Ausgleichszahlung FluggastVO gegen Airline

AG Obershausen: Ausgleichszahlung FluggastVO gegen Airline

Ein Fluggast nimmt ein Reiseunternehmen auf Zahlung einer Entschädigung wegen erheblicher Verspätung des erreichen des Zielortes. Der Rückflug landete allerdings nicht wie vereinbart am Zielort München, sondern in Stuttgart. Von Stuttgart gab es einen Bustransfer, der die Reisenden nach München brachte.  Der Fluggast kam daher erst einen Tag später am Ziel an.
Das Gericht entschied das dem Fluggast keine Entschädigung zusteht.

AG Oberhausen 35 C 2313/06 (Aktenzeichen)
AG Oberhausen: AG Oberhausen, Urt. vom 11. 12. 2006
Rechtsweg: AG Oberhausen, Urt. v. 11. 12. 2006, Az: 35 C 2313/06
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Nordrhein-Westfalen-Gerichtsurteile

Amtsgericht Oberhausen

1.Urteil vom 11. 12. 2006

Aktenzeichen: 35 C 2313/06

 Leitsatz:

2. Ein Reiseunternehmen ist ein Vermittler und kein ausführender Vertragspartner.

Zusammenfassung:
3. Im vorliegenden Fall buchte die Klägerin zusammen mit ihrer Familie eine Pauschalreise bei der Beklagten, ein Reiseunternehmen. Auf dem Rückflug wurde die Familie nicht auf den ursprünglich geplanten Flug mit dem Ziel München, sondern auf einen mit dem Ziel Stuttgart umgebucht. Nach der Landung um 22 Uhr in Stuttgart ging die Reise in einem Bus bis nach München weiter. Die Klägerfamilie kam erst gegen 2 Uhr morgen am Folgetag an.

Die Klägerin erhebt einen Anspruch, für sich und ihre mitgereiste Familie auf Zahlung einer Entschädigung von der Beklagten für die erhebliche Verspätung am Ziel.

Das Gericht entschied das der Klägerin kein Anspruch gegenüber der Beklagten, ein Reiseunternehmen hat. Das Reiseunternehmen trat hier lediglich als Vermittler, nicht als ausführende Fluggesellschaft auf. Das Gericht wies somit die Klage ab.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

5. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

7. Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung einer Ausgleichsleistung für die Nichtbeförderung mit einem gebuchten Flug.

8. Der Kläger buchte bei der Beklagten, einem Reiseunternehmen, für sich, seine Ehefrau, sowie seine beiden Kinder im November 2005 eine Pauschalreise in der Zeit vom 04.06.2006 bis zum 18.06.2006 in Antalya, Türkei. Der Rückflug sollte laut Buchung am 18.06.2006, 17.30 Uhr, ab Antalya, Ankunft in München um 19:45 Uhr, mit der türkischen Fluglinie ONUR Air erfolgen. Am Rückreisetag fanden sich der Kläger und seine Familie um 14.15 Uhr am Flughafen Antalya ein; sie wurden dann allerdings auf einen anderen Flug umgebucht, der in Stuttgart gegen 22.00 Uhr landete und einen Bustransfer nach München erforderte, wo der Kläger und seine Familie gegen 2 Uhr morgens am 19.6.2006 ankamen.

9. Der Kläger forderte die Beklagte mit anwaltlichen Schreiben vom 21.06.2006 und vom 26.06.2006 unter Fristsetzung zum 05.07.2006 zur Regulierung u.a. der hier geltend gemachten Ansprüche auf. Die Beklagte zahlte vorgerichtlich an den Kläger einen Betrag in Höhe von 100 €, den dieser nur unter Vorbehalt annahm.

10. Der Kläger stützt seine Ansprüche vorliegend auf die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.2.2004, AblEG L 46/1 v. 17.02.2004, über die gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (im folgenden: Verordnung Nr. 261/2004). Er ist der Ansicht, die Beklagte müsse insoweit für das Verhalten der ONUR AIR als ausführendem Luftfahrtunternehmen im Sinne dieser Verordnung einstehen bzw. die Beklagte selbst sei als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne dieser Verordnung anzusehen. Er macht ferner außergerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend, für die der Klägervertreter im Hinblick auf die ungewohnte Rechtsmaterie der Verordnung Nr. 261/2004 eine 1,5-fache Gebühr angesetzt hat.

11. Der Kläger beantragt,

12. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.600 € (in Worten: eintausendsechshundert Euro) nebst Verzugszins in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 07.07.2006, sowie 154,87 € nicht festsetzbare Rechtsanwaltskosten zu bezahlen.

13. Die Beklagte beantragt,

14. die Klage abzuweisen.

15. Sie ist der Ansicht, Ansprüche aus der Verordnung Nr. 261/2004 träfen nur die ONUR Air als ausführendes Luftfahrtunternehmen.

Entscheidungsgründe:

16. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 1.600 € gemäß Art. 4, 5, 7 Abs. 1 S. 1 lit. b) Verordnung Nr. 261/2004.

