Klage aus Flugreisevertrag über ausländisches Reiseziel
LG Frankfurt: Klage aus Flugreisevertrag über ausländisches Reiseziel
Es handelt sich um einen Rechtsstreit auf Grundlage einer Flugreise ins Ausland, die die Kläger bei der Beklagten, einem in Deutschland ansässigen Unternehmen, gebucht hatten.
Das Landgericht Frankfurt hat sich für örtlich unzuständig erklärt, da der Ort der Abreise kein Erfüllungsort sei.
LG Frankfurt | 2-24 O 209/13 (Aktenzeichen) |
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LG Frankfurt: | LG Frankfurt, Urt. vom 06.03.2015 |
Rechtsweg: | LG Frankfurt, Urt. v. 06.03.2015, Az: 2-24 O 209/13 |
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Leitsätze:
2. Der Abflugsort eines Auslandsfluges ist nicht der schuldrechtliche Erfüllungsort, sodass dort kein Gerichtsstand begründet ist.
Über die örtliche Zuständigkeit wurde wegen europarechtlicher Unklarheit keine abschließende Feststellung getroffen.
Zusammenfassung:
3. Es handelt sich um einen Rechtsstreit auf Grundlage einer Flugreise ins Ausland, die die Kläger bei der Beklagten, einem in Deutschland ansässigen Unternehmen, gebucht hatten. Abflugsort war Frankfurt/Main, die Kläger wohnen in Nürnberg, die Beklagte hat ihren Sitz in Koblenz.
Das Landgericht Frankfurt hat sich für örtlich unzuständig erklärt, da der Ort der Abreise kein Erfüllungsort sei. Ob Nürnberg oder Koblenz örtlich zuständig sei, wurde hier nicht endgültig entschieden, sondern diese Frage wurde dem Gericht in Nürnberg überlassen.
Tenor
6. erklärt sich das Landgericht Frankfurt am Main auf die aufrecht erhaltene Zuständigkeitsrüge der Beklagten nach Anhörung der Parteien nunmehr für örtlich unzuständig und verweist den Rechtsstreit auf Antrag der Kläger an das Landgericht Nürnberg.
Gründe
I.
7. Nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage bzgl. der örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main ist diese nunmehr zu verneinen.
8. Der Dezernent hält nach entsprechenden Erörterungen in der Kammer nicht mehr an der Auffassung fest, dass die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main gegeben ist. Der Dezernent geht nunmehr in Übereinstimmung mit der Kammerrechtsprechung davon aus, dass die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main nicht begründet ist.
9. Die Kammer geht nunmehr auf der Grundlage des Beschlusses der Kammer vom 03.01.2014 (Az. 2-24 O 257/13) einheitlich davon aus, dass bei einem Reisevertrag der Ort des Abflugs keinen Gerichtstand des Erfüllungsorts gem. § 29 ZPO begründet.
10. Mit der Klage macht der Kläger Zahlungsansprüche gegen die Beklagte geltend. Zahlungsansprüche hat die Beklagte gemäß § 269 Abs. 1 BGB an ihrem Sitz zu erfüllen. Einen anderen Ort haben die Parteien nicht bestimmt. Ein solcher ergibt sich auch nicht aus der Natur des Schuldverhältnisses. Zwar kommt bei gegenseitigen Verträgen ein gemeinsamer Erfüllungsort in Betracht, insbesondere dort, wo die vertragswesentliche Leistung zu erbringen ist, wie z.B. bei Bauverträgen am Ort des Bauwerkes. Allerdings entscheidet die vertragswesentliche Leistung einen gemeinsamen Erfüllungsort nicht alleine. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzutreten (vgl. BGH Urt. v. 24.1.2007, Az. XII ZR 168/04, R. 21, zit. nach juris). Handelt es sich nicht um eine vertragscharakteristische Leistung oder liegen mehrere gleichrangige Verpflichtungen vor, scheidet die Annahme eines gemeinsamen Erfüllungsortes aus (vgl. BGH a.a.O. sowie Urt. v. 27.4.2010, Az. IX ZR 108/09, R. 24).
11. Bei einem Reisevertrag liegt ein vertragscharakteristischer Leistungsort nicht vor, jedenfalls besteht er nicht an dem Ort, an dem die Reisenden für die Beförderung zum Reiseziel den Flug antreten. Vertragscharakteristisch mag allenfalls der Ort des Aufenthalts sein, weil Sinn und Zweck einer Reise das Verbringen einer Urlaubszeit am Urlaubsort ist. Der Transport zum Urlaubsort hat demgegenüber nur eine untergeordnete Bedeutung und begründet deshalb keinen Erfüllungsort am Ort des Abfluges.
12. Es kann dahin stehen, ob vor dem Hintergrund, dass Inhalt des Reisevertrages eine Reise in das Ausland ist, die Anwendbarkeit der VO (EG) 44/2001 (sog. Brüssel-I-VO), jetzt VO (EU) 1215/2012 (sog. Brüssel-Ia-VO) gegeben ist. Auch bei Anwendung der Brüssel-I-VO ist ein Gerichtsstand in Frankfurt am Main nicht gegeben. Der Kläger hat seinen allgemeinen Gerichtsstand nicht in Frankfurt am Main. Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes i.S.d. Art. 5 Nr. 1 Buchst.b EuGWO a.F. (Brüssel-I-VO) (jetzt: Art. 7 Nr. 1 Buchst, b EuGWO n.F. (Brüssel-Ia-VO)) begründet ebenfalls nur einen Gerichtsstand an dem Ort, wo die hauptsächliche Leistung zu erbringen ist (vgl. EuGH, Urt. v. 11.3.2010, Az C-19/09, R 33 zit. nach juris). Auch dieser Ort wäre nicht der Ort des Abfluges.
