Unverzügliche Reisestornierung bei Eintritt des Versicherungsfalles
AG Hamburg: Unverzügliche Reisestornierung bei Eintritt des Versicherungsfalles
Die Klägerin hatte bei der Beklagten eine Reiserücktrittskostenversicherung abgeschlossen. Ihr Mitreisender zog sich bei einer Operation im Vorfeld der Reise eine Infektion zu, die mehrfach stationär behandelt werden musste. Sie verlangt Erstattung sämtlicher Stornokosten.
Das Gericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe die ihr vertraglich auferlegte Obliegenheit der unverzüglichen Stornierung verletzt. Daher sei die Beklagte nur zum teilweisen Ersatz der Stornokosten verpflichtet gewesen.
AG Hamburg | 922 C 178/12 (Aktenzeichen) |
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AG Hamburg: | AG Hamburg, Urt. vom 12.02.2013 |
Rechtsweg: | AG Hamburg, Urt. v. 12.02.2013, Az: 922 C 178/12 |
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Leitsatz:
2. Ist im Rahmen einer Reiserücktrittskostenversicherung die unverzügliche Stornierung der Reise vereinbart, so hat diese bei einem Krankheitsfall bereits zu erfolgen, wenn keine absolute Sicherheit auf rechtzeitige Wiedergenesung besteht.
Zusammenfassung:
3. Die Klägerin hatte bei der Beklagten für sich und einen Mitreisenden eine Reiserücktrittskostenversicherung abgeschlossen. Die Reise sollte im Oktober stattfinden. Der Mitreisende zog sich bei einer Operation im Juli eine Infektion zu, die im August und September stationär behandelt werden musste. Sie verlangt Erstattung sämtlicher Stornokosten. Die Beklagte hatte lediglich die Kosten erstattet, die durch eine Stornierung schon im August entstanden worden wären.
Das Gericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe die ihr vertraglich auferlegte Obliegenheit der unverzüglichen Stornierung durch die Stornierung erst beim zweiten Krankenhausaufenthalt im September verletzt. Schon sobald die rechtzeitige Wiedergenesung nicht mehr sicher ist, sei eine Stornierung durchzuführen. Daher sei die Beklagte nur zum teilweisen Ersatz der Stornokosten verpflichtet gewesen.
Tenor
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
5. Die Klägerin macht (weitere) Ansprüche aus einer Reiserücktrittsversicherung geltend.
6. Die Klägerin buchte im Mai 2011 für sich und den Mitreisenden Herrn … eine Schiffsreise für die Zeit vom 12.10.2011 bis 24.10.2011. Sie schloss bei der Beklagten eine Reiserücktrittskostenversicherung ab. In den Versicherungsbedingungen der Beklagten (VB MDT 2011) befindet sich in Teil II. (Besondere Bedingungen), A. (Reiserücktritt-Versicherung), die folgende Klausel:
§ 6 Zusätzliche Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls
Die versicherte Person ist verpflichtet,
a)
nach Eintritt des Versicherungsfalles/Rücktrittgrundes die Reise unverzüglich zu stornieren, um die Stornokosten niedrig zu halten und die Stornorechnung nebst Versicherungsnachweis im Original einzureichen;
7. Am 29. Juli 2011 unterzog sich der Reiseteilnehmer … einer Operation am linken Knöchel. Am 06./07. August 2011 trat an der operierten Stelle eine Infektion auf („eitrige Infektion“, „septisches Krankheitsbild“). Der Reiseteilnehmer wurde bis zum 23.08.2011 stationär behandelt (stationäre Antibiotikatherapie“, „dreimalige Revisions-OP“, „antiseptische Fußbäder bei offener Wundkontrolle“). Bei Entlassung und Nachkontrollen schien die Infektion ausgeheilt. Wegen der Einzelheiten des Krankheitsverlaufs wird den Arztbericht des … vom 29.09.2011 (Anlage K 9, Blatt 21 der Akte) Bezug genommen.
8. Am 23.09.2011 schwoll der Knöchel erneut an, woraufhin der Reiseteilnehmer am 29.09.2011 im Klinikum Ingolstadt stationär aufgenommen wurde. Er wurde erneut operiert und erst am 14.10.2011 aus dem Krankenhaus entlassen. Es wird auf den Arztbericht des … vom 13.10.2011 (Anlage K 11, Blatt 24 f. der Akte) Bezug genommen.
9. Die Klägerin stornierte die Reise am 29.09.2011.
10. Die Beklagte erstattete unter Berufung auf eine Obliegenheitsverletzung nur diejenigen Stornokosten, die bei einer Stornierung der Reise bereits Ende August 2011 angefallen wären (512,40 €) und lehnte eine weitere Erstattungtrotz anwaltlicher Aufforderung vom 16.05.2012 ab.
11. Die Klägerin meint, die Versicherungsbedingungen der Beklagten seien nicht Bestandteil des Vertrages geworden. Sie habe deshalb keine Kenntnis von irgendwelchen Obliegenheiten gehabt. Der Mitreisende … habe bis zum Zeitpunkt der Stornierung aus seiner Sicht mit einer sicheren Reisefähigkeit ausgehen dürfen.
