Mindestteilnehmerzahl einer Reise nicht erreicht

LG Hamburg: Mindestteilnehmerzahl einer Reise nicht erreicht

Der Kläger – ein Verein – begehrt von der Beklagten – einer Reiseveranstalterin von Pauschalreisen – Unterlassung der gleichzeitigen Verwendung zweier Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). In einer Klausel ist vorgesehen, dass der vollständige Reisepreis 28 Tage vor Reiseantritt zu bezahlen ist, und in einer weiteren Klausel behält sich der Reiseveranstalter das Recht vor, die Reise noch weitere zwei Wochen nach diesem Zeitpunkt, so wird der Kunde durch die Kombination dieser Klauseln unangemessen benachteiligt.

Das Landgericht Hamburg gab dem Kläger Recht. Die von der Beklagten verwendeten Klauseln in ihren AGB sind gemäß §§ 307 Abs.1, Abs.2 Ziff.1 BGB unwirksam.

Gericht 324 O 858/06 (Aktenzeichen)
LG Hamburg: LG Hamburg, Urt. vom 23.03.2007
Rechtsweg: LG Hamburg, Urt. v. 23.03.2007, Az: 324 O 858/06
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Landgericht Hamburg

1. Urteil vom 23. März 2007

Aktenzeichen: 324 O 858/06

Leitsatz:

2. Über die Wirksamkeit der mit einem späterem Rücktrittsrecht wegen Nichterreichens der Mindestteilnehmerzahl kombinierten Klausel über die Fälligkeit des gesamten Reisepreises 1 Monat vor Reiseantritt.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger – ein Verein – begehrt von der Beklagten – einer Reiseveranstalterin von Pauschalreisen – gemäß § 1 des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) die Unterlassung der gleichzeitigen Verwendung zweier Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). In einer Klausel ist vorgesehen, dass der vollständige Reisepreis 28 Tage vor Reiseantritt zu bezahlen ist, und in einer weiteren Klausel behält sich der Reiseveranstalter das Recht vor, die Reise noch weitere zwei Wochen nach diesem Zeitpunkt z.B. wegen Nichterreichens der Mindestteilnehmerzahl abzusagen, so wird der Kunde durch die Kombination dieser Klauseln unangemessen benachteiligt.

Das Landgericht Hamburg gab dem Kläger Recht. Die von der Beklagten verwendeten Klauseln in ihren AGB sind gemäß §§ 307 Abs.1, Abs.2 Ziff.1 BGB unwirksam. Ihre gleichzeitige Verwendung benachteiligt die Vertragspartner unangemessen, weil die dadurch getroffene Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht vereinbar ist.

Tenor:

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens Euro 250.000,–; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre), zu unterlassen, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Zusammenhang mit Pauschalreiseverträgen gegenüber Verbrauchern wörtlich oder inhaltsgleich gleichzeitig die nachstehend unter a) und b) aufgeführten Klauseln zu verwenden und/oder sich bei der Abwicklung bestehender Verträge auf diese Klauseln zu berufen:

a) „Der gesamte Reisepreis, abzüglich der geleisteten Anzahlung, ist nach erfolgter Buchungsbestätigung bis spätestens 28 Tage vor Reisebeginn fällig und zu leisten und muss unaufgefordert bei … eingegangen sein. Ist der fällige Reisepreis bis zu diesem Zeitpunkt nicht vollständig bezahlt, obgleich der Kunde einen Sicherungsschein erhalten hat, hat den gesetzlichen Anspruch, die Erbringung der Reiseleistung bis zur Bewirkung der vollständigen Zahlung zu verweigern (Einrede des nicht erfüllten Vertrages) und kann nach Mahnung und Fristsetzung zur Zahlung vom Vertrag zurücktreten (§ 323 BGB) und vom Kunden eine angemessene Entschädigung, orientiert an den Pauschalbeträgen und der Berechnungsmethode nach Ziffer 5, verlangen, wenn dieser nicht ein Recht zur Zahlungsverweigerung hatte.“;

b) „Ist in der Beschreibung der Reise ausdrücklich auf eine Mindestteilnehmerzahl hingewiesen und wird diese nicht erreicht, so kann vom Reisevertrag zurücktreten … wird den Kunden unverzüglich nach Eintritt der Voraussetzung für die Nichtdurchführbarkeit bis spätestens zwei Wochen vor Reisebeginn durch Übersendung der Rücktrittserklärung bis zu diesem Zeitpunkt über eine etwaige Nichtdurchführung unterrichten.“.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Euro 189,– nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21. Oktober 2006 zu zahlen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

IV. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von Euro 3.800,– vorläufig vollstreckbar; und beschließt: Der Streitwert wird auf Euro 2.689,– festgesetzt.

