen wäre, nahmen sie sodann von der Flugreise insgesamt Abstand. Sie stornierten den von ihnen auf Mallorca vorgebuchten Mietwagen kostenfrei. Für die Stornierung der gebuchten Unterkunft musste die Klägerin zu 1.) Stornokosten in Höhe von 78,00 € tragen. Für die am 25.01.2016 um 19.20 Uhr erfolgte Stornierung der Bahnfahrt von Dresden nach Schönefeld wendete die Klägerin zu 1.) weitere 17,50 € auf.
9. Mit Schreiben vom 10.02.2016 meldeten die Kläger durch ihren Prozessbevollmächtigten bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch in Höhe von 1.819,90 € an und setzten ihr eine Zahlungsfrist bis spätestens zum 24.02.2016 (Anlage K 5; Bl. 16 d. A.). Am 19.02.2016 erstattete die Beklagte den Klägern den Gesamtflugpreis in Höhe von 124,40 €. Mit Schreiben vom gleichen Tag an die Klägerin zu 1.) lehnte die Beklagte weitergehende Ansprüche ab und wies darauf hin, dass die Streichung des Fluges aufgrund eines Streiks der französischen Fluglotsen erfolgt sei und sie hierfür keine Verantwortlichkeit treffe (Anlage K 6; Bl. 17 d. A.). Zwischen den Parteien ist es im Laufe des Rechtsstreits unstreitig geworden, dass die Beklagte den Flug FR 110 am 26.01.2016 wegen einer Überlastung des französischen Luftraums infolge eines Streiks der Fluglotsen gestrichen hat. Aufgrund dieses Streiks, der vom 25.01.2016 um 8.00 Uhr UTC bis zum 27.01.2016 um 5.00 UTC andauerte, ist durch die Organisation zur zentralen Koordination der Luftverkehrskontrolle in Europa (Eurocontrol) am 25.01.2016 die Notice to Airmen (NOTAM) F0109/16 an alle Fluggesellschaften ergangen, dass am 26.01.2016 zwischen 5.00 Uhr und 23.00 Uhr von ihnen 20 % aller Flüge zu streichen sind, bei denen ein Überflug französischen Luftraums erfolgen sollte (Anlage B 2; Bl. 60 d. A.). Die Beklagte hat daher von den ursprünglich 1.373 Flügen, die am 26.01.2016 durchgeführt werden sollten, nach eigenem näher dargelegten Ermessen zur Sicherstellung einer zuverlässigen Flugplanung mit Einhaltung der maximalen Dienstzeit der jeweils eingesetzten Crew insgesamt 238 Flüge gestrichen – darunter auch den streitgegenständlichen Flug, den zugehörigen Rückflug FR 111 und drei weitere Flüge von Schönefeld zu anderen Destinationen (Anlage B 3; Bl. 61 ff. d. A.). Wegen der Einzelheiten für den Flug FR 110 wird auf die unbestritten gebliebenen Darlegungen der Beklagten in dem Schriftsatz vom 04.01.2017 Bezug genommen.
10. Die Kläger sind der Ansicht, die Beklagte sei nach der Fluggastrechteverordnung dazu verpflichtet, ihnen für den Hin- und Rückflug angesichts der unstreitigen Flugstrecke mit einer Länge von 1.632,21 km für jede Flugstrecke jeweils eine Entschädigung in Höhe von 400,00 € zahlen. Außerdem schulde sie nach Art. 12 Abs. 1 der Verordnung in Verbindung mit § 280 BGB Schadensersatz für die in Rechnung gestellten Stornokosten in Höhe von 85,50 €. Schließlich sei die Beklagte auch dazu verpflichtet, die Kläger von ihren notwendigen außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten freizustellen. Soweit sich die Beklagte gegen die Ansprüche der Kläger auf „höhere Gewalt“ berufe, sei sie hierzu nicht berechtigt, da sie keine ausreichenden Unterstützungsleistungen erbracht habe. Insbesondere habe sie nicht nachgewiesen, dass sie alles ihr Zumutbare dafür getan habe, dass die Kläger ihre gebuchte Reise hätten antreten können.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1.) 885,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 20.02.2016 zu zahlen,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 2.) 800,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 20.02.2016 zu zahlen,
die Beklagte zu verurteilen, die Kläger zu 1.) und 2.) von einer Forderung seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe von 240,00 € (1,3 Geschäftsgebühr gemäß § 13, 14 Nr. 2300 VV RVG – Gebührenerhöhung Nr. 1008 VV RVG um 0,3 wegen 2 Auftraggebern -) zuzüglich Auslagenpauschale in Höhe von 20,00 € ausgehend von einem vorgerichtlichen Streitwert in Höhe von 1.819,90 € freizuhalten.