13. Aus diesen Gründen ist der Auffassung des OLG Frankfurt am Main (Beschl. v. 30.7. 2012 – 11 AR 142/12) nicht zu folgen.
14. Nach all dem ist vorliegend die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main nicht gegeben. Die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit hat die Beklagte im gesamten Verfahren immer aufrechterhalten.
II.
15. Das Landgericht Frankfurt am Main verweist den Rechtsstreit auf Antrag der Kläger an das Landgericht Nürnberg, dem Wohnsitzgericht der Kläger.
16. Mit dieser Verweisung ist jedoch ausdrücklich keine Bindungswirkung im Sinne von § 281 II 4 ZPO verbunden.
17. Vorliegend kommen als zuständige Gerichte das Landgericht Nürnberg als Wohnsitzgericht der Kläger und das Landgericht Koblenz als Sitzgericht der Beklagten in Betracht.
18. Eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Nürnberg ergibt sich nicht aus der ZPO. Ein Verbrauchergerichtsstand entsprechend Art. 16 VO (EG) Nr. 44/2001, jetzt Art. 18 VO (EU) Nr. 1215/2012 kennt die deutsche Zivilprozessordnung nicht.
19. Jedoch hat sich mittlerweile die kontroverse Frage aufgetan, ob der in Deutschland wohnende Reisende bei einem Reisevertrag den Reiseveranstalter ebenfalls mit Sitz in Deutschland an seinem eigenen Wohnsitz verklagen kann.
20. Ein Gerichtsstand am Wohnsitz der Kläger kommt nur dann in Betracht, wenn auf den vorliegenden Rechtsstreit Art. 16 VO (EG) Nr. 44/2001, jetzt Art. 18 VO (EU) Nr. 1215/2012 anwendbar ist. Dazu müsste der Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet sein. In Fällen, in denen ein deutscher Reisende einen Reiseveranstalter mit Sitz ebenfalls in Deutschland verklagt, werden Klagen, die am Sitz des Klägers erhoben werden, regelmäßig an das für den Sitz des Reiseveranstalters zuständige Gericht verwiesen, da davon ausgegangen wird, dass ein rein nationaler Rechtsstreit vorliegt, auf den die Vorschriften der deutschen Zivilprozessordnung anwendbar sind. Dies ist für Reiseverträge mit einem Zielort ebenfalls in Deutschland unbestritten (so selbst Staudinger, zuletzt juris Monatszeitschrift 2015, S. 46, sog. echte Inlandsfälle). Es fragt sich aber, ob dieser Grundsatz auch dann gilt, wenn das Reiseziel nicht in Deutschland liegt, sondern im Ausland. Hier vertritt Staudinger (vgl. RRa 2013, 2 ff sowie juris Monatsschrift 2015, 46 ff) die Auffassung, dass für Reiseziele außerhalb des gemeinsamen Mitgliedsstaates trotz des Umstandes, dass sowohl der Reisende als auch der Reiseveranstalter ihren Sitz im gleichen Mitgliedsstaat haben, ein Auslandbezug gegeben ist, der die Anwendbarkeit des Art. 16 VO (EG) Nr. 44/2001, jetzt Art. 18 VO (EU) Nr. 1215/2012, begründet (sog. unechte Inlandfälle). Wegen der Begründung von Staudinger für seine Auffassung wird auf den Inhalt der genannten Aufsätze (RRa 2013, 2 ff sowie juris Monatsschrift 2015, 46 ff) verwiesen.
21. Unabhängig von der Frage, ob die von Staudinger vertretene Rechtsaufassung zu den sog. unechten Inlandfällen zutreffend ist oder nicht, sieht sich das Landgericht Frankfurt am Main im Rahmen der Verweisung nach § 281 ZPO an einer eigenen bindenden Entscheidung dieser Frage gehindert, weil gemäß Art. 267 AEUV der Europäische Gerichtshof für die Auslegung europäischer Verordnungen zuständig ist. Eine Frage der Auslegung ist es ebenso, wenn es um die Frage geht, ob eine europäische Verordnung auf einen Rechtsstreit überhaupt anwendbar ist.
22. Die Entscheidung des EuGH vom 14.11.2013 (C-478/12) kann zur Klärung der Vorlagefragen nicht herangezogen werden, da sich der Auslandbezug in dem dort zu entscheidenden Fall daraus ergeben hat, dass der Reisevermittler seinen Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat hatte und der EuGH deswegen das Rechtsverhältnis zwischen dem Reisenden und dem Reiseveranstalter nicht als „rein intern“, sondern untrennbar mit dem Rechtsverhältnis mit dem Reisevermittler eingestuft hat (vgl. Urteil des EuGH a.a.O., R. 29). Ein solcher Auslandsbezug zu einem Reisevermittler oder einem anderen Vertragspartner in einem anderen Mitgliedsstaat liegt in diesem Rechtsstreit nicht vor. Hier kann sich ein Auslandsbezug allein aus dem Reiseziel ergeben.
23. Nach all dem steht nur fest, dass die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main nicht gegeben ist. Da die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Nürnberg im Verhältnis zum Landgericht Koblenz durch das Landgericht Frankfurt am Main wegen der dargelegten europarechtlichen Problematik nicht abschließend entschieden werden kann, kann die ausgesprochene Verweisung an das Landgericht Nürnberg keine Bindungswirkung haben. Das Landgericht Nürnberg wird über seine örtliche Zuständigkeit im Verhältnis zum Landgericht Koblenz eigenständig zu entscheiden haben.
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