Belästigung weiblicher Hotelgäste als Reisemangel

LG Frankfurt: Belästigung weiblicher Hotelgäste als Reisemangel

Eine Urlauberin forderte vom Reiseveranstalter Schadensersatz wegen der sexuellen Belästigung durch einheimische Männer und für weitere Mängel, die sie zur vorzeitigen Abreise bewegten.

Das Landgericht Frankfurt entschied auf die Berufung des Beklagten hin, ihn zur Erstattung von 20% des Reisepreises zu verurteilen.

LG Frankfurt 2-24 S 113/82 (Aktenzeichen)
LG Frankfurt: LG Frankfurt, Urt. vom 21.05.1984
Rechtsweg: LG Frankfurt, Urt. v. 21.05.1984, Az: 2-24 S 113/82
AG Frankfurt, Urt. v. 14.01.1982, Az: 30 C 10731/80
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Landgericht Frankfurt

1. Urteil vom 21. Mai 1984,

Aktenzeichen 2-24 S 113/82

Leitsätze:
2. Der Reiseveranstalter ist verpflichtet, im Rahmen der Unterkunftsgewährung, massive Belästigungen von seinen Gästen fernzuhalten.

Sexuelle Belästigung durch Einheimische auf dem geschuldeten Umfeld einer Reiseleistung stellt einen erheblichen Mangel dar.

Abfindungsklauseln, die am Urlaubsort vom Reisenden unterschrieben werden, sind unwirksam.

Zusammenfassung:
3. Eine Reisende hatte eine Pauschalreise nach Ulcinj gebucht. Vor Ort stellte sie erhebliche hygienische Mängel an der Unterkunft fest, die sie dazu bewogen, ins Zimmer einer Mitreisenden zu ziehen. Außerdem wurden beide Frauen wiederholt von Einheimischen Männern auf dem und um das Hotelgelände sexuell belästigt. Nach Unterzeichnung einer Niederschrift über Nichtinanspruchnahme trat sie dann die vorzeitige Heimreise an.

Sie begehrte gerichtlich vom der Reiseveranstalter Erstattung für nicht erbrachte Leistungen. Der Beklagte behauptete, die Klägerin habe sich den Einheimischen gegenüber aufreizend verhalten und er sei überdies nicht verantwortlich für zwischenmenschliche Interaktion von einheimischen Männern und allein reisenden Frauen.

Das Amstgericht Frankfurt gab der Klage in weiten Teilen statt. Das Urteil wurde auf die Berufung des Beklagten hin leicht abgeändert und dieser verurteilt, für nicht erbrachte Reiseleistungen Kostenerstattung zu leisten. Das Gericht stellte fest, dass der Mangel durch die sexuelle Belästigung erheblich gewesen sei und der Beklagte es sehr wohl geschuldet habe, im Rahmen der Unterkunftsgewährung derartige Übergriffe von der Kundin abzuwenden. Somit sei die Vertragskündigung rechtskräftig gewesen. Die Abfindungserklärung taugte jedoch allein zur Feststellung des Abreisezeitpunkts, hinsichtlich gewisser Anspruchsabgeltung war sie unwirksam, da durch die Unterzeichnung vor Ort die ohne schlechte Rechtsposition eines Reisenden weiter herabgesetzt wird.

Tenor:

4. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 14.1.1982 – Aktenzeichen: 30 C 10731/80 – teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 323,25 DM nebst 4% Zinsen seit 21.1.1981 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten beider Rechtszüge tragen die Klägerin 2/5, die Beklagte 3/5.