die Klage abzuweisen.
13. Die Beklagte ist der Auffassung, den Klägern keine Ausgleichszahlungen nach Art. 7 der Verordnung zu schulden. Ein Anspruch auf Ausgleichszahlungen sei durch Vorliegen außergewöhnlicher Umstände gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung ausgeschlossen. Eine Ausgleichszahlung für den Rückflug müsse bereits ausscheiden, da dieser von ihr planmäßig durchgeführt worden sei. Mangels Verschulden der Beklagten kämen auch Schadensersatzansprüche nicht in Betracht.
14. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe:
15. Die zulässige Klage ist unbegründet.
16. Die Kläger haben gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf die begehrten Ausgleichszahlungen noch auf Schadensersatz.
17. Den Klägern steht für den stornierten Flug vom 26.01.2016 kein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 400,00 € nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b), Art. 5 Abs. 1 Buchst. c) der Verordnung zu.
18. a) Zwar mussten die Reisenden bei dem Flug FR 110 von Schönefeld (SXF) nach Palma de Mallorca (PMI) am 26.01.2016 eine Flugannullierung durch die Beklagte hinnehmen, was grundsätzlich einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung begründet. Auch ein Ausnahmetatbestand nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c) der Verordnung liegt angesichts der ausgesprochen kurzen Unterrichtungsfrist – in diesem Fall wurde den Klägern die Annullierung ihres Fluges erst weniger als 24 Stunden vor dem planmäßigen Abflug mitgeteilt – und des fehlenden Angebots einer anderweitigen Beförderung im zeitlichen Rahmen des Buchstaben c) iii) nicht vor.
19. b) Eine Ausgleichzahlung nach Art. 7 der Verordnung ist jedoch gemäß Art. 5 Abs. 3 ausgeschlossen, da die Beklagte in diesem Rechtsstreit nachgewiesen hat, dass die Annullierung des Fluges FR 110 auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
20. aa) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es allgemein anerkannt, dass ein überlasteter Luftraum aufgrund Fluglotsenmangels dazu geeignet ist, außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung zu begründen. Der Begriff der außergewöhnlichen Umstände, der weder in Art. 2 noch in sonstigen Vorschriften der Verordnung definiert ist, meint bereits nach seinem Wortlaut Umstände, die nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechen, sondern außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 12.06.2014, Az.: X ZR 104/13, Rn. 10 bei Juris). Hierdurch werden Ereignisse erfasst, die nicht zum Luftverkehr gehören, sondern als jedenfalls in der Regel von außen kommende besondere Umstände seine ordnungs- und planmäßige Durchführung beeinträchtigen oder unmöglich machen können. Umstände, die im Zusammenhang mit einem den Luftverkehr störenden Vorfall wie einem technischen Defekt auftreten, können nur dann als außergewöhnlich im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung eingestuft werden, wenn sie auf ein Vorkommnis zurückgehen, das wie die in Erwägungsgrund 14 der Verordnung aufgezählten Vorkommnisse nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und aufgrund seiner Natur oder Ursache von diesem tatsächlich nicht zu beherrschen ist. Der Bundesgerichtshof hat hieraus abgeleitet, dass technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeugs typischerweise auftreten, grundsätzlich keine außergewöhnliche Umstände begründen, sondern Teil der normalen Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind (vgl. BGH, aaO., m. w. N.). Die für technische Defekte entwickelten Maßstäbe sind auch dann heranzuziehen, wenn Vorkommnisse wie etwa die in Erwägungsgrund 14 beispielhaft genannten Fälle politischer Instabilität, mit der Durchführung eines Flugs nicht zu vereinbarende Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken und den Betrieb eines Luftfahrtunternehmens beeinträchtigende Streiks als Ursache außergewöhnlicher Umstände in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 21.08.2012, Az.: X ZR 138/11, Rn. 17 zum Fall der Ankündigung eines Pilotenstreiks; BGH, Urteil vom 12.06.2014, Az.: X ZR 121/13, Rn. 13 zum überlasteten Luftraum aufgrund Fluglotsenmangels).
