Abflugverspätung als Voraussetzung für Ausgleichsanspruch

AG Rüsselsheim: Abflugverspätung als Voraussetzung für Ausgleichsanspruch

Die Kläger forderten eine Ausgleichszahlung für die Verspätung ihrer Flugreise von Fuerteventura nach Frankfurt. Die Klage wurde abgewiesen, weil die Abflugverspätung weniger als 3 Stunden betrug.

AG Rüsselsheim 3 C 1130/12 (6) (Aktenzeichen)
AG Rüsselsheim: AG Rüsselsheim, Urt. vom 25.07.2012
Rechtsweg: AG Rüsselsheim, Urt. v. 25.07.2012, Az: 3 C 1130/12 (36)
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Amtsgericht Rüsselsheim

1. Urteil vom 25. Juli 2012

Aktenzeichen 3 C 1130/12 (36)

Leitsatz:

2. Um einen Ausgleichsanspruch für Flugverspätung zu begründen, muss die Abflugverspätung mehr als 3 Stunden betragen.

Zusammenfassung:

3. Der Abflug der Kläger von Fuerteventura nach Frankfurt am 1. November 2011 um verzögerte um zwei Stunden. Nach einer Zwischenlandung auf Gran Canaria wurde die Flugreise am Folgetag fortgesetzt. Die Reisenden begehrten eine Ausgleichszahlung nach der europäischen Fluggastrechteverordnung. Zunächst klagten sie vor dem Amtsgericht Bad Homburg gegen die Fluggesellschaft, doch das Gericht erklärt sich für international nicht zuständig. So zogen sie vor das Amtsgericht Rüsselsheim.

Dieses wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dass es neben der Ankunfts- auf die Abflugverspätung ankomme und diese über 3 Stunden betragen müsse, um einen Ausgleichsanspruch zu begründen. Das war vorliegend nicht der Fall, sodass die Kläger keinen Ausgleichsanspruch hatte.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

5. Die Parteien streiten um die Zahlung von Ausgleichsansprüchen nach der Verordnung (EG) 261/2004 (nachfolgend „VO“ genannt) wegen Flugverspätung.

6. Die Kläger buchten bei der Beklagten für den 01.11.2011 einen Flug von Fuerteventura nach Frankfurt am Main (planmäßige Landung: 21:30 Uhr). Nachdem sich die Kläger rechtzeitig am Abflughafen eingefunden hatten, startete der Flug in Fuerteventura mit einer Verspätung von 2 h. Nach einer kurzen Flugzeit wurde der Flug unterbrochen; es kam zu einer Zwischenlandung auf Gran Canaria. Der Flug wurde am 02.11.2011 fortgesetzt und landete an diesem Tage in Frankfurt am Main gegen 15:00 Uhr. Die Flugentfernung betrug über 1500 km.

7. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger machte Ansprüche mit Schreiben vom 13.01.2012 außergerichtlich gegenüber der Beklagten geltend und forderte diese zur Zahlung des Ausgleichsbetrags bis zum 25.01.2012 auf.

8. Auf Antrag der Kläger ist am 07.02.2012 Mahnbescheid erlassen worden, der am 09.02.2012 zugestellt worden ist und gegen den die Beklagte am 15.02.2012 Widerspruch eingelegt hat. Die Kläger haben zunächst die Durchführung des streitigen Verfahrens beim Amtsgericht Bad Homburg vor der Höhe beantragt. Das Amtsgericht Bad Homburg vor der Höhe hat sich mit Beschluss vom 13.04.2012 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das erkennende Gericht verwiesen.

9. Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger einen Gesamtbetrag in Höhe von EUR 800,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

10. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11. Die Beklagte ist der Auffassung, dass für die klägerseits geltend gemachten Ansprüche eine Abflugverspätung erforderlich sei, diese vorliegend aber fehle.

Entscheidungsgründe:

12. Die Klage ist unbegründet.

13. Die Klägerseite hat keinen Anspruch auf Leistung von Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. b), Art. 6 Abs. 1 VO. Nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.2009 (Aktenzeichen C-​402/07 und C-​432/07) sowie des Bundesgerichtshofs vom 18.02.2010 (Aktenzeichen Xa ZR 95/06) sind die Art. 5, 6 und 7 VO dahin auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichzustellen sind, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von 3 h oder mehr erleiden, ihr Ziel also nicht früher als 3 h nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen.

14. Vorliegend fehlt es an einer neben der relevanten Ankunftsverspätung erforderlichen Abflugverspätung. Verspätet im Sinne des Art. 6 Abs. 1 VO sind nur Flüge, bei denen sich auch die Abflugszeit im relevanten Maß verzögert. Art. 6 Abs. 1 VO enthält unter lit. a) bis c) insofern eine dezidierte Regelung zu relevanten Verspätungen, bei denen stets auf eine Verzögerung gegenüber der planmäßigen Abflugszeit abgestellt wird. Hieraus folgt, dass der Anwendungsbereich des Art. 6 VO – und damit auch der einer analogen Anwendung des Art. 7 VO – eine erhebliche Abflugverspätung voraussetzt (so i. E. auch die ständige Rspr. der Berufungskammer, LG Darmstadt, zuletzt Urteil vom 18.04.2012, Az. 7 S 171/11 m.w.N., auch LG Frankfurt am Main, Urteil vom 23.09.2010, Az. 2-​24 S 44/10).

15. Nichts anderes ergibt sich auch aus der Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19.11.2009 (Aktenzeichen C-​402/07 und C-​432/07), die unter Rz. 31 f. ausdrücklich auf eine Verzögerung gegenüber der planmäßigen Abflugszeit abhebt. Dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die analoge Anwendung des Art. 7 VO auf reine Verspätungsfälle darüber hinaus auch eine erhebliche Ankunftsverspätung von 3 h erforderlich sein soll, steht der ausdrücklichen gesetzlichen Wertung des Art. 6 VO nicht entgegen. Vielmehr wird hierdurch der Bereich einer entsprechenden Anwendung des Art. 7 VO für Verspätungsfälle lediglich dahingehend eingeschränkt, dass zu der erheblichen Abflugverspätung auch ein tatsächlicher Zeitverlust von höchstens 3 h – nämlich in Form einer entsprechenden Ankunftsverspätung – treten muss. Es lässt sich weder dem Verordnungstext noch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entnehmen, dass es bei Verspätungsfällen nicht mehr auf die in Art. 6 VO genannte Abflugverspätung ankommen, sondern jeder Zeitverlust von über 3 h entschädigt werden soll (so auch LG Frankfurt am Main, a.a.O.).

16. Da der Verordnungstext ausdrücklich auf eine Abflugverspätung abstellt, fehlt es an einer für eine analoge Anwendung des Art. 7 VO erforderlichen planwidrigen Regelungslücke.

17. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO; der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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