Tatbestand:

5. Die Klägerin buchte mit Reisebestätigung vom 14.5.1980 für die Dauer von 2 Wochen eine Pauschalreise ab 13.5.1980 nach U, Hotel … zum Preis von 798,– DM (einschließlich Mehrpreis für geänderten Abflughafen, Treibstoffzuschlag, Sicherheitspaket). Sie hatte ein halbes Doppelzimmer gebucht, zog aber am Urlaubsort zu einer Bekannten, der Zeugin …, in ein Doppelzimmer des gleichen Hotels. Sie rügte gegenüber der Reiseleitung, daß sie und Frau … von einheimischen Jugendlichen bedrängt, bedroht und sexuell belästigt würden.

6. Die Klägerin flog nach 1 Woche Aufenthalt vorzeitig nach Deutschland zurück. Am Urlaubsort unterschrieb sie ein Formular mit der Überschrift „Niederschrift über eine Leistungsänderung – Niederschrift über eine Nichtinanspruchnahme von Leistungen aus zwingenden Gründen“. Darin heißt es:

7. „Ich beantrage – entsprechend den Reise- und Zahlungsbedingungen – eine Teilvergütung wegen folgender Leistungsänderungen bzw. Nichtinanspruchnahme von Leistungen:

1. Bestä­tigte Unter­bringung/Leistung:
2 Wo. 1 DZ 531 HP B, U DM 688,–
2. Erhaltene Unter­bringung/Leistung:
1 Wo. 1 DZ 531 HP B, U DM 454,–
3. Vergütung aus vorste­hender Leistungs­än­derung (Zeile 1/2 = 3) DM 234,–
4. Nicht zu erstat­tende NUR-Selbst­kosten (25%) ./. 25% DM 58,50
5. Teilver­gütung (ersparte Aufwen­dungen) bei Nichtin­an­spruch­nahme von Leistungen aus zwingenden Gründen (Zeile 3/4 = 5) DM 175,50

8. In dem unteren Teil des Formulars sind durch Ankreuzen folgende Klauseln vereinbart:

„a) Leistungsänderung

9. Die Reiseleitung bestätigt eine Vergütung aus vorstehender Leistungsänderung mit der ich, der Antragsteller, mich zum Ausgleich aller Ansprüche einverstanden erkläre.

  1. c) im Zielgebiet

10. Die Auszahlung des Betrages erfolgte durch die …-​Reiseleitung im Zielgebiet.“

11. Die Klägerin hat Rückzahlung von 588,50 DM für nicht erhaltene Leistungen verlangt und hierzu vorgetragen:

12. Das ihr zunächst zugewiesene Einzelzimmer sei ebensowenig gereinigt gewesen wie das später von ihr zusammen mit der Zeugin … bewohnte Zimmer. In dem letzteren Zimmer sei das Wasser von der Decke getropft: außerdem habe es unangenehm muffig gerochen. Im Hotel habe ständig Lärm geherrscht und die angegebenen Sportmöglichkeiten hätten nicht zur Verfügung gestanden. Vor allem aber seien Frau … und sie ebenso wie andere Hotelgäste von Einheimischen belästigt und bedrängt worden. Unter diesen Umständen sei der vorzeitige Rückflug berechtigt gewesen.

13. Die Klägerin hat beantragt,

14. die Beklagte zu verurteilen, an sie DM 588,50 nebst 4% Zinsen seit 12.8.1980 zu zahlen.

15. Die Beklagte hat beantragt,

16. die Klage abzuweisen.

17. Sie hat sich auf die in der Niederschrift befindliche Ausschlußklausel berufen. Die Belästigung der Klägerin durch Einheimische hat die Beklagte nicht bestritten, sondern hierzu vorgetragen, von Frau … sei“ eine gewisse, für die dortigen Einheimischen ungewohnte Ausstrahlung ausgegangen.“ Auf die übrigen Mängel könne sich die Klägerin nicht berufen, da sie diese am Urlaubsort nicht gerügt habe.

18. Das Amtsgericht hat nach Beweisaufnahme über die Belästigungen und einen von der Klägerin bei Unterzeichnung der Niederschrift geäußerten Vorbehalt der Klage – bis auf Teile der Zinsforderung – stattgegeben.