21. bb) Aufgrund eines Streiks der französischen Fluglotsen, der vom 25.01.2016 um 8.00 Uhr UTC bis zum 27.01.2016 um 5.00 UTC andauerte, ist durch Eurocontrol am 25.01.2016 die NOTAM F0109/16 an alle Fluggesellschaften ergangen, dass am 26.01.2016 zwischen 5.00 Uhr und 23.00 Uhr von ihnen zur Entlastung des Luftraums 20 % aller Flüge zu streichen sind, bei denen ein Überflug französischen Luftraums erfolgen sollte. Die Beklagte war mithin gehalten, ihr Flugprogramm kurzfristig für den 26.01.2016 entsprechend zu reduzieren. Zwischen den Parteien ist es unstreitig, dass die Beklagte daraufhin den Flug FR 110 von Schönefeld (SXF) nach Palma de Mallorca (PMI) am 26.01.2016 wegen einer Überlastung des französischen Luftraums gestrichen hat. Unstreitig ist auch, dass der streitgegenständliche Flug das französische Territorium im Flugsicherungsbereich Marseille berührt hätte.
22. Bei der Überlastung des französischen Luftraums wegen fehlender Fluglotsen handelt es sich um Umstände, die die Luftverkehrsabläufe im europäischen Luftraum beeinträchtigten, da die Sicherheit des Luftverkehrs trotz der gegebenen widrigen Umstände aufrechterhalten werden musste und Verspätungen und Ausfälle bei den unmittelbar betroffenen Flügen mithin jedenfalls von den Luftverkehrsunternehmen nicht verhindert werden konnten. (Primäre) Ursache des Flugausfalls waren folglich von außen auf den gesamten Flugbetrieb und auf die normale Tätigkeit der Luftverkehrsunternehmen einwirkende Umstände. Wie sonstige Ausfälle und Beeinträchtigungen bei der Überwachungs- und Sicherungstätigkeit der Fluglotsen konnten die ausfallbedingten Gegebenheiten von dem einzelnen Luftverkehrsunternehmen weder beherrscht noch beeinflusst werden (vgl. grundsätzlich zu den Auswirkungen eines Streiks BGH, Urteil vom 21.08.2012, Az.: X ZR 138/11, Rn. 19 u. 20). Dieses Normverständnis wird durch Erwägungsgrund 15 der Verordnung gestützt. Danach soll von außergewöhnlichen Umständen ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des „Flugverkehrsmanagements“ zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt. Es ist nichts dafür ersichtlich und wird von den Klägern auch nicht vorgetragen, dass die Beklagte die Annullierungsanordnung von Eurocontrol hätte ignorieren können und für sie die Möglichkeit bestanden hätte, trotz des Streiks der französischen Fluglotsen ihr für den 26.01.2016 geplantes Flugprogramm uneingeschränkt durchzuführen.
23. cc) Die Beklagte hat im Weiteren von dem ihr eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und den streitgegenständlichen Flug gestrichen.