Tatbestand:
4. Der Kläger begehrt von der Beklagten gemäß § 1 des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) die Unterlassung der gleichzeitigen Verwendung zweier Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB).

5. Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verein, der satzungsgemäß unter anderem die Aufgaben hat, unlautere Wettbewerbshandlungen zu bekämpfen, den lauteren Geschäftsverkehr zu fördern und gewerbliche Interessen im Sinne von § 3 Abs.1 Ziff.2 UKlaG wahrzunehmen.

6. Die Beklagte veranstaltet Pauschalreisen nach Afrika, insbesondere Safaris nach Kenia, die meist in Kleingruppen durchgeführt und nach den Vorstellungen der jeweiligen Reisekunden konzipiert werden. Die Beklagte bewirbt und vertreibt ihre Angebote unter anderem auf ihrer Internetseite „http://www…..de.“ Dort sind unter dem Menüpunkt „Reisebedingungen“ bzw. dem direkten Internetlink „http://www….“ die Allgemeinen Geschäftsbedingungen abrufbar, die die Beklagte im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit gegenüber den Reisekunden verwendet. In diesen heißt es unter anderem (vgl. Ausdruck Anlage K 1):

7. „2. Bezahlung

8. Mit dem Vertragsschluss und der Aushändigung eines Sicherungsscheins wird eine Anzahlung von 20 % des Reisepreises fällig. Der gesamte Reisepreis, abzüglich der geleisteten Anzahlung, ist nach erfolgter Buchungsbestätigung bis spätestens 28 Tage vor Reisebeginn fällig und zu leisten und muss unaufgefordert bei DKT eingegangen sein. Ist der fällige Reisepreis bis zu diesem Zeitpunkt nicht vollständig bezahlt, obgleich der Kunde einen Sicherungsschein erhalten hat, hat DKT den gesetzlichen Anspruch, die Erbringung der Reiseleistung bis zur Bewirkung der vollständigen Zahlung zu verweigern (Einrede des nicht erfüllten Vertrages) und kann nach Mahnung und Fristsetzung zur Zahlung vom Vertrag zurücktreten (§ 323 BGB) und vom Kunden eine angemessene Entschädigung, orientiert an den Pauschalbeträgen und der Berechnungsmethode nach Ziffer 5, verlangen, wenn dieser nicht ein Recht zur Zahlungsverweigerung hatte.“
(…)

9. „8. Rücktritt und Kündigung durch DKT

10. Ist in der Beschreibung der Reise ausdrücklich auf eine Mindestteilnehmerzahl hingewiesen und wird diese nicht erreicht, so kann DKT vom Reisevertrag zurücktreten. DKT wird den Kunden unverzüglich nach Eintritt der Voraussetzung für die Nichtdurchführbarkeit bis spätestens zwei Wochen vor Reisebeginn durch Übersendung der Rücktrittserklärung bis zu diesem Zeitpunkt über eine etwaige Nichtdurchführung unterrichten. Der Reisepreis wird umgehend erstattet.“

11. Der Kläger mahnte die Beklagte wegen der gleichzeitigen Verwendung dieser beiden Klauseln mit Schreiben vom 4. Oktober 2006 ab und verlangte die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bis zum 13. Oktober 2006 sowie die Zahlung einer Aufwandspauschale für die ausgesprochene Abmahnung in Höhe von Euro 189,– bis zum 20. Oktober 2006 (Anlage K 2). Die Beklagte wies den Unterlassungsanspruch mit Schreiben vom 13. Oktober 2006 (Anlage K 3) zurück, woraufhin der Kläger sie mit Schreiben vom 18. Oktober 2006 (Anlage K 4) ein weiteres Mal ohne Erfolg zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufforderte.