19. Gegen das am 22.2.1982 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22.3.1982 Berufung eingelegt und diese am 22.4.1984 begründet. Sie hat sich vor allem darauf berufen, daß die Zeugin … sich auffallend und herausfordernd benommen und damit das Verhalten der jungen Männer provoziert habe. Sie sei als Reiseveranstalterin nicht gehalten, auf das zwischenmenschliche Verhalten einheimischer junger Männer einerseits und deutscher junger, ohne männliche Begleitung verreisender Pauschalurlauberinnen Einfluß zu nehmen. Die Beklagte bestreitet, daß andere Hotelgäste belästigt worden seien. Im übrigen habe die Klägerin sich nach der von ihr vorgebrachten Reklamation wegen der Belästigungen optisch und räumlich von der Zeugin … distanziert und damit den jugendlichen Einheimischen angezeigt, daß sie mit Bezug auf das auffällige Verhalten der Zeugin … nicht identifiziert werden könne, so daß von da ab dann ja auch die Belästigungen aufhörten.

20. Die Beklagte beantragt,

21. unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

22. Die Klägerin beantragt,

23. die Berufung zurückzuweisen.

24. Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die Belästigungen seien in höchst unsittlicher Form durch Anpöbeln, vor die Füße spucken, den Gebrauch unsittlicher Wörter und der allseits bekannten Handzeichen, Bedrohungen und Anfassen am Körper und an erogenen Zonen erfolgt. Die Beklagte sei verpflichtet, ihre Vertragspartner am Reiseziel vor derartigen unerträglichen Übergriffen Einheimischer zu bewahren.

25. Die Kammer hat die Beweisaufnahme über Art und Umfang der Belästigungen und etwaige Provokationen der Klägerin und der Zeugin … gemäß Beweisbeschluß vom 27.7.1982 (Bl. 78/79) wiederholt.

26. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftliche Aussage der Reiseleiterin vom 11.7.1982 (Bl. 82 – 83 d.A.) sowie die gerichtliche Niederschriften vom 22.11.1982 (Bl. 94 – 95 d.A.), 21.12.1982 (Bl. 103 d.A.), des Bezirksgerichts Frauenfeld vom 10.6.1983 (Bl. 153 – 156 d.A.) und des Gemeindegerichts in … vom 24.11.1983 (Bl. 163 – 165 d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

27. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt, mithin zulässig. In der Sache hat sie teilweise Erfolg.

28. Der Klägerin steht gemäß §§ 651 a, 651 e ein vertraglicher Rückerstattungsanspruch (BGHZ 85, 301 = NJW 1983, 448) zu, da sie den Reisevertrag wegen erheblicher Reisemängel wirksam gekündigt hat. Die von der Beklagten nach dem Reisevertrag geschuldete Reiseleistung Unterkunft war nach dem Ergebnis der in beiden Instanzen durchgeführten Beweisaufnahmen mit einem erheblichen Mangel behaftet, da die Klägerin auf unzumutbare Weise im Hotel und seinem dazugehörenden Park durch junge einheimische Männer ständig sexuell angesprochen und belästigt wurde. Die Zeugen Eheleute … und … haben anschaulich geschildert, daß es sich um laufende Belästigungen gehandelt hat, die auch bei freiesten Anschauungen die bei Personen verschiedenen Geschlechts üblichen Annäherungsversuche überschritten haben. So braucht es sich keine Frau gefallen zu lassen, daß ihr in der Discothek ein Mann den Rücken zudreht und mit dem Gesäß wackelt und daß sie um die Taille oder unter den Rock gefaßt und an erogenen Zonen berührt wird. Ebensowenig braucht sie es zu dulden, daß Einheimische nachts vor der Zimmertür des Gastes schlafen, um diesen bei Verlassen des Zimmers anzusprechen. Das Gericht sieht aufgrund der Aussage der Zeugen … auch als erwiesen an, daß die Klägerin in der Discothek einmal angespuckt worden ist. Die von der Beklagten als Gegenzeugin benannte Reiseleiterin hat nichts Gegenteiliges ausgesagt, sondern im Gegenteil bestätigt, daß wegen eines solchen Vorfalls die Hotelrezeption die Polizei herbeirief und sie selbst von der Hotelleitung verlangt hat, „alles zu unternehmen, um diese weiblichen Gäste in Zukunft nicht zu belästigen und besonders alles zu tun, um den Kontakt zwischen ihnen und dem Personal des Hotels zu vermeiden, außer den Kontakt welcher nach der Art des Geschäfts notwendig ist“. Soweit die Reiseleiterin ausgesagt hat, daß auf dieses Eingreifen hin die Belästigungen aufgehört hätten, wird sie durch die Angaben der übrigen Zeugen widerlegt, wonach die Belästigungen bis zur Abreise fortgedauert haben.