24. Dass die Streichung des Fluges mit der Flugnummer FR 110 am 26.01.2016 ursächlich auf dem Streik der französischen Fluglotsen und den Vorgaben von Eurocontrol beruhte, liegt angesichts des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs nach allgemeiner Lebenserfahrung nahe. Andere Ursachen sind fernliegend und werden von den Klägern auch nicht ausreichend konkret vorgetragen. Allein die von den Klägern schriftsätzlich ins Blaue hinein aufgestellte Mutmaßung, der Flug nach Palma de Mallorca könne auch aus ganz autonomen Motiven der Beklagten wegen einer wirtschaftlich unzureichenden Auslastung gestrichen worden sein, genügt nicht zur Rechtfertigung einer hierauf bezogenen Beweisaufnahme.
25. dd) Die Beklagte hat außerdem ausreichend und in tatsächlicher Hinsicht unbestritten dargelegt, dass sie alle ihr zumutbaren und möglichen Maßnahmen ergriffen hat, um die Streichung des Fluges mit der Flugnummer FR 110 am 26.01.2016 zu vermeiden.
26. (1) Gegebenheiten wie der in Rede stehende Ausfall der Luftverkehrskontrolle begründen nicht zwangsläufig außergewöhnliche Umstände, auf die die Annullierung oder große Verspätung zurückgeht. Dies ist vielmehr nur dann der Fall, wenn das Luftverkehrsunternehmen trotz Ergreifung aller zumutbaren Maßnahmen die Annullierung oder große Verspätung nicht verhindern kann oder sie auch mit diesen Maßnahmen nicht hätte verhindern können (vgl. EuGH, Wallentin-Hermann/Alitalia Rn. 22; BGHZ 194, 258 Rn. 11). Das Luftverkehrsunternehmen muss mithin alles ihm Mögliche und Zumutbare tun, um zu vermeiden, dass es durch Umstände wie den im Streitfall zu beurteilenden Ausfall einer sicherheitsrelevanten Flughafeneinrichtung – hier der Überwachungs- und Sicherungstätigkeit der Fluglotsen – genötigt ist, einen Flug zu annullieren.
27. (2) Die Beklagte hat sich bei ihrer Annullierungsentscheidung nach ihrem unbestrittenen Vorbringen im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten darum bemüht, am 26.01.2016 möglichst wenig Flüge zu streichen, die den französischen Flugraum überfliegen sollten. Das Bemühen um eine möglichst geringe Beeinträchtigung der eigenen Flugplanung wird bereits durch die von der Beklagten erreichte Annullierungsrate von etwa 17,3 % belegt. Die Beklagte hat somit am 26.01.2016 sogar 37 Flüge mehr durchgeführt als ihr eigentlich durch die Streichungsaufforderung in der NOTAM F0109/16 von Eurocontrol zugestanden worden waren.
28. (3) Bei der weiteren gerichtlichen Überprüfung der unternehmerischen Entscheidungen der Beklagten kommt es im Weiteren darauf an, ob das ausführende Flugunternehmen den ihm gegebenen Spielraum bei der Entscheidung, ob ein Flug wegen außergewöhnlicher Umstände annulliert wird, im Rahmen des eingeräumten vernünftigen Ermessens ohne Willkür ausgeübt hat. Hierbei ist es dem Flugunternehmen insbesondere erlaubt, auf den verbleibenden Flugplan Rücksicht zu nehmen. Die Beklagte hat zu den diesbezüglichen Einzelheiten in dem Schriftsatz vom 04.01.2017 konkret für den Flug FR 110 hinreichend substantiiert, nachvollziehbar und unbestritten vorgetragen, so dass keine Anhaltspunkte für einen Ermessensfehlgebrauch bei der für die Kläger nachteiligen Streichungsentscheidung bestehen. Es ist nicht ersichtlich, durch welche Maßnahmen die Beklagte die streikbedingte Streichung des Fluges FR 110 am 26.01.2016 hätte verhindern können, ohne zugleich die Flüge anderer Fluggäste annullieren zu müssen.
