Beweispflicht des Versicherers für den Zugangszeitpunkt des Versicherungsscheins

OLG Nürnberg: Beweispflicht des Versicherers für den Zugangszeitpunkt des Versicherungsscheins

Der Kläger hatte mit seinem PKW einen Unfall verursacht, nachdem er kurz zuvor bei der Beklagten Versicherungsgesellschaft einen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsvertrag abgeschlossen hatte. Der Kläger forderte von der Beklagten, dass diese die Kosten für den Schaden übernehmen. Allerdings  übernahmen die Beklagte nur einen Teil der Schadensaufwendungen und forderte von dem Kläger die Restkosten zu tragen, weil dieser zum Zeitpunkt des Unfalls die Kosten für den Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsvertrag noch nicht beglichen hatte.

Das Oberlandesgericht Nürnberg hält die Klage für begründet, weil sich herausgestellt hat, dass zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfalls die vorläufige Deckung seitens der Beklagten noch gegolten habe. Der Kläger konnte glaubhaft versichern, dass er den Brief mit der Zahlungsaufforderung erst nach dem Unfall erhalten habe. Die Beklagte konnte wiederum nicht nachweisen, dass dieser bereits früher eingegangen war. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger den durch den Unfall entstandenen Schaden vollständig zu ersetzen.

OLG Nürnberg 8 U 1238/89 (Aktenzeichen)
OLG Nürnberg: OLG Nürnberg, Urt. vom 28.09.1989
Rechtsweg: OLG Nürnberg, Urt. v. 28.09.1989, Az: 8 U 1238/89
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Oberlandesgericht Nürnberg

1. Urteil vom 28. September 1989

Aktenzeichen 8 U 1238/89

Leitsatz:

2. Der Versicherer ist für den Zugang und den Zeitpunkt des Zuganges des Versicherungsscheines beweispflichtig.

Zusammenfassung:

3. Der Kläger hatte bei der Beklagten, einer Versicherungsgesellschaft einen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsvertrag abgeschlossen und dem Kläger daraufhin eine Ausfertigung dieses Versicherungsscheins mit Zahlungsaufforderung und Belehrung zugesandt. Der Kläger zahlte den darin geforderten Betrag ca. einen Monat später, verursachte jedoch kurz zuvor einen Verkehrsunfall.

Die Beklagte übernahm daraufhin einen Teil der Schadensaufwendungen, forderte von dem Kläger allerdings die Restkosten zu tragen, weil dieser zum Zeitpunkt des Unfalls die Kosten für den Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsvertrag noch nicht beglichen hatte. Der Kläger fordert nun seinen Versicherungsschutz bei der Beklagten ein.

Das Oberlandesgericht Nürnberg hält die Klage für begründet. Zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfalls habe die vorläufige Deckung seitens der Beklagten noch gegolten. Der Kläger versicherte, dass er den Brief mit der Zahlungsaufforderung erst nach dem Unfall erhalten habe und die Beklagte konnte nicht nachweisen, dass dieser bereits früher eingegangen war.

Folglich war die Zahlung seitens des Klägers rechtzeitig und die vorläufige Deckung bestand zum Zeitpunkt des Schadensereignisses noch. Die Beklagte ist demzufolge verpflichtet, dem Kläger den durch den Unfall entstandenen Schaden vollständig zu ersetzen.

Tenor

4. Auf die Berufung des Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Ansbach vom 3. Februar 1989 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Widerbeklagte wird verurteilt, dem Widerkläger Versicherungsschutz für den Unfall vom 5. März 1988 gemäß dem Kraftfahrtversicherungsvertrag der Parteien mit der Nr. zu gewähren.

Die Klägerin und Widerbeklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Klägerin und Widerbeklagten beträgt 10.194,92 DM.

Der Streitwert wird auf 10.194,92 DM festgesetzt.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§ 543 Abs. 1 ZPO).

Eine Beweisaufnahme fand nicht statt.

Gründe

5. Der Beklagte stellte gegenüber der Klägerin am 21. Dezember 1987 den Antrag auf Abschluß eines Kraftfahrzeug- Haftpflichtversicherungsvertrages und Gewährung vorläufiger Deckung gemäß § 1 Abs. 2 AKB. Die Klägerin gewährte vorläufige Deckung und erstellte den Versicherungsschein mit Prämienrechnung am 3. Februar 1988. Sie sandte dem Beklagten eine Ausfertigung dieses Versicherungsscheins mit Zahlungsaufforderung und Belehrung zu. Er überwies die geforderte Prämie am 10. März 1988. Am 5. März 1988 verursachte der Beklagte mit dem versicherten PKW schuldhaft einen Verkehrsunfall, dessen Schäden die Klägerin teilweise regulierte. Sie verlangt vom Beklagten Zahlung eines Teils der Schadensaufwendungen, dieser begehrt von ihr im Wege der Widerklage Versicherungsschutz.

