Ausgleichsanspruch gegen nichteuropäische Fluggesellschaft

LG Hamburg: Ausgleichsanspruch gegen nichteuropäische Fluggesellschaft

Eine Fluggesellschaft wurde verklagt, weil ein Defekt am Flugzeug dazu führte, dass der Fluggast zum Abflugort zurückkehren und einen anderen Flug, der durch die Fluggesellschaft vorgeschlagen wurde buchen musste.

Das Landgericht Hamburg hat dem Kläger eine Schadensersatzzahlung zugesprochen.

LG Hamburg 332 S 104/10 (Aktenzeichen)
LG Hamburg: LG Hamburg, Urt. vom 25.02.2011
Rechtsweg: LG Hamburg, Urt. v. 25.02.2011, Az: 332 S 104/10
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Landgericht Hamburg

1. Urteil vom 25. Februar 2011

Aktenzeichen: 332 S 104/10

Leitsatz:

2. Ändert ein Flugunternehmen eine ursprünglich geplante Flugroute zur Heimat der Flugreisenden, so muss es sich an diese Änderung halten.

Zusamenfassung:

3. Im vorliegenden Fall hat ein Flugunternehmen den Rückflug eines Flugzeugs wegen eines Defekts über ein anderes Flugunternehmen vollziehen wollen. Diese änderte es jedoch zu einem Rückflug über eine andere Route.

Der Kläger begehrt von dem beklagten Luftfahrtunternehmen einen Schadensersatz wegen der Annullierung des ursprünglichen Fluges. Als Rechtsgrundlage werden die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts aus dem Bürgerliche Gesetzbuch genommen.

Das Landgericht in Hamburg hat dem Kläger den Mehrkostenersatz zugesprochen. Bei einem Flug handelt es sich um ein Fixgeschäft. Der Flug muss dann erfolgen, wie zuvor bei der Buchung vereinbart wurde. Kommt es zu einer Annullierung eines Fluges, so kommt das Luftfahrtunternehmen in Verzug und macht sich dem Fluggast gegenüber schadensersatzpflichtig.

Tenor:

4. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des AGs Hamburg vom 12.05.2010 (Az. 17A C 54/10) abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 1.200,– zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.02.2006 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

I.

5. Der Kläger verlangt – teilweise aus abgetretenem Recht – von der Beklagten eine Ausgleichszahlung im Zusammenhang mit einem Flug von Bangkok nach Hamburg im September 2005.

6. Gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO wird anstelle des Tatbestandes auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

7. Nach der Rückkehr der Maschine der Beklagten nach Bangkok wegen eines Turbinenschadens circa 2 1/2 Stunden nach dem (pünktlichen) Start wurden der Kläger und seine Mitreisende nach Umbuchung durch die Beklagte von einer anderen, außereuropäischen Fluggesellschaft nach Hamburg befördert, wobei der Flug nicht auf der Strecke Bangkok-Paris-Hamburg, wie von der Beklagten geplant, sondern auf der Strecke Bangkok-Wien-Hamburg erfolgte.

8. Das AG hat der Klage abgewiesen.

9. Mit der Berufung verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Antrag weiter.

10. Der Kläger beantragt,

das Urteil des AGs Hamburg vom 12.05.2010, zugestellt am 21.05.2010, Aktenzeichen … abzuändern und für Recht zu erkennen, die Berufungsbeklagte wird verurteilt, an den Berufungskläger € 1.200,– zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

11. Die Beklagte beantragt,

Zurückweisung der Berufung

sowie für den Fall, dass die Kammer der Berufung Aussicht auf Erfolg zubilligt, Vorlage der hier entscheidungserheblichen Auslegungsfragen beim EuGH.

12. Mit Schriftsatz vom 18.01.2011 hat die Beklagte die Zulassung der Revision beantragt. Hinsichtlich des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird ergänzend auf den Inhalt der insoweit eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

13. Die zulässige Berufung ist in der Sache begründet.

14. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von € 1.200,– aus Art. 7 Abs. 1 c), 5 Abs. 1 c), 2 l) (EG) VO Nr. 261/2004 i. V. m. § 398 BGB.