29. (4) Angesichts der Vielzahl denkbarer außergewöhnlicher Umstände sowie der Unübersehbarkeit des Ausmaßes und der Dauer der hierdurch verursachten Beeinträchtigungen überspannt es einen wirtschaftlich vernünftigen Maßstab, von einem Luftverkehrsunternehmen zu verlangen, für jede denkbare Störung des Luftverkehrs in einer Weise gerüstet zu sein, die es erlaubt, durch den Einsatz zusätzlicher Flugzeuge und gegebenenfalls auch zusätzlichen Personals dafür zu sorgen, dass Annullierungen und diesen in den rechtlichen Folgen gleichkommende große Verspätungen stets vermieden werden können. Denn dies erforderte einen personellen und finanziellen Aufwand, der von den Luftverkehrsunternehmen zu Lasten der Verbraucher über die Beförderungspreise gedeckt werden müsste und im Übrigen Art. 5 Abs. 3 der Verordnung im Wesentlichen seines Anwendungsbereichs berauben würde. Wenn die Fluggastrechteverordnung nach Erwägungsgrund 1 ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherstellen soll und Erwägungsgrund 12 das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten anspricht, die durch eine Annullierung – und eine ihr in den Folgen gleichkommende Ankunftsverspätung – entstehen und gegebenenfalls durch eine Ausgleichszahlung verringert werden sollen, will der Verordnungsgeber lediglich sicherstellen, dass die Luftverkehrsunternehmen auch unter außergewöhnlichen Umständen alle ihnen in dieser Situation zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten ausschöpfen, um ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Fluggästen möglichst uneingeschränkt nachzukommen und Annullierungen oder große Verspätungen zu vermeiden. Eine Garantie zur Durchführung jeden Fluges unter allen Umständen ist damit nicht verbunden. Insbesondere ist die Beklagte nicht dazu verpflichtet, auch diejenigen Flüge aufrechtzuerhalten, bei denen wegen der Überlastung des Luftraums von vorneherein ersichtlich ist, dass keine Chance besteht, diese in einem geordneten Umlaufverfahren ohne große Verspätungen in jedem Einzelflug durchzuführen.
30. (5) Schließlich ist auch zu beachten, dass es gerade Sinn und Zweck eines Streiks der Fluglotsen ist, für möglichst schwerwiegende, nicht aufzufangende Störungen und Verzögerungen im Flugablauf zu sorgen, um hierdurch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Forderungen der Streikenden zu lenken (vgl. hierzu auch AG Geldern, Urteil vom 20.09.2016, Az.: 17 C 55/16). Es ist auch aus dem Klagevorbringen nicht ersichtlich, welche zumutbaren und möglichen Maßnahmen zur Durchführung des Fluges FR 110 die Beklagte angesichts des Streiks der französischen Fluglotsen versäumt haben sollte. Allein aus der Tatsache, dass es der Beklagten nicht gelungen ist, die durch den Streik der Fluglotsen entstandenen Störungen für den Flug FR 110 aufzufangen, folgt daher nicht, dass sie den Klägern hierfür eine Ausgleichszahlung leisten muss.
31. c) Soweit die Kläger beanstanden, die Beklagte habe ihnen keine oder nur unzureichende Unterstützungsleistungen nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a) und b), Art. 8 und Art. 9 der Verordnung angeboten, würde ein solcher Rechtsverstoß der Beklagten nicht als „Sanktion“ eine Pflicht zur Erbringung von Ausgleichszahlungen nach Art. 7 der Verordnung auslösen. Das hierauf bezogene Klägervorbringen ist daher nicht dazu geeignet, die mit der Klage verfolgten Zahlungsansprüche zu begründen.
32. Den Klägern steht auch für den von ihnen nicht angetretenen (Rück-) Flug vom 28.01.2016 kein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b), Art. 5 Abs. 1 Buchst. c) der Verordnung in Höhe von jeweils 400,00 € zu.
33. a) Da der Flug mit der Flugnummer FR 111 am 28.01.2016 weder verspätet war noch von der Beklagten gestrichen worden ist, fehlt es bereits mangels „Annullierung eines Fluges“ oder einer mehr als dreistündigen Verspätung an den grundlegenden Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 der Fluggastrechteverordnung.