12. Der Kläger meint, die Kombination der Bestimmungen in Ziffer 2 und Ziffer 8 der AGB der Beklagten sei gemäß § 307 BGB unzulässig. Die gleichzeitige Verwendung der beiden Klauseln benachteilige die Vertragspartner der Beklagten unangemessen entgegen den Geboten von Treu und Glauben, denn die Reisenden müssten einseitig ihre Verpflichtung zur Zahlung des Reisepreises vorbehaltlos erfüllen, ohne dass sie sich – jedenfalls für wenigstens 14 Tage – sicher sein könnten, im Gegenzug auch tatsächlich die versprochenen Reiseleistungen zu erhalten. Dies widerspreche der grundsätzlich auch für Pauschalreiseverträge maßgeblichen werkvertragsrechtlichen Fälligkeitsregelung in den §§ 641, 646 BGB. Ein berechtigtes Interesse, von der sich hieraus ergebenden Vorleistungspflicht des Reiseveranstalters abzuweichen, bestehe nicht. Daneben begehrt der Kläger den Ersatz einer Kostenpauschale für die Abmahnung vom 4. Oktober 2006, die er mit Euro 176,64 zuzüglich 7% Mehrwertsteuer beziffert hat.

13. Der Kläger beantragt,

14. die Beklagte zu verurteilen

15. I. es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens Euro 250.000,00; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre),

16. zu unterlassen,

17. in Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Zusammenhang mit Pauschalreiseverträgen gegenüber Verbrauchern wörtlich oder inhaltsgleich gleichzeitig die nachstehend unter a) und b) aufgeführten Klauseln zu verwenden und/oder sich bei der Abwicklung bestehender Verträge auf diese Klauseln zu berufen:

18 a) „Der gesamte Reisepreis, abzüglich der geleisteten Anzahlung, ist nach erfolgter Buchungsbestätigung bis spätestens 28 Tage vor Reisebeginn fällig und zu leisten und muss unaufgefordert bei … eingegangen sein. Ist der fällige Reisepreis bis zu diesem Zeitpunkt nicht vollständig bezahlt, obgleich der Kunde einen Sicherungsschein erhalten hat, hat … den gesetzlichen Anspruch, die Erbringung der Reiseleistung bis zur Bewirkung der vollständigen Zahlung zu verweigern (Einrede des nicht erfüllten Vertrages) und kann nach Mahnung und Fristsetzung zur Zahlung vom Vertrag zurücktreten (§ 323 BGB) und vom Kunden eine angemessene Entschädigung, orientiert an den Pauschalbeträgen und der Berechnungsmethode nach Ziffer 5, verlangen, wenn dieser nicht ein Recht zur Zahlungsverweigerung hatte.“;

19 b) „Ist in der Beschreibung der Reise ausdrücklich auf eine Mindestteilnehmerzahl hingewiesen und wird diese nicht erreicht, so kann vom Reisevertrag zurücktreten. … wird den Kunden unverzüglich nach Eintritt der Voraussetzung für die Nichtdurchführbarkeit bis spätestens zwei Wochen vor Reisebeginn durch Übersendung der Rücktrittserklärung bis zu diesem Zeitpunkt über eine etwaige Nichtdurchführung unterrichten.“.

20. II. an ihn – den Kläger – Euro 189,– nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 21. Oktober 2006 zu zahlen.

21. Die Beklagte beantragt,

22. die Klage abzuweisen.