13. die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.596,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.11.2011 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 123,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
16. Sie beruft sich auf eine Obliegenheitsverletzung gemäß Ziffer A, II, § 6 a) der Versicherungsbedingungen.
Entscheidungsgründe
17. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I.
18. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung weiterer Stornokosten gemäß Ziffer I., §§ 1, 2 Nr. 1 a.) der Versicherungsbedingungen. Mit Zahlung in Höhe von 512,40 € hat die Beklagte ihre Verpflichtung aus dem Versicherungsvertrag bereits erfüllt. Darüber hinaus schuldet sie keine Leistungen.
19. Die Beklagte ist gemäß Ziffer I., § 4 Nr. 2 in Verbindung mit Ziffer II., § 6 Nr. a der Versicherungsbedingungen leistungsfrei. Die Versicherungsbedingungen sind in den Vertrag einbezogen. Selbst wenn die Versicherungsnehmerin diese nicht ausgehändigt erhalten hätte, dürfte der sofortige Versicherungsschutz ihr wichtiger gewesen sein als die Kenntnis der Konditionen im Einzelnen (LG Frankfurt, Urteil vom 12.03.2008, 2-8 S 72/07). Eine etwaige Regelungslücke kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung durch Anwendung marktüblicher Versicherungsbedingungen geschlossen werden (LG Duisburg, Urteil vom 12.10.2012, 7 S 187/11). Es ist gerichtsbekannt, dass die Beklagte marktübliche Versicherungsbedingungen verwendet.
20. Die Klägerin hat ihre Obliegenheit aus dem Versicherungsvertrag verletzt, indem sie entgegen § 6 a.) die Reise nach Eintritt des Versicherungsfalls nicht unverzüglich stornierte.
21. Der Versicherungsfall ist nach dem unstreitigen Sachvortrag bereits am 06./07. August 2011 eingetreten, als der Mitreisende Herr … nach einer Operation eine eitrige Infektion des oberen Sprunggelenkes mit septischem Krankheitsbild und Verdacht auf Osteomyelitis (Knochenmarkentzündung) entwickelte. Diese Diagnose (Osteomyelitis) war auch Anlass der Stornierung der Reise Ende September 2011. Die Erkrankung/Komplikation, aus der sich die Unzumutbarkeit des Reiseantritts ergab, trat damit erstmals Anfang August 2011 auf. Für den Eintritt des Versicherungsfalls ist nicht erforderlich, dass bei Auftreten der Erkrankung die Reiseunfähigkeit zum Reisebeginn bereits definitiv feststeht. Eine Stornierung ohne schuldhaftes Zögern kommt nur in Betracht, wenn der behandelnde Arzt bei Auftreten der Erkrankung die Wiederherstellung der Reisefähigkeit versichert und eine vollständige Genesung bis dahin sicher prognostiziert hätte. Allgemeine Äußerungen über den gewöhnlichen Krankheitsverlauf reichen nicht aus. Denn die Hoffnung auf rechtzeitige Wiedergenesung ist nicht versichert.
22. Nach diesen Grundsätzen fehlt es bereits an substantiiertem Sachvortrag der Klägerin dazu, dass der Mitreisende aufgrund der Aussage des behandelnden Arztes sicher von einer vollständigen Genesung bis zum Reisebeginn ausgehen durfte. Nach der als Anlage K 12 (Blatt 49 der Akte) eingereichten Stellungnahme des behandelnden Arztes sei zwar erst am 28.09.2011 absehbar gewesen, dass die geplante Reise nicht durchführbar sein werde. Allerdings habe auch Ende August eine Versicherung, dass die Reise angetreten werden kann, „selbstverständlich bei der schwerwiegenden Erkrankung von Hr. Norpoth nicht mit absoluter Sicherheit“ gegeben werden können. Aus der ärztlichen Stellungnahme folgt, dass der Mitreisende Herr … gerade keine Sicherheit über seine rechtzeitige Genesung haben konnte. Er hätte im Rahmen seiner Obliegenheitspflichten bereits bei Auftreten der Infektion im August erkennen können und müssen, dass jedenfalls ab diesem Zeitpunkt keine ausreichende Gewissheit mehr darüber bestand, ob er die Reise werde durchführen können. Die Möglichkeit von (auch langwierigen) postoperativen Infektionen ist allgemein bekannt, so dass auch der Mitreisende Herr … bei Auftreten der Infektion davon ausgehen musste, dass der Antritt der Reise ernsthaft in Frage stand. Dass er und sein Arzt zunächst von einem günstigen Heilungsverlauf ausgingen, ändert nichts an der Tatsache, dass sich hier ein allgemein bekanntes Risiko einer jeden Operation niedergeschlagen hat.
II.
23. Da ein Hauptanspruch nicht besteht, kommt auch die Erstattung der geltend gemachten Nebenforderungen (Zinsen und Rechtsanwaltskosten) nicht in Betracht.
III.
24. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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