34. b) Nach der Verordnung kommt ein Ausgleichsanspruch für einen ordnungsgemäß durchgeführten Flug nach Art. 4 Abs. 3, Art. 7 nur dann in Betracht, wenn das Luftfahrtunternehmen Fluggästen gegen ihren Willen die Beförderung verweigert. Eine Nichtbeförderung gegen ihren Willen, setzt jedoch nach Art. 2 Buchst. j) der Verordnung voraus, dass sich die Fluggäste unter den in Art. 3 Abs. 2 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben. Die Kläger waren jedoch am 28.01.2016 weder rechtzeitig am Flugsteig in Palma de Mallorca noch haben sie am 28.01.2016 (noch) über eine bestätigte Buchung für den Flug mit der Flugnummer FR 111 verfügt. Vielmehr haben die Kläger bereits am Abend des 25.01.2016 wegen der Annullierung des Hinfluges von der ursprünglichen Buchung des Rückfluges Abstand genommen und gegenüber der Beklagten die Erstattung des Flugpreises für Hin- und Rückflug gewählt. Eine analoge Anwendung der Ausgleichsreglung bei Nichtbeförderung des Art. 4 auf Fälle der vorliegenden Art kommt bereits in Ermangelung einer vergleichbaren Interessenlage nicht in Betracht.
35. c) Für die Begründung einer Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechteverordnung ist es damit unerheblich, dass der Flug am 28.01.2016 für die Kläger unverschuldet aus tatsächlichen Gründen – wegen fehlender Buchungsmöglichkeit für einen rechtzeitigen Hinflug – nicht erreichbar war. Dies allein kann keinen Ausgleichsanspruch gegenüber der Beklagten begründen. Im übrigen ist für die Beklagte – wie bereits ausgeführt – die Annullierung des Hinflugs aufgrund außergewöhnlicher Umstände unvermeidbar im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung gewesen, so dass sie auch für den ordnungsgemäß durchgeführten Rückflug von allen Ausgleichsleistungen freigestellt ist.
36. Schließlich hat die Klägerin zu 1.) keinen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der ihr unstreitig entstandenen Stornokosten für die Bahnreise in Deutschland und die Unterkunft auf Mallorca.
37. Ein nationalrechtlicher Schadensersatzanspruch ist zwar gemäß Art. 12 der Verordnung nicht ausgeschlossen. Für einen solchen Anspruch aus § 280 BGB fehlt es jedoch bereits an einer schuldhaften Pflichtverletzung der Beklagten. Die Beklagte hat die Klägerin zu 1.) ordnungsgemäß per E-Mail über ihr Wahlrecht zwischen der Erstattung des Reisepreises und der anderweitigen Beförderung belehrt. Allein die streikbedingte Annullierung des gebuchten Fluges begründet weder einen Anspruch auf die europarechtlich geregelten Ausgleichszahlungen noch auf nationalrechtlichen Schadensersatz.
38. Ein Anspruch der Kläger auf Freistellung von den vorgerichtlichen Anwaltskosten aus §§ 280 Abs. 2, 286 BGB scheitert aus den genannten Gründen ebenfalls bereits an dem Fehlen einer schuldhaften Pflichtverletzung der Beklagten.
39. Im Übrigen wäre der finanzielle Aufwand durch die außergerichtliche Beauftragung eines Rechtsanwalts auch kein verzugsbedingter Schaden. Die Kläger haben ihren außergerichtlichen Bevollmächtigen spätestens am 10.02.2016 beauftragt und damit bereits zu einem Zeitpunkt, als sich die Beklagte mit der Rückzahlung des Flugpreises und allen anderen von ihr geforderten Leistungen noch gar nicht in Verzug befunden hat. Der Eintritt eines etwaigen Verzuges kommt rechtlich erst durch das Ablehnungsschreiben der Beklagten vom 19.02.2016 in Betracht. Zu diesem Zeitpunkt waren die anwaltlichen Gebühren jedoch bereits in vollem Umfang entstanden.
40. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
41. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 11 i. V. m. § 711 ZPO.
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