23. Die Beklagte ist der Ansicht, die Klage sei schon unzulässig, weil es an einer ordnungsgemäßen Abmahnung fehle; die vom Kläger geforderte Unterlassungserklärung habe nicht den gleichen Wortlaut wie der Klagantrag gehabt. Die Beklagte hält die Klage zudem für unbegründet, weil die gleichzeitige Verwendung der monierten Klauseln zulässig sei. Zur Begründung trägt sie u.a. vor, dass es keinen gesetzlichen Zwang gebe, den Zeitpunkt der Vorauszahlung des vollständigen Reisepreises durch den Reisenden und den Zeitpunkt des letztmöglichen Rücktritts des Reiseveranstalters aufeinander abzustimmen. Der Reisekunde sei vor allem durch den Reisepreissicherungsschein, der ihm noch vor jeglicher Anzahlung auf den Reisepreis ausgehändigt werde, ausreichend geschützt. Er erhalte auf diese Weise eine seiner Zahlung entsprechende Gegenleistung. Der Reisende werde gegen eine Insolvenz des Reiseveranstalters abgesichert, und auch bei einer Absage der Reise erhalte er den Reisepreis von der Beklagten vollständig zurückerstattet. Zu bedenken sei weiter, dass sie 28 Tage vor Reisebeginn bereits wesentliche Organisations- und Vorbereitungsleistungen erbracht, insbesondere die Leistungsträger vor Ort zumindest angezahlt habe. Das Risiko einer Absage der Reise treffe hauptsächlich sie, weil sie Stornierungsentschädigungen an die Leistungsträger zahlen müsse.

24. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Inhalt des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26. Januar 2007 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

25. Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

26. Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Hamburg ist gemäß § 6 Abs.1 S.1 UKlaG sachlich und örtlich zuständig, da der Kläger einen Unterlassungsanspruch aus dem UKlaG geltend macht und die Beklagte ihre gewerbliche Niederlassung in Hamburg hat. Der Kläger ist als rechtsfähiger Verband zur Förderung gewerblicher Interessen klagebefugt gemäß § 3 Abs. 1 Ziff. 2 UKlaG. Der Zulässigkeit der Klage steht schließlich nicht entgegen, dass die mit der Abmahnung vom 4. Oktober 2006 geforderte Unterlassungserklärung nicht wörtlich dem gestellten Klagantrag entsprach. Zwar wird in § 5 UKlaG auf § 12 Abs.1 UWG verwiesen, wonach vor Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs abgemahnt werden soll. Das ist aber keine Prozessvoraussetzung, sondern nur ein Gebot des eigenen Interesses (vgl. Palandt / Bassenge, BGB, 66.Aufl., § 5 UKlaG Rz.2); das Fehlen einer Abmahnung könnte vielmehr allenfalls bei einem sofortigen Anerkenntnis Kostenfolgen haben. Im Übrigen ist zwar die begehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung (Anl K 2) nicht wortgleich mit dem Klagantrag, aber das Begehren wird dennoch hinreichend deutlich.

II.

27. Die Klage ist sowohl in Bezug auf den geltend gemachten Unterlassungsanspruch (1.) als auch den Zahlungsanspruch (2.) begründet.

28. 1. Der Kläger kann von der Beklagten gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 Ziff.2 UKlaG i.V.m. § 307 BGB verlangen, dass diese die gleichzeitige Verwendung der angegriffenen Klauseln beim Abschluss von Pauschalreiseverträgen und die Berufung darauf in bereits abgeschlossenen Verträgen dieser Art unterlässt. Denn in Kombination sind die angegriffenen Klauseln unwirksam gemäß §§ 307 Abs.1, Abs.2 Ziff.1 BGB. Ihre gleichzeitige Verwendung benachteiligt die Vertragspartner der Beklagten bei der auch im Verbandsklageverfahren gebotenen generalisierenden und die beiderseitigen Interessen abwägenden Betrachtung entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, weil die dadurch getroffene Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht vereinbar ist.

29. a) Bei den angegriffenen Klauseln handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB, die die Beklagte beim Abschluss von Verträgen über die Durchführung von Reisen mit Reiseteilnehmern, also Verbrauchern im Sinne des § 13 BGB, verwendet; dies hat auch die Beklagte nicht in Abrede genommen.

30. b) Die durch die Kombination der angegriffenen Klauseln getroffene Bestimmung, wonach der vollständige Reisepreis spätestens 28 Tage vor Reiseantritt fällig ist (Ziffer 2 der AGB), obgleich zu diesem Zeitpunkt die endgültige Durchführung der Reise nicht feststeht, weil die Beklagte noch bis zwei Wochen vor Reisebeginn von ihrem Rücktrittsrecht Gebrauch machen kann (Ziffer 8 der AGB), verstößt gegen wesentliche Grundgedanken des Reisevertragsrechts. Sie ist mit der im Gesetz vorgesehenen Pflichtenverteilung zwischen dem Reiseveranstalter und dem Reisenden, insbesondere hinsichtlich der Fälligkeit des Reisepreises, nicht vereinbar und führt zu einer unangemessenen Benachteiligung des Reisenden.