6. 1) Die Klage ist nicht begründet.

7. Die Klägerin könnte vom Beklagten den geltend gemachten Teilbetrag der Schadensaufwendungen (8.174,92 DM) gemäß §§ 3 Nr. 9 Pflichtversicherungsgesetz, 426 Abs. 2 BGB nur dann verlangen, wenn dieser den Versicherungsschein schuldhaft nicht spätestens innerhalb von 14 Tagen eingelöst hätte, weil in diesem Fall die vorläufige Deckung rückwirkend außer Kraft getreten wäre (§ 1 Abs. 2 AKB). Diese Frist begann mit Zugang der Ausfertigung des Versicherungsscheins zu laufen (§ 130 BGB). Unstreitig ist der Versicherungsschein samt Prämienforderung dem Beklagten zugegangen, streitig ist jedoch der Zeitpunkt des Zugangs. Die Klägerin behauptet, das Dokument dem Beklagten am 9. Februar 1988 per Post zugesandt zu haben, es sei ihm wenige Tage danach zugegangen. Der Beklagte trägt vor, er habe die Sendung der Klägerin am 9. März 1988 nach Rückkehr von einem 3wöchigen Urlaub in seinem Briefkasten entnommen und könne nicht angeben, wann der Brief dort eingeworfen worden sei. Dies stellt ein zulässiges Bestreiten des von der Klägerin behaupteten Zugangszeitpunkts mit Nichtwissen dar. Der Einwurf eines Briefes in den Briefkasten des Empfängers bewirkt den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Leerung zu rechnen ist. Dies ist spätestens der Tag nach dem Einwurf. Nachdem der Tag des Einwurfs nicht bekannt ist, kann der Zugang des Versicherungsscheins für einen Zeitpunkt vor dem 9. März 1988 nicht festgestellt werden. Dies geht zu Lasten der Klägerin, die für den Zeitpunkt des Zugangs beweispflichtig ist. Der vereinzelt gebliebenen Entscheidung des Landgerichts München I vom 15. Mai 1986 (ZfS 86, 340) vermag der Senat nicht zu folgen. Die von der Klägerin im Schriftsatz vom 28. August 1989 zitierte Entscheidung des BAG vom 16. März 1988 (Betriebsberater Heft 2 vom 20. Januar 1989) befaßt sich nicht mit der Frage des tatsächlichen Zugangszeitpunktes, der dort feststeht, sondern mit der Frage, ob dieser tatsächliche Zugang – einer arbeitsrechtlichen Kündigung – auch rechtlich als Zugang zu werten ist. Diese Entscheidung enthält keine Gesichtspunkte, die für die Auffassung der Klägerin sprechen, der Versicherungsschein sei dem Beklagten wenige Tage nach dem 9. Februar 1988 zugegangen.

8. Nachdem ein früherer Zugangszeitpunkt als der 9. März 1988 nicht bewiesen wurde, § 10 VVG nicht anwendbar ist (keine Willenserklärung nach Vertragsschluß, kein eingeschriebener Brief), war die Zahlung vom 10. März 1988 rechtzeitig, weshalb die vorläufige Deckung zum Zeitpunkt des Schadensereignisses (5. März 1988) noch bestand. Die Klägerin kann vom Beklagten Ersatz der Schadensaufwendungen deshalb nicht fordern.

9. 2) Im Hinblick auf den bestehenden Versicherungsschutz ist die Feststellungswiderklage begründet. Das Rechtsschutzinteresse ist gegeben (§ 256 ZPO). Das abweisende Urteil könnte die Klägerin nicht hindern, den nicht eingeklagten Teilbetrag ihrer Aufwendungen (9.847,18 DM – Klageforderung = 1.673,25 DM) geltend zu machen und eine weitergehende Regulierung abzulehnen. Sie selbst erwähnt im Schriftsatz vom 24. November 1988 auf Seite 3 ausstehende, nicht bezifferte Anwaltskosten. Die und die haben vom Beklagten 154,– DM und 287,20 DM aus dem Schadensereignis gefordert. Der Beklagte trägt weiter vor, ihm sei nicht bekannt, inwieweit noch Forderungen aus dem Unfallgeschehen an ihn herangetragen werden. Schließlich begründet auch die Klagefrist von 6 Monaten der §§ 12 Abs. 3 VVG, 8 Abs. 1 AKB das Rechtsschutzinteresse an der Feststellungswiderklage. Auch geht das Interesse des Beklagten über den mit der Klage geltend gemachten Anspruch hinaus.

10. 3) diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

11. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 546 Abs. 1 ZPO).

12. Die Beschwer der Klägerin und Widerbeklagten war gemäß § 546 Abs. 2 ZPO festzusetzen, wobei ebenso wie beim Streitwert die Feststellungswiderklage mit 2.000,– DM bewertet wurde.

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