29. Die Behauptungen der Beklagten, die einheimischen Männer seien provoziert worden, sind nicht bewiesen und auch nicht erheblich. Die Aussagen sämtlicher Zeugen einschließlich der Reiseleiterin stimmen darin überein, daß die Klägerin selbst in keiner Weise sich herausfordernd benommen hat. Soweit die Reiseleiterin in dem Verhalten der Begleiterin … eine Provokation sah, vermag das die Belästigungen der Klägerin nicht zu beseitigen. Denn die Klägerin braucht sich das Verhalten der Zeugin … nicht zurechnen zu lassen. Zum anderen reichen die Angaben der Reiseleiterin, die Zeugin … habe in der Halle neben der Rezeption die Beine auf den Tisch gelegt, laut gesprochen, an der Rezeption unaufgefordert den Telefonhörer abgenommen und „Blusen mit Dekolleté“ getragen, nicht aus, um eine Provokation für die obenstehenden sexuellen Handgreiflichkeiten zu rechtfertigen. Fröhliches Verhalten und leichte Kleidung (im Hotel und am Strand) gehören zum Urlaubsalltag und stellen keine Aufforderungen zu sexuellen Belästigungen dar; abgesehen davon geben sie keine Rechtfertigung für ständige Belästigungen, wenn die Angesprochene einen weiteren Kontakt ablehnt.

30. Der von der Beklagten zu vertretende Reisemangel liegt darin, daß der von der Beklagten zur Erfüllung der Verpflichtung, Unterkunft zu gewähren, herangezogene Leistungsträger die in seinem Einflußbereich liegenden Belästigungen trotz ständiger Wiederholungen und einer Aufforderung durch die Reiseleiterin nicht abgestellt hat. Das Gericht vermag die von der Beklagten vorgetragene Rechtsauffassung, sie sei nicht gehalten, auf das zwischenmenschliche Verhalten einheimischer junger Männer einerseits und deutscher junger, ohne männliche Begleitung verreisender Pauschalurlauberinnen Einfluß zu nehmen, nicht zu teilen. Der Hotelier ist vielmehr verpflichtet, im Rahmen der Unterkunftsgewährung derartige massive Belästigungen von den Gästen fernzuhalten. Dies folgt aus den dem Reisevertrag innewohnenden Nebenpflichten, die den Umfang der Verpflichtung zur Gewährung von Unterkunft beeinflussen. Der Hotelier hätte mithin die störenden einheimischen Besucher namentlich feststellen und ihnen Hausverbot erteilen müssen. Besonders gravierend ist, daß sich an den Ausschreitungen nach der Aussage des Zeugen Z auch Angestellte des Hotels beteiligt haben, bei denen der Hotelier ja die Möglichkeit hatte, aufgrund des bestehenden Arbeitsverhältnisses auf das Unterlassen derartiger Belästigungen weiblicher Gäste hinzuwirken. Das Gericht sieht allerdings eine Grenze des Reisemangels in dem örtlichen und personellen Einflußbereich des Leistungsträgers (zum Kriterium der „Beherrschbarkeit“ vgl. Tempel, JuS 1984, 81, 86) so daß die von den Zeugen zusätzlich geschilderten Belästigungen am FKK-​Strand auszuscheiden haben.