31. aa) Die in Rede stehenden Verträge sind als Pauschalreiseverträge im Sinne des § 651a BGB zu qualifizieren. Die Beklagte verpflichtet sich, den Reisenden eine Gesamtheit von Reiseleistungen in eigener Verantwortung zu erbringen, darunter zumindest die Beförderung an den Zielort, die Unterkunft sowie die Teilnahme an Exkursionen und Safaris. Dass der genaue Inhalt der Reiseleistungen auch nach den Wünschen der Kunden individuell konzipiert wird, steht der Einordnung als Pauschalreisevertrag gemäß § 651a BGB nicht entgegen.

32. bb) Die Fälligkeit des Reisepreises ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt; in den Vorschriften über den Reisevertrag (§§ 651a bis 651m BGB) findet sich dazu keine Bestimmung. Zur Schließung dieser Regelungslücke ist sowohl auf die Normen des allgemeinen Werkvertragsrechts als auch auf die Grundsätze des allgemeinen Schuldrechts zurückzugreifen (vgl. dazu BGH, Urt. v. 12.03.1987, NJW 1987, 1931, 1933).

33. Die Vorschriften des allgemeinen Werkvertragsrechts liefern Anhaltspunkte für eine grundsätzliche Vorleistungspflicht des Reiseveranstalters. Nach den §§ 641, 646 BGB hat der Unternehmer das Werk, sofern eine Abnahme ausgeschlossen ist, zu vollenden, bevor er die Vergütung verlangen kann. Für den Reisevertrag würde dies bedeuten, dass der Reisepreis erst dann fällig werden soll, wenn der Reiseveranstalter die von ihm geschuldete Reiseleistung erbracht hat. Sieht man beim Reisevertrag eher Parallelen zum Werklieferungsvertrag, weil der Reiseveranstalter eine Vielzahl gleichartiger Reisen für einen unbestimmten Personenkreis anbietet, kann der Reiseveranstalter wie ein Lieferant seine Vergütung bereits Zug um Zug gegen Lieferung seines Werks – beim Reisevertrag die Durchführung der Reise – verlangen. Für eine solche Zug-um-ZugLeistung spricht auch, dass die Planung und Vorbereitung der Reise Parallelen zur werkvertraglichen Herstellungsphase aufweist, während sich die Durchführung der Reise der Phase des Leistungsaustausches zuordnen lässt.

34. Die Wertungen des allgemeinen Schuldrechts gehen ebenfalls in diese Richtung: Für die grundsätzliche Fälligkeit des Reisepreises Zug um Zug gegen Durchführung der Reise spricht insbesondere die für gegenseitige Verträge maßgebliche Regelung des § 320 BGB. Demgegenüber lässt sich eine Vorleistungspflicht des Vergütungsschuldners, hier des Reisenden, weder dem Werkvertragsrecht noch dem allgemeinen Schuldrecht entnehmen.

35. Bei der Übertragung dieser Wertungen auf den Reisevertrag müssen allerdings dessen Besonderheiten berücksichtigt werden. So gibt es gewichtige praktische Gründe, die einer Verwirklichung des Gebotes, gegenseitige Verträge nur Zug um Zug abzuwickeln, entgegenstehen. Zwar rechtfertigt die Kennzeichnung der Reiseveranstaltung als Massengeschäft für sich genommen noch keine Durchbrechung des Austauschprinzips. Auch gehören die beim Leistungsaustausch möglicherweise auftretenden Schwierigkeiten zum selbstverständlichen Geschäftsrisiko eines Reiseveranstalters. Allerdings besteht angesichts der Verwaltungs- und Organisationsleistungen des Reiseveranstalters, der Schwierigkeiten bei der Nachprüfung der Kreditwürdigkeit von Reisekunden und der Kosten einer Durchsetzung der Zahlung des Reisepreises nach Durchführung der Reise ein anerkennenswertes Interesse an einer zumindest teilweisen Vorleistungspflicht des Reisenden. In jedem Fall bedarf es einer Lösung, die dem Zug-um-Zug-Prinzip wegen dessen bedeutenden Gerechtigkeitsgehalts zeitlich und wertmäßig möglichst nahe kommt (vgl. zu alledem BGH, Urt. v. 12.03.1987, NJW 1987, 1931, 1933).