15. Der von der Beklagten abgebrochene Flug von Bangkok nach Paris ist i. S. d. Art. 5, 2 l) (EG) VO Nr. 261/2004 annulliert worden.

16. Gemäß Art. 2 l) (EG) VO Nr. 261/2004 ist unter einer „Annullierung“ die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war, zu verstehen. Der EuGH hat diese Definition der Verordnung dahingehend konkretisiert, dass von einer Annullierung ausgegangen werden kann, wenn die Planung des ursprünglichen Fluges aufgegeben wird und die Fluggäste dieses Fluges zu den Fluggästen eines anderen, ebenfalls geplanten Fluges stoßen (EuGH, NJW 2010, 43 (44)). Nach diesem Maßstab liegt hier eine Annullierung des von der Beklagten abgebrochenen Fluges vor: Die Beklagte hat die Planung des Fluges Bangkok-Paris-Hamburg aufgegeben, und der Kläger sowie seine Mitreisende sind aus diesem Grunde mit einem Flug einer anderen Fluggesellschaft auf einer anderen Strecke nach Hamburg befördert worden.

17. Der Annahme einer Annullierung des Fluges der Beklagten steht nichts entgegen, dass der Flug unstreitig zunächst pünktlich gestartet ist.

18. Zwar sind die Regelungen des Art. 5 Abs. 1 c) i)-iii) (EG) VO Nr. 261/2004 auf die Situation einer Streichung eines Fluges vor dessen Start bezogen. Bei den genannten Regelungen handelt es sich indes um Ausnahmen, bei deren Vorliegen die grundsätzliche Ausgleichszahlungspflicht der Fluggesellschaft nach Art. 7 Abs. 1 c), 5 Abs. 1 c) (EG) VO Nr. 261/2004 entfällt. Dem Entschädigungsanspruch gemäß Art. 5 Abs. 1 c) (EG) VO Nr. 261/2004 selbst ist keine Beschränkung auf Flugstreichungen vor dem Start zu entnehmen. Dass die Ausnahmeregelungen des Art. 5 Abs. 1 c) i)-iii) (EG) VO Nr. 261/2004 Flugabbrüche nach dem Start nicht erwähnen, ist zwanglos damit zu erklären, dass die dort geregelten Unterrichtungspflichten nach dem Start der Maschine keine Bedeutung mehr haben.

19. Nach der insoweit klaren Rechtsprechung des EuGH kommt es für die Frage des Vorliegens einer Annullierung allein darauf an, ob die Planung eines Fluges aufgegeben wurde; da ein Flug aus der Luftbeförderung auf einer Flugroute besteht (vgl. BGH, EuZW 2009, 589 (589)), kann die Planung eines Fluges auch noch nach dem Start aufgegeben werden. Für diese Interpretation spricht auch, dass der EuGH im Rahmen seiner Definition einer „Annullierung“ keine zeitlichen Einschränkungen erwähnt (EuGH, NJW 2010, 43 (44)). Auch der nach der Rechtsprechung des EuGH bestehende Grundsatz der weiten Auslegung der Ausgleichsansprüche von Fluggästen aus Gründen der Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus (EuGH, NJW 2010, 43 (45)) streitet für die Möglichkeit der Aufgabe der Planung eines Fluges auch nach dem Start. Der Annahme einer Flugannullierung steht deswegen der Abbruch eines Fluges nach dem Start ebenso wenig wie der Abbruch eines Startversuchs (vgl. LG Landshut, Urteil vom 18.12.2009, Az. 12 S 1250/09, zit. nach juris) entgegen.

20. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Auffassung des EuGH, dass ein verspäteter Flug unabhängig von der Dauer der Verspätung nicht als annulliert angesehen werden könne, wenn der Abflug entsprechend der ursprünglichen Flugplanung stattfindet (EuGH, NJW 2010, 43 (44)). Denn aus den weiteren Ausführungen des EuGH ergibt sich, dass dies nur bei einer Beförderung mit dem verzögerten Flug gilt, während bei einer Beförderung mit einem anderen Flug, dessen Planung von der des ursprünglichen Fluges abweicht, eine Annullierung vorliegt (EuGH, NJW 2010, 43 (44)). Hier sind der Kläger und seine Mitreisende aber nicht von der Beklagten über Paris nach Hamburg befördert worden; vielmehr hat die Beförderung nach Hamburg mit einem anderen Flug einer anderen Fluggesellschaft auf einer anderen Strecke stattgefunden. Danach bleibt es dabei, dass bei Anwendung der Maßstäbe des EuGH im vorliegenden Fall eine Annullierung des Fluges der Beklagten gegeben ist.

21. Dem Entschädigungsanspruch des Klägers steht auch nicht entgegen, dass der Rückflug im Ergebnis nicht (wie der Hinflug) von der Beklagten, sondern von einer nichteuropäischen Fluggesellschaft durchgeführt wurde. Auch wenn Hin- und Rückflug grundsätzlich getrennte Flüge darstellen (vgl. EuGH, NJW 2008, 2697 (2698 f.)), ist vorliegend der Anwendungsbereich der (EG) VO Nr. 261/2004 gemäß deren Art. 3 Abs. 1 b) eröffnet, da die Beklagte als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ des Rückfluges i. S. d. Art. 2 b), c) (EG) VO Nr. 261/2004 anzusehen ist; unstreitig war die Beklagte dem Kläger vertraglich verpflichtet, den Rückflug durchzuführen. Dieser – zunächst gestartete – Rückflug wurde letztlich annulliert, woraus bereits der Anspruch des Klägers auf Ausgleichszahlung folgt, da die Ausnahmen des Art. 5 Abs. 1 c) (EG) VO Nr. 261/2004 hier nicht gegeben sind. Dass der dann tatsächlich durchgeführte Rückflug auf einer anderen Strecke mit einer nichteuropäischen Fluglinie angetreten wurde, ist danach im Verhältnis zu der Beklagten unerheblich.

22. Der Ausgleichsanspruch des Klägers ist nicht gemäß Art. 5 Abs. 3 (EG) VO Nr. 261/2004 ausgeschlossen, weil die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückginge, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Denn ein bei einem Flugzeug auftretendes technisches Problem fällt grundsätzlich nicht unter den Begriff der „außergewöhnlichen Umstände“ gemäß Art. 5 Abs. 3 (EG) VO Nr. 261/2004, es sei denn, dass es auf Umstände zurückgeht, die nicht Teil der normalen Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens und von diesem nicht zu beherrschen sind (vgl. EuGH, NJW 2010, 43 (47)). Ein Triebwerksschaden wie im vorliegenden Fall ist danach grundsätzlich nicht als „außergewöhnlicher Umstand“ zu werten; der Vortrag der Beklagten rechtfertigt die Annahme außergewöhnlicher, nicht beherrschbarer Umstände nicht.

23. Folgt der Entschädigungsanspruch des Klägers nach dem Gesagten unmittelbar aus Art. 7 Abs. 1 c), 5 Abs. 1 c) (EG) VO Nr. 261/2004, so kommt es auf Fragen der entsprechenden Anwendung der Entschädigungsregelungen auf Fälle der Flugverspätung (vgl. EuGH, NJW 2010, 43) vorliegend nicht an.

24. Der Zinsanspruch des Klägers folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 BGB.

26. Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

27. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.

28. Eine Vorlage der vorliegend relevanten Auslegungsfrage zu Art 5 Abs. 1 (EG) VO Nr. 261/04 an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV ist nicht veranlasst, da insoweit auf der Grundlage einer gesicherten Rechtsprechung des Gerichtshofes und der Offenkundigkeit der richtigen Auslegung des Unionsrechts entschieden wurde. Die im Schriftsatz der Beklagten vom 18.01.2011 aufgeführten Vorlagefragen sind nicht entscheidungserheblich, da die Beklagte zweifelsfrei „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ i. S. d. Art. 2 b) (EG) VO Nr. 261/2004 hinsichtlich des hier allein relevanten annullierten Fluges war.

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