31. Die geschilderten Belästigungen stellen einen Reisemangel dar, der eine Minderung des Reisepreises um mindestens 20% rechtfertigte. Damit war die Klägerin berechtigt, den Reisevertrag gemäß § 651 e I BGB vorzeitig zu kündigen und auch vorzeitig zurückzureisen. Einer erneuten Fristsetzung nach § 651 e II S. 1 BGB bedurfte es nach der erfolgten Rüge und dem ergebnislosen Versuch der Reiseleiterin, auf den Hotelier einzuwirken, nicht mehr, da die sofortige Beendigung des Vertrages durch ein besonderes Interesse der Klägerin gerechtfertigt war (§ 651 e II S. 2 BGB).

32. Die Beklagte ist nach erfolgter Kündigung zur Rückerstattung des vereinbarten Reisepreises von 798,– DM verpflichtet (§ 651 e III S. 1 BGB). Anzurechnen auf den Rückerstattungsanspruch ist die von der Klägerin nach § 651 e III S. 2 BGB geschuldete Entschädigung für erbrachte Leistungen. Nach der Niederschrift vom 18.5.1980 ist die Klägerin am 20.5.1980 zurückgeflogen, hat also genau die Hälfte der gebuchten Zeit am Urlaubsort verbracht. Soweit die Klägerin in der Klageschrift vorgetragen hat, sie habe sich nach drei Tagen entschlossen, zurückzufliegen, vermag dies die im übrigen substantiiert nicht angegriffene Feststellung in der Niederschrift vom 18.5.1980, die Klägerin habe 1 Woche die Hotelleistung in Anspruch genommen und sei am 20.5.1980 zurückgeflogen, nicht zu entkräften. Die von der Klägerin demnach geschuldete Entschädigung besteht in der Hälfte des Reisepreises (798,– DM : 2 = 399,– DM), die allerdings wegen der geschilderten Belästigungen um 25% = 99,75 DM auf 299,25 DM zu kürzen war. Ein Wegfall dieser Entschädigung nach § 651 e III S. 3 BGB kommt nicht in Betracht, da der Aufenthalt der Klägerin in Ulcinj trotz der Mängel nicht ohne Interesse war. Die Belästigungen reichen nicht aus, die eine Woche Aufenthalt als nutzlos oder vertan anzusehen. Die Kammer geht davon aus, daß die Reiseleistungen nur dann ohne Interesse für den Reisenden sind, wenn die Reise vereitelt oder erheblich beeinträchtigt war (§ 651 f II BGB: vgl. hierzu Tempel, JuS 1984, 91, Fußnote 142). Ebenso wie bei § 651 f II BGB ist dies aber nur dann der Fall, wenn Mängel mit einem Gesamtgewicht von mindestens 50% vorgelegen haben (OLG Frankfurt, 29.2.1984, 17 U 55/83; LG Frankfurt, 30.4.1984, 2/24 S 306/83). Auch eine Ausstrahlung der Mängel auf die Gesamtreise, daß diese wertlos wurde, ist zu verneinen.

33. Die Beklagte ist demnach zur Rückzahlung von 798,– DM abzüglich 299,25 DM = 498,75 DM verpflichtet. Unter Berücksichtigung der vorprozessual geleisteten Rückzahlung von 175,50 DM ergibt sich eine Restforderung von 323,25 DM. Der vom Amtsgericht zugesprochene Zinsanspruch von 4% ab 21.1.1981 ist nach §§ 288, 291 BGB gerechtfertigt.