36. cc) Vor diesem Hintergrund ergibt die im Rahmen von § 307 BGB gebotene Gesamtabwägung, dass die gleichzeitige Verwendung der streitgegenständlichen Klauseln den berechtigten Interessen der Reisenden an einer dem Austauschprinzip so weit wie möglich angenäherten Regelung nicht in hinreichendem Maße gerecht wird. Es ist unangemessen und für den Reisekunden untragbar, dass er den Gesamtreisepreis zahlen muss, obgleich noch nicht feststeht, ob die Reise überhaupt durchgeführt wird, weil sich die Beklagte für weitere 14 Tage den Rücktritt wegen Ausbleibens genügender Teilnehmer vorbehalten hat.

37. Die Kombination der angegriffenen Klauseln führt zu nicht ganz unerheblichen Nachteilen auf Seiten der Reisenden. Diese erhalten bei Zahlung des vollständigen Reisepreises 28 Tage vor Reiseantritt kein ausreichendes Äquivalent für ihre Leistung, weil sich die Beklagte noch bis zwei Wochen vor Reisebeginn durch einseitige Erklärung vom Reisevertrag lösen kann. Die Reisekunden haben trotz Erfüllung der ihnen obliegenden Leistung keine hinreichende Sicherheit, ob die versprochene Gegenleistung je von der Beklagten erbracht werden wird. Die Reisenden verlieren durch die Vorauszahlung des vollen Reisepreises das „Druckmittel“ des § 320 BGB für Beanstandungen während der Reise und für die Durchsetzung von Gewährleistungsansprüchen ohne Prozess nach der Reise. Vor allem aber wird ihnen das Vergütungsrisiko aufgebürdet, ohne Rücksicht darauf, ob die Beklagte zum vereinbarten Reisetermin noch fähig und bereit ist, ihre Reiseleistung zu erbringen oder nicht. Daran ändert auch die Vorschrift des § 651k BGB nichts, wonach der Reiseveranstalter dem Reisenden einen Sicherungsschein zwecks Erstattung des gezahlten Reisepreises auszustellen hat. Selbst wenn die Beklagte dem Reisenden bereits vor jeglicher Anzahlung einen solchen Sicherungsschein ausstellt, so wird der Reisekunde dadurch lediglich vor einer Insolvenz der Beklagten geschützt. Keine Absicherung bietet der Schein dagegen, dass die Beklagte aus anderen Gründen nicht fähig oder nicht bereit ist, die vertraglich geschuldete Reiseleistung zu erbringen. Damit wird gerade das hier in Rede stehende Risiko, nämlich die Absage der Reise wegen Nichterreichens einer Mindestteilnehmerzahl, nicht abgedeckt. Auch gegen die Insolvenz oder mangelnde Leistungsbereitschaft eines Leistungsträgers vor Ort findet keine Absicherung statt. Der Reisekunde erhält keine direkten Ansprüche gegen die wichtigsten Leistungserbringer und damit kein Äquivalent für die vollständige Vorauszahlung des Reisepreises. Hinzu kommt der Zinsnachteil, der dem Reisenden durch seine Vorleistungspflicht entsteht. Dieser Nachteil ist auch nicht gänzlich zu vernachlässigen, kann er doch einen Zeitraum betreffen, der über die in Rede stehende „Differenz“ von 14 Tagen hinausgeht; zudem kann es sich angesichts der von der Beklagten angebotenen anspruchsvolleren Reisen um durchaus nennenswerte Beträge handeln. Schließlich sprechen auch die vorhandenen Informationsasymmetrien gegen die Zumutbarkeit der Klauselkombination: Der einzelne Reisende wird im Zweifel nicht nachprüfen können, ob die von der Beklagten angegebene Mindestteilnehmerzahl erreicht wird oder nicht. Auch ist ihm eine Überprüfung nicht möglich, ob die Beklagte genügend Anstrengungen unternommen hat, um die Mindestteilnehmerzahl zu erreichen.