17. Dabei kann dahinstehen, ob vorliegend einer der haftungsbegründenden Tatbestände der Art. 4, 5 Verordnung Nr. 261/2004 gegeben ist oder nicht. Denn dem Wortlaut der Verordnung Nr. 261/2004 ist eindeutig und unmißverständlich zu entnehmen, daß diese Ansprüche gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen regelt. Gemäß Art. 2 lit. b) ist dies ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen – juristischen oder natürlichen – Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt. Nach dieser Legaldefinition ist die Beklagte als Pauschalreiseveranstalter, der lediglich seinerseits in Vertragsbeziehungen zu einem Luftfahrtunternehmen steht, kein ausführendes Luftfahrtunternehmen.

18. Daran ändert es entgegen der Ansicht des Klägers auch nichts, daß Art. 3 Abs. 5 S. 2 Verordnung Nr. 261/2004 unter den hier vorliegenden Umständen die Vermutung begründet, daß das betreffende Luftfahrtunternehmen im Namen der Person handelt, die mit dem Fluggast in Vertragsbeziehung steht. Denn hierdurch wird lediglich ein Tatbestandsmerkmal des Art. 2 lit. b) Verordnung Nr. 261/2004 begründet: diese Norm geht davon aus, daß entweder das ausführende Luftfahrtunternehmen in Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, oder aber es im Namen einer in solchen Vertragsbeziehungen stehenden Person handelt; letzterer Fall kann durch die Vermutung des Art. 3 Abs. 5 S. 2 Verordnung Nr. 261/2004 begründet werden, was letztlich der Beweiserleichterung dient. Das Haftungssystem der Verordnung Nr. 261/2004 ist eben keine Ausgestaltung einer vertraglichen Haftung, wie Art. 2 lit. b) zeigt: es ist ein gesetzlicher Haftungstatbestand gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen. Deshalb ist auch eine Zurechnung des Verschuldens der ONUR Air zur Beklagten im Rahmen der Verordnung Nr. 261/2004 nicht erforderlich. Dem Kläger ist zwar Recht zu geben, daß die Klägerin sich ein etwaiges Verschulden der ONUR Air als Erfüllungsgehilfin gemäß §278 BGB grundsätzlich zurechnen lassen muß: dies ist aber nur für die Frage einer vertraglichen Haftung der Beklagten aus dem Reisevertrag relevant und hat mit den Anspruchsgrundlagen der Verordnung Nr. 261/2004 nichts zu tun.

19. Aus diesem Grund trägt auch die Argumentation des Klägers nicht, der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz des „effet util“ gebiete eine Auslegung dergestalt, daß der Anspruch sich gegen den Vertragspartner des Reisenden richtet. Im Gegenteil: der von der Verordnung Nr. 261/2004 beabsichtigte erweiterte Schutz des Fluggastes einer Pauschalreise wird unter anderem gerade dadurch gewährleistet, daß die Verordnung dem Fluggast neben der ohnehin nach nationalem Recht schon bestehenden vertraglichen Haftung des Reiseunternehmens einen gesetzlichen Haftungstatbestand gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen als weiterem Schuldner gewährt. Diese Ansprüche bestehen nebeneinander und der Fluggast ist eben nicht auf seinen Vertragspartner beschränkt. Es ist deshalb die von dem Kläger vorgenommen Auslegung, die dem effet util zuwiderlaufen würde.

20. Der Kläger hat aber gegen die Beklagte auch keinen entsprechenden Anspruch aufgrund Minderung aus dem Reisevertrag gemäß §§ 651c, 651d BGB.

21. Zwar kann ein erheblich verspäteter Rückflug grundsätzlich zur Minderung berechtigen (vgl. Palandt § 651c Rn. 3). Bei einem vierzehntägigen Urlaub fällt eine solche Verspätung allerdings weniger ins Gewicht, als beispielsweise bei einem Kurzurlaub von wenigen Tagen; hinzu kommt, daß im preiswerten Massen-Flugbetrieb heutzutage grundsätzlich mit gewissen Verspätungen gerechnet werden muß. Im Hinblick hierauf hat beispielsweise OLG Düsseldorf NJW-RR 92, 1330 bei einer achtstündigen Verspätung eines Transatlantikflugs keine Minderung zuerkannt; nach AG Düsseldorf, Urteil vom 19.11.2003, 54 C 1489/03, sind bei einem preiswerten Charterflug Rückflugsverlegungen um bis zu neun Stunden Verspätung mit Bustransfer hinzunehmen. Diesen Wertungen schließt sich das Gericht an: preiswerte Pauschalreiseangebote wie das von dem Kläger gebuchte erfordern betriebswirtschaftlich eine derart knappe Kalkulation, daß mit gelegentlichen Unannehmlichkeiten beispielsweise aufgrund etwaiger Überbuchungen gerechnet werden muß. Die Verzögerung der Ankunft in München um sechs Stunden mag für den Kläger und seine Familie ärgerlich gewesen sein. Bei einer Reisedauer von 14 Tagen kann sie aber nach Auffassung des Gerichts aus den genannten Gründen jedenfalls keine Minderung von mehr als 5% des Netto-Reisewerts zu bewirken. Mit den gezahlten 100 € hat die Beklagte damit in jedem Fall bereits mehr geleistet, als ihr oblag.

22. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

23. Der Streitwert für die Berufung wird auf 1.600,00 € festgesetzt.

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