34. Dem Anspruch der Klägerin steht auch nicht die in der Niederschrift vom 18.5.1980 enthaltene Abfindungsklausel entgegen. Die Kammer hat den in erster Instanz erhobenen Einwand der Beklagten im Hinblick auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil überprüft (§ 537 ZPO) und gelangt zu dem gleichen Ergebnis wie der Vorderrichter. Dabei kommt es aber entgegen dessen Auffassung nicht darauf an, ob die Klägerin bei Unterzeichnung einen Vorbehalt gemacht hat, …. Die Kammer ist nämlich in Fortentwicklung der bereits im Urteil vom 28.2.1983 – 2/24 S 128/82 – vertretenen Ansicht der Auffassung, daß Abfindungsklauseln, die am Urlaubsort im Hinblick auf die Rückzahlung eines Teiles des Reisepreises wegen Mängeln oder teilweiser Nichtinanspruchnahme von Leistungen dem Reisenden abverlangt werden, nach § 651 k BGB unwirksam sind.

35. Nach § 651 k kann von den Vorschriften der §§ 651 a bis j nicht zum Nachteil des Reisenden abgewichen werden. Die Bestimmung nennt als halbseitig zwingende Norm nicht nur die einzelnen materiellen Ansprüche des Reisenden, sondern bezieht auch das Anmelde verfahren nach § 651 g ein.

36. Diese Vorschrift beruht auf der im Reisevertragswesen üblichen Praxis, daß der Kunde den vollen Reisepreis vor Beginn der Reise an den Reiseveranstalter bezahlt hat, mithin bei mangelhaften Reiseleistungen oder sonstigen Pflichtverletzungen des Reiseveranstalters auf eine Rückforderung des Reisepreises angewiesen ist. Der Reisende befindet sich in einer schlechteren Stellung als der Besteller im Werkvertragsrecht, der bei Vorliegen von Mängeln die Abnahme des Werkes und die Zahlung der vereinbarten Vergütung (ganz oder teilweise) verweigern kann. Die Kammer ist zwar entgegen Tonner (Betr.1980, 1629) der Meinung, daß die von dem Reiseveranstalter in den AGB vereinbarte Vorauszahlung nicht nach § 11 Nr. 2 AGBG oder § 9 AGBG zu beanstanden ist (ebenso Löwe, MüKo. § 651 a Rdnr. 34; Staudinger-​Schwerdtner, § 651 a, Rdnr. 105; Larenz VersR 1980, 689, 692). Der Gesetzgeber hat bei Schaffung des Reisevertragsgesetzes eine Abnahme wie in § 641 BGB nicht übernommen; außerdem war ihm die in der Praxis übliche Handhabung einer Vorauszahlung bekannt. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, daß der Gesetzgeber mit der Schaffung der §§ 651 a ff BGB einen Reisevertragstyp festlegen wollte, der in seinem Leitbild von der bisherigen allgemeinen Handhabung wesentlich abweichen würde.

37. Geht man mithin mit der herrschenden Meinung von der Zulässigkeit einer Vorauszahlung des vollen Reisepreises mit der Konsequenz aus, daß der Reisende bei Schlechterfüllung seinerseits in die Offensive einer Geltendmachung von Rückzahlungsansprüchen gedrängt wird, so kann eine weitere Verschlechterung seiner Rechtsposition nicht hingenommen werden. Der Gesetzgeber ging wie alle redlichen Vertragspartner davon aus, daß der Reisende nach Beendigung der Reise seine Ansprüche bei dem Reiseveranstalter geltend machen werde und bei deren Zurückweisung Rechtsschutz durch die Gerichte der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch nehmen könne. Diese haben dann zu überprüfen, ob und welche Ansprüche nach Grund und Höhe gegeben sind. Die Anerkennung von Abfindungsklauseln, die am Urlaubsort dem Reisenden anläßlich der Rückzahlung eines Teilbetrages der Vergütung im Rahmen einer Quittung abverlangt werden, würde den gesamten Rechtsschutz des Reisenden zunichte machen. Die Gerichte wären darauf beschränkt, den anerkannten Betrag zuzuerkennen, wenn ihn nicht der Reiseveranstalter sowieso schon freiwillig gezahlt hätte. Das kann sicher nicht im Sinne der gesetzlichen Verankerung des Verbraucherschutzes im Reiserecht gewollt gewesen sein. Das Gericht ist deshalb aus grundsätzlichen Erwägungen der Meinung, daß § 651 k mit seiner Verweisung auf § 651 g BGB der Anerkennung von Abfindungsklauseln, die am Urlaubsort vom Reisenden unterschrieben werden, entgegensteht.