38. Diesen Interessen der Reisenden stehen keine überwiegenden Interessen der Beklagten an der gleichzeitigen Verwendung der streitgegenständlichen Klauseln entgegen. Die Beklagte hat keinen überzeugenden sachlichen Grund angeführt, weshalb sie den gesamten Reisepreis bereits vor jenem Zeitpunkt erhalten müsse, in dem ihre letzte Rücktrittsmöglichkeit wegen Nichterreichens der Mindestteilnehmerzahl verstreicht. Auf die von der Beklagten vorgetragenen spezifischen Umstände ihrer Geschäftstätigkeit, insbesondere das geltend gemachte Eigeninteresse an der Durchführung sämtlicher angebotener Reisen und die damit begründete Absicht, das Rücktrittsrecht restriktiv zu verwenden, kommt es dabei nicht an. Maßgeblich für die Auslegung der angegriffenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist eine objektive Betrachtungsweise, wobei ein genereller, überindividueller Maßstab anzulegen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 08.01.1986, NJW 1986, 2102, 2103; Urt. v. 05.07.2001, NJW 2001, 2971, 2973; Palandt / Heinrichs, BGB, 66. A. 2007, § 307 Rn. 4). Die von der Beklagten betonte Notwendigkeit, kostspielige Verwaltungs- und Organisationsleistungen bereits geraume Zeit vor Reisebeginn vorzunehmen, gehört zum geschäftlichen Risiko der Beklagten, das nicht auf den Reisekunden abgewälzt werden darf. Wenn die Beklagte Reisen konzipiert, die nur beim Erreichen einer entsprechenden Nachfrage rentabel sind, muss sie als Wettbewerberin am Markt auch die Konsequenzen der Nichtannahme ihres Angebots durch ausreichend viele Reisekunden tragen. Sie ist vor der Durchführung von unrentablen Reisen bereits ausreichend durch das in Ziffer 8 der AGB vorbehaltene Rücktrittsrecht bei Nichterreichen der Mindestteilnehmerzahl geschützt. Weshalb außerdem die Zahlung des gesamten Reisepreises bereits 14 Tage vor dem letzten Rücktrittszeitpunkt notwendig sein soll, ist nicht ersichtlich. Insbesondere überzeugt die Ansicht der Beklagten nicht, dass hierdurch die Chance erhöht werde, dass man doch noch auf die Mindestteilnehmerzahl komme; eine hinreichende Bindung der Reisenden lässt sich bereits durch eine angemessene Anzahlung auf den Reisepreis erreichen. Damit ist auch nicht nachvollziehbar, warum die streitgegenständliche Klauselkombination gerade dem Reisenden zugute kommen soll. Der Schluss der Beklagten von einem in der Rechtsprechung anerkannten berechtigten Anzahlungsverlangen ohne Rücktrittsrecht des Reiseveranstalters auf eine Berechtigung zur Forderung des kompletten Reisepreises trotz weiter bestehenden Rücktrittsrechts des Veranstalters überzeugt wegen des darin liegenden Widerspruchs zur gesetzlichen Pflichtenverteilung beim Reisevertrag nicht. Zudem erscheint es sachwidrig, das Risiko des Nichterreichens der Mindestteilnehmerzahl und des Zahlungsverzugs von bereits angemeldeten Reisekunden den vertragstreuen Reisenden aufzubürden. Dies gilt umso mehr, als letztere wegen der bereits beschriebenen Informationsasymmetrien keinerlei Möglichkeit haben, auf zahlungsunwillige Kunden einzuwirken. Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass insbesondere kleine und mittlere Reiseveranstalter auf eine Vereinnahmung des Gesamtreisepreises 14 Tage vor Verstreichen eines Rücktrittsrechts wegen Nichterreichens der Mindestteilnehmerzahl angewiesen seien. Die Größe eines Reiseveranstalters ist für sich genommen kein tragfähiges Argument, das die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild der Zug-um-Zug-Leistung rechtfertigen könnte.

39. Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nichts Gegenteiliges. Eine Klauselkombination wie die hier angegriffene ist nach den in den Vorauskasse-Entscheidungen entwickelten Maßstäben wegen einer mit § 320 BGB unvereinbaren Gesetzesabweichung und unangemessenen Benachteiligung des Reisekunden unzulässig gemäß § 307 BGB. Auch nach Einführung des § 651k BGB darf durch Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen das Vergütungsrisiko nicht ohne Rücksicht darauf, ob der Reiseveranstalter aus anderen Gründen als seiner Zahlungsfähigkeit die vertraglich geschuldete Leitung zu erbringen in der Lage und willens ist – wie hier dem Nichterreichen einer Mindestteilnehmerzahl –, in vollem Umfang oder zu wesentlichen Teilen auf den Reisenden überbürdet werden (vgl. BGH, Urt. v. 20.06.2006, NJW 2006, 3134, 3135).

40. Schließlich greift der Einwand der Beklagten nicht durch, dass sie selbst gar kein Interesse habe, von den von ihr angebotenen Reisen zurückzutreten. Diese Aussage kann als zutreffend unterstellt werden, aber darauf kommt es für die abstrakte Frage, ob die angegriffene Klauselkombination zulässig ist, nicht an; maßgeblich ist vielmehr, welches Gebaren hierdurch ermöglicht wird.

41. c) Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr folgt daraus, dass die Beklagte die angegriffenen Klauseln in ihren AGB bereits gleichzeitig verwendet und trotz Abmahnung keine Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben hat.

42. 2. Der geltend gemachte Anspruch auf Ersatz der durch die berechtigte Abmahnung vom 4. Oktober 2006 entstandenen Pauschalkosten in Höhe von Euro 176,64 zuzüglich 7 % Mehrwertsteuer – das entspricht Euro 189,– – steht dem Kläger gemäß § 5 UKlaG i.V.m. § 12 Abs. 1 S. 2 UWG zu. Für einen Verband wie dem Kläger, dem es zuzumuten ist, typische und durchschnittlich schwer zu verfolgende Wettbewerbsverstöße zu erkennen und abzumahnen, kommt in derartigen Fällen nur ein Anspruch auf anteiligen Ersatz der Personal- und Sachkosten in Form einer Kostenpauschale in Betracht. Diese Pauschale beträgt derzeit für den Kläger, der einen umfangreichen gemeinnützigen Zweckbetrieb für den Abmahnbereich unterhält, wie geltend gemacht und substantiiert dargelegt, Euro 176,64 zzgl 7% MWSt (vgl. Hefermehl / Köhler / Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 25. Aufl., § 12 UWG, Rz. 1.97 – 1.99).

43. Die Zinsforderung ergibt sich aus §§ 286 Abs.2 Ziff.1, 288 Abs.1 BGB. Die Beklagte befand sich seit dem 21. Oktober 2006 mit der Zahlung der Abmahnkosten in Verzug.
III. 41 Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1 ZPO.
IV. 42 Die Streitwertfestsetzung folgt § 3 ZPO. Streitgegenstand ist hier nur diejenige Bestimmung, die sich aus der Kombination der beiden angegriffenen Klauseln ergibt, da nur dies vom Kläger angegriffen wird. Dies ist wie eine einzelne Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu bewerten. Die Kammer hält einen Streitwert je beanstandeter Klausel in Höhe von Euro 2.500,– für angemessen. Im Verbandsprozess bemisst sich das Interesse der Prozesspartei an dem Interesse der Allgemeinheit am Unterbleiben des Gebrauchs der strittigen Klausel. Um die Verbände bei der Wahrnehmung der ihnen im Gemeininteresse eingeräumten Befugnisse vor unangemessenen Kostenrisiken zu schützen, kommt der wirtschaftlichen Bedeutung der Verbote, bestimmte Klauselnzu verwenden, für die Bemessung des Streitwerts keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Unter Berücksichtigung dieser Umstände erscheint die Bewertung einer einzelnen Klausel mit Euro 2.500,– angemessen (vgl. BGH, Beschl. v. 28.09.2006, Az. III ZR 33/06, BeckRS 2006 Nr. 11912).

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