Flugannullierung wegen Triebwerkschadens

AG Frankfurt: Flugannullierung wegen Triebwerkschadens

Ein Fluggast hat bei einer Fluggesellschaft einen Flug gebucht. Aufgrund eines Schadens am Triebwerk wurde der Flug jedoch von der Fluggesellschaft annulliert. Daraufhin klagt der Fluggast vor dem Amtsgericht (kurz: AG) Frankfurt auf eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600,00 € durch die Fluggesellschaft.

Das Gericht hat dem Fluggast recht gegeben, da es sich bei einem Triebwerkschaden nicht um einen außergewöhnlichen Umstand handelt.

AG Frankfurt 29 C 1462/12 (21) (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 02.01.2013
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 02.01.2013, Az: 29 C 1462/12 (21)
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Amtsgericht Frankfurt

1. Urteil vom 02. Januar 2013

Aktenzeichen 29 C 1462/12 (21)

Leitsätze:

2. Ein Defekt gilt lediglich dann als außergewöhnlicher Umstand, wenn er trotz aller zumutbaren Vorsichtsmaßnahmen auftritt.

Die Mindestwartungsarbeiten sind nicht ausreichend um alle zumutbaren Vorsichtsmaßnahmen abzudecken.

Ein Defekt gilt nicht zwangsläufig als außergewöhnlicher Umstand, wenn er trotz der zu treffenden Mindestwartungsarbeiten auftritt.

Bei Annullierung eines Fluges aufgrund eines Defekts, der nicht als außergewöhnlicher Zustand gilt, steht dem Fluggast eine Ausgleichszahlung gemäß der EG-​VO Nr. 261/2004 zu.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger hat bei der Fluggesellschaft einen Flug über eine Entfernung von über 3.500 km gebucht. Der Abflug war geplant für den 17.02.2012 um 21:45 Uhr. Der Flug wurde von der beklagten Fluggesellschaft annulliert, da am Flugzeug ein Triebwerkschaden auftrat, welcher durch einen eingesaugten Fremdkörper hervorgerufen wurde.

Die Fluggesellschaft behauptet, dass der Triebwerkschaden auftrat, weil das Flugzeug aufgrund eines gesperrten Zufahrtsweges von der Landebahn zur Abstellposition über einen Alternativweg fahren musste. Dieser Alternativweg grenzte unmittelbar an eine Baustelle. Im Zuge der Vorbeifahrt wurde der Fremdkörper vom Triebwerk aufgesagt und zerstörte dieses.

Das AG Frankfurt urteilt, dass ein Triebwerkschaden unter den von der Fluggesellschaft dargelegten Umständen nicht als außergewöhnlicher Umstand gilt. Schäden auf dem Rollfeld sind als Teil der normalen Tätigkeit anzusehen und fallen in den Verantwortungsbereich der Fluggesellschaft. Lediglich Schäden durch Sabotageakte, Fabrikationsfehler und terroristische Angriffe würden als außergewöhnliche Umstände gelten.

Aus diesen Gründen verurteilt das Gericht die Beklagte zur Zahlung einer Ausgleichszahlung von 600,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten gemäß der FluggastrechtVO.

Tenor

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 600,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 27.08.2012 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

5. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Ausgleichsleistungen gemäß der EG-​VO Nr. 261/2004 wegen nicht ordnungsgemäß erbrachter Flugleistungen in Anspruch.

6. Der Kläger buchte bei der Beklagten für den 17.02.2012 einen Flug von … nach … (…). Die Distanz beträgt mehr als 3.500 km.

7. Geplanter Abflug in … war am 17.02.2012 um 21:45 Uhr (Ortszeit). Der Flug wurde von der Beklagten annulliert.

8. Der Kläger beantragt,

9. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 600,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

10. Die Beklagte beantragt,

11. die Klage abzuweisen.

12. Die Beklagte behauptet, der Flug habe wegen einem Triebwerkschaden nicht wie geplant stattfinden können. Beim Anflug in … sei durch Ansaugung eines Fremdkörpers, einem Metallstück (Zinkbolzen), das Kerntriebwerk so stark beschädigt worden, dass der Austausch des gesamten Triebwerks erforderlich gewesen sei. Aufgrund von baulichen Maßnahmen sei der Verbindungsweg von der Landebahn zur Abstellposition versperrt gewesen. Der Flugzeugführer habe daher auf einen durch das Flughafenpersonal von … vorbereiteten Alternativweg ausweichen müssen, welcher unmittelbar an einer Baustelle angrenzte. Im Zuge dessen sei der Fremdkörper in das Triebwerk gelangt und habe dieses zerstört.

13. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf alle Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstigen Aktenbestandteile sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

14. Die Klage ist zulässig.

15. Das Amtsgericht Frankfurt am Main ist als Gericht des Ankunftsortes international und örtlich zuständig, § 29 ZPO. Soll ein Ausgleichsanspruch nach EGV 261/2004 gegen das Luftverkehrsunternehmen geltend gemacht werden, mit dem der Fluggast den Beförderungsvertrag geschlossen hat, ist unabhängig vom Vertragsstatut Erfüllungsort im Sinne des § 29 ZPO sowohl der Ort des vertragsgemäßen Abflugs als auch der Ort der vertragsgemäßen Ankunft des Flugzeugs (vgl. BGH, Urt. v. 18.01.2011 – X ZR 71/10 –, juris, Abs.-​Nr. 35). Ob im konkreten Fall eine vertragliche Beziehung zwischen Passagier und Luftverkehrsunternehmen bestand, ist unerheblich (vgl. BGH, ebd., Abs.-​Nr. 26, 33).

II.

16. Die Klage ist auch in vollem Umfang begründet.

17. Der Kläger hat gegen die Beklagte jeweils einen Ausgleichsanspruch in Höhe von 600,00 EUR nach Art. 5 i. V. m. 7 Abs. 1 EGV 261/2004 wegen Annullierung des Fluges.

18. Die Beklagte ist von ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Ausgleichsleistungen auch nicht nach Art. 5 Abs. 3 EGV 261/2004 freigeworden. Der Ausnahmetatbestand greift nicht. Die Beklagte hat nicht dargetan, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückging, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Nach der Rechtsprechung des EuGH fällt ein technisches Problem nur dann unter den Begriff des „außergewöhnlichen Umstands“, wenn es auf Vorkommnisse zurückgeht, die aufgrund der Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind (EuGH, Urt. v. 22.12.2008 – Rs. C-​549/07 –, juris, Abs.-​Nr. 26). Ziel des strengen Art. 5 EGV 261/2004 ist, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen und den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen Rechnung zu tragen, da die Annullierung – und entsprechend die gravierende Verspätung – von Flügen für die Fluggäste ein Ärgernis ist und ihnen große Unannehmlichkeiten verursacht (EuGH, Urt. v. 22.12.2008 – Rs. C-​549/07 –, juris, Abs.-​Nr. 18). Außergewöhnliche Umstände sind im Lichte dieser Zielsetzung nur anzunehmen, wenn sich die Umstände auch bei Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen nicht vermeiden lassen; alleine der Umstand, dass ein Luftfahrtunternehmen die gesetzlich vorgeschriebenen Mindesterfordernisse an Wartungsarbeiten an einem Flugzeug durchgeführt hat, reicht dazu nicht aus (EuGH, Urt. v. 22.12.2008 – Rs. C-​549/07 –, juris, Abs.-​Nr. 19-​20).

19. Danach begründen auch Defekte am Fluggerät – wie das hier defekte Triebwerk des Fluggerätes – generell keinen außergewöhnlichen Umstand. Denn sie fallen als Teil der normalen Tätigkeit in den Verantwortungsbereich des Luftfahrtunternehmens. Dies gilt selbst dann, wenn das Luftfahrtunternehmen alle vorgeschriebenen oder sonst bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt gebotenen Wartungsarbeiten frist- und ordnungsgemäß erledigt hat (vgl. BGH, Urt. v. 12.11.2009 – XA ZR 76/07 –, juris, Abs.-​Nr. 13 f.). Als außergewöhnlicher Umstand können Defekte allenfalls dann in Betracht kommen, wenn sie auf den in Erwägungsgrund 14 EGV 261/2004 genannten Umständen beruhen, etwa auf versteckten Fabrikationsfehlern, Sabotageakten oder terroristischen Angriffen (BGH, ebd., Abs.-​Nr. 14). Gemessen an diesen strengen Anforderungen hat die Beklagte einen außergewöhnlichen Umstand schon nicht hinreichend dargetan, so dass auf ihre Beweisangebote nicht einzugehen war. Beschädigungen des Fluggeräts auf dem Rollfeld eines Flughafens fallen als Teil der normalen Tätigkeit in den Verantwortungsbereich des Luftfahrtunternehmens (vgl. Amtsgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 03.02.2010, Az. 29 C 2088/09 und Urteil vom 11.10.2012, 30 C 1814/12).

20. Im Übrigen fehlt es aber auch an jeglichem Vortrag der Beklagten zur Unzumutbarkeit von die Verzögerung abwehrenden Maßnahmen (vgl. BGH, Urt. v. 14.10.2010 – Xa ZR 15/10 –, juris, Abs.-​Nr. 26, 28-​29). Zur Nichtverfügbarkeit eines Ersatzflugzeuges ist nichts vorgetragen.

21. Die zugesprochenen Zinsen stehen dem Kläger als Verzugsschaden gemäß den §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1, 288 BGB zu.

III.

22. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, weil die Beklagte voll unterlag. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Maßgabe in §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

IV.

23. Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert, § 511 Abs. 4 ZPO.

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