38. Für diese Meinung sprechen im übrigen noch folgende Erwägungen, die – was Formularklauseln betrifft – auch die Anwendung von § 9 AGBG rechtfertigen würden. Der Reisende, der wegen erheblicher Mängel am Urlaubsort nach § 651 e BGB kündigt oder nach Beseitigung von Mängeln im Wege der Selbstabhilfe nach § 651 c III BGB auf die Rückerstattung eines Teiles der Vergütung dringend angewiesen ist, da er die Summe zum Bestreiten seiner Bedürfnisse am Urlaubsort braucht, ist bei Konfrontation mit der vorgelegten Klausel in einer starken Drucksituation. Er benötigt das Geld, um damit auf eigene Kosten ein selbst gefundenes Ersatzhotel zu bezahlen oder nach Beseitigung von Mängeln im Wege der Selbsthilfe den Betrag als notwendiges Taschengeld zur Verfügung zu haben. Unter diesen Umständen ist es grob unbillig, wenn der Reiseveranstalter diese Situation derart zu seinen Gunsten ausnutzt, daß er im Rahmen der Quittung des zurückzuzahlenden Betrages nebenbei eine Abfindungserklärung sich verschafft. Für die Kammer spielt hierbei auch eine Rolle, daß in den nach bisheriger Erfahrung vorliegenden Fällen die Gefahr besteht, daß die gezahlten „Abfindungsbeträge“ unter der Summe lagen, die bei Entscheidung der Kammer bei genauer rechtlicher Betrachtung dem Reisenden zugesprochen werden. Schließlich ist auch der örtliche Reiseleiter überfordert, eine genaue rechtliche Prüfung über die Höhe der geschuldeten Rückerstattung vorzunehmen. Das zeigt gerade der vorliegende Fall, bei dem die errechneten Beträge ebensowenig plausibel sind wie der Abzug von 25% nicht zu erstattender …-​Selbstkosten. Dabei ist vor allem nicht berücksichtigt, daß im Falle einer Kündigung nach § 651 e BGB der Vergütungsanspruch des Reiseveranstalters zunächst in Wegfall kommt und durch einen Anspruch auf Entschädigung, begrenzt für solche Leistungen ersetzt wird, die für den Reisenden noch ein Interesse haben. Auch muß im Rahmen der dem Reiseveranstalter zuzubilligenden Entschädigung eine Minderung wegen der Mängel der erbrachten Teilleistungen in Abzug gebracht werden. Alles das ist in dem für alle Fälle für Nichtinanspruchnahme von Leistungen vorgesehenen Formular nicht berücksichtigt und geht über das Beurteilungsvermögen des örtlichen Reiseveranstalters hinaus. Eine Anerkennung der Abfindungsklausel würde letzten Endes darauf hinauslaufen, daß der örtliche Reiseleiter ähnlich einem Schiedsgutachter einseitig zugunsten des Reiseveranstalters die Erstattungssumme festlegt und den Reisenden der gerichtlichen Durchsetzung seiner Ansprüche beraubt.

39. Das angefochtene Urteil war demnach teilweise abzuändern.

40. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92, 97 I ZPO.

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