Auslegungsbedarf der Verordnung (EG) 261/2004 bei Nichtbeförderung/Annullierung
BGH: Auslegungsbedarf der Verordnung (EG) 261/2004 bei Nichtbeförderung/Annullierung
Ein Fluggast nimmt ein Luftfahrtunternehmen auf Ausgleichszahlung in Anspruch, weil er es aufgrund von Verspätungen bei Abflug nicht rechtzeitig zum Anschlussflug schaffte und am Endziel erst 25 Stunden nach geplanter Ankunftszeit ankam.
Der Bundesgerichtshof änderte das Urteil des Amtsgerichts ab und entschied, dass die einzelnen Etappen als Gesamtflug anzusehen sind und somit dem Fluggast ein Ausgleichsanspruch zusteht.
BGH | X ZR 150/10 (Aktenzeichen) |
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BGH: | BGH, Urt. vom 17.09.2013 |
Rechtsweg: | BGH, Urt. v. 17.09.2013, Az: X ZR 150/10 |
LG Frankfurt, Urt. v. 25.11.2010, Az: 24 S 88/10 | |
AG Frankfurt, Urt. v. 11.05.2010, Az: 30 C 142/10 | |
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Leitsatz:
2. Ein Fluggast hat einen Ausgleichsanspruch, wenn er seinen Anschlussflug aufgrund von mehr als 3 Stunden Verspätung verpasst.
Die Ausgleichsleistung ist auch dann zu erbringen, wenn die verspätete Ankunft am Endziel darauf beruht, dass infolge der Flugverspätung ein selbst nicht verspäteter Anschlussflug verpasst worden ist (Festhaltung BGH, 7. Mai 2013, X ZR 127/11, NJW-RR 2013, 1065).
Zusammenfassung:
3. Im vorliegenden Fall buchte der Kläger bei dem beklagten Luftverkehrsunternehmen für sich und seine Ehefrau Hin- und Rückflüge. Der Abflug vom Startflughafen verzögerte sich jedoch um 1 Stunde und 40 Minuten. Bei der Landung am Zwischenziel war der vorgesehene Anschlussflug bereits gestartet. Die Beklagte beförderte den Kläger und seine Ehefrau am folgenden Tag. Sie erreichten ihr Endziel infolgedessen mit einer Verspätung von 25 Stunden.
Der Kläger begehrt eine Ausgleichzahlung für die Verspätung der Ankunft am Endziel.
Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Landgerichts aufgehoben und das des Amtsgerichts Frankfirt abgeändert und entschied, dass die einzelnen Etappen als Gesamtflug anzusehen sind und somit dem Fluggast ein Ausgleichsanspruch zusteht. Bei einer Verspätung von mehr als 3 Stunden ist die Verspätung wie eine Annulierung anzusehen und das Luftfahrtunternehmen ist zum Ausgleich verpflichtet.
Tenor
4. Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 25. November 2010 aufgehoben und das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 11. Mai 2010 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.200 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. Dezember 2009 sowie vorgerichtlich entstandene Anwaltskosten in Höhe von 223,72 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. Januar 2010 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
5. Der Kläger buchte bei dem beklagten Luftverkehrsunternehmen für sich und seine Ehefrau Hin- und Rückflüge für die Strecke Frankfurt am Main – Lissabon – Recife. Der Flug von Frankfurt am Main nach Lissabon sollte am 29. Oktober 2009 um 13.30 Uhr starten, der Abflug verzögerte sich jedoch um 1 Stunde und 40 Minuten. Bei der Landung in Lissabon war der vorgesehene Anschlussflug bereits gestartet. Die Beklagte beförderte den Kläger und seine Ehefrau am folgenden Tag. Sie erreichten Recife infolgedessen mit einer Verspätung von 25 Stunden.
6. Der Kläger verlangt für sich und aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau eine Ausgleichszahlung von je 600 € nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (im Folgenden: Fluggastrechteverordnung) nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten.
7. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe
8. I. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch wegen Verspätung verneint. Bei der Flugreise von Frankfurt am Main nach Recife via Lissabon handele es sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht um einen einheitlichen Flug; die Reise habe vielmehr aus zwei getrennt zu betrachtenden Flügen bestanden. Selbst wenn man die beiden Flüge als Einheit betrachten wolle, löse allein eine um mehr als drei Stunden verspätete Ankunft den Ausgleichsanspruch nicht aus. Verspätete Flüge im Sinne der Fluggastrechteverordnung seien nur solche, bei denen sich der Abflug – wie hier nicht – um eine in Art. 6 FluggastrechteVO genannte Zeitdauer verzögere.
9. II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Da der Rechtsstreit auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden und die Klage zuzusprechen.
10. 1. Die Fluggastrechteverordnung ist, wie auch das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, anwendbar, da die Reisenden auf einem Flughafen in Deutschland einen Flug, nämlich den ersten gebuchten Flug von Frankfurt am Main nach Lissabon, angetreten haben (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a FluggastrechteVO).
11. 2. Der verspätete Abflug dieses Flugs hat dazu geführt, dass die Reisenden ihr Endziel Recife erst einen Tag nach der geplanten Ankunft erreicht haben. Dies begründet den mit der Klage geltend gemachten Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO.
12. Den Fluggästen eines verspäteten Flugs steht ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 der Verordnung zu, soweit sie infolge der Flugverspätung ihr individuelles Endziel mit einer Verspätung von mindestens drei Stunden erreichen. Die Ausgleichsleistung ist, wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, davon unabhängig, ob die verspätete Erreichung des Endziels darauf beruht, dass sich der Abflug des verspäteten Flugs um die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a bis c FluggastrechteVO genannten Zeiten verzögert hat, und von dem Luftverkehrsunternehmen auch dann zu erbringen, wenn die verspätete Ankunft am Endziel darauf beruht, dass infolge der Flugverspätung ein selbst nicht verspäteter Anschlussflug verpasst worden ist (BGH, Urteil vom 7. Mai 2013 – X ZR 127/11, NJW-RR 2013, 1065 im Anschluss an EuGH, Urteil vom 19. November 2009 – C-402/07, NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 – Sturgeon/Condor; Urteil vom 23. Oktober 2012 – C581/10 – Nelson/Lufthansa; Urteil vom 26. Februar 2013 – C11/11 – Air France/Folkerts). Bedenken gegen diese Auslegung der Fluggastrechteverordnung ergeben sich weder aus dem Primärrecht der Europäischen Union noch aus dem Grundgesetz.
13. III. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 286 Abs. 1, 288 BGB, § 91 Abs. 1 